Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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griech., botanisch, Zwiebelgewächs
Band III,1 (1897) S. 669 (IA)–673 (IA)
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Βολβός[WS 1] (und βολβίνη). Das lateinische Wort bulbus, welches dem griechischen γελγίς neben β. entspricht, hält O. Schrader (Sprachvergl. u. Urgesch. 1890, 427) eher für urverwandt mit dem griechischen, als von demselben entlehnt, wofür seine Verwendung als Eigenname (zuerst C. Atilius Bulbus, Consul im J. 245 und 235 v. Chr., CIL I² 138. Eutrop. III 3) und die Häufigkeit seiner Ableitungen, wie bulbosus bulbaceus (bei Plin.) u. s. w. spreche. Wie β. und γελγίς muss es dann golgos zur Grundform haben (A. Fick Gött. Gel. Anz. 1894, 232) und oskischen Ursprungs sein (O. Schrader bei V. Hehn Kulturpfl.⁶ 202). Griechische Eigennamen, hergeleitet von β., sind: Βόλβαι, Βόλβη, Βολβιτίνη, Βολβός. Die Griechen und Römer gebrauchten das Wort für die Knollen verschiedener Zwiebelgewächse (z. B. Diosk. IV 84. Ruf. Ephes. de pod. 20, 3. Geop. XI 20, 5. Cels. II 18. Ovid. med. fac. 63. Plin. XIX 60. XXI 24. Pall. III 21, 3), auch die von Arundo donax L. (Plin. XVII 144. Col. IV 32, 2. Geop. V 53, 1), ausserdem aber auch Plinius (XVII 87. XIX 95. XX 102) von Zwiebelgewächsen selbst. Doch unterschieden sie vor allem einen essbaren and einen Erbrechen erregenden β. (Diosk. II 200. 201. Plin. XX 102. 107. Gal. XI 851. 852. Orib. coll. XVI § 2, 18. Paul. Aeg. VII s. v.); den ersteren bezeichnet Galen auch als angebaut.

I. Muscari comosum Mill. (Bellevalia comosa Kunth, Hyacinthus comosus L.). Diese Pflanze findet sich sehr häufig in Griechenland; die Zwiebeln, βολβοί genannt, werden gesammelt und, gekocht oder in Essig eingelegt, von den Landleuten gegessen; albanesisch heisst sie καλογένθ [670] und die Zwiebel νórνoλ (Heldreich Die Nutzpfl. Griechenl. 7); sie blüht in Attika vom 20. März bis Ende April (A. Mommsen Griech. Jahreszeiten 513) und findet sich sowohl dort (ebd. 531) als in Italien als Unkraut auf Saatfeldern. Ausserdem sind zwar auch die Zwiebeln von Allium roseum L. und Allium neapolitanum Cyr. essbar (Heldreich a. a. O. 82), dürften aber nicht weiter in Betracht kommen. In den pseudohippokratischen Schriften wird das βόλβιον zur Reinigung des Muttermundes empfohlen (I 478 Kühn); wenn sich die Milch verloren habe, solle die Frau Weizenmehl mit β. und Öl geniessen (II 593); nach der Entbindung solle der zwischen dem Weizen wachsende βόλβιτος, in Wein zerrieben, an die Gebärmutter gelegt werden (II 595); um empfänglich zu werden, solle die Frau den Samen oder die Blüte des weissen β., zerrieben mit Honig, in Wolle drei Tage lang an die Gebärmutter legen (II 715) oder das scharfe βόλβιον, welches sich unter dem Weizen besonders in Ägypten zeige und dem ägyptischen Kümmel ähnlich sei, mit Knoblauch und Laugensalz auflegen (II 851). Auf diese Eigenschaft als eines Aphrodisiakon spielen die Komiker Alexis und Xenarchos an, letzterer den β. als einen Hausgenossen der Demeter bezeichnend; von ihr sprechen auch die Ärzte Herakleides, Tarentinos und Diphilos (bei Athen. II 63e–64b). Der letztere sagt ausserdem, dass der β. zwar schwer verdaulich, aber sehr nahrhaft und dem Magen wohl bekömmlich sei, übrigens (vgl. Diokles bei Plin. XX 106) die Augen blöde mache (ebd.). Als Aphrodisiakon kommt der β. auch in einem Sprichwort bei Athenaios a. a. O. vor, welcher als die wirksamsten in dieser Hinsicht und die besten die sog. βασιλικοί, nächstdem die rötlichen bezeichnet, während die weissen und libyschen scillenartig (scharf) und die ägyptischen die schlechtesten seien. Wie sehr die β. bei den Thrakern im Gebrauch gewesen sind, beweist der Umstand, dass bei der Vermählung des Iphikrates mit der Tochter des thrakischen Königs Kotys im J. 382 v. Chr. die Neuvermählten ausser andern Geschenken einen zwölf Ellen hohen Topf davon erhielten (Athen. IV 131 c). Theophrast sagt von den essbaren β. (h. pl. VII 12, 1), die Zwiebel als eine Verdickung der Wurzel statt des Stengels ansehend, folgendes: Der β. wächst als Unkraut unter dem Weizen (h. pl. VIII 8. 3); er hat eine aus Schuppen (vgl. h. pl. VII 9, 4) oder Rinden bestehende, fleischige Wurzel und mehrere kleine Würzelchen; während andere Wurzeln seitwärts Würzelchen aussenden, steigen bei ihm die Würzelchen aus der Mitte abwärts, um die Nahrung aufzusaugen (h. pl. I 6, 7–9; vgl. Plin. XIX 99); während die Wurzel gross und schwach ist, sind die oberen Teile zart (Theophr. c. pl. VI 12, 1); die Blätter sind sehr schmal, wenn auch nicht so schmal wie die des gemeinen Safrans (h. pl. VII 13, 1), und ungestielt (ebd. I 10, 8); der Same ist (verhältnismässig) gross (c. pl. IV 6, 8); der wildwachsende β. vermehrt sich durch Wurzeln, denn da die Wurzel ausdauernd ist, treibt sie alle Jahre junge Brut (h. pl. VII 2, 1. 2. 4, 12); die Samen der β. sollen nach einigen zu verschiedenen Zeiten aufgehen, nach anderen sollen die β. aus Brutzwiebeln im zweiten Jahre oder aus dem Samen [671] des vorigen Jahres hervorgehen (c. pl. IV 6, 1); zugleich mit der Narzisse, Lilie (Lilium chalcedonicum oder bulbiferum L.) und der Berganemone (Anemone stellata oder pavonina Lam.) erscheint die Blüte (κώδυον eigentlich = Mohnkopf) des β., den einige auch in die Kränze flechten (h. pl. VI 8, 1 u. Athen. XV 680 e); die Zwiebeln sind an der Spitze am bittersten (c. pl. VI 10, 7; vgl. Plin. XIX 97). Nikander lobte die von Megara (Athen. II 64 d), welche Cato (8, 2 und bei Plin. XIX 93) als Kranzblume im Garten zu pflegen empfahl und die von Ovid als weiss bezeichnet wurden (ars am. II 421). Hiebei mag darauf hingewiesen werden, dass Megara durch seinen Knoblauch berühmt war (Schol. Aristoph. pac. 246. Suid.); auf die Wirkung desselben gehen die Μεγαρέων δάκρυα der Paroemiographen (Zenob. V 8). Auch Columella (X 105) baute den bulbus megaricus im Garten und bezeichnete ihn als Aphrodisiakon, als welches er auch sonst erscheint (Ovid. a. a. O. u. rem. am. 798. Plin. XX 105), während diese Wirkung auch dem apulischen, libyschen (Ovid. rem. am. 797) und numidischen (Col. X 107) oder dem β. im allgemeinen zugeschrieben wurde (Varro bei Apic. 311. Mart. III 75, 3. XIII 34. Diosk. II 200. Gal. VI 652. 851. Orib. coll. II, 22; euporist. II 1 B 11. IV 107, 1; vgl. die lat. Übers. bei Bussemaker et Daremberg VI p. 444. Paul. Aeg. I 76). Cato (bei Plin. XVIII 34) bezeichnete das spontane Vorkommen der bulbi minuti als Zeichen eines guten Ackerlandes. In Mauretanien waren die B. eine gewöhnliche Kost, sie kamen von hier auch nach Rom (Iuven. VII 120) und wurden hier im Garten gebaut (Col. a. a. O.). Nach Dioskorides (II 200) ist der rote und libysche β. dem Magen und Unterleib nützlich, der bittere und der Scilla ähnliche ist ebenfalls dem Magen zuträglich und befördert die Verdauung. Nach Plinius (XIX 95) wurden besonders gelobt die africanischen und apulischen; wenn er von den rötlichen sagt, dass sie gegen Fehler im Gesicht und Leberflecke gebraucht würden (XX 103), so sagt dies Dioskorides (a. O.) von den β. im allgemeinen; überhaupt weicht er bei der Angabe der vielen Schäden und Krankheiten, welche die bulbi heilen sollen, da er besonders dem Theodoros, Damion und Diokles folgt, fast gänzlich von Dioskorides ab; nur was die Heilung des Grindes, verletzter Ohren und der Verrenkungen betrifft, stimmen sie überein. In dem Edict Diocletians vom J. 301 (VI 41. 42) ist der Maximalpreis für zwanzig Stück grösster africanischer oder fabrianischer (wohl nach einem Faberius benannt) oder vierzig Stück der kleineren bulbi auf 12 Denare = 22 Pfennig angesetzt.

Was die Kultur der β. betrifft, so hat man nach Plinius (XIX 97) früher geglaubt, dass sie nur durch Samen (Saat) entständen, aber auf den Feldern von Praeneste wachsen sie von selbst und auf den Saatfeldern von Rheims in unzähliger Menge. Sie können durch Samen, aber auch durch Wurzeln (Brutzwiebeln) fortgepflanzt werden (ebd. 121). Gesät werden die (essbaren Geop. V 8, 7) β. von 1. Nov. bis 1. Febr. (Geop. XII 36). Man machte die Köpfe der β. grösser durch Um- und Unterlegen von Steinen oder Scherben (Anatol. in Geop. XII 36), wenigstens früher (Plin. XIX [672] 109). Die β. werden vor dem Frühling ausgegraben, sonst werden sie sofort schlecht; ein Zeichen der Reife ist es, wenn die Blätter von unten auf trocken werden; man verwirft die alten, langen und kleinen; dagegen lobt man diejenigen, die rötlich, runder und recht gross sind (Plin. ΧIΧ 97).

Hinsichtlich der diätetischen Wirkung sind die β. von schlechtem Saft (Cels. II 18), blähend (ebd. 26. Gal. XI 851) und schwer verdaulich (Gal. a. a. O.); sie nähren stark, blähen aber (Diosk. II 200), denn sie gehören zu den Pflanzen, welche viel Samen hervorbringen (Gal. XI 777). Gegessen wird die Wurzel (Zwiebel), im Frühjahr aber auch bisweilen der Keim; der Geschmack ist ausgeprägt bitter und herbe, weshalb sie auch (Gal. VI 652. Orib. coll. II 22) den Appetit anregen; wenn sie zweimal gekocht werden, nähren sie mehr; besser ist es, sie mit Essig, Öl und Fischsauce zu geniessen (Gal. Orib. a. a. O. Paul. Aeg. I 76). Nicht nur isst man sie in Wasser gekocht, sondern einige bereiten daraus auch Pfannengerichte, viele rösten sie; einige essen sie auch roh, um den Appetit anzuregen (Gal. VI 653. 654). Für die Verwendung in der Küche finden sich auch bei Apicius mehrere Recepte: so bilden die β. einen Bestandteil eines Ragoût oder Voressens (181. 182); sie werden mit Öl, Fischsauce, Essig und etwas römischem Kümmel gegessen (309); gekocht und mit Öl geröstet unter Beigabe einer Sauce (ebd.); gesotten mit andern Ingredienzien (310); geröstet mit Fischsauce und Weinbrühe (312); in Rauch gedörrt als Füllsel eines Ferkels mit andern Ingredienzien (384). In den mittelalterlichen Glossarien zählen die β. zu den Speisen (Corp. Gloss. L. III 14, 59. 87, 48. 184, 7).

Von der medicinischen Wirkung handeln, wie erwähnt, besonders Dioskorides (II 200) und Plinius (XX 102–106; vgl. ΧΧIII 26. XXVIII 192. 197. XXIX 44. XXX 73). Auch Serenus Sammonicus wendete die β. vielfach an und zwar meist in Übereinstimmung mit Plinius (135. 145. 237. 285 = Plin. XXVIII 192. 437. 491, und 681 = Plin. XX 104). In der Tierheilkunde wurden die β. zusammen mit anderen Mitteln gegen Husten und Schwindsucht (Veget. VI 8, 2), sowie Zuckungen (Veget. a. a. O. u. VI 9, 3) der Pferde, speciell die megarischen gegen Husten (Pelag. 480) und Zuckungen derselben (ebd. 463) angewandt.

Spätere Erklärungen der β. sind unzulänglich oder falsch, so die als Trüffeln (Schol. Arist. nub. 188), als einer Art Hülsenfrucht (Suid. zu Arist. eccl. 1092), Gartenzwiebel (Suid. a. a. O. Eustath. Il. ΧΙII 589; Od. I 156), als Meerzwiebel (Corp. Gloss. L. III 617, 50) oder als lapadiones (Orib. in d. lat. Übers. bei Bussemaker et Daremberg VI p. 444; vgl. Theod. Prisc. de diaeta 10), ebenso der Vergleich mit der kolchischen Zwiebel, Colchicum autumnale L. (Schol. Theokr. XIV 17). Namentlich ist die Identificierung mit der Narzisse (Corp. Gloss. L. III 587, 43. 570, 4. 608, 55. 618, 9) schon von Galen (XIX 88) unter Berufung auf (Ps.-)Hippokrates (II 851) und später (1561) von Anguillara (119, bei Langkavel Bot. d. späteren Griechen 1866, 114) zurückgewiesen.

II. Allium ursinum L. ist nach Sprengel (Erläuter. zu Theophr. 282) gemeint, wenn es heisst, dass auf der Krim die β. so süss seien, [673] dass sie roh genossen würden (Theophr. h. pl. VII 13, 8; vgl. Plin. XIX 95).

III. Den Erbrechen erregenden β. (Gal. XI 852. Orib. coll. XV 1 § 2, 18. Paul. Aeg. VII s. v.) beschreibt nur Dioskorides (II 201) genauer: die Blätter seien riemenartig und weit länger als die des essbaren β.; die Wurzel sei von einer schwarzen Rinde umgeben; sie oder ein Decoct davon heile Blasenleiden und rufe Erbrechen hervor. Plinius (XX 107) giebt ihm statt der schwarzen Rinde schwarze Blätter. Sprengel (in s. Commentar) hielt ihn für Narcissus Ionquilla L., der aber in Griechenland und im Orient nicht vorkommt, Fraas (Synops. plant. flor. class. 289) wegen der Beschaffenheit der Blätter für Ornithogalum nutans L. Doch kann auch darunter die in Griechenland abgesehen von Muscari comosum am meisten verbreitete Muscariart, Muscari commutatum Guss. mit schwarzbrauner Zwiebel (Boissier Flor. orient. V 296), zu verstehen sein.

IV. Theophrast (h. pl. VII 13, 8; vgl. Plin. XIX 32) und Phanias (bei Athen. II 64 d) sprechen von einer Art β., die an der Meeresküste wachse und Wolle zwischen den äusseren Häuten und den inneren essbaren Teilen trage; aus dieser Wolle würden Socken und andere Kleidungsstücke verfertigt; von diesem β. verschieden sei der indische, welcher Haare habe. Sprengel hält es für möglich, dass hier Scilla hyacinthoides L. gemeint sei, doch hat er Bedenken, weil sie nicht in Griechenland vorkomme, während dies thatsächlich auf einigen griechischen Inseln und sonst im Mittelmeergebiet bis Palaestina hin der Fall ist. Die Angabe des Theophrast über den indischen β. scheint ungenau zu sein.

V. Die βολβίνη des Theophrast (h. pl. VII 13, 9; vgl. Plin. XIX 95. Athen. II 64 b), von der er sagt, dass die Knolle kleiner als beim β., wegen der runden Gestalt ihm ähnlich, weiss und ohne Häute sei, scheint Ornithogalum umbellatum L. zu sein (bei Diosk. II 173 ὀρνιθόγαλον genannt), während die griechische bulbine des Plinius (XX 107) mit porrenartigen Blättern und rötlichem bulbus Muscari comosum zu sein scheint.

[Olck.]

Anmerkung (Wikisource)

  1. transkribiert: Bolbos.