Seite:Meyers Universum 5. Band 1838.djvu/50

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

sich aus dem Staube. Nun wurde die Abtei, nachdem alle Vorräthe aufgezehrt waren, von den tollen Haufen demolirt. Selbst das Allerheiligste erfuhr keine Schonung. Man riß die fürstlichen Grabgewölbe auf, stürzte die Särge um, raubte den Gebeinen ihren Schmuck, und warf sich in toller Lust mit den Knochen der alten Herrscher. Die kostbare Klosterbibliothek wurde im Hofe verbrannt. Die vier und zwanzig Altäre der Kirche, herrliche Denkmäler der altdeutschen Malerei und Skulptur, wurden niedergerissen; alle übrigen Kunstwerke vernichtet; die Glocken zerschlagen; die 3 Orgeln auseinander gerissen; Thüren und Fenster verbrannt; die Dächer abgedeckt; ganze Gebäude bis auf die Grundmauern verwüstet. Nach vollendetem Zerstörungswerke zogen die wüthenden Haufen ab und ließen die reiche, prachtvolle Abtei als Ruine zurück.

Zwar sammelten sich die zerstreuten Klosterbrüder wieder und begehrten Erlaubniß zur Wiederherstellung der Abtei. Solches wurde ihnen jedoch von dem protestantisch gesinnten Landesherrn verwehrt. Er ließ jedem der Mönche eine gewisse Summe zahlen, rieth ihnen, in den weltlichen Stand zurückzutreten und weiter zu wandern. Aber die reichen Besitzungen des Klosters zog er ein, machte sie zu einem Amt und Kammergut und verwandelte die noch übrigen Klostergebäude in Wirthschaftswohnungen und in ein fürstliches Jagdschloß.

Diese Bestimmung behielt es bis auf den heutigen Tag. – Unter der Regierung des Herzogs Ernst von Gotha, zu Ende des vorigen Jahrhunderts, wurde die nächste Umgebung in freundliche Anlagen umgeschaffen, und seinem geistreichen, genialen Nachfolger, dem Herzoge August, war Reinhardsbrunn der gewöhnliche Sommeraufenthalt. „Mein stilles, heiliges Thal, (schrieb er von hier aus seinem Freunde, dem Dichter Wagner), der düster-schattige Wald, die frisch-grünen Wiesen, die schillernden Seen, die duftenden, durchzwitscherten Büsche, der stumme Abend, die Gräber der Ahnen, die undurchdringlichen Geheimnisse der verödeten Zellen, – das Alles könnte wohl einen Dichter reizen, – vielleicht begeistern! Hier in dem lieben, alten Zellenhause, am reiner, heiligen Chrystallborn, hänge ich mehr von meinem Willen ab, als in der lärmigen Stadt und an meinem Hofe.“ –

Zehnfach verschönert, und umgeschaffen zu einer der herrlichsten deutschen Fürstenvillen, haucht Reinhardsbrunn auch dem jetzigen Besitzer mit seinen alten, zum Himmel aufstrebenden Edeltannenhainen den ersten balsamischen Frühlingsgruß jedes Jahr entgegen. Wälder und Gründe, Berge und Thaler weithin, bilden einen mit sorgfältig unterhaltenen Wegen durchzogenen Park, mit einer Wildbahn, welche die größte und reichste vielleicht in ganz Deutschland ist. Von jeher war es den humanen Fürsten Gotha’s eigen, ihr Volt vom Mitgenuß ihres Eigenthums nicht auszuschließen, und so ist auch Reinhardsbrunn an jedem Sonn- oder Festtage der schönen Jahreszeit ein Sammelplas der Städter und Dörfler oft zu Tausenden und der Ort, wo sich thüringer Frohsinn und Heiterkeit in Fülle zeigen.



Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/50&oldid=- (Version vom 24.8.2024)