Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Reiter, der im Galopp das Pferd wechselt
Band V,1 (1903) S. 255259
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Desultor, der ,Abspringer‘, ist ein Reiter, der sich in schnellster Gangart von einem Pferde auf ein nebenherlaufendes, mit jenem zusammengekuppeltes schwingt. Corp. gloss. lat. V 496, 39 D. qui de equo in equum transilit; ebenso V 596, 58, wo für transiit zu lesen ist transilit. Der Ausdruck wird griechisch glossiert mit μεταβάτης) (II 46, 19; vgl. Hesych. s. ζευγηλάτης) oder ζεύξιππος (IV 332, 40). Die Erklärung bei Isid. orig. XVIII 39 D. nominati, quod olim, prout quisque ad finem cursus venerat, desiliebat et currebat, sive quod de equo in equum [256] transiliebat scheint sich in ihrer ersten Hälfte auf die griechische κάλπη (s. d.) zu beziehen. Bei Ps.-Chrysostom. or. de circo VIII p. 88 E werden die D. genannt τὰ προιππικὰ κομβινεύματα (vgl. Corp. gloss. lat. II 322, 5 combinatio ζεῦξις κατὰ δύω). Der älteste Beleg für die Kunst der D. findet sich in einem Vergleiche Homers, Il. XV 679—684, wo ein derartiger Reiter seine Kunst auf vier zusammengekuppelten Pferden angesichts einer zahlreichen Zuschauermenge eine aus der Ebene nach der Grossstadt zu führende Strasse entlang ausübt: ὁ δ’ ἔμπεδον ἀσφαλὲς αἰεὶ θρώσκων ἄλλοτ’ ἐπ’ ἄλλον ἀμείβεται. οἱ δὲ πέτονται. Eustathius bemerkt dazu in Übereinstimmung mit dem Scholiasten (Cod. Victorianus), dass man zu diesem Zwecke zusammengekoppelte Pferde ἅμιπποι (s. d.) genannt habe und fügt hinzu: ἐν δὲ παλαιοῖς σχολίοις γέγραπται, ὅτι Δημήτριός (im Scholion mit dem Beinamen ὁ γονυπεσός) φησι τεθεωρηκέναι τινὰ μεταβαίνοντα, ὡς ὁ ποιητὴς λέγει, κατέχοντα τοὺς χαλινοὺς (d. h. die Zügel waren nicht aufgebunden, sondern wurden vom D. in der Hand gehalten, so dass er bei alledem die volle Gewalt über die Pferde behielt) καὶ ἀνεμποδίστως τηροῦντα τὸν δρόμον τῶν ἵππων, καὶ ὅτι καὶ νῦν τοῦτο γίνεται (also etwa zur Zeit des Augustus, da unter den παλαιοί Didymos und Genossen zu verstehen sind), καὶ ἐφ’ ἡμῶν δέ τις ἐθεάθη (also im 12. Jhdt. in Constantinopel) διὰ δύο ἵππων κελητίζων, ὡς δυσχερὲς ὂν τὸ διὰ τεσσάρων. Die römischen D. bedienten sich nur zweier Pferde, soweit wir das aus Schriftstellern und Bildern ersehen, obwohl eine grössere Anzahl von Pferden in manchen Fällen nicht ausgeschlossen zu sein braucht, wie man ja auch die Rennwagen in der Kaiserzeit oft mit mehr Pferden bespannte, als früher üblich gewesen war (s. Decemiuges). In geschichtlicher Zeit treten uns zum erstenmale D. entgegen im J. 216 n. Chr., wo Hasdrubal in der Schlacht bei Ibera auf seinem rechten Flügel numidische Reiter verwendet, quibus desultorum in modum binos trahentibus equos inter acerrimam saepe pugnam in recentem equum ex fesso armatis transultare mos erat: tanta velocitas ipsis tamque docile equorum genus est, Liv. XXIII 29 (Hauptstelle!). Die Vermutung liegt nahe, dass den Römern, die die eigentümliche Kampfweise der Ausländer gern bei ihren Schauspielen verwendeten (vgl. die Gladiatorengattungen der Thraeces, Galli, Essedarii), diese Fertigkeit der numidischen Reiter so imponierte, dass sie sie in der Folge selbst zu üben anfingen. Dass diese Art D. unter dem Namen pares equi auch im römischen Heere Verwendung fanden, zeigt Festus p. 221 (Müller): Paribus equis, id est duobus, Romani utebantur in proelio, ut sudante altero transirent in siccum. Pararium aes appellabatur id. quod equitibus duplex pro binis equis dabatur, während aus Corp. gloss. lat. V 618, 41 sunt pedites (cedites cod., celetes Heraeus), qui retro equitibus romanis in caballis sedebant, hervorgeht, dass man mit dem Namen D. im militärischen Sinne Infanteristen bezeichnete, die, der Cavallerie zugeteilt, sich hinter dem Reiter mit aufs Pferd schwangen, wo es sich um schnelles Fortkommen handelte. Bei den Spielen war das Rennen der D., wie es scheint, regelmässig mit [257] den Wagenrennen im Circus verbunden. Den cirsensischen D. erwähnt zum erstenmale wieder Livius (XLIV 9), wo er gelegentlich des Berichts über die Eroberung von Heracleum im J. 169 v. Chr. eine Bemerkung über die damals noch bescheidene Ausdehnung der circensischen Spiele einflechtend sagt: Mos erat tum, nondum hac effusione inducta bestiis omnium gentium circum complendi, varia spectaculorum conquirere genera: nam semel quadrigis, semel desultore misso vix unius horae tempus utrumque curriculum complebat. Somit gewinnen wir das J. 169 als Terminus ante quem für die Einführung der ars desultoria in den römischen Circus, was zu der obigen Vermutung gut stimmen würde, da sich der Sport in dem Zeitraum von 47 Jahren gar wohl dort eingebürgert haben kann. Zugleich erfahren wir aus jener Stelle, dass damals jedesmal nur ein Rennen (missus) von D. stattfand (der Singular desultore ist collectiv zu fassen), während im Gegensatze dazu zur Zeit des Livius selbst, also im augusteischen Zeitalter, mehrere solcher Rennen üblich gewesen sein müssen. Dass zu Caesars Zeit die Kunst der D. in Ehren stand, geht daraus hervor, dass bei den von ihm gegebenen circensischen Spielen equos desultorios agitaverunt nobilissimi iuvenes, Suet. Caes. 39. Dass sie gleichwohl zu derselben Zeit niedriger gewertet wurde als die der Viergespannlenker, muss man aus Cic. pro Mur. 27 schliessen: nescio quo pacto mihi videtur praetorium candidatus in consularem quasi desultorius in quadrigarum curriculum incurrere. Das wird auch der Grund sein, weswegen die D. an letzter Stelle angeführt werden, wenn sie mit quadrigarii oder bigarii zusammen genannt werden; so z. B. ausser an der oben erwähnten Liviusstelle (XLIV 9) bei den Spielen der Arvalbrüder (Henzen Acta fratr. Arv. p. 37) und bei den Saecularspielen (Mommsen Ephem. epigr. VIII p. 269); vgl. auch Arnob. adv. nat. II 38. Jedenfalls wird man daraus kaum schliessen dürfen, dass sie auch im Rennprogramm die letzte Nummer ausgefüllt haben. Denn da die Rennen der Viergespanne immer den Hauptteil dieses Programms ausmachten, so wird man auch in der früheren Zeit, wo nur je ein Rennen von Viergespannen und D. stattfand, um die Spannung zu erhöhen, die D. den Viergespannen vorausgeschickt und später, wo die Zahl der Rennen vermehrt wurde, zwischen die einzelnen Rennen der Wagen eingeschoben haben. Mit dieser Zurechtlegung stimmt überein, was der Gothenkönig Theoderich im Anfange des 6. Jhdts. n. Chr. an Faustus schreibt: Equi desultorii, per quos circensium ministri missus denuntiant exituros, Luciferi praecursorias velocitates imitantur, Cassiod. var. LI 6. Deswegen waren die D. ausser dem Kastor auch dem der Sonne vorauseilenden Lucifer heilig, wie die Quadriga dem Sol und die Bigae der Luna, Isid. orig. XVIII 36, 1. Unter der Ankündigung der zu erwartenden Rennen ist bei der geschraubten Sprache jenes Briefes wohl nicht an ein eigentliches Ausrufen zu denken, vielmehr vermute ich, dass jede im bevorstehenden Rennen der Gespanne auftretende Farbe auch schon im Voraus durch eine entsprechende Anzahl D. von gleicher Farbe vertreten war, so dass die Zuschauer daraus schon vorher ersahen, wie [258] das Feld im folgenden Wagenrennen besetzt sein würde. So konnten etwa die Filzkappen, die die D. nach Hygin. fab. 80 trugen, die entsprechende Farbe haben. Die Erwähnung der D. als einer noch bestehenden Sportgattung bis in die späteste Zeit des Altertums beweist, dass sie, wenn auch wohl mit manchen Änderungen, doch immer einen integrierenden Bestandteil der Rennen gebildet haben. Zu dem einfachen Voltigieren von einem Pferde auf das andere (Propert. V 2, 35) kamen mit der Zeit noch andere Kunstreiterstückchen, wie wir sie in unserem modernen Circus zu sehen gewohnt sind, z. B. Stehen und rücklings Liegen auf blanken Pferden, Wandern von einem aufs andere, Waffenübungen und dgl., Sil. Ital. Pun. X 464ff. Manil. astron. V 85ff. (mit den Anmerkungen Scaligers). Firmic. math. VIII 6ff. Wievielmal die D. die Bahn zu durchmessen und wie oft sie dabei zu voltigieren hatten, wissen wir nicht. Nimmt man an, dass ihnen ein siebenmaliger Umlauf wie den Wagen vorgeschrieben war, so brauchten sie dazu etwa eine Zeit von 20 Minuten, wenn man die Länge eines Umlaufs = 800 m. (s. Circus Bd. III S. 2578 und vgl. dazu den Grundriss auf S. 2574) und die Renngeschwindigkeit = 5 m., also niedrig, ansetzt
(Formel: ). Da ein Wagenrennen ungefähr die gleiche Zeit gedauert haben wird (eher weniger), so wurden durch die beiden Rennen zusammen etwa 40 Minuten ausgefüllt, so dass, selbst wenn wir die für die Verleihung des Siegespreises nötige Zeit hinzurechnen, durch beide Rennen noch nicht eine Stunde beansprucht wurde, was mit der oberwähnten Angabe des Livius: vix unius horae tempus utrumque curriculum complebat gut stimmen würde. Wahrscheinlich war es Rennvorschrift, dass der D. nach Vollendung jedes Umlaufs sich auf das jeweilig leere Pferd schwingen musste. Zum equus desultorius eignete sich nicht jedes Pferd; das Paar musste in Grösse, Rängen und Temperament gut zusammenstimmen; es bedurfte deshalb einer sorgfältigen Wahl und Dressur. Hom. Il. XV 680 ὅς τ’ ἐπεὶ ἐκ πολέων πίσυρας συναείρεται ἵππους . Varro de r. r. II 7, 15 peritus belli alios eligit atque alit ac docet, aliter quadrigarius ac desultor. Daher hat wohl auch das bei Festus (s. o.) erwähnte pararium aes die Bedeutung einer dem Besitzer eines vorzüglichen Paares gewährten Prämie. Die ars desultoria war auch in den unteren Donauländern bekannt. Val. Flacc. Argon. VI 161 comitum celer mutator equorum Moesus. Übertragen findet sich das Wort angewendet Ovid. amor. I 313 non sum desultor amoris. Senec. suasor. I 7 d. bellorum civilium. Apul. met. I 1 desultoria scientia. Abgebildet erscheinen D. ziemlich häufig, namentlich im oberen Streifen auf steinernen Sarkophagwänden mit circensischen Reliefs, z. B. als beflügelte Genien (Putten; dargestellt, auch auf Münzen. Th. Mommsen Gesch. d. röm. Münzwes. S. 606 auf einem Denar der Marcier in Bezug auf Apollinarspiele. Eckhel Doctr. num. VI 9 aus der Zeit Caesars. Die Glosse dissultores singularis Corp. gloss. lat. IV 332, 40. V 596, 58 hat meines Erachtens mit unserem Artikel nichts zu thun, sondern meint die auf Curierpferden reitenden Boten des Kaisers, [259] die nach verschiedenen Richtungen hin auseinandergeschickt werden (dissultant, s. Equites singulares). Vgl. auch die Artikel Ἀποβάτης Bd. I S. 2814 und Singulator.

Litteratur: Onuphr. Panvinius De lud. circens. J. C. Bulengerus De circo Rom. ludisq. circ., beide mit wenig gesichtetem Material in Graevii Thes. antiqu. Rom. 1698 vol. IX (s. Index). Bianconi Descriz. dei circhi, Rom 1789 p. 1 (Bild). 115. Delaborde Pavim. de Italica 1806 p. 51. L. Friedländer bei Marquardt-Wissowa Röm. Staatsverw. III² 524.