Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Sittenbegriff, Gerechtigkeit gegenüber den Mitmenschen
Band I,1 (1893) S. 598 (IA)–604 (IA)
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Aequitas. 1) Aequitas, aequum, verstärkt bonum et aequum (so schon Plaut. Curc. I 1, 65; Menaechm. IV 2, 10f. und sonst. Ter. Adelph. I 1, 39 und sonst), synonym oder doch nahe verwandt mit iustitia, iustum (Cic. top. 90. Auct. ad Herenn. III 3. Caes. de bell. civ. I 32. Gai. Dig. III 5, 2. Ulp. Dig. I 1, 1, 1. Constantin. Cod. Iust. III 1, 8), humanitas, humanum (Cic. p. Arch. 3; p. Balb. 19; vgl. p. Clu. 81. 159. Paul. Dig. XXVIII 5, 85 pr.), ist zunächst ein rein sittlicher Begriff. Wenn auch A. sich im weitesten Sinne auf das gesamte Verhalten zu Göttern und Menschen beziehen kann (Plaut. Poen. V 4, 84; Pseudol. I 3, 35. Cic. top. 90), so bedeutet es [599] doch regelmässig die Gerechtigkeit, Billigkeit den Mitmenschen gegenüber, sowohl als Inbegriff von Normen, wie als entsprechende Tugend, auch wohl personificiert als Gottheit (s. Nr. 2). Was gerecht ist, darüber sind die Ansichten erfahrungsmässig beständigem Wechsel unterworfen und haben bei den Römern nicht wenig gewechselt. Dennoch hält der Urteilende, was ihm billig erscheint, namentlich wenn er sich in Übereinstimmung mit der Volksüberzeugung weiss, leicht für natürlich mit dem Nebenbegriff des Unwandelbaren. Daher die häufige Wendung natura aequum (z. B. Pompon. Dig. XII 6, 14), naturalis aequitas (z. B. Gai. Dig. XXXVIII 8, 2. XLI 1, 93. Paul. Dig. XLIV 1, 1. XLIX 15, 19 pr. Ulp. Dig. IV 4, 1 pr. XIII 5, 1 pr. XLIII 26, 2, 2). Über das Verhältnis der A. zum Rechte sind die Auffassungen der Römer schwankend. Aus den plautinischen Stellen, in denen von A. in Bezug auf rechtliche Angelegenheiten die Rede ist (Bacchid. IV 8, 83; Cistell. IV 2, 94; Persa IV 4, 38; Poen. V 2, 121; Rud. IV 7, 4; Trin. I 2, 138), lässt sich nichts Bestimmtes darüber folgern. Men. IV 2, 10f. stellt Plautus aequum et bonum selbständig neben leges. In Wahrheit sind die Sätze der A. Rechtssätze nur, soweit sie von einem formal rechtsbildenden Factor (leges, auctoritas iure consultorum u. s. w.) zu solchen erhoben sind, und dass A. eine dem Rechte gegenüber selbständige Lebensordnung ist, zeigt sich auch bei Cicero z. B. darin, dass der billig Denkende von seinem Rechte manches nachlässt (Cic. off. II 64; vgl. Donat. ad Terent. Adelph. I 1, 26). Aber die Römer operieren viel mit der Vorstellung, dass es ausser dem von Menschen gesetzten auch ein selbstverständliches, natürliches (oder auch göttliches) Recht gebe. In die vielfach verworrenen Theorien von diesem ius naturale (s. d.) musste auch die Α., die ja auch ihrerseits etwas natürlich Unwandelbares sein sollte, verflochten werden. Bei Cicero findet sich A. als ein Zweig des Rechtes, unabhängig von leges, senatusconsulta u. s. w. (top. 28. 31), auch als Eigenschaft des natürlichen Gesetzes (de leg. I 19). Derselbe sagt (or. part. 129), dass das Recht in natura und lex zerfällt und dass diese beide, soweit sie es mit dem Verhältnis zu den Mitmenschen zu thun haben, Sache der A. sind. An anderer Stelle (top. 90) geht er von der A. aus, die teils auf natura, teils auf institutum beruhe; der letztere Zweig wird nach Rechtsquellen weiter eingeteilt, schliesslich (91) aber A. ausdrücklich mit ius identificiert. Pomponius (Dig. L 17, 206) spricht von iure naturae aequum; Paulus (Dig. I 1, 11) subsumiert das ius naturale unter den Begriff des semper bonum et aequum. Indessen haben sich die römischen Juristen durch solche Speculationen nicht verleiten lassen, den Unterschied zwischen Recht und Sittlichkeit praktisch zu verwischen; sie wissen, dass das Recht die Forderungen der A. manchmal nur unvollkommen anerkennt (Papin. Dig. XL VI 3, 95, 4) und manchmal gar nicht (Gai. III 25) und darum nicht weniger Recht ist; wie denn auch Cicero sich im Gegensatz zu den Juristen zu fühlen scheint, wenn er das Recht aus der Philosophie und nicht aus den Rechtsquellen schöpfen will (de leg. I 17). Bleibt man [600] dabei, dass nur das aus diesen geflossene (sog. positive) Recht wirkliches Recht ist, so hat dennoch A. im Rechtsleben eine dreifache sehr wesentliche Bedeutung.

a) A. ist der Massstab der Kritik des Rechts und damit das leitende Princip seiner Fortbildung. Das Recht soll für alle gleich sein, d. h. aus constanten Regeln bestehen, welche gleiche Fälle gleich behandeln und willkürliche Unterschiede nach dem Ansehen der Person ausschliessen (Cic. Verr. III 6; top. 23. Senec. ep. 86, 2. 107, 6; vgl. 123, 16), wobei aber immer gewisse juristische Standesunterschiede stillschweigend vorbehalten bleiben; vgl. das Selbstlob der Decemvirn (Liv. III 34) in Bezug auf die XII Tafeln, die doch durchaus nicht alle diese Unterschiede beseitigt hatten. Und gar nicht im Widerspruch mit jener Forderung steht, dass das Recht die Menschen nach ihrem Verdienst verschieden behandelt, suum cuique zuteilt (Auct. ad Her. III 3. Ulp. Dig. I 1, 10 pr. § 1); denn dies ergiebt sich von selbst daraus, dass die Rechtsregeln den unter sie fallenden Thatbeständen allseitig gerecht werden sollen, so dass die Entscheidungen, zu denen sie führen, mit dem sittlichen Urteil übereinstimmen. Das Lob der Aequität in diesem Sinne wird zwar gelegentlich noch von den Späteren den XII Tafeln zuerteilt (Cic. de rep. II 61. Tac. ann. III 27 [finis aequi iuris das Ende des gerechten Rechtes im Gegensatz zu der folgenden Gesetzgebung, deren Ungerechtigkeit Tacitus tadelt]. Flor. I 24), auch wohl bestimmten einzelnen Sätzen ältester Zeit (z. B. Paul. Dig. XLIX 15, 19 pr. Gai. III 7. Ulp. XXVI 2. Dig. XXXVIII 16, 1, 4); in der Regel aber sind es bei dem Wandel der Anschauungen über das Gerechte jeweils neuere und neueste Sätze, deren Aequität betont, oder welche, was auf dasselbe hinauskommt, auf Aequität als ihr Motiv zurückgeführt werden. Dies gilt besonders von den Sätzen des praetorischen Edicts (z. B. Gai. IV 71. Dig. XXXVIII 8, 2. Paul. Dig. XXXVII 1, 6, 1. Ulp. Collat. XVI 7, 2. 9, 2; Dig. II 14, 1 pr. IV 4, 1 pr. und sonst mit besonderer Vorliebe). Und selbstverständlich berufen sich diejenigen Rechtsquellen, welche ihre Sätze überhaupt zu motivieren pflegen, auch selbst vielfach auf A. (eigene Sätze der Juristen, Constitutionen vgl. unter b; SC Trebellian. Dig. XXXVI 1, 1, 2). So ist das Recht der durch die Rechtsquellen fixierte Niederschlag der Α., wie sie jeweils das Volk versteht, und darum konnte Cicero (top. 9) das ius civile definieren als aequitas constituta iis qui eiusdem civitatis sunt, oder Celsus (Dig. I 1, 1 pr.) das Recht als ars boni et aequi. Dennoch steht das gewordene Recht im beständigen Gegensatz zu der Α., weil die Gerechtigkeitsüberzeugung stets dem fertigen Rechte um ein Stück voraus ist und stets neue Forderungen an die Gestaltung des Rechtes erhebt. Im Gegensatz zu aequum ius ist iniquum das unbillige (vgl. Gai. III 25), während ius strictum (iuris rigor) das strenge Recht bezeichnet, welches, wenn auch nicht ganz ungerecht, doch der Gerechtigkeit nicht weit genug entgegenkommt und Unbilligkeiten im Gefolge hat (Gai. III 18; vgl. 25. Ulp. Dig. XXIV 1, 32 pr.).

b) A. ist das Princip der Auslegung des [601] Rechtes, welches aber wiederum in A. als Princip der Fortbildung des Rechtes ausläuft. A. verlangt, dass nicht am Buchstaben gehaftet, sondern der wahre Sinn der Vorschrift erforscht werde. A. steht daher bei Cicero im Gegensatz zu scriptum, verba, litterae (Brut. 145. 198; de orat. I 242ff.; p. Caec. 65. 77. 80. 104 und sonst; p. Mur. 27). Mit dem ius tritt A. dabei keineswegs von vornherein in Gegensatz, sondern sie repräsentiert das richtig verstandene Recht selbst, steht vereint mit ihm gegenüber dem Buchstaben (Cic. p. Caec. 57. 61. 77. 80. 81. 104) und der Spitzfindigkeit, dem callidum versutumque ius (ib. 65). Nichts anderes als dieses ist auch summum ius (ib.), und dem Sprichwort summum ius summa iniuria gaben nur calumnia und nimis callida interpretatio das Leben (Cic. de off. I 33; vgl. Colum. I 7). Auch wenn ius schlechtweg der A. gegenübergesetzt wird, so kann damit das blosse Buchstabenrecht im Gegensatz zu dem sinngemäss verstandenen gemeint sein (Cic. de off. III 67; de orat. I 178), wie denn in der causa Curiana Scaevola als Verteidiger des ius civile, Crassus als derjenige der A. (Brut. 195ff.) und doch wieder beide als Verteidiger des ius civile (von verschiedenen Standpunkten aus) erscheinen (ib. 145). Allerdings aber tritt A. als Leitstern der Interpretation auch in wahren Gegensatz zum bestehenden Recht, weil die Interpretation der Juristen in weitestem Masse Umbildung des geltenden Rechts nach den Anforderungen der A. bedeutet. Darauf bezieht sich wohl auch Cic. Phil. IX 11. Zwar gehen natürlich auch die Juristen davon aus, dass entgegen dem Haften am Wort der Wille des Gesetzgebers zu suchen sei (Cels. Dig. I 3, 17–19. Tryphon. Dig. XLIX 15, 12, 8 mens constitutionis); aber sie sind nicht hierbei stehen geblieben, so dass etwa A. nur als Mittel gedient hätte, den mutmasslichen Willen des Gesetzgebers zu erforschen; sondern sie fassen ihre Aufgabe principiell dahin, das Recht nach den Anforderungen der A. auszulegen (Paul. Dig. L 17, 90), wie sie dieselbe verstehen, sollte auch der ursprüngliche Sinn des Rechtssatzes ein anderer sein. Darum halten sie oft für nötig hervorzuheben, dass ihre Rechtsansicht zugleich auch der A. entspreche (Scaev. Dig. XIV 3, 20. Marcell. Dig. IV 1, 7, 1. Tryphon. Dig. XLIX 15, 12, 8. Mod. Dig. I 3, 25). Aber sie gehen auch unbedenklich im Interesse der Aequität des Ergebnisses von dem bisherigen Rechte weit ab. Wenn sie der A. (oder was ihr gleichsteht) den Vorzug geben vor dem ius (Ulp. Dig. XV 1, 32 pr. Paul. Dig. XXXIX 3, 2, 5), strictum ius (Papin. Dig. V 3, 50, 1. XXIX 2, 86 pr. Paul. Dig. XIII 5, 30. Tryphon. Dig. XXIII 2, 67, 1), stricta ratio (Gai. Dig. XLI 1, 7, 5. Papin. Dig. XI 7, 43. Marcian. Dig. XLVIII 16, 1, 10), rigor iuris (Ulp. Dig. XL 5, 24, 10), subtilitas iuris (Iavol. Dig. XXXIX 5, 25. Cels. Dig. VIII 3, 11. Ulp. Dig. XLV 1, 36), ius subtile (Ulp. Dig. XL 5, 24, 10. Tryphon. Dig. XLIX 15, 12, 5) u. s. w., so bezeichnen die letzteren Ausdrücke durchaus nicht immer das blosse Buchstabenrecht, sondern regelmässig das Recht, wie es genau genommen auch sinngemäss verstanden werden müsste, wenn nicht der Jurist sich für befugt erachtete, zu Gunsten [602] der A. darüber hinwegzugehen. Drangen solche Interpretationen allgemein durch, so wurden sie ihrerseits zu Rechtssätzen, da die auctoritas iureconsultorum als Rechtsquelle anerkannt war. A. in dem hier fraglichen Sinne ist also das werdende Juristenrecht im Gegensatz zu ius als dem bestehenden, von der Neubildung bekämpften Recht. Mit dieser Thätigkeit der Juristen concurriert die kaiserliche Rechtweisung vornehmlich in den Rescripten, welche, nur mit noch grösserer Freiheit, denselben Grundsätzen folgt (Pius Dig. IV 1, 7 pr. Constantin. Cod. Iust. III 1, 8; vgl. Divi Fratres Dig. L 8, 12, 8. Sev. et Car. Dig. XIX 2, 19, 9. Cod. Iust. II 1, 4. Alex. Cod. II 1, 8. Gord. Cod. VII 72, 3). Die absolutistischen Kaiser nehmen sogar die Interpretation als Mittlerin zwischen A. und ius für sich allein in Anspruch (Constantin. Cod. Th. I 2, 3 = Cod. Iust. I 14, 1. Iust. Const. Tanta § 21).

c) Endlich ist A. auch eine das Recht ergänzende Norm, auf welche es selbst vielfältig Bezug nimmt, ein Begriff, der sich allerdings in der Anwendung gegen A. als Auslegungsprincip nicht scharf abgrenzt. Es ist schlechthin unmöglich, dass das Recht mit seinen formulierten Sätzen die ganze Fülle des Lebens erschöpfe, sondern stets muss das gerechte Ermessen derer, welche das Recht handhaben, ergänzend eintreten. Wenn so oft und in den verschiedensten Wendungen, namentlich auch in Lob und Tadel, A. als Richtschnur für Magistrate wie iudices aufgestellt wird (Liv. III 33. Cic. de lege agr. II 102; in Verr. I 136. 151. III 42. V 27. Ammian. XXII 10, 2. CIL IX 1575. X 4863. Cic. p. Clu. 156. 159; in Verr. II 109. III 220), so bezieht sich dies keineswegs blos auf A. als Auslegungsmaxime, sondern auch auf gerechte Würdigung der Thatsachen bei Subsumtion unter das Recht und auf A. als Richtschnur des Ermessens, soweit das Recht für dieses Spielraum lässt; verschieden kann nur sein, wie weit das letztere der Fall ist. Gerade die Urzeiten müssen als solche der vorherrschenden A. betrachtet werden, denn fixierte Rechtssätze bilden sich erst im Laufe der Jahrhunderte. Die Gesetzgebung ist anfangs dürftig und das Gewohnheitsrecht schlägt sich nur langsam aus der Rechtsübung nieder. Die späteren Römer waren sich auch bewusst, dass sie anfangs sine iure certo gelebt hatten (Pomp. Dig. I 2, 2, 1. 3; vgl. Dion. X 1) und dass die XII Tafeln aus einer Reaction gegen die Vorherrschaft des (missbrauchten) freien Ermessens der Magistrate hervorgegangen waren (Liv. III 9. Dion. X 3). Die Entscheidung nach gerechtem Ermessen aber als eine solche nach A. zu bezeichnen, hat auch für die ältesten Zeit nichts gegen sich (wenn auch materiell die A. damals anders verstanden wurde als später). Die Römer wenden entsprechende Ausdrücke auf die ältesten Zeiten unbedenklich an (Liv. III 13. 33). Wenn nun auch die XII Tafeln wie die gesamte ältere Rechtsbildung das Bestreben zeigen, möglichst genau alles festzulegen und das freie Ermessen zurückzudrängen, so war das doch nur bis zu einer gewissen Grenze möglich. Auch die XII Tafeln kennen Streitigkeiten, bei denen dem Richter freier Spielraum für dasselbe bleibt (arbitrium finium regundorum, familiae herciscundae, [603] aquae pluviae arcendae, litis aestimandae), und auch sonst sind ihre Bestimmungen grossenteils so gefasst, dass deren Handhabung ohne Eingreifen billigen Ermessens gar nicht gedacht werden könnte, z. B. in Bezug auf die Frage, wann jemand als Verschwender anzusehen ist (Ulp. Dig. XXVII 10, 1), was ein Schmähgedicht ist (Cic. de rep. IV 12). In den leges hat die ängstlichste Genauigkeit auch später eher zu- als abgenommen; aber des ergänzenden billigen Ermessens können sie nicht entraten, z. B. bei den nur maximal begrenzten Strafdrohungen, wie in der Lex Silia de ponderibus publicis (Fest. p. 246). Manchmal wird die Entscheidung ausdrücklich dem arbitratus des Magistrats anheimgestellt (z. B. Lex agrar. [CIL I 200] 73. 74. 83. Lex Cornel. de XX quaestorib. [CIL I 202] I 33. Lex Iul. munic. [CIL I 206] 21. 33. 47. 54), oder es wird mit andern Formeln, uti e re publica fideque sua videbitur esse (Lex agrar. a. O. 35. 78), uti quod recte factum esse volet (Lex Acil. repet. [CIL I 198] 30. 65 und sonst) der, den es angeht, auf sein bestes Ermessen verwiesen. Der Senat bekennt sich zur A. als der Maxime seiner Verwaltung in den ältesten Beschlüssen, die wir kennen (SC de Bachanal. [CIL I 196] 26. SC de Tiburtib. [CIL I 201] 4. SC de Asclepiade [CIL I 203] Lat. 11 [Gr. 31]; vgl. auch Catos Senatsrede für die Rhodier Gell. VI [VII] 3, 36. 38. 41). Er liebt es auch seinerseits, mit Formeln der obigen Art die Beamten auf ihr Ermessen hinzuweisen (SC de Thisbaeis [Bruns fontes iur. Rom. p. 152ff.] Z. 44f. SC de philos. et rhet. [Suet. de clar. rhet. c. 1]. SC de Asclep. l. c). Die beiden Hauptträger der Ausbildung des classischen Rechts, das praetorische Edict und die Jurisprudenz, haben in der einsichtigsten Weise der A. als einer das Recht ergänzenden Entscheidungsnorm den gebührenden Platz gesichert. In Betracht kommen hier alle Sätze des Edicts, in welchen der Praetor sich selbst, statt die Voraussetzungen der fraglichen Massnahmen genau zu fixieren, die Prüfung der Sachlage vorbehält (causa cognita, z. B. Dig. II 13, 6, 8. XXXIX 2, 7 pr. XLVII 10, 15, 34. fr. 17, 10, si mihi iusta causa esse videbitur, z. B. Dig. IV 6, 1, 1; vgl. Ulp. ibid. 26, 9. Dig. XXV 4, 1, 10. XXXIX 2, 7 pr., uti quaeque res erit animadvertam Dig. XI 5, 1 pr.). Der iudex wurde bei den weitaus meisten Klagen in der formula auf die Berücksichtigung der A. hingewiesen, so dass die Fälle, in denen dies nicht geschah, stricti iuris actiones, als engbegrenzter Kreis von Ausnahmen erscheinen. Teils waren die Formeln ausdrücklich auf bonum et aequum gestellt (Cic. de off. III 61. Gai. Dig. IV 5, 8. Ed. praet. Dig. IV 3, 1 pr. Ulp. Dig. XI 7, 14, 6. 13. Id. Dig. XLVII 10, 17, 2. Paul. ibid. 18 pr. XLIV 7, 34 pr. Ed. praet. Dig. XLVII 12, 3 pr. Pap. ibid. 10. Ed. aed. Dig. XXI 1, 42), teils ist die Verweisung auf A. eine indirecte, z. B. ut inter bonos bene agier oportet (Cic. off. III 61). Hierher gehören auch namentlich die beiden grossen Gruppen der actiones bonae fidei (quidquid dare facere oportet ex fide bona) und der actiones arbitrariae (nisi arbitratu tuo [iudicis] restituet [exhibebit]), mit welchen beiden Clauseln der Richter auf das [604] aequum et bonum verpflichtet wurde. Inst. IV 6, 30. 31; vgl. Gai. IV 61. Tryphon. Dig. XVI 3, 31 pr. Über die in anderem Sinne arbiträre actio de eo quod certo loco (Lenel Edictum perpetuum 93ff.) vgl. Ulp. Dig. XIII 4, 4, 1, über actio finium regundorum (bonae fidei?) Ulp. Dig. X 1, 8, 1. Allerdings ist durch die Praxis und die unausgesetzte Arbeit der Juristen sowie die Rescripte in weitem Umfange wiederum als Rechtssatz fixiert worden, was als der bona fides, der A. entsprechend anzusehen sei, und insofern die Herrschaft der A. als solcher wieder zurückgedrängt, aber die Juristen haben sich wohl gehütet, hierin zu weit zu gehen (vgl. z. B. Cels. Dig. XLV 1, 91, 3. Scaev. Dig. XLIV 3, 14 pr. XLV 1, 61. Ulp. Dig. XI 1, 21), und auch die Rescripte der besseren Zeiten sind diesem Beispiel gefolgt (Pius Dig. I 6, 2. Sev. et Car. Cod. Iust. II 1, 3. Alex. Cod. Iust. VIII 1, 1).

Der Versuch, darzulegen, was die Römer in ihrem Rechte materiell für der A. entsprechend gehalten haben, müsste im wesentlichen auf die gesamte innere Geschichte des römischen Rechts hinauslaufen. Litteratur: Albrecht die Stellung der römischen Aequitas. Dresden 1834. F. A. Schilling de aequitatis notione ex sententia iuris Romani recte definienda. Lips. 1835. M. Voigt das ius naturale, aequum et bonum und ius gentium der Römer, 4 Bde. Lpzg. 1856–1875. Windscheid Pandekten I § 28. Bekker Aktionen des römischen Privatrechts II (Berl. 1873) 270. Leist Civilistische Studien, 4. Heft, Jena 1877 bes. 190ff. 209ff. Krüger Geschichte der Quellen und Litteratur des r. Rechts. Lpzg. 1888, 119ff. Federico de Cola lo stretto diritto e l’equità nel diritto Romano. Messina 1888. Emilio Costa il diritto privato nelle comedie di Plauto, Torino 1890, 58ff.

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