RE:Εἰσαγγελία

Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
korrigiert  
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Eisangelia, Anzeige, Antrag auf ein amtliches Strafverfahren im antiken Griechenland
Band V,2 (1905) S. 21382141
Eisangelia in der Wikipedia
Eisangelia in Wikidata
Bildergalerie im Original
Register V,2 Alle Register
Linkvorlage für WP   
* {{RE|V,2|2138|2141|Εἰσαγγελία|[[REAutor]]|RE:Εἰσαγγελία}}        

Εἰσαγγελία ist im weiteren Sinne nicht von der bloßen Anzeige verschieden (εἰσαγγέλλειν = μηνύειν z. B. bei Lys. XIII 50. XII 48), im engeren Sinne der Antrag auf ein amtliches Strafverfahren, bei dem zunächst zwei besondere Fälle auszuscheiden sind, 1) εἰσαγγελία ἐπὶ ταῖς κακώσεσιν (s. Κάκωσις) und 2) εἰσαγγελία κατὰ τῶν διαιτητῶν (Harp. s. εἰσαγγελία), gerichtet gegen öffentliche Schiedsrichter (s. Διαιτηταί) wegen Amtsverbrechen, eine Klage, welche bei der Gesamtheit der Diaiteten, die unter [2139] einem Prytanen (Demosth. XXI 87) als Gemeinschaft geordnet zu denken sind, schon innerhalb des Amtsjahres angebracht werden konnte (vgl. Bergk Ztschr. f. Altertumswiss. 1849, 273. Fränkel Geschwornenger. 72. Hubert De arbitris 51 gegen Hudtwalcker Diät. 31. Schoell De synegoris 15). Die Strafe war Atimie, von dem Urteil konnte an die Gerichte Berufung eingelegt werden. Dann gab es 3) eine εἰ. gegen Beamte wegen Ungesetzlichkeit, ursprünglich beim Areopag (Arist. resp. Ath. 4, 4), später beim Rat anzubringen und von diesem zu entscheiden. Im Falle der Verurteilung kam der Handel vor Gericht, wenn entweder der Beklagte Berufung einlegte oder die Strafe die Befugnis des Rats (500 Dr.) übersteigen sollte. Beispiele: Ant. VI 12. 35 und wahrscheinlich der Prozeß des Nikomachos Lys. XXX, der von einem Privatmann angestrengt ist (§ 7. 35), wegen ungesetzlicher Amtsführung (5. 35), eine Verhandlung im Rate war vorausgegangen (7). Vielleicht gehört hieher auch Aisch. III 3. 4) Eine εἰ. beim Rate gegen jedermann wegen Vergehen in Angelegenheiten, die der besonderen Aufsicht des Rats unterstellt sind, z. B. ἐάν τις ἀδικῇ περὶ τὰ ἐν τοῖς νεωρίοις IG II 811 c 152f., zu entscheiden gleichfalls vom Rat, bezw. den Gerichten [Demosth.] XLVII 42, ein weiteres Beispiel IG I Suppl. 27 b = Dittenberger Syll.2 20, 57. Vorzugsweise aber hieß εἰ. 5) dasjenige Rechtsverfahren, welches ἐπὶ δημοσίως ἀδικήμασι μεγίστοις καὶ ἀναβολὴν μὴ ἐπιδεχομένοις, wie Harpokration sich ausdrückt, bestand. Nicht richtig freilich erscheint der weitere Zusatz: καὶ ἐφ' οἷς μήτε ἀρχὴ καθέστηκε μήτε νόμοι κεῖνται τοῖς ἄρχουσι καθ' οὓς εἰσάξουσιν. Denn bei Arist. resp. Ath. 8, 4 heißt es vom Areopag: καὶ τοὺς ἐπὶ καταλύσεὶ τοῦ δήμου συνισταμένους ἔκρινεν Σόλωνος θέντος νόμον (εἰσαγγελίας) περὶ αὐτῶν, wo Wesselys εἰσαγγελίας von Wilcken Herm. XXX 623 bestätigt wird, vgl. 25, 4. Daß hierüber von alters gesetzliche Bestimmungen vorhanden waren, ergibt ihre Aufhebung im J. 411 (a. O. 29, 4), wo das Wort εἰσαγγελίας gewiß im technischen Sinne gebraucht ist. Wahrscheinlich bald nach dem Sturze der Vierhundert wurde der νόμος εἰσαγγελτικὸς gegeben (schon Xen. hell. I 7, 28 enthält eine Anspielung darauf), der bei Hyp. Eux. c. 22 im wesentlichen erhalten ist: ἐάν τις τὸν δῆμον τὸν Ἀθηναίων καταλύῃ ἢ συνίῃ ποι ἐπὶ καταλύσει τοῦ δήμου ἢ ἑταιρικὸν συναγάγῃ, ἢ ἐάν τις πόλιν τινὰ προδῷ ἢ ναῦς ἢ πεζὴν ἢ ναυτικὴν στρατιὰν (ἢ ἐάν τις εἰς τοὺς πολεμίους [ἄνευ τοῦ πεμφθῆναι Poll. VIII 51] ἀφικνῆται ἢ μετοικῇ παρ' αὐτοῖς ἢ στρατεύηται μετ' αὐτῶν ἢ δῶρα λαμβάνῃ lex. Cantabr.) ἢ ῥήτωρ ὣν μὴ λέγῃ τὰ ἄριστα τῷ δήμῳ τῷ Ἀθηναίων χρήματα λαμβάνων (καὶ δωρεὰς παρὰ τῶν τὰναντία πραττόντων τῷ δήμῳ τῷ Ἀθηναίων Eux. c. 39. 47), gegen diese solle εἰ. verstattet sein. Nach des Redners Worten müßten damit die Classen der Verbrechen vollzählig sein. Bald darauf wurde jedoch das gleiche bestimmt ἐάν τις ὐποσχόμενός τι τὸν δῆμον ἐξαπατήσῃ [Demosth.] XLIX 67, ein Gesetz, das Demosth. XX 135 als ein selbständiges anführt und als alt bezeichnet. Es hatte auch bezüglich des Verfahrens eine Besonderheit (Arist. resp. Ath. 43, 5). Ferner wurden noch vor 386 Bestimmungen erlassen über εἰ. gegen Gesandte, [2140] die ihre Pflichten verletzten (s. Παραπρεσβεία). Diese Bestimmungen deckten sich wohl nahezu mit den Gründen des Urteils gegen Epikrates bei Demosth. XIX 277, vgl. Thalheim Jahrb. f. Philol. CXVII 556. Andere Fälle sind der des Timagoras (Xen. hell. VII 1, 38. Demosth. XIX 31. 191. Plut. Pelop. 30) und Philokrates (Demosth. XIX 116. Aisch. III 79). Endlich war Eisangelie in Gebrauch bei Vergehen gegen den Bestand des zweiten Seebundes, vgl. IG II 65 = Dittenberger Syll.2 110, 6f. IG II 5, 54 b = Dittenberger 101, 37 vgl. Heydemann De senatu 23. Danach wird sie auch anzunehmen sein für IG II 17 = Dittenberger 80, 51: ἐὰν δέ τις εἴπηι ἢ ἐπιψηφίσηι ἢ ἄρχων ἢ ἰδιώτης παρὰ τόδε τὸ ψήφισμα κτλ. Dagegen ist es mindestens zweifelhaft, ob sich die Eisangelie auch gegen Übertretungen der Handels- und Getreidegesetze richten konnte. Denn bei Lys. XXII ist ihre Anwendung nicht gesichert, und der Fall bei [Demosth.] XXXIV 50 erklärt sich wohl aus dem Mißbrauch, der in der Zeit des Lykurgos mit der Eisangelie getrieben wurde, und über den wir bei Hyp. Eux. c. 18 lebhafte Klagen lesen, vgl. die Prozesse gegen Euxenippos, Lykophron und Leokrates. Die Angaben der Grammatiker sind vielfach verwirrt, lex. Cantabr. Poll. VIII 51. Hesych. s. ἄγραφα. Harpocr. Suid. Bekk. Anecd. 244. Das Verfahren war später gleichfalls durch, den νόμος εἰσαγγελτικός geordnet (Demosth. XXIV 63). Es war ein doppeltes, indem die Eisangelie entweder an den Rat der Fünfhundert oder gleich an das Volk gebracht wurde. Sie war schriftlich abgefaßt, und die Klagschrift hieß gleichfalls εἰ. (Hyp. Lyk. c. 4; Eux. c. 39. Lyk. Leokr. 34). Im ersten Falle entschied der Rat zunächst über Annahme oder Ablehnung (Lys. XXX 22). Wurde sie angenommen, so wurde der Beklagte, wenn er nicht drei Bürgen stellte, bei Hochverrat und Verfassungsumsturz aber ohne weiteres, zur Haft gebracht (Demosth. XXIV 144), der Beschluß des Rates aber, den man auch wohl schon als κατάγνωσις bezeichnete, von dem Prytanienschreiber an die Thesmotheten abgegeben (Demosth. XXIV 63) und von diesen dem Volke vorgelegt (Arist. resp. Ath. 59, 2). Denn für die unmittelbare Überweisung der Sache durch den Rat an die Gerichte gibt es nur ein sicheres Beispiel in dem Prozeß des Antiphon (Plut. X or. 833 e) aus der Zeit vor dem νόμος εἰσαγγελτικός, wo außerdem wahrscheinlich der Rat besondere Vollmacht erhalten hatte. Das Gesetz drang auf möglichste Beschleunigung (Hyp. Eux. c. 22). Die Anbringung der Eisangelie an das Volk war nur in der κυρία ἐκκλησία jeder Prytanie, ja wegen trügerischer Versprechungen an das Volk nur in der sechsten Prytanie gestattet (Ar. resp. Ath. 43, 4f.). Entschied sich das Volk für die Annahme, so wurde der Rat mit einem Vorbeschluß über die weitere Behandlung der Sache beauftragt (IG II 65), und von da an fiel das Verfahren mit dem dargestellten zusammen. Auf Grund des Ratsgutachtens hatte sodann das Volk darüber abzustimmen, ob es das Urteil selbst fällen oder, was das Übliche war, die Sache an die Gerichte überweisen wollte. Beispiele des ersteren sind Lys. XXIX 2 Ergokles, Demosth. XIX 31 Timagoras, [Demosth.] XLIX 9 Antimachos; des letzteren [2141] Demosth. LI 8. Dein. II 20, vgl. Arist. resp. Ath. 59, 2. Erhalten sind eine Klageschrift Plut. Alk. 22, ein Überweisungsbeschluß des Rates an das Gericht mit dem Urteil des letzteren [Plut.] X or. 833 e, ein Ratsvorbeschluß Xen. hell. I 7, 9, ein Urteil des Volkes Demosth. XIX 277f. Der Gerichtshof war stark besetzt, mit 1000 Richtern Poll. VIII 53. lex. Cantabr., es werden aber sogar 2500 genannt Dein. I 52. Trotz der gebotenen Beschleunigung kamen Verschleppungen vor, denen ein Gesetz des Timokrates zu steuern suchte, Demosth. XXIV 63. Die Strafe war in der Regel Tod und Vermögenseinziehung, einmal kommt eine Geldbuße von fünf Talenten vor, Demosth. XXIII 167. Wahrscheinlich unterlag das Strafmaß bis gegen Mitte des 4. Jhdts. der Schätzung (vgl. das Gesetz des Timokrates), mitunter wurde auch die Strafe vorher vom Volke für den Fall der Verurteilung festgesetzt (Lys. XXVIII 9). In späterer Zeit war Tod und Vermögensverlust bestimmt, Hyp. Lyk. c. 16; Eux. c. 31. Aisch. III 252. Lyk. Leokr. 149. Der Kläger war in früherer Zeit straffrei, Hyp. Lyk. c. 7. 10, um 330 verfiel er, wenn er nicht den fünften Teil der Stimmen erhielt, in eine Buße von 1000 Dr., Demosth. XVIII 250, Lyk. Leokr. 3, eine Änderung, die durch den Mißbrauch veranlaßt wurde, den man mit der Klage trieb. Vgl. Meier-Lipsius Att. Proz. 312f. Hager Quaest. Hyper. capita duo 47 und Journ. of Philol. IV 74. Bohm De εἰσαγγελίαις, Hal. 1874. Thalheim Herm. XXXVII 339. Brewer Wien. Stud. XXII 273.