Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Caesar, [Drusus d. J.. Sohn des Kaisers Tiberius und dessen erster Gattin
Band X,1 (1918) S. 431434
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136) Drusus Iulius Caesar (Prosop. imp. Rom. II 176 nr. 144. Bernoulli Röm. Ikonogr. II 1, 198) war der Sohn des Kaisers Tiberius und seiner ersten Gemahlin Vipsania Agrippina, s. Moll Genealogie des Iul.-Claud. Kaiserhauses, T. II. Wir kennen wohl seinen Geburtstag, den 7. Oktober CIL I² p. 229, vgl. 331; aber nicht sein Geburtsjahr, s. Herm. XVII 634. Mommsen Ges. Schr. IV 262. Borghesi Oeuvr. VIII 13 [432] entscheidet sich für d. J. 789 = 15; jedenfalls war Drusus jünger als Germanicus (geb. d. 24. Mai 789 = 15), vielleicht betrug der Unterschied nur ein halbes Jahr. Die Männertoga erhielt er auf alle Fälle spät, bei der Rückkehr seines Vaters von Rhodos im J. 755 = 2, also wahrscheinlich in seinem 16. Lebensjahre. Sein Vater wurde allerdings bald nach der Rückkehr von Augustus adoptiert; aber die Aussichten des Drusus auf den Thron wurden dadurch wesentlich verschlechtert, daß Tiberius gezwungen war, den beliebten und älteren Germanicus zu seinem Sohne zu machen. Bald nach der Adoption des Vaters machten die römischen Ritter den Sohn zum princeps iuventutis (L. Koch De princ. iuventutis 37), und noch in dem SC. über die Ehren des verstorbenen Drusus (CIL VI 31 200) wird der silberne Schild erwähnt, den sie ihm bei dieser Gelegenheit schenkten. Die Quaestur erreichte Drusus erst 764 = 11, also 26 Jahre alt. Auch das war für einen Prinzen etwas später als gewöhnlich, und solange Augustus lebte, ist dieser Unterschied auch nicht ausgeglichen. Auf dem Bogen von Pavia (CIL V 6416) 7–8 n. Chr. dagegen fand der Sohn des präsumptiven Thronfolgers seinen Platz neben dem Germanicus. Beim Tode des Augustus hatte Drusus die umfangreichen Schriftstücke zu verlesen, die der Kaiser hinterlassen hatte, und dann dem Verstorbenen von der alten Rednerbühne eine Grabrede zu halten, von der vielleicht ein Bruchstück erhalten ist (Gardthausen Aug. III 2, 862, 71). Über seine Ämter und Würden s. CIL V 4954. Das erste Consulat, das der neue Kaiser zu vergeben hatte, verlieh er seinem Sohne für ein ganzes Jahr 768 = 15; dafür aber mußte er auch eine wichtige und gefährliche Mission übernehmen. So wie Germanicus den Aufstand der rheinischen Legionen zu unterdrücken hatte, so wurde Drusus mit dem Seian zu dem pannonischen Heere geschickt, um die Legionen zu ihrer Pflicht zurückzuführen.

Drusus war jetzt also Bruder und Kollege des Germanicus, und der Kaiser vermied es sorgfältig, einen von beiden zu bevorzugen, aber beide lebten in bestem Einvernehmen (φιλάδελφος θεός CIG 318. Eckhel D. N. VI 211). Für die Erfolge des Germanicus im Orient erhielten beide Brüder Triumph und Triumphbögen beim Tempel des Mars Ultor (Tac. ann. II 64) im J. 772 = 19. Nach dem Tode des Germanicus war Drusus der einzige Thronfolger und wurde von seinem Vater so bezeichnet durch Verleihung der tribunicia potestas 775 = 22 (Tac. ann. III56). Schon vorher hatte er ihm die Provinz Illyricum gegeben, wo Drusus die Ergebung des Maroboduus entgegennahm, dafür erhielt er eine Ovatio, die am 28. Mai 773 = 20 gefeiert wurde, s. die Fasten von Ostia CIL XIV 244 und I² p. 319. In Illyricum empfing er auch den Besuch des Piso, der in seinem Streit mit Germanicus den Sohn des Kaisers für seine Sache gewinnen wollte, was ihm jedoch nicht gelang; denn Drusus kehrte nach Italien zurück, um die heimkehrende Witwe seines Freundes in Tarracina zu begrüßen (Tac. ann. III 2), sie nach Rom zu geleiten und dort der Trauerfeier für Germanicus beizuwohnen. Von seiner äußeren Erscheinung können wir uns ein ziemlich sicheres Bild machen. Drusus ist für uns nicht bloß einer der ,claudischen [433] Prinzen‘, sondern er hat sein Gesicht für sich. Wir haben Münzen von ihm bei Bernoulli II 1, T. XXXIII 2. u. 3, mit seinem nicht gerade bedeutenden, aber energischen Kopfe. Das Gesicht ist nicht sehen, wie das seines Vaters, die Stirn ist flach und niedrig, zum Teil von den vorfallenden Haaren verdeckt, namentlich aber unterscheidet ihn von den anderen Claudiern die mächtige gewölbte Nase.

Diese Münzen geben uns auch den Maßstab, den wir an die Statuen und Büsten anlegen können, die seinen Namen tragen; sie zeigen, daß die Büste von Turin (Bernoulli S. 200–201) und die Statuen von Veii (Bernoulli T. IX) und von Pompeii (ebd. S. 198) wahrscheinlich mit Recht auf Drusus bezogen wurden.

Vermählt war er mit Livilla, der schönen Tochter des älteren Drusus, die ihm eine Tochter und zwei Söhne (Zwillinge) geboren hat. Drusus und Livilla zusammen dürfen wir wahrscheinlich wiedererkennen auf dem Cameo der Apotheose des Augustus (Gardthausen a. O. III 2, 871).

Drusus war ein stolzer Claudier, geistig nicht hervorragend, leidenschaftlich, sinnlich und selbst grausam; trotzdem war der Kronprinz beliebt in der Hauptstadt. Man kannte sein lockeres Leben in Rom und im Lager, aber man verzieh es ihm gern, wenn man ihn verglich mit seinem finstern, mißtrauischen Vater. In die Staatsgeschäfte pflegte er sich nicht zu mischen, aber der täglich wachsende Einfluß des Seian fing doch an, ihn zu beunruhigen; er ahnte bereits mit richtigem Instinkt, daß es sich um die Krone handle; es kam zu heftigen Szenen, und schließlich gab Drusus dem Seian einen Schlag ins Gesicht. Dieser suchte sich durch Livilla zu rächen. Um sie leichter zum Ehebruch und zum Morde ihres Gatten zu verleiten, verstieß Seian seine Gattin und erhielt nun genaue Kunde von den Plänen und Äußerungen seines Feindes. Sie wußten dem Drusus ein langsam wirkendes Gift beizubringen, dem er nach dem 1. Juli 776 = 23 erlag (Suet. Tiber. 62 Tac. ann. IV 9). Er schien an einer Krankheit gestorben zu sein; aber 8 Jahre später, nach dem Sturz des Seian, wurde durch gerichtliche Untersuchung festgestellt, daß Livillas Leibarzt das Gift bereitet hatte, das dem Drusus durch einen seiner Diener beigebracht war. Rom hatte in den letzten Jahren schon oft den Leichenzug seines Kronprinzen gesehen, und die Ehren des C. und L. Caesares und namentlich des Germanicus wiederholten sich bei der Bestattung des Drusus; in einem SC. (CIL VI 31 200) wurden die Ehren des Germanicus (CIL VI 31 199. Tac. ann. II 83) noch gesteigert auf den Drusus übertragen. Das Volk aber sammelte eine Summe Geldes, um ihm eine Statue zu setzen, deren Inschrift (CIL VI 910, vgl. 31200) erhalten ist. Beim Leichenbegängnis sah man in langem Zuge die Ahnen der Iulier bis hinauf zum Aeneas und Romulus vereint mit denen der Claudier, die den Drusus zur letzten Ruhestätte geleiten (Tac. ann. IV 9). Die Grabrede hielt ihm sein Schwiegersohn Nero Caesar, der Sohn des Germanicus. Die offizielle Trauerzeit wurde vom Tiberius gegen die Gewohnheit abgekürzt (Suet. Tib. 52).

Der sog. Bogen des Drusus in Rom hat seinen Namen nicht von dem Sohne des Tiberius; man [434] wollte ihn, und zwar fälschlich, in Verbindung bringen mit dem älteren Drusus.