Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Werkzeug beim Weben
Band I A,1 (1914) S. 3839
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Radius, κερκίς (die Glossen übersetzen radius meistens mit κερκίς Corp. gloss. lat. VII 180). 1) Das Werkzeug, womit beim Weben der Einschlagfaden (κρόκη, ῥοδάνη, ἐφυφή, subtemen, subtegmen, trama Blümner Technologie I² 142) in das geöffnete Fach eingeführt wurde. Vielleicht bezeichnete man damit ursprünglich eine Art Nadel, die man beim Flechten gebrauchte. Die Ausdrücke mochten dann bleiben, als die Völker von primitiver Flechtarbeit zum kunstreichen Weben fortschritten. Schon bei Hom. Il. XXII 448 erscheint die κερκίς als ein Gerät, das die Frauen beim Weben mit der Hand führen. Wenn er sie Od. V 62 ,golden‘ nennt, so ist das jedenfalls nur mit poetischer Übertreibung gesagt, weil sich für die Göttin eine goldene κερκίς geziemte. Indes geben weder diese Homerischen noch die zahlreichen andern Stellen bei griechischen und römischen Dichtern (Arist. Av. 831. Eurip. Bacch. 118; Hek. 363; Ion 1412. Theocr. 18, 34. Anth. Pal. VI 2896. Lucr. V 1351. Ov. fast. III 819. Sil. It. XIV 658) und Prosaikern (Plat. pol. 281 E; Cratyl. 389 B; Lys. 208 D; legg. VII 805 E; soph. 226 B. Marc. Ant. comm. X 38. Poll. VII 35. X 125) uns irgendwie eine klare Vorstellung über Form und Gebrauch dieses Gerätes. Nach einem rohen, schwarzfigurigen Bilde einer Vase, die aus dem Kabirenheiligtum bei Theben stammt (abgeb. bei Fröhner Collect. v. Branteghem Paris 1892 n. 210 pl. 45, bei Riegl Mitt. d. k. k. öster. Mus. f. Kunst u. Industrie VIII 291 und bei Blümner Technologie I² 157 Fig. 61), war es ein ziemlich langer Stab, um den der Einschlagfaden gewickelt war und der zwischen den Fäden des Aufzuges oder der Kette (στήμων stamen, μίτος licium) mit der Hand hin und her bewegt wurde (vgl. Verg. Aen. IX 476 excussi manibus radii. Claud. XXXVI 161: attritosque manu radios). Dieser Stab war aus Holz (Plat. Cratyl. 389 B. Ed. Diocl. 13,1 κερκίδες ἐκ διαφόρων ξύλων, besonders aus Buchsbaum (Ovid. met. VI 132. Ed. Diocl. a. a. Ο.), aus Rohr (Hesych. κερκίδας, δονακίνας· ἐπεὶ ταῖς ἀνθήλαις ἐχρῶντο εἰς κερκίδας), sehr spitz (Ovid. met. VI 56 radiis .. acutis), so daß er zum Ausstechen der Augen (Soph. Antig. 976. Apollod. II 8, 1) oder zum Erstechen (Anton. Liberal. 25. Geopon. XII 29, 3: ἄνευ σιδήρου, οἷον κερκίδι ἢ καλάμῳ ὁξεῖ, κεντήσας) dienen konnte. Wenn bei den Dichtern κερκίς und radius tönend, singend (Ar. Ran. 1315. Anth. Pal. VI 47, 1. 160, 1. 174, 11. 247, 1. 288, 4), sausend (Anth. lat. I 2, 211 nr. 742 v. 48 subtilisque seges radio stridente resultat) heißen, so läßt das auf rasches Bewegen schließen. Von der einen Wirkung der κερκίς, daß sie die Fäden der Kette trennt, spricht Platon öfters (Cratyl. 388 C; pol. 282 B; Cratyl. 387 C wird κερκίζειν erklärt; soph. 226 B. vgl. Poll. VII 35). Als man später statt eines Stabes oder Spule das Weberschiffchen verwendete, wurden die Namen κερκίς und radius auf dieses übertragen; die im Schiffchen befindliche Spule wurde πηνίον, πήνη) (Anth. Pal. VI 288, 5 unterscheidet ausdrücklich κερκίς von den πηνία), panus, [39] häufiger panucula (Non. 149, 17. Lucil. lib. IX. Prisc. III 44 p. 115, 15 K. Isid. XIX 29, 7. Fest. 220, 16. Adhelm. de laud. virg. 15), oder panuvellium (Varro de l. l. V 114) genannt. Neben der κερκίς erscheint das πηνίον schon in homerischer Zeit (Il. XXII 762). Blümner Technologie u. Terminologie I² 151ff. Marquardt-Mau Privatleben d. Römer² 525f.

[Hug. ]