Napoleon’s Grab. – St. Helena
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Miß nicht, Wanderer, den Mann nach dem Grabstein. Klein ist der Hügel,
Aber erhaben der Held, dessen Gebein’ er umhüllt.
Weithin strahlet sein Ruhm in die fernsten Geschlechter der Zeiten;
So lang die Erd’ nicht vergeht, so lang sein Name besteht.
Eile nicht vorüber. Weile und ruhe aus; betrachte und halte Andacht. In diesem einfachen Grabe schläft kein Seliggesprochener; aber ber Mann, den die Vorsehung außerkohren hatte, die Welt zu beherrschen, ist etwas mehr, als ein gemeiner Heiliger.
Wenn ich noch daran denke! Als ich ihn zum letzten Male sah, – es war nach den Leipziger Schlachttagen, als er vor dem Sturme mißhandelter Völker zurückwich, – wie da, finsteren Ernstes voll, sein Auge funkelte und sein Adlerblick schweifte über die Trümmer seines fliehenden Heers, seine zerbrochenen Hoffnungen und Pläne, mit dem vollen Ausdruck der Herrschaft über all sein Unglück! Ein Blick auf diese ruhige Heldengestalt entwaffnete den Haß, den ich gegen den Unterdrücker meines Vaterlandes glühend im Herzen trug und die Bewunderung forderte ihr Recht. Soll, dachte ich, der größte Mensch, den das Jahrtausend geboren, soll er untergehen? Hat das Schicksal seine Mission widerrufen? wird sie für immer widerrufen seyn? An Helena dachte ich damals nicht. – Welch ein furchtbarer Wechsel der Dinge, gerechter Gott!
Napoleon – sein Name sey verflucht und sey gesegnet! – war kein Tyrann. Wäre er’s gewesen, noch blühete sein Reich. Aber er blieb nicht der Mann, den die Zeit brauchte; sonst hätte sie ihn nicht fallen lassen. [4] Der Mann, der Freund, der Messias der Völker zu seyn, das war der Beruf des Mannes, der, aus dem Volke erstanden und durch das Volk gehoben und getragen, das Höchste erklimmte. Auf der Höhe schämte er sich jedoch der Staffeln, und thöricht stieß er die Leiter von sich, die ihn nicht nur empor geführt hatte, sondern auch das Schaugerüste stützte, welches er, seine wahre Größe nur verhüllend, um sich aufrichtete. Wie leicht und sicher hatte Napoleon einen Salvatorgang über das Erdrund beginnen und vollenden können, hätte er, reinen Herzens und klaren Auges, seine Mission zu deuten gewußt! Er hätte dann die Hyder nicht getreten, sondern zertreten, er hätte sie nicht gestachelt, sondern ihr alle Köpfe abgeschlagen. Er that’s nicht, und so zerfleischte sie ihn, sobald sie ihn erfassen konnte. –
Man hat in Napoleons Mund das bekannte Wort gelegt: „man regiert nur in Stiefeln und Sporen.“ Ich glaube nicht, daß der große Mann die Dummheit sagen konnte. Die Schlechtigkeit hat sie erlogen, um sie auszubeuten, und sie ihm untergelegt, weil sie eine Autorität bedurfte, um aus dem Worte des Betrugs ein Evangelium zu stempeln. Wolf oder Lamm, Fuchs oder Hahn, Geier oder Taube, quälen oder gequält seyn, befehlen oder gehorchen: – fürwahr! der Jesuitismus der Zeit hat sich ein bequemes Spiel gemacht, indem er sich solche Alternative stellte.
„Für große Menschen ist bas schwache Volk geboren;
Glauben soll’s, bewundern und gehorchen.“
Also citirt man neben Napoleon den großen Propheten. Immerhin. Nur erwarte man nicht, daß auf solchem Grunde jemals Recht, Gesittung und Religion gedeihen werden.
Suum cuique. Napoleon hat Viel verschuldet. Kein größerer Verbrecher gegen die Vorsehung, als er. Aber
Jetzt noch bekriegen den Mann im Aïdes, schleudern des Blitzstrahls
Flammen, beseelt von Haß, gegen sein niedriges Grab: –
Bübisch ist’s, feig und gemein. – Nimmermehr streiten
Männer und männlicher Muth gegen entseeltes Gebild.
St. Helena erhebt sich unter dem 16. Grade südl. Breite und 5 Gr. 45 Min. westl. Länge von Greenwich zwischen Südamerika und Afrika einsam aus dem südatlantischen Ocean und bis zu einer Höhe von 2700 Fuß. Die Natur selbst scheint dieß Riesendenkmal dem großen Todten, der hier ruht, gesetzt zu haben, und des Eilands Name mit dem seines gefesselten Prometheus, Napoleons, für ewig zusammengeknüpft, geht in tragischer Berühmtheit durch alle Zeiten.
[5] Den Schiffern wird Helena in zwölfstündiger Entfernung ale dunkle Wolkenbank mit zerrissenen Spitzen am äußersten Horizonte sichtbar. Nach und nach treten die wilden Umrisse deutlicher in den Vorgrund. Kein Baum, fein Busch, kein lebendes Wesen ist an den grauschwarzen, scharfgezackten Feldmassen zu sehen, welche vor dem erstaunten Blicke da liegen wie die chaotischen Riesentrümmer einer untergegangenen Welt. Mit furchtbarem Getöse rollt die tobende Brandung an den senkrechten oder überhängenden Wänden hin, jede Annäherung verbietend. Nur an einer einzigen Stelle, an der Nordseite, ist in dem Felsengurte des Eilands eine Spalte; auf sie steuert das Schiff zu und bald werden die Signalhäuschen auf den Höhen, die Redouten und dräuenden Batterien sichtbar, welche alle Punkte der Einfahrt bedecken. Die Schlucht steigt landeinwärts ziemlich steil an; nur nahe bei’m Meere wird die Abdachung sanfter. Auf derselben liegt der einzige Ort der Insel, das Städtchen Jamestown, mit weißen, massiven Häusern und grünen, schlanken Palmen, lieblichen, lebensvollen Anblicks, der einen wohlthuenden Contrast mit den todten Felsen macht. Schon in der Ferne waren die Signale auf dem Schiffe und am Lande thätig zu gegenseitiger Verständigung. Die brittischen Batterien dröhnen ihr Willkommen, – einen Augenblick später fallen prasselnd die Segel zusammen; donnernd rollt der Anker von seinen Ketten in den Grund, tief beugt das Fahrzeug sein Haupt, erhebt sich wieder, und im ersehnten Hafen liegt’s nun ruhig und sicher vor allen Stürmen. –
Die größte Länge der Insel beträgt 2 Stunden, ihre Breite nur eine. Ein Tag reicht hin, um an alle Orte zu pilgern, welche das Andenken des großen Todten heiligt.
Ein Besuch in Jamestown ist schon durch die Schicklichkeit geboten, da ohne Erlaubniß des Gouverneurs weder Longwood noch das Grab gesehen werden können. Das der Schlucht eingebaute, zu beiden Seiten von schwarzen Feldmassen überragte Städtchen, bildet 3 recht ansehnliche Straßen, welche freie Plätze zwischen sich lassen, die mit Cocospalmen und Pisangbüschen anmuthig bepflanzt sind. Nicht ohne Verwunderung sieht man in diesem entlegenen Weltwinkel die Zeichen des Wohlstandes und heitern Lebensgenusses. Läden reihen sich an Läden; einige sind mit den kostbarsten Manufakturen und Stoffen Japan’s, China’s, Bengalens und der ostindischen Inseln angefüllt; in andern sind die schönsten Erzeugnisse brittischer Manufakturen ausgelegt. Doch hohe Preise haben die Waaren im Durchschnitt alle, und die gewöhnlichen Bedürfnisse des Lebens sind unglaublich theuer. Ein Huhn kostet z. B. 5 Gulden, ein Sack Kartoffel 12 Gulden, eine Chaise zu einer Fahrt von 5 Stunden 30–40 Gulden. Damit steht der Preis der Arbeit im Verhältniß; der gewöhnliche Handwerksgeselle verdient sich 3 Gulden den Tag. – In Jamestown sind 9/10 der ganzen Bevölkerung vereinigt, welche etwa 2200 Weiße und 2900 Farbige zählt. Die letztern sind Bengalesen, Laskaren und Chinesen. Culturfähig ist ein verhältnißmäßig nur kleiner Flächenraum des Landes, bochtend etwa 30,000 Morgen. Die Landwirthschaft erfordert viele Beschwerden, lohnt aber; denn alle [6] ihre Erzeugnisse werden unglaublich theuer bezahlt und von den nach einer langen Seereise hier ankommenden Schiffern begierig gekauft. Dieser Verkehr und der Detailhandel in dem luxusreichen Städtchen bilden die Nahrungsquelle der Bewohner. Sie fließt stark genug, Wohlhabenheit allgemein und Reichthum nicht selten zu machen. Getreide und alle sonstige, einen weiten Transport zur See ertragende Lebensmittel werden jedoch hier nicht gebaut. Mehl liefert England; Wein, Branntwein etc. werden vom Cap hergeschafft. Die Anzahl der jährlich auf der Fahrt zwischen Europa und Indien in Helena anfahrenden Schiffe ist 600–700. Die Hälfte sind brittische; die übrigen gehören andern seefahrenden Nationen an.
Das Grab Napoleons, und Longwood, seine letzte Wohnung, liegen etwa 2 Stunden von Jamestown. Da die steilen Klippen, aus denen die ganze Insel besteht, nicht in gerader Richtung überstiegen werden können, so sind die Wege, welche schneckenförmig um die Basaltfelsen herumführen, bergmännisch aus dem Gestein gehauen, dergestalt, daß sie an den Seiten der Abgründe hin eine Schutzmauer von wenigstens 4 Fuß Höhe darbieten. Zwischen pittoresken, finstern Massen, welche durch die hier wirksam gewesenen plutonischen Gewalten sonderbar zerrissen und zerklüftet sind, geht es bergan und bergein. Einzelne Kaktusstauden ranken in den Klüften, hier und da reckt die einsame Aloe ihr hohes Blüthenhaupt empor; sonst keine Spur von Vegetation. Ein schmaler krystallheller Bergstrom springt neben dem Wege hin von Absatz zu Absatz, von Kluft zu Kluft, so eilig, als könnte er nicht schnell genug den kurzen Lauf vollenden. So stürzt sich das Leben rühriger Menschen dem Ocean der Ewigkeit zu.
Auf dem ersten Plateau, eine halbe Stunde über dem Städtchen, hat man Sitze ausgehauen; es ist der erste Ruhepunkt auf der Pilgerfahrt. Der Ausblick von da ist groß und erhaben. Ueber die Stadt weg sieht man die Schiffe auf der Rhede, welche, wie Buchstaben mit dunkeln, unbekannten Zügen, in den glänzenden Horizont eingegraben zu seyn scheinen; und weiter hinaus den unendlichen Ocean, auf dessen grünlichem Blau ein glänzender Duft sich wiegt und ferne Segel wie Möven hinziehen.
Die Fortsetzung des Wegs geht zwischen wilden, schwarzen Lavamassen hinan, die in scharfen Spitzen emporftehen und gegen die sie umgebenden Schluchten steil abfallen. Alles ist öde. Nur hier und da krüppelichte, balsamisch-duftende Kiefern, eine buschigte Zeder, ein üppig rankender, kletternder Kaktus, und weit aus einander, auf dem Gipfel eines Berges oder in einer engen Schlucht gelegen, ein niedriges, unansehnliches Tagelöhnerhäuschen, wo der betriebsame Chinese oder Laskare inmitten der Felder, deren Bearbeitung ihm obliegt, seine Wohnung aufgeschlagen hat. Je weiter bergan, je grandioser wird auch die Felsbildung, und furchtbar hoch ragen manche der schwarzen Spitzen in den lichten tropischen Aether. Diana’s Pik, die höchste, steigt 2697 Fuß über das Meer empor, in dessen Boden ihr Fuß wurzelt. Viele erheben sich 2000 Fuß und darüber. Auf die meisten dieser Kegel führen schmale, schwindelnde Treppenpfade und oben bauten die Britten kleine Warten hin, in denen [7] Wächter, mit guten Teleskopen bewaffnet, auf die der Küste nahenden Schiffe zu achten haben und deren Erscheinen durch telegraphische Signale anzeigen müssen. So kann sich kein Schiff auf 10 Meilen in der Runde nahen, ohne erspäht zu werden.
Nach zweistündigem Steigen gelangt man zu einem Plateau, das von 3 Seiten mit starren Basaltfelsen eingeschlossen ist. Durch die Schluchten bläst fortwährend scharfer Zugwind und die Dürftigkeit der Vegetation gibt ihm einen öden, desolaten Anblick. Auf dieser Bergebene steht ein ziemlich großes, aber niedriges, verfallenes und unwirthlich aussehendes Gebäude, dem man es ansieht, daß es gegen die Mißhandlung der auf solcher Höhe (1800 Fuß über der Meeresfläche) hausenden Winde sich selbst nicht schützen konnte, und noch weniger fähig ist, seinen Bewohnern Schutz zu gewähren. Gestrüpp, das in der Nähe umhersteht, deutet auf den einstigen Versuch, hier einen Garten anzulegen. Das ist Longwood, der Ort, wo der Mann des Jahrtausends das letzte Jahrzehnt seines Lebens zubrachte; jener Mann, dem die Welt zu klein war.
Das Haus wird geöffnet. Das erste Zimmer, in welches man tritt, ist das ehemalige Billardzimmer des Kaisers. Es ist öde; an den kahlen Wänden nagt der Moder, der abgefallene Kalk der Decke liegt am Boden. Namen von Leuten aller Nationen, mit Sprüchen und Worten voller Sinn und Unsinn, bedecken jedes Fleckchen, das für einige Worte oder Buchstaben Raum gab. Empörend wendet man sich von manchen Worten, Zeichen und Bildern weg, mit denen nur die äußerste Rohheit einen solchen Raum besudeln mochte. Viele höhnen den im Leben Mißhandelten noch im Tode. So sticht die Kothfliege auf dem Schlachtfelde gefallene Helden.
Es folgt das Courzimmer; ein kleiner Saal für die Levees und Gesellschaften des kaiserlichen Gefangenen. Dieser Raum ist noch desolater als der vorige. Die Fensterscheiben sind zerbrochen, alte Breter schützen dürftig vor dem schneidenden Zugwind. Eggen, Spaten, Pfähle stehen umher; eine Futterbank ist das Hauptmöbel, ein Sieb zum Fegen des Getreides und Pferdegeschirr der Wandschmuck. Der Saal des Kaisers ist zur Rumpelkammer des Bauers geworden, der das Haus jetzt einnimmt. – Die nächste Piece ist ein enges Stübchen; die fehlenden Scheiben sind mit Oelpapier ersetzt und ein hölzerner Stuhl neben einer Handmühle gibt ihm ein, vergleichweise, wohnlicheres Ansehen. Ahnest du, wo du bist? Du bist im Sterbezimmer Napoleon’s. Die Ecke, worin das Todtenbette stand, ist frei gelassen, damit der Besucher, versteht sich gegen ein Trinkgeld an den Knecht des Hauses, sich einen Spahn als Reliquie aus dem Getäfel schneiden kann. – Daneben blöcken Kühe – Kühe in des Kaisers Schlafzimmer, das man zum Stalle verwandelte. Aehnlichen Bestimmungen dienen die übrigen Räume, die Zimmer der Getreuen; Bertrand’s, Montholon’s, Las Casas’, des Arztes O’Meara und der Dienerschaft Napoleons.
[8] Unweit Longwood, in einer etwas geschütztern Lage, ist eine etwas bessere Wohnung, das sogenannte „Neue Haus,“ welches für den Kaiser gebaut wurde. Als es fertig war, war er schon erlöst. Napoleon hat es nie bewohnt. Jetzt ist’s einem invaliden englischen Hauptmann überwiesen, der zugleich das ganze zu Longwood gehörige Feld in Pacht hat und es durch einen Afterpachter bewirthschaften läßt. Er nimmt von jedem Besucher Longwood’s eine Taxe von 3 Gulden und der industriöse Ritter äußert gern, dieser Bonaparte trage ihm mehr ein, als alle Kühe in seinem Stalle. –
Der Besuch von Napoleon’s Grab erfordert eine Spezialerlaubniß vom englischen Gouverneur und sie wird oft verweigert, gleichsam als ob man den Mann noch im Tode fürchtete.
Die Stätte liegt eine halbe Stunde von Longwood. Der Weg, ein enger Pfad, geht durch tiefe Schluchten und zwischen Felsen hin. Der Ruheplatz selbst ist ein kleiner Bergkessel, von Basaltwänden umschlossen, ein todtenstilles, melancholisches Plätzchen, mit niedrigem Moos und dichtem kurzen Gras bewachsen. Es hat einen einzigen Zugang. Die Mitte des Raumes ziert eine Trauerweide. Da, unter ihren weitüberhängenden Zweigen, ist das Grab, von einem schmucklosen eisernen Geländer umfaßt, bedeckt von einer Platte aus Sandstein, ohne Inschrift. Ein paar Kaktusstauden und Rosenbüsche, welche die Hand der Gräfin Bertrand herpflanzte, sind aus Mangel an Pflege verdorben. Der Wächter bei dem Todten ist ein alter englischer Sergeant, der schon den Lebenden bewacht hat.
Bekannt ist, daß der treue Bertrand mit eigener Hand eine Inschrift in den Stein meißeln wollte; der Kerkermeister aber, Sir Hudson Lowe, es nicht duldete, aus Furcht, Bertrand möchte sich der unlegitimen Benennungen Napoleon und Kaiser bedienen. Der Mann war consequent.