Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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germanisches Volk im Mündungsgebiet des Rheins, von Chatten abstammend
Band III,1 (1897) S. 118 (IA)–121 (IA)
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Batavi, germanisches, nach Tacitus mehrfachem Zeugnis von den Chatten abstammendes Volk, welches infolge innerer Spaltungen seine Heimat verlassen und eine Insel im Mündungsgebiet des Rheins, die nach ihnen benannte insula Batavorum, in Besitz genommen hatte, Tac. Germ. 29 omnium harum gentium praecipui Batavi non multum ex ripa, sed insulam Rheni amnis incolunt, Chattorum quondam populus et seditione domestica in eas sedes transgressus, in quibus pars Romani imperii fierent; hist. IV 12 Batavi, donec trans Rhenum agebant, pars Chattorum, seditione domestica pulsi extrema Gallicae orae vacua cultoribus simulque insulam iuxta sitam occupavere, quam mare Oceanus a fronte, Rhenus amnis tergum ac latera circumluit. IV 15 missi ad Canninefates qui consilia sociarent. ea gens partem insulae colit, origine lingua virtute par Batavis, numero superantur. Da Vell. Paterc. II 105 in dieser Gegend nebst den Canninefaten die Chattuarii (Attuari) an Stelle der B. nennt, schliesst Zeuss (Die Deutschen 100), dass Chattuarii der gemeinsame Name der beiden Stämme gewesen sei. Müllenhoff (Ztschf. f. Dtsch. Altert. Ν. F. XI 7) leugnet die Abstammung der B. und Canninefaten von den Chatten. Die B. müssen jedenfalls schon längere Zeit [119] vor Caesar, der sie zuerst nennt (b. G. IV 10), jene Wohnsitze an der Rheinmündung inne gehabt haben. Die Bezeichnung ihres Landes als insula Batavorum war zuerst die allein übliche (Caes. a. O. Mosa.... parte quadam ex Rheno recepta, quae appellatur Vacalus, insulam efficit Batavorum, neque longius ab Rheno milibus passuum LXXX in Oceanum influit. Plin. n. h. IV 101 in Rheno autem ipso prope C in longitudinem nobilissima Batavorum insula Cannenefatium etc. (vgl. IV 106). Tac. ann. II 6; hist. IV 12. 18. V 23. Dio LIV 32 (τὴν τῶν Βαταούων νῆσον, LV 24); später kam der Name Batavia auf (s. d.). Der Name des Volkes, der fortlebt in der Landschaft Betuwe (zwischen Waal und Leck mit dem Hauptort Noviomagus = Nymwegen) lautet richtiger Batāvi als Batăvi (Lucan. I 431 Batăvi, dagegen ā bei Sil. It. III 608. Iuven. VIII 51. Martial. VI 82, 6. VIII 23, 20. XIV 176, 1. CIL III 3676 Batāvos; bei Ptol. II 9, 1. 9, 8 accentuieren die Hss. die letzte Silbe) und bedeutet die ‚Tüchtigen‘ oder die ‚Glücklichen‘ (vgl. got. bats, ahd. baz, bezziro), Schweizer-Sidler zu Tac. Germ. 29. R. Much Deutsche Stammsitze 148. Die Wohnsitze waren übrigens nicht auf jene Insel beschränkt, sondern erstreckten sich auch südlich von der Waal und der Maas ins Gallische hinein (Tac. hist. IV 12); dass die B. ehemals keltisches Gebiet besetzt hatten, beweisen die meist keltischen Ortsnamen (Lugdunum Batavorum, Batavodurum, Noviomagus u. a.). Caesar hatte mit den B. noch nichts zu schaffen; wie es scheint, sind sie durch Drusus auf friedlichem Wege mit dem römischen Reiche vereinigt worden (Mommsen R. G. V 110). Drusus konnte von ihrer Insel aus den Rhein überschreiten (Dio LIV 32) und den Kanal zwischen dem Rhein und der Zuydersee bauen, die fossa Drusiana, Tac. ann. II 8. Suet. Claud. 1; vgl. Tac. hist. V 19. Schiller Gesch. d. röm. Kaiserzeit I 217. Die Römer hatten an ihnen treue Verbündete in den germanischen und andern Kriegen (Tac. hist. IV 12). Die grosse Masse der batavischen Truppen stand eine Zeit lang beim obergermanischen Heere als Auxilia der 14. Legion (vgl. Tac. hist. I 59. Mommsen R. G. V 118), dann zeichneten sie sich in Britannien aus unter Claudius (Tac. hist. IV 12). An den Kämpfen des J. 69 nahmen sie hervorragenden Anteil. In dieser Zeit begann es unter ihnen zu gären: es kam zu jenem furchtbaren Aufstand der B. unter Civilis, der schliesslich (im J. 70) mit der Wiederherstellung der früheren Verhältnisse endigte (s. Tac. hist. Schiller a. O. I 500ff. Mommsen R. G. V 118ff.). Diese Insurrection war, wie es scheint, die einzige, die sie sich zu Schulden kommen liessen. In Britannien kämpften sie wieder im Heer des Agricola mit Auszeichnung (Tac. Agr. 36). Die B. nahmen, weil sie sich als gehorsame und nützliche Unterthanen erwiesen, im römischen Reichsverband und namentlich in der Heeresorganisation eine bevorzugte Stellung ein, die ihnen auch nach dem Aufstand unter Civilis verblieb. Sie waren steuerfrei, wurden dagegen sehr stark zum Heeresdienst herangezogen (Tac. Germ. 29 manet honos et antiquae societatis insigne; nam nec tributis contemnuntur, nec publicanus atteriKarl Viktor Müllenhofft: exempti oneribus et collationibus et tantum in usum proeliorum [120] sepositi velut tela atque arma bellis reservantur; hist. IV 17 Batavos quamquam tributorum expertes arma contra communes dominos cepisse, vgl. IV 12). Die kaiserlichen Leibwächter, Germani oder Batavi (Suet. Calig. 43) genannt, wurden vorzugsweise aus ihnen rekrutiert, ebenso das seit Traian bestehende, zur kaiserlichen Garde gehörige Reitercorps, die equites sinqulares (Marquardt St.-V. II² 487. Mommsen Herm. XVI 459. XIX 30; Eph. epigr. V p. 233; Correspondenzbl. d. Westd. Ztschr. 1886, 124. Zangemeister Neue Heidelberg. Jahrb. V 46f.). Auf einer der zahlreichen Inschriften der equites singulares (Henzen Annali 1885, 272 aus dem J. 219 nennen sich die Dedicanten cives Batavi sive Thraces adlecti ex provincia Germania inferiori (s. darüber Mommsen Corr.-Bl. d. Westd. Ztschr. 1886, 51). Überhaupt geben die Inschriften dankenswerte Nachweise über die Verwendung der B. im römischen Heer (ausreichende Zeugnisse bei Ruggiero Diz. I 981f.). Die ala Batavorum militaria (1000 Reiter) wird mehrfach erwähnt, z. Β. CIL III 7800, einer ihrer Praefecten IIΙ 5331. Im J. 158 war sie in Dacien stationiert, III p. 1989 (vgl. Tac. hist. IV 18. Hübner Herm. XVI 552. 556. Vaders De alis exercitus Romani, Halle 1883, 9). Von Cohorten erwähnt Tacitus hist. I 59 acht, die als Auxilia der 14. Legion im J. 69 in civitate Lingonum standen. Diese Zahl scheint nach der Unterdrückung des Aufstands des Civilis erheblich vermindert worden zu sein (Mommsen R. G. V 130), denn inschriftlich werden nur erwähnt die I, II, III (Hassencamp De coh. Rom. auxil., Göttingen 1869, 21ff.), ausserdem die IX, die seit der Mitte des 2. Jhdts. in Raetien stand (CIL III p. 1991 und nr. 11 918, vgl. den Artikel Batava). Auch nachdem die Franken im Bataverlande ihre Wohnsichte aufgeschlagen (Zos. III 6, vgl. Zeuss a. O. 329ff. R. Schröder Ztschr. der Savigny-Stiftung 1881, 8ff.) und sich mit den alten Bewohnern zu einem Volke vereinigt hatten, erscheint ihr Name noch unter den auxilia Palatina in der Not. dign. Batavi seniores und iuniores (Occ. V 163 = VII 14. V 186 = VII 72. VI 47 = VII 167. VI 51 = VII 169; Or. V 8 = 49. VI 30; vgl. Occ. XL 39 tribunus coh. I Batavorum Procolitia, XLII 34. 40. 41 praefectus laetorum Batavorum), auch auf einigen Inschriften Oberitaliens (Ruggiero a. O. I 982). Nicht wenige Mitglieder dieser Nationalität geben ihre Heimat auf den Inschriften an, die hier nicht sämtlich aufgeführt werden können: domo Betavos CIL III 3681 (= 3577). 4368, Ulpia Noviomagi Bataus 5918 b, domo Batavos Brambach CIRh 2003, natione Bataus ebd. 1517, ein retiarius natione Bataus CIL XI 1070 u. s. w. (s. Indices des CIL).

Dass die B. sehr kriegerisch und tapfer waren, darin stimmen die Zeugnisse der Schriftsteller überein. Namentlich waren sie anerkannt tüchtige Reiter und Schwimmer (Tac. ann. II 8; hist. IV 12. 17. Plut. Otho 12. Dio LV 24 κράτιστοι ἱππεύειν. LXIX 9 τὸ ἱππικὸν τῶν καλουμένων Βαταούων τὸν Ἴστρον μετὰ τῶν ὅπλων διενήξαντο); einen hübschen Beleg dafür bietet auch die metrische Grabschrift des fortis Batavos aus der Zeit Hadrians CIL III 3676. De Rossi Inscr. christ. II 260, 2 (= Bücheler Anthol. epigr. nr. 427) Ille [121] ego Pannoniis quondam notissimus oris inter mille viros primus fortisque Batavos Hadriano potui qui iudice vasta profundi aequora Danuvii cunctis transnare sub armis e. q. s. Dass sie als Matrosen verwandt wurden, geht aus Tac. bist. IV 16 hervor. Derselbe hebt ihren grossen Körperwuchs hervor, hist. IV 14. V 18. Sie waren blond(rot)haarig (Sil. It. III 608 auricomo Batavo. Martial. XIV 176), welche Farbe sie durch ein künstliches Mittel, die spuma Batava, zu erhöhen wussten (Martial. VIII 33, 20). Den Römern erschienen sie ausserdem stolz und roh (Lucan. I 431. Martial. VI 87, 6. Tac. hist. I 59). Über ihre Waffen und Kriegsmaschinen s. Tac. hist. IV 23. 28. 29. 30. 61; Agr. 36. Ihre hauptsächlichsten Städte sind bereits oben genannt. Tac. hist. V 19 bietet die Hs. oppidum Batavorum, (die Vulgata ist oppida. Lipsius dachte an oppidum Batavodurum (vgl. hist. V 20), andere wollen unter dem oppidum Noviomagus (Nymwegen) verstehen (z. B. Hermann Rhein. Jahrb. LXXVII 90). Die Inschrift aus Rummel (Holland) bei Brambach CIRh 134 (= Orelli 2004), die, wie es scheint, einen summus magistratus civitatis Batavorum erwähnt, ist verdächtig. Zur neueren Litteratur über das Bataverland vgl. noch Ηübner Rhein. Jahrb. LXXX 135.

[Ihm. ]