Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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verbannter Ephesier
Band VIII,1 (1912) S. 859861
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3) Ein öfter angeführtes Fragment (121 Diels) des Philosophen Herakleitos von Ephesos tadelt aufs schärfste seine Landsleute, weil sie ihren wackersten Mann, den H., verbannt haben, um des strengen demokratischen Grundsatzes willen, daß keiner bei ihnen die anderen überragen solle. [860] Unter anderen Zeugen führt Cic. Tusc. V 105 die Stelle in lateinischer Übersetzung an, ohne etwas über die sonstigen Schicksale des H. hinzuzufügen. Dagegen fährt Strabon XVI 642 nach dem Citat fort: δοκεῖ 'δ οὗτος ὁ ἀνὴρ νόμους τινὰς Ῥωμαίοις συγγράψαι. Ähnlich unsicher drückt sich Pomponius aus (Dig. I 2, 2, 4): (legum XII tabularum) ferendarum auctorem fuisse decemviris Hermodorum quendam Ephesium exulantem in Italia quidam rettulerunt. Bestimmt aber sagt Plin. n. h. XXXIV 21: fuit et (statua) Hermodori Ephesii in comitio, legum quas decemviri scribebant interpretis, publice dicata. Die Verbreitung der Tradition in späterer Zeit ergibt sich daraus, daß sie die Grundlage für die Fälschung zweier Briefe des Herakleitos an H. bilden konnte (s. o. Art. Herakleitos Nr. 10). Ganz neuerdings hat v. Wilamowitz (Abh. Akad. Berl. 1909, 71, 1) zu den bisherigen Zeugnissen über H. das des Polemon (FHG III 147 frg. 96) aus Hesych. 1142 s. v. Σκυδικαι hinzugefügt, wo aus einem H. eine Vorschrift über weibliche Tracht in ionischem Dialekt zitiert zu werden scheint; das passe gut für einen Gesetzgeber aus der Zeit vor den Perserkriegen, und wenn H. als solcher bekannt war, wird seine Einführung in die römische Tradition noch besser verständlich. Übrigens liegt deren Entstehung auch ohnehin ziemlich klar zu Tage; sie ist von verschiedenen älteren Gelehrten aufgehellt worden, deren Ergebnisse F. Boesch De XII tabularum lege a Graecis petita (Diss. Göttingen 1893) 58–69 zusammengefaßt hat. Vermeintliche Entlehnung des römischen Landrechts von den Griechen ist sowohl die Voraussetzung dieser Überlieferung, wie die der anderen, daß eine römische Gesandtschaft vor der Gesetzgebung der Decemvirn in Athen die Solonische kennen gelernt habe. Vielleicht im Gegensatz zu der einen, infolge der Erkenntnis ihrer Unhaltbarkeit, ist die andere aufgebracht worden. Zu der von H. handelnden trug bei, daß Herakleitos sich in Ephesos auch als Gesetzgeber betätigen sollte, und daß der römische Dianakult von dem der ephesischen Artemis abgeleitet wurde. Daß H. sich nach seiner Verbannung anderswo nützlich machte, konnte man aus den Worten der Ephesier bei Herakleitos schließen: ἡμέων μηδὲ εἶς ὀνήιστος ἔστω, εἰ δὲ μή, ἄλλη τε καὶ μετ' ἄλλων, daß er sich nach dem Westen gewandt habe, aus dem analogen Verhalten anderer Volks-, Zeit- und Gesinnungsgenossen. Daß man sehr verschiedener Meinung darüber war, worin sein Anteil an dem Werke der römischen Decemvirn eigentlich bestand, zeigt das Auseinandergehen der drei Berichte über diesen Punkt; aus dem Schweigen der Historiker, die vielmehr die Gesandtschaft nach Athen berichten, geht hervor, daß die Erzählung von H. nicht von Annalisten, sondern von gelehrten Altertumsforschern stammt, und aus dem δοκεῖ Strabons und dem quidam rettulerunt des Pomponius, daß sie immer als unsichere Vermutung auftrat. Sie knüpfte aber sicherlich an die Statue auf dem Comitium an, und da die Kenntnis dieses Denkmals gewiß auf Varro zurückgeht, so ist in ihm der Urheber der ganzen Erfindung zu sehen. An der Existenz einer Statue auf dem Comitium mit einer Inschrift wie: Hermodoro Ephesio p. zu zweifeln, ist kein Grund. Und sollte es dann mehr als ein bloßer Zufall sein, [861] daß als Gesandte der Ephesier im republikanischen Rom gerade bekannt sind einerseits ein berühmter Gelehrter, dem die Gesandtschaft zwar nicht in Rom, aber im Artemisheiligtum zu Ephesos eine goldene Ehrenstatue eintrug (Artemidoros nach Strab. a. O.), und anderseits zwei Männer, die im Namen ihrer Gemeinde der römischen eine solche darbrachten, und von denen der eine Herakleitos und der andere zwar nicht Hermodoros, aber Hermokrates hieß (s. d.)? Wenn etwa in älterer Zeit ein Mann namens H. von Ephesos dasselbe getan hat, so konnte leicht durch Mißverständnis der Weihinschrift – Auffassung eines alten Nominativs auf o ohne Schluß-s als Dativ und falsche Auflösung von Abkürzungen – die ganze Tradition entstehen. In Wahrheit war von H. in späterer Zeit nichts bekannt, als was Herakleitos über ihn sagte; nicht einmal sein zeitliches Verhältnis zu diesem stand fest, und selbst wenn man ihn als Altersgenossen des Philosophen ansetzte, kam man noch nicht auf die Epoche der Decemviralgesetzgebung.