Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Servilia Caepionis, Mutter des Caesarmörders Brutus, Geliebte Caesars
Band II A,2 (1923) S. 18171821
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101) Servilia, die Mutter des Brutus. S. ist um 654 = 100 geboren als Tochter des Q. Caepio Nr. 50 und der Livia, der Schwester des Volkstribunen M. Livius Drusus von 663 = 91. Ihre Mutter heiratete nicht lange darauf nach der [1818] Scheidung von Caepio den M. Porcius Cato und gebar diesem einen Sohn gleichen Namens, den sog. Uticenser. Nach dem frühen Tode aller Angehörigen der älteren Generation war S. die älteste von mehreren Geschwistern und Stiefgeschwistern und erwarb so in früher Jugend die Selbständigkeit und Autorität, die ihre geradezu überragende Stellung unter den Frauen der letzten republikanischen Zeit begründete. Auf den sonst so unbeugsamen jüngeren Cato, ihren Halbbruder (Plut. Cato min. 1, 1; Brut. 2, 1; Caes. 62, 1; vgl. auch Dio XLIV 13, 1. Auct. de vir. ill. 82, 1), übte sie den größten Einfluß aus (maternam obtinebat auctoritatem Ascon. Scaur. 17 K.-S.; vgl. Plut. Cato min. 21, 2). Sie war zweimal verheiratet, in erster Ehe mit M. Iunius Brutus, bis zu dessen Tode 676 = 78 (o. Bd. X S. 972f. Nr. 52), und in zweiter mit D. Iunius Silanus, der 692 = 62 Consul war und anscheinend bald darauf um 694 = 60 gestorben ist (ebd. S. 1090 Nr. 163). Aus der ersten Ehe ging ein Sohn hervor, M. Iunius Brutus, der spätere Caesarmörder (über sein Geburtsjahr, 669 = 85 oder 676 = 78, s. ebd. 973f. Röm. Adelsparteien 297, 1); aus der zweiten entsprossen drei Töchter, die Frauen des P. Servilius Isauricus Nr. 67, des Triumvirs M. Aemilius Lepidus, des Caesarmörders C. Cassius (ebd. S. 1110 Nr. 192f. 1114 Nr. 206). Den Sohn Brutus erzog S. durchaus in den Traditionen des servilischen Geschlechts und veranlaßte seine Aufnahme in dieses durch Adoption (vgl. Cic. Phil. II 26. X 14. Plut. Caes. 62, 1; Brut. 1, 2), obgleich auch sein Stiefvater demselben Geschlechte wie sein rechter Vater, dem iunischen, angehörte (Cic. Brut. 240). Von den Töchtern sind wahrscheinlich zwei im Anfang 693 = 81 Gegenstand der Werbung des Pompeius für sich und seinen älteren Sohn gewesen (Plut. Pomp. 44, 2f.; Cato 30, 2-4. Röm. Adelsparteien 349f.); alle ihre Heiraten sind von S. im Interesse ihrer eigenen Familie zustande gebracht worden, ebenso die ihres Sohnes Brutus mit Claudia, der Tochter des Ap. Claudius Pulcher und ihrer Verwandten Servilia Nr. 100 (ebd. 256f. 340), und manche andere in späteren Jahren, wie die ihrer Enkelin Nr. 104 mit dem ältesten Sohne des Lepidus, also einem andern ihrer Enkel (ebd. 354. 370). Sogar für Ciceros Tochter Tullia wollte sie im J. 703 = 51 eine Heirat vermitteln (Cic. ad Att. V 4, 1. VI 1, 10). Dagegen scheint die Auflösung der von ihr gestifteten Ehe des Brutus und der Claudia im J. 709 = 45 und die unmittelbar darauf folgende Vermählung des Sohnes mit Porcia, der Tochter Catos, nicht ihren Wünschen entsprochen zu haben, wenn die sehr unbestimmten Anspielungen Ciceros (ad Att. XIII 11, 2. 16, 2. 22, 4) in diesem Sinne gedeutet werden dürfen (vgl. Röm. Adelsparteien 340. 342, 1). S. ist noch mehr als durch diese ihre Familienpolitik berühmt geworden durch ihre Beziehungen zu Caesar. Darüber sagt Suet. Caes. 50, 2. nachdem er die Frauen von vier bekannten und berühmten Männern, die Caesar verführt haben soll, mit ihren eigenen Namen und denen der Männer aufgezählt hat: Sed ante alias dilexit Marci Bruti matrem Serviliam und bringt zum Beweise zwei Tatsachen. Im J. 695 [1819] = 59 habe Caesar der S. eine Perle von hohem Werte zum Geschenk gemacht und im Bürgerkriege habe er ihr — super alias donationes, was bloße Ausschmückung ist — bei einer Versteigerung ein großes Landgut für einen sehr billigen Preis zugeschlagen; hierzu fügt Suet. einen boshaften Witz Ciceros, der beruht auf dem Gerede (existimabatur), S. habe ihre jüngste Tochter Iunia Tertia mit dem Machthaber zusammengebracht. Die zweite Nachricht mit diesem Anhängsel wiederholt Macrob. Sat. II 2, 5. Gesichert ist durch Cic. ad Att. XIV 21, 3, daß S. noch nach Caesars Ermordung ein Landgut bei Neapel im Besitz hatte, das dem Caesarmörder Pontius Aquila gehört hatte, und daß dies als großes Unrecht betrachtet wurde, vermutlich weil sie es auf nicht ganz einwandfreie Weise erworben hatte. Der vielleicht apokryphe Witz wird sich auf dieselbe Erwerbung beziehen (Plural praedia bei Suet. übertrieben; bei Macrob. Singular fundus) und lehrt nur, daß der Stadtklatsch die Tochter der S. nicht verschonte; diese selbst und Caesar waren über die Fünfzig hinaus und wurden davon nicht betroffen. Die erste Nachricht Suetons aus dem J. 695 = 59 steht allein, kann aber verbunden werden mit einer Äußerung aus demselben Jahre bei Cic. ad Att. II 24, 3: Der falsche Ankläger L. Vettius beschuldigte im Senat u. a. den Brutus der Verschwörung gegen Pompeius; als er am folgenden Tage von Caesar vor das Volk geführt wurde, nannte er dessen Namen nicht mehr, ut appareret noctem et nocturnam deprecationem intercessisse. Wenn hier auf einen intimen Verkehr zwischen Caesar und S. angespielt wird (vgl. Gelzer o. Bd. X S. 976), so ist nicht zu übersehen, daß beide damals freie Herren ihrer Handlungen waren, Caesar nach der Scheidung von seiner zweiten Frau Pompeia und S. nach dem Tode ihres zweiten Gatten Silanus (daher bei Suet. zu ihrem Namen nicht wie bei den anderen angeblichen Geliebten Caesars der Name des Mannes hinzugefügt), daß sie also im Falle gegenseitiger Zuneigung in allen Ehren eine Vereinigung erstreben konnten, wobei dann auch jenes kostbare Geschenk leicht zu erklären ist; wenn Caesar bald darauf lieber ein höchstens achtzehnjähriges Mädchen, Calpurnia, zur Frau nahm, so mag ihn dazu bestimmt haben, daß er von dieser eher als von der vierzigjährigen S. die Erfüllung seines Wunsches nach einem Sohne erhoffen durfte (vgl. auch Röm. Adelsparteien 326f.). Die Beziehungen zwischen Caesar und S. im J. 695 = 59, die vorhanden, aber auch erlaubt waren, bilden den Ausgangspunkt für die späteren Erfindungen. Eine von Plut. Cato min. 24, 1 = Brut. 5, 2 erzählte Anekdote setzt das Bestehen eines Liebesverhältnisses gegen Ende 691 = 63 voraus, wo sowohl Caesar wie S. durch eheliche Bande gefesselt waren; wäre die Geschichte wahr, so hätten nur die Beteiligten, Caesar, Cato und S. davon Kenntnis gehabt und hätten sich wohl gehütet, etwas davon zu verraten; folglich ist sie haltloser Klatsch. Schließlich ist dann erdichtet worden, Caesar und S. hätten sich schon in ihrer Jugend geliebt, und Brutus sei die Frucht dieser Verbindung gewesen; das steht bei Plut. Brut. 5, 1 als Begründung [1820] der selbst schon mit λέγεται (vgl. dasselbe bei den ähnlichen Angaben Caes. 46, 2) eingeführten Behauptung, Caesar habe bei Pharsalos die Schonung des Brutus befohlen, verklausuliert mit ὡς ἔοικε und ἐπέπειστό πως (vgl. noch Cato 24, 2), und steht bei Appian. bell. civ. II 468f. mit ἐνομίζετο; solche späte und unsicher auftretende Verleumdung bedarf gar nicht der ernsthaften Widerlegung (Drumann GR² IV 20), und das ihre Entstehung begreiflicherweise fördernde Wohlwollen Caesars gegen Brutus ist ohnehin durchaus verständlich (s. Gelzer a. O. 982). So bleibt nur der für S. sehr ehrenvolle Eindruck, daß sie als Frau in reifem Alter, also gewiß durch höheren als bloß sinnlichen Reiz, den größten Mann ihres Volkes wie keine zweite angezogen hat. Den Eindruck von ihrer geistigen Bedeutung bestätigt die Notiz über ihren Einfluß auf Cato während seiner Praetur 700=54 (Ascon. Scaur. 17 K.-S.; vgl. auch über Catos Schwestern während seines Tribunats Plut. Cato min. 27, 1. 32, 3 u. o.) und besonders ihre Einwirkung auf die Politik vom Tode Caesars bis zu dem des Brutus. Sie tritt am deutlichsten hervor in Ciceros Bericht über die am 8. Juni 710 = 44 in Antium gepflogene Beratung, ob Brutus und Cassius, der Sohn und Schwiegersohn der S., in Italien bleiben sollten oder nicht. Auf diesem Familientage und Parteitage hat S. geradezu den Vorsitz geführt, den Ausschlag für die Entscheidung gegeben und die Ausführung der Beschlüsse übernommen, obgleich dazu nichts Geringeres als die Abänderung eines förmlichen Senatsconsults gehörte; sie hat dies auch wirklich erreicht (Cic. ad Att. XV 11, 1f. 12, 1; dazu aus den vorhergehenden und folgenden Tagen 6,4. 10. 17,2; s. Gelzer a. O. 996f. Röm. Adelsparteien 362f.). Am 25. Juni teilte S. dem Cicero die soeben erfolgte Abreise des Brutus mit (ad Att. XV 24) und übernahm nun gewissermaßen seine und des Cassius Vertretung in Rom und die Vermittlung der Nachrichten von und zu ihnen; darauf beziehen sich die Erwähnungen in Ciceros Briefwechsel (Ende Sept. an Cassius fam. XII 2, 3. Ganz unsicher Ende Oktober ad Att. XV 13, 4, wo Selicia überliefert ist [o. S. 1259 Nr. 2]) besonders aus dem Frühjahr 711 = 43 (ad Brut. II 3, 3. 4, 5. 5, 4; an Cassius fam. XII 7, 1) und aus dem Juli dieses Jahres, wo einerseits die Sorge um die Familie des geächteten Schwiegersohns Lepidus sie beschäftigte (Cic. ad Brut. I 13, 1. 12, 1f. 15, 13. 18, 6; vgl. Röm. Adelsparteien 361f.), anderseits die Frage der Berufung des Brutus nach Italien zum Kampf gegen die Caesarianer. Cicero berichtet über eine Verhandlung dieser Frage am 25. Juli, an der er selbst, Casca (Nr. 53). Scaptius (o. S. 353 Nr. 1) u. a. teilgenommen haben, wo wiederum S., die prudentissima et diligentissima femina, das Ganze und zwar in parlamentarischen Formen leitete (ad Brut. I 18, 1 mit sorgsamer Wahl der Ausdrücke). Auch nach dem unglücklichen Ausgang der Caesarmörder bewahrte sich S. die allgemeine Achtung: Antonius, der bei Philippi im Herbst 712 = 42 dem Brutus eine ehrenvolle Bestattung gewährte, schickte ihr seine Asche zu (Plut. Brut. 53, 2. Appian. bell. civ. IV 568): [1821] Atticus, einer ihrer alten Freunde (vgl. Cic. ad Att. XV 11, 2: tua familiaris. 17, 2), widmete ihr nach wie vor seine Verehrung und seinen Beistand (Nep. Att. 11, 4). Zu ihrem Gesinde gehört ein Stephanus Serviliai Sila[ni](uxoris) l(ibertus) CIL I² 1389 (vgl. auch Servilia Nais Nr. 108); die Vermutung, daß die Horti Serviliani (o. Bd. VIII S. 2487f.) ihr Eigentum gewesen seien (Röm. Adelsparteien 362f., 1), wird durch Cic. fam. VIII 62, 1 nicht widerlegt, aber abgeschwächt (vgl. Nr. 67). S. hat im Hintergrunde der politischen Bühne gewirkt wie wohl kaum eine der mehr im Vordergrunde stehenden Frauen ihrer Zeit, von denen z. B. Mommsen RG III 529f. eine lebensvolle Schilderung entworfen hat; in der Gesellschaft der ciceronischen Zeit erscheint sie als eine ebenso bedeutende wie anziehende Gestalt, echt weiblich, echt römisch, echt aristokratisch (vgl. Röm. Adelsparteien 427)