Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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poena cullei, das Säcken als Hinrichtungsart
Band IV,2 (1901) S. 17471748
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3) Unter poena cullei versteht man die Strafe der Säckung, bei welcher der Hinzurichtende zuerst mit roten Ruten (virgis sanguineis) gepeitscht, dann zusammen mit einer Schlange, einem Affen, einem Hund und einem Hahn in einen Sack genäht (culleo insuere) und so in einen Fluss oder ins Meer geworfen wird. Mod. Dig. XLVIII 9, 9 pr. Iust. Inst. IV 18, 6. Nach der Annahme der römischen Schriftsteller ist diese Strafe uralt; schon Tarquinius Superbus soll sie in einem Fall wegen schweren Religionsfrevels verhängt haben, Dionys. IV 62. Val. Max. I 1, 13. In späterer Zeit erscheint sie beinahe ausschliesslich als poena parricidii, wobei wahrscheinlich überall an parricidium im neueren Sinne (= Verwandtentötung) zu denken ist; als Strafe für dieses Verbrechen ist sie wahrscheinlich nicht durch Gesetz (so Val. Max. a. a. O.) eingeführt, sondern moribus instituta, Mod. Dig. XLVIII 9, 9 pr., ähnlich Cic. pro Rosc. Am. 70. Sulla hat sie, wie Ciceros Reden für den Roscius aus Ameria und für den Cluentius beweisen, in seiner lex Cornelia de sicariis et veneficis für den Fall der Ascendententötung, nicht aber für die Tötung entfernterer Verwandten vorbehalten; die lex Pompeia hob die Strafe auf (nach andern hat sie sie bestätigt), indem sie für jeden Fall des parricidium die (allgemeine) Strafe des cornelischen Gesetzes, d. h. die Strafe der aquae et ignis interdictio androhte; Marc. Dig. XLVIII 9, 1, vgl. Suet. Caes. 42. Aber schon Seneca de clem. I 23 bezeugt wieder eine häufige Anwendung der Säckung; ihr Wiedererscheinen (vgl. auch Senec. de ira I 16, 5. Suet. Oct. 33; Claud. 34. Cass. Dio LXI 16, 1. Iuven. VIII 212ff. XIII 153ff.) mag damit zusammenhängen, dass sie sich im Hausgericht erhielt, Senec. de clem. I 15, 7. Senec. controv. III 16. Hadrian schreibt die poena cullei vor für die Tötung von Eltern und Grosseltern, aber auch hier nur, si mare proximum sit. Mod. Dig. XLVIII 9, 9, vgl. Dosith. Hadr. sent. 16; in den übrigen Fällen treten andere Todesstrafen ein. Paul. V 24, 1 erwähnt die poena cullei als eine nicht mehr in Gebrauch stehende. Constantin schreibt sie aber neuerdings vor und zwar für alle Fälle der Verwandtentötung; ist das Meer nicht in der Nähe, so soll der Sack in einen Fluss geworfen werden, Const. Cod. Iust. IX 17, 1. Iust. Inst. IV 18, 1.

Die Strafe ist wesentlich das Einnähen in den Sack und das Ertränken des Sackes; häufig ist schlechtweg nur hievon die Rede, Cic. pro Rosc. Am. 70. Senec. de ira I 16, 5. Apul. met. X 8. Lact. inst. III 14. Die Tiere, die wohl nicht immer alle aufzutreiben waren, werden nicht immer genannt; am häufigsten die Schlange, z. B. Plut. Tib. Gracch. 20. Iuvenal. a. a. O. Senec. controv. III 16. Senec. de clem. I 15. 7. [1748] Isidor. orig. V 27, 36. Constantin Cod. Theod. IX 15, 1. Über die Tiersymbolik (ἀσεβὴς μετὰ ἀσεβῶν ζώων Dosith.) vgl. Schrader (s. u.) 769. 770. Wahrscheinlich ist die Säckung von Hause aus keine Strafe, sondern eine Form der sog. procuratio prodigii, Fortschaffung eines monströsen Wesens; die That erschien als unglaublich und naturwidrig (prodigii ac portenti simile Cic. pro Rosc. Am. 37. Senec. de clem. I 23); das Land soll endgültig und vollkommen von dem unnatürlichen Verbrecher befreit werden, der den Göttern nicht gefällig ist und Verderben über das Land bringt, das ihn birgt. Sofort nach dem Urteil soll die Isolierung beginnen; der Verbrecher erhält hölzerne Sohlen an die Füsse, sein Haupt wird mit einem folliculus lupinus verhüllt; dann wird er in den Kerker abgeführt, wo er verbleibt, bis der culleus für die Execution bereit ist, Rhet. ad Herenn. I 23. Cic. de inv. II 50. Die mehrfach aufgestellte und auf Suet. Oct. 33 gestützte Behauptung, die poena cullei habe nur den geständigen parricida getroffen, ist unhaltbar; sie steht im Widerspruch mit der Anwendbarkeit der Strafe in den Fällen bei Cic. pro Rosc. Amer. Senec. controv. III 16. Apul. metam. X 8 (p. 694 Oud.). Brunnenmeister (s. u.) 197, 1 vermutet etruskischen Ursprung der Strafe.

Anwendung der poena cullei für andere Fälle (ausser parricidium) ist selten nachweisbar; vgl. Val. Max. I 1, 13. Dionys. IV 62. Plut. Tib. Gr. 20. Euseb. de mart. Palaest. 5; gesetzlich war sie vorübergehend dem Ehebrecher angedroht, Constantius u. Constans Cod. Theod. XI 36, 4. Über verwandte Strafen bei andern Völkern des Altertums Schrader (s. u.) 767.

Litteratur. Schrader Ausgabe der Institutionen (Corp. iur. civ. tom. I) zu Inst. IV 18, 6 p. 764ff. Rein Criminalrecht der Römer 457–459. Voigt XII Tafeln I 255–257. Daude De capit. poen. iur. Iust. 45–52. Brunnenmeister Tötungsverbrechen im altröm. Recht 177. 185–198. H. F. Hitzig Schweiz. Ztsch. f. Strafr. IX (1896) 40. 41. Vgl. die Art. Lex Pompeia, Parricidium.

[Hitzig. ]