Berlin (Meyer’s Universum)

CCLXXXIII. u. CCLXXXIV. Napoleon’s Grab. – St. Helena Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band (1840) von Joseph Meyer
CCLXXXV. Berlin
CCLXXXVI. Das königliche Schloss in Berlin
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DER GENSDARMEN-MARKT
in Berlin

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CCLXXXV. Berlin.




Nicht mehr Völkerfluth stürzt an die starrenden Klippen, gebrochen,
     Jetzt zu den Wolken empört, jetzt zu der Tiefe gesenkt.
Ruhig ist’s Meer, und platt ist die Zeit, und die Völker
     Sitzen im warmen Gemach, spinnen, bau’n Rüben im Feld;
Geh’n zum Geschäft, und vertrau’n den gefälligen Schützern des Hafens,
     Die mit dem eisernen Schild schirmen, wenn Zephyr nur haucht.
Also gedeihen die Städte, gedeihet die Kunst und jeglich Gewerbe,
     Und vom Gewinne erfreut, opfert ’s Geschlecht und lobsingt.


Berlin, nächst Wien die größte Stadt in Deutschland, Hauptstadt der preußischen Monarchie und Residenz des Königs, nimmt die Mitte einer von Natur unfruchtbaren, eintönigen Sandebene ein, durch die sich langsamen Laufs die trübe, doch kahnbare Spree windet. Berlin’s Lage ist die ungeschickteste, welche man für die Hauptstadt eines großen Reichs wählen konnte. Sein dennoch fast beispielloses Großwachsen und Aufblühen ist das Werk außerordentlicher Verhältnisse und wird genährt durch die Anwesenheit des Hofs, aller höchsten Behörden, der wichtigsten Landes-Institute und der Centralisation einer Menge von Staatskräften, welche in Berlin, ihrem gemeinschaftlichen Focus, fortwährend wirksam sind. Noch in unserer Zeit hat Berlin durch die Ausbildung großartiger Gewerbe neue und mächtige Stützpunkte für sein Gedeihen erhalten und sich den Titel einer Fabrikstadt zu dem einer königlichen Residenz erworben. Den Grund dazu hatte schon der große Kurfürst gelegt, der durch die Aufnahme von vielen tausend gewerbfleißigen Protestanten, welche die kurzsichtige Intoleranz des 14. Ludwigs aus Frankreich vertrieb, seine Hauptstadt mit einem Fond von gewerblichem Sinn ausstattete, der reiche Frucht trägt.

Bis zu Anfang des vorigen Jahrhunderts war Berlin verhältnismäßig klein und häßlich. Die Stadt stand auf dem linken Spreeufer und nahm kaum den fünften Theil ihres heutigen Raums ein. Friedrich Wilhelm I. entwarf einen umfassenden Plan zur Vergrößerung der Residenz, der von Friedrich dem Großen erweitert und mit der Energie [10] ausgeführt wurde, welche das Thun dieses großen Mannes charakterisirt. Friedrich ließ den ungeheuern, 4 Stunden im Umfang messenden, damals zu 4/5 noch leeren Raum des heutigen Berlin’s mit Mauern umgeben, füllte ihn mit Prachtgebäuden an, und in einer kurzen Reihe von Jahren erschuf er seinem Reiche die schönste Hauptstadt Europa’s. Er versäumte ebenfalls kein Mittel, die Bevölkerung zu vermehren, und lockte Leute, die Capital unb Gewerbfleiß besaßen, aus allen Gegenden seines Reichs und Deutschlands herbei. Dennoch blieb die Einwohnerzahl lange Zeit für die Größe der Stadt dürftig, und gar nichts Ungewöhnliches war es, daß eine einzige Familie von mäßigem Einkommen einen Pallast bewohnte. Aus gleicher Ursache haben auch so viele der prächtigsten Straßen aus jener Zeit Gebäude mit zwar sehr langen Fronten, aber nur 2 Stockwerken, und dieses Mißverhältnis, nebst der absichtlichen Verschwendung des Raums, wird um so auffallender, je breiter gemeinlich jene Straßen angelegt sind. – Die gegenwärtige Volksmenge, einschließlich der Garnison, ist 260,000; die Zahl der Häuser etwa 7000, welche sich in 6 sogenannte Städte (Berlin, Köln, Friedrichswerther, Neustadt, Friedrichsstadt und Friedrichs-Wilhelmsstadt) und in 5 Vorstädte (Königs-, Spandauer-, Stralauer-, Oranienburger und Louisenstadt) auf beiden Spreeufern und den zwischenliegenden Inseln des Flusses gruppiren. 40 Brücken verbinden die Stadttheile. Straßen zählt man 250, Märkte 25, und der Gesammtumfang mag etwa 5 Stunden betragen. Vergleicht man Berlin mit andern Hauptstädten, so verhält es sich ungefähr zu: London wie 1=9, Paris 1=4, Petersburg 1=2, Moskau 1=2⅓, Rom 1=1½, Neapel 1=1¾, Wien 1=1½, Madrid 1¼=1, Lissabon 1=1½, Constantinopel 1=2½.

Berlin ist auf den Effekt gebaut, und dieser concentrirt sich wieder zur höchsten Kraftäußerung in einigen verhältnismäßig kleinen Räumen, wo, wie auf beifolgendem Bilde, die schönsten architektonischen Zierden der Hauptstadt zusammen gestellt sind. Auf lange Dauer haben die wenigsten Anspruch; denn massive Gebäude gehören zu den Ausnahmen. Fast alle sind von Backsteinen und die Dekorationen daran von vergänglichem Stuck. Größere und schwer zu beseitigende Nachtheile gehen für Berlin aus der durchaus ebenen Lage hervor, welche mehr oder weniger die Stagnation von der Gesundheit schädlichen Miasmen und Feuchtigkeiten verursacht, die sich von einer großen Bevölkerung fortwährend absondern. Die Friedrichsstraße z. B. hat bei mehr als ¾stündiger Länge kaum 13 Zoll Neigung von einem Ende zum andern. Daher ist im Hochsommer, wenn die von der Sandebene zurückgeworfenen Strahlen der Sonne eine drückende Hitze verbreiten, die Atmosphäre manchmal unerträglich und alle anwendbaren Luftreinigungsmittel sind nicht im Stande, das große Uebel völlig zu entfernen. Daß den meisten Straßen Trottoirs fehlen, ist auch ein fühlbarer Mangel, den man in einer Hauptstadt, wie diese, am wenigsten erwarten sollte.

Der bloße Tourist kann die Merkwürdigkeiten Berlin’s recht bequem in 14 Tagen beschauen, und wer nichts weiter sucht, wird sich dann langweilen. Wer aber mehr um der Menschen, als um der Schau ihrer Werke [11] willen reist, der findet, wenn er nur sonst mit den nöthigen Eigenschaften ausgerüstet herkömmt, leicht Eingang in jene anziehenden, hochgebildeten literarischen Zirkel, wo ihm Männer begegnen, die Deutschland als seine größten Zierden verehrt und deren Kreis das Gouvernement, eben so liberal als verständig, stets zu erweitern strebt. Die Namen von Enke, des Astronomen, von Savigny, des Juristen, Raumer’s, des Geschichtsforschers, Humboldt’s, des Reisenden, Ritter’s, des Geographen, Ehrenberg’s, des Naturforschers, kennt und würdigt die ganze wissenschaftliche Welt. Schwerer zugänglich ist der Kreis jener Fraction der Gesellschaft, in welcher, neben Bildung, zugleich der Rang des Fremden in die Wagschale gelegt wird: und jene überschwängliche Gastfreundschaft, welche z. B. den österreichischen und brittischen Adel auszeichnet, ist bei der Berliner Aristokratie gar nicht zu suchen. Letztere ist keineswegs sehr begütert, und wenn eines oder das andere ihrer Glieder ja ein großes Haus macht, so ist das eine Ausnahme, welche nur die Regel bestätigt. Militärischer Rang und Uniform waren von jeher in Berlin gültige Einlaßkarten für die höchsten Cirkel; sie sind’s auch noch, obschon das einst damit verknüpfte ausschließliche Recht ein verlornes ist. – Der Kern der Bevölkerung, die Mittelklasse, Kaufleute, Fabrikanten, Rentiers etc., zeichnet sich, mit dem nämlichen Stande in andern Städten verglichen, durch wissenschaftliche und gesellschaftliche Bildung aus; hierzu gesellt sich aber Hang nach Luxus, der auf Kosten des Wohlstandes Befriedigung findet. Vermögensammeln ist nicht Sache des Berliners und der Handels- und Gewerbstand ist bei aller ihm eigenthümlichen Thätigkeit doch nicht reich. – Die untern Classen endlich haben laxe Sitten und vergnügungslustigen, verschwenderischen Sinn mit allen Hauptstädtern gemein. – Ueberraschen kann es daher nicht, daß die Zahl der Berliner Armen sehr groß ist; über 15,000 Menschen, ein volles Achtzehntel der Bevölkerung, fordern Unterstützung von der öffentlichen Mildthätigkeit. Der Pauperism ist während der letzten Jahre in einem so beunruhigenden Grade gewachsen, daß von der städtischen Armencommission außerordentliche Mittel angesprochen werden mußten, seinen Forderungen zu begegnen. Außer der Behörde sind eine Menge Privatvereine unausgesetzt thätig, nützliche Beschäftigung für die Arbeitsfähigen zu ersinnen und die Immoralität in der furchtbarsten Quelle zu verstopfen. Als wohlthätigste Anstalt hat sich in dieser Beziehung eine Stiftung des Kriegsraths Krantz (1794), das Bürgerrettungs-Institut, erwiesen. Aufhülfe unschuldig verarmter Bürger ist sein Zweck, und mehre der ehemaligen Pfleglinge sind jetzt seine thätigsten und freigebigsten Glieder. – Für Förderung von Wissenschaft und Kunst geschah in Berlin jederzeit sehr viel und die Menge öffentlicher Institute und Privatvereine zu diesem Zwecke ist so groß, daß die Aufzählung aller ermüden würde. Obenan steht die weltberühmte königliche Akademie der Wissenschaften, die bei weitem die wichtigste der derartigen Anstalten in Deutschland ist; sodann die Akademie für bildende Kunst und mechanische Wissenschaften mit ihren Schulen; der Kunstverein; die militärisch-medizinisch-chirurgische Akademie; die Thierarzneischule, 2 Seminarien für Schullehrer-Bildung, eines für Missionaire etc. Die hiesige Universität mit einer langen Reihe berühmter Lehrer ist eine der am meisten [12] besuchten in Deutschland. Die Zahl aller öffentlichen Schulen übersteigt hundert. 5 Gymnasien, mehre Gewerbschulen, polytechnische Schule etc. etc. öffnen jedem Stande die Wege zu höherer Ausbildung. Zu diesem regen Treiben für Erlangung und Verbreitung von Kenntnissen tragen über 400 Schriftsteller bei, und der Verlags-Buchhandel ist nächst dem Londoner, Pariser und dem Leipziger der größte in der Welt.

Als deutsche Fabrikstadt steht Berlin gegenwärtig in der vordersten Reihe; und wirklich kenne ich keine, die ihm den ersten Platz streitig machen könnte. In mehren Manufakturzweigen, in einigen Shawlgattungen z. B., in Posamentierarbeiten, in Bändern, in Bijouterien von Eisenguß etc., hat es teine, selbst nicht die englische Conkurrenz zu fürchten, und es hält in allen Welttheilen Markt. 5000 Stühle beschäftigen Tuch-, Wollen- und Baumwollen-Zeuge allein, 1200 die Bandmanufakturen; die Porzellain- und Steingutfabriken haben über 500 Arbeiter; Zuckerraffinerien, Papierfabriken etc. etc. über 2000. Die Fabrikation lakirter Blechwaaren, feiner Korbflechterarbeiten etc. steht in großartigem Betrieb. Die Fertigung von Putz, Stickereien etc. beschäftigt über 10,000 weibliche Hände.

Zu dieser gewerblichen Größe, die immer zunimmt, gesellt sich Berlin’s freudige Entwickelung als Handelsplatz, eine Entwickelung, die, von Seiten des Gouvernements mit Vorliebe gepflegt und auf das kräftigste unterstützt, der Hauptstadt eine neue Aera des Gedeihens und des Glanzes verheißt. – Durch die Spree und ihre Canäle ist sie mit Oder und Elbe schon längst verbunden; aber diese Hebel des Verkehrs müssen, so bedeutend sie an sich sind, bei der Betrachtung der ungeheuern Vortheile in den Schatten treten, die Berlin als künftigem Centralpunkt eines ganz Mittel-Europa verknüpfenden Eisenbahnkreuzes erwachsen werden, dessen Endpunkte bei Danzig, Stettin, Lübeck, Hamburg, Amsterdam und Antwerpen; am Mittelrhein; und über Breslau auf der Linie der Libau-, Warschau-, Wien-, Triest-, Mailänder-Bahn zu suchen sind. Ein Blick auf die Karte und auf den von Preußens Staatsregierung mit Umsicht, Klugheit und Beharrlichkeit verfolgten, dem Beobachter längst nicht mehr verschleierten Plan genügt, um begreifen zu lernen, welches Glück Berlin aus der frühesten und thatkräftigsten Benutzung eines Communikationsmittels erwachsen muß, daß bestimmt ist, dem Welthandel neue Bahnen anzuweisen und Ländern und Nationen bisher unbekannte Erwerbsquellen wie mit einem Zauberschlage in Menge zu öffnen. –

Eigentlicher Markt ist Berlin gegenwärtig nur für Getreide und Wolle und seine Wollmesse ist die besuchteste in der Welt. Der Umsatz auf derselben übersteigt 6 Millionen Thaler. – Als Börse war von jeher Berlin blos von sekundairer Wichtigkeit, da seinen Operationen die Capitalkräfte abgehen, welche andere Plätze, z. B. Frankfurt, Wien, Amsterdam etc. zu so großen Unternehmungen befähigen, die allein im Stande sind, auf den Gang der Course selbstständigen Einfluß zu üben. Zudem steht, bei’m Verkehr mit Staatspapieren, (den preußischen ausgenommen) [13] Berlin, als östlicher Grenzpunkt dieses Handels, schon wegen seiner geographischen Lage im Nachtheil gegen andere Plätze, und es hat dieser Umstand bei manchen Conjunkturen so bedeutende Capitalverluste herbeigeführt, daß dadurch der Credit des Platzes selbst erschüttert wurde.

Die nebige Ansicht stellt eine der schönsten Parthieen im Innern der Hauptstadt dar. – Der Gensd’armenplatz ist eine Anlage Friedrich’s des Großen. Die eine Seite desselben nimmt das große Schauspielhaus ein, und 2 Kirchen von eleganter Structur, die frei auf demselben stehen, machen eine malerische Wirkung.

Bei Anlaß von zwei später erscheinenden Bildern werde ich diese unvollständige Skizze ergänzen.