Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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im Privatprozess = is qui agit, Subject eines Prozessverhältnisses
Band I,1 (1893) S. 326 (IA)–329 (IA)
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Actor. 1) Im Privatprocess.

I.

A. im strengen Sinn (= is qui agit, im Formularprocess auch = petitor, was keineswegs auf den mit actio in rem Agierenden beschränkt war, s. Lex Rubr. c. 21. 22, CIL I 205. Scaev. Dig. XIII 4, 2, 3. Pap. Dig. XLVI 3, 95, pr. Wlassak Z. Gesch. d. Cognitur 3. 12–17) wird jemand, der sein Recht verfolgt, erst durch die förmliche mit dem Gegner (cum quo agitur) in iure zu stand gebrachte Litiscontestatio (anders im Interdictenverfahren, s. Gai. IV 157–160. 163. 165. 169). Diesen Begriff vertritt A. fast durchaus in Gaius Institutionen (vgl. aber IV 83. 186). Demgemäss heisst die angreifende Partei vor der Streitbefestigung (in genauer Rede) [327] is qui acturus est oder qui agere vult: Gai. IV 83. Ulp. Dig. II 13, 1, pr. Paul. Dig. II 11, 10, 2; vgl. Labeo-Paul. Dig. XLVI 8, 15. Wlassak Litiscontestatio 40. 42; Cognitur 11f. 14f. Übrigens kommen Abweichungen von diesem Sprachgebrauch auch bei den Juristen vor. Einerseits kennt die alte Zeit eine feierliche Rechtsverfolgung (agere), die nicht an die Gerichtsstätte gebunden war (Gai. IV 29: legis actio ... extra ius), andererseits durfte der in iure Verhandelnde schon vor der Streitbefestigung A. genannt werden (so z. B. Paul. Dig. IV 6, 22 pr. XLVI 7, 8: petitor), insofern er hier causam agit (Ulp. Dig. II 4, 2; vgl. Cic. Brut. 307). Ging man zurück auf den ursprünglichen Wortsinn, so konnte selbst von dem Gegner, der sich verteidigt, gesagt werden agit (vgl. Gai. IV 82, dazu 83. 87). Indes war es doch nicht üblich, den reus (d. h. den „Beklagten“; in alter Zeit hiessen so beide Processparteien, s. Festus p. 273) A. zu nennen. Nur verglichen wurde er mit dem A. und auch dies nur, wenn er seine Verteidigung mittelst Exceptio bewirkte (Ulp. Dig. XXII 3, 19, pr. XLIV 1, 1). Demnach stehen sich in jedem Privatprocess von der Streitbefestigung bis zum Urteil A. und reus gegenüber, ins Deutsche übersetzt – freilich unpassend; s. Windscheid Pand.⁷ I § 44, 4. Wlassak Cognitur 5, 12 – „Kläger“ und „Beklagter“. In aller Regel sind die Rollen der Processparteien streng gesondert, so dass die eine nur Klägerin, die andere nur Beklagte ist. Eine Ausnahme machen die iudicia und interdicta duplicia (s. Iudicium, Interdictum).

II.

In dem alten Verfahren mit Legisactio war für die meisten Sachen auf der Seite des Klägers wie des Beklagten Stellvertretung bei der Streitbefestigung (alieno nomine agere) ausgeschlossen (Gai. IV 82. Ulp. Dig. L 17, 23 pr.). Litteratur bei Keller-Wach Röm Civilproc.⁶ (1883) § 54 N. 627–632, dazu Eisele Zeitschr. für Rechtsgesch. Rom. Abt. XVIII 191–207. Max Rümelin Z. Gesch. der Stellvertretung im röm. Civilpr. 18–92. Hruza Über das lege agere pro tutela. Ubbelohde in Götting. gel. Anz. 1887, 993–999. Wlassak Cognitur 5f. 28. 51–57. Wegen des adsertor libertatis s. Art. Adsertor. Im Formular- und im spätkaiserlichen Process war Stellvertretung zulässig s. Art. Cognitor und Procurator im Privatprocess. Gemeinden (municipia, civitates) liessen sich in Processen durch eigene Geschaftsführer vertreten, die Actores (municipum) hiessen (jünger ist der defensor oder syndicus, s. Paul. Dig. III 4, 6, 1. Char. Dig. L 4, 18, 13); ebenso die gewillkürten Genossenschaften (corpora, universitates, collegia). Vgl. Dig. III 4. CIL IX 2827, dazu Mommsen Abh. d. sächs. Ges. d. Wiss. III 451f. Keller-Wach Civilpr. § 53. Rudorff R. Rechtsgesch. II 69 und in Ztschr. f. Rechtsgesch. IV 74. 76 Bethmann-Hollweg R. Civilproc. II. 424–426. Lenel Edict 79–83. Wegen des A., der im Notfall ex decreto praetoris für Bevormundete bestellt wird, vgl. die Stellen bei Keller-Wach a. O. § 53 N. 625. Rudorff Recht d. Vormundschaft I 387f. Brinz Pand. II² § 520.

III.

Die Fähigkeit, A. (Subject eines Processverhältnisses) [328] suo oder alieno nomine zu sein, fehlt dem Sklaven, sowohl für den legitimen wie für den praetorischen Process (Marcian. Dig. XLVIII 10, 7). Auch im Verfahren extra ordinem (ohne Geschworene) ist er regelmässig als Kläger nicht zugelassen (Marcian a. O.). Doch anerkennt das Recht der Kaiserzeit hievon einige Ausnahmen. Besonders wichtig ist der Fall der libertas per fideicommissum data (Gai. II 263–266. Ulp. Fragm. II 7–11. Dig. XL 5. Cod. Iust. VII 4; vgl. Zimmern Gesch. d. R. Privatrechts I § 183. 203. Ad. Schmidt Freiburger Prorektoratsprogramm v. 1868. Wlassak R. Processgesetze II 103. 115. 114, 26; wegen des Iustinianischen Rechts vgl. noch Cod. Iust. VII 17 und Art. Adsertor). A. und reus im gesetzlichen Spruch- und Schriftformelprocess (legis actio und legitimum iudicium) kann nur ein römischer Bürger sein. Das von oder mit einem Fremden (peregrinus wie Latinus) begründete Processverhältnis ist ein imperio continens iudicium, unterliegt nicht gesetzlichen, sondern praetorischen Vorschriften (Gai. IV 104. 105. Wlassak Processg. I 53, 9. II 86–93. 183–192. 362f.; hinsichtlich der Legisactio der Latiner in Rom vgl. Ad. Schmidt Zeitschr. f. Rechtsgesch. Rom. Abt. XXII 142f., dazu aber Wlassak a. O. II 139, 28. 215, 63. 359). Seit Caracalla (212 n. Chr.) verliert die Unterscheidung des Bürger- und Fremdenprocesses immer mehr an Bedeutung; nach Iustinianischem Recht (Cod. Iust. VII 5 und 6) sind alle Reichsangehörigen römische Bürger. Die (vermögensunfähigen) Hauskinder (liberi in potestate) standen vermutlich wie die Ehefrau in manu und der freie Knecht (in mancipio) ursprünglich den Sklaven gleich. Doch gewannen die Hauskinder frühzeitig (Pernice Labeo I 104) die Fähigkeit, sich zu obligieren und so auch rei in iure zu werden. Dagegen sind sie als Bürger, die für den Hausvater, nicht für sich erwarben, nur ausnahmsweise Actores, selbst noch im classischen Recht. Der Praetor verlangte den Nachweis einer Notlage, in der die Zulassung zur Actio unerlässlich schien zur Wahrung ihrer Interessen. Übrigens konnten sie (selbst oder durch Vertreter) suo nomine (Gegensatz patris nomine), da ihnen nach Volksrecht kein privates ius zustand (Gai. II 96), nur mit formula in factum concepta agieren. Vgl. statt aller Mandry Gem. Familiengüterrecht I 200–229 und Ad. Schmidt Das Hauskind in mancipio, Leipz. Progr. 1879, 19–23. Belege für die Fähigkeit der Hauskinder zum alieno nomine agere, insbesondere zur Cognitur und Procurator bei Mandry I 184. Nach Iustinianischem Recht sind die Hauskinder grundsätzlich vermögensfähig. Doch verwaltet der Vater die (Adventiz-) Güter des Kindes und vertritt es im Process; s. Cod. Iust. VI 61, 8, 3.

IV.

Von den unter III genannten Rechtsunfähigen sind die blos Handlungs-(„Process-“) unfähigen zu unterscheiden. Für die letzteren agiert im Formularverfahren und im späteren Process entweder ein Tutor, Curator als Stellvertreter (s. Art. Procurator im Privatprocess), oder sie agieren (wenn ihre Handlungsfähigkeit nur beschränkt ist) selbst tutore auctore, bezw. [329] mit dem Consens des Curators. Stellvertretung ist unvermeidlich für Wahnsinnige und infantes (Ulp. Dig. XXVI 7, 1, 2; vgl. aber Pernice Labeo I 214–216. Buhl S. Iulianus 150–152). Unmündige, pupilli, qui fari possunt (Iustinian: nach vollendetem 7. Jahre) liess der Tutor gewöhnlich die Lis selbst contestieren und fügte nur sein Vollwort (auctoritas) hinzu. Gewaltfreie Frauenspersonen bedurften der Auctoritas des Geschlechtsvormunds (im Gesetzbuch Iustinians beseitigt) nur für die Legisactio und das Iudicium legitimum, nicht für den praetorischen Process (Ulp. Fragm. XI 27). Wegen des Processvormunds bei Gai. I 184. Ulp. Fragm. XI 24 s. Wlassak Processges. II 190f. Unaufgeklärt ist es, ob und wie im alten Legisactionenverfahren Rechte, die völlig handlungsunfähigen Personen zustanden, verfolgt werden konnten. Darüber neuestens Hruza Über d. lege agere pro tutela § 3–5 mit Anf. aus der Litt. S. 32, 2. Der mündige Minderjährige (adultus) ist handlungsfähig; doch kann er einen Curator (minoris) erbitten. Für den Process des Minderjährigen, insbesondere für die Streitbefestigung ist nach späterem Kaiserrecht der Consens des Curators notwendig; s. Iust. Inst. I 23, 2. Diocl. Cod. Iust. III 6, 2. Ant. Car. Cod. Iust. V 31, 1. Rudorff Recht d. Vormundschaft II 289–291. Vgl. im übrigen wegen der verschiedenen Fälle, wo ein Vormund oder Pfleger eintrat, die Art. Tutor, Curator. Verschieden von der hier (IV) behandelten „Processfähigkeit“ ist die Fähigkeit zu postulieren; s. Art. Postulatio.

Litteratur: Zimmern Gesch. d. röm. Privatrechts III 462f. Rudorff Röm. Rechtsgeschichte II 66–70.