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ausgeführt wurde, welche das Thun dieses großen Mannes charakterisirt. Friedrich ließ den ungeheuern, 4 Stunden im Umfang messenden, damals zu 4/5 noch leeren Raum des heutigen Berlin’s mit Mauern umgeben, füllte ihn mit Prachtgebäuden an, und in einer kurzen Reihe von Jahren erschuf er seinem Reiche die schönste Hauptstadt Europa’s. Er versäumte ebenfalls kein Mittel, die Bevölkerung zu vermehren, und lockte Leute, die Capital unb Gewerbfleiß besaßen, aus allen Gegenden seines Reichs und Deutschlands herbei. Dennoch blieb die Einwohnerzahl lange Zeit für die Größe der Stadt dürftig, und gar nichts Ungewöhnliches war es, daß eine einzige Familie von mäßigem Einkommen einen Pallast bewohnte. Aus gleicher Ursache haben auch so viele der prächtigsten Straßen aus jener Zeit Gebäude mit zwar sehr langen Fronten, aber nur 2 Stockwerken, und dieses Mißverhältnis, nebst der absichtlichen Verschwendung des Raums, wird um so auffallender, je breiter gemeinlich jene Straßen angelegt sind. – Die gegenwärtige Volksmenge, einschließlich der Garnison, ist 260,000; die Zahl der Häuser etwa 7000, welche sich in 6 sogenannte Städte (Berlin, Köln, Friedrichswerther, Neustadt, Friedrichsstadt und Friedrichs-Wilhelmsstadt) und in 5 Vorstädte (Königs-, Spandauer-, Stralauer-, Oranienburger und Louisenstadt) auf beiden Spreeufern und den zwischenliegenden Inseln des Flusses gruppiren. 40 Brücken verbinden die Stadttheile. Straßen zählt man 250, Märkte 25, und der Gesammtumfang mag etwa 5 Stunden betragen. Vergleicht man Berlin mit andern Hauptstädten, so verhält es sich ungefähr zu: London wie 1=9, Paris 1=4, Petersburg 1=2, Moskau 1=2⅓, Rom 1=1½, Neapel 1=1¾, Wien 1=1½, Madrid 1¼=1, Lissabon 1=1½, Constantinopel 1=2½.

Berlin ist auf den Effekt gebaut, und dieser concentrirt sich wieder zur höchsten Kraftäußerung in einigen verhältnismäßig kleinen Räumen, wo, wie auf beifolgendem Bilde, die schönsten architektonischen Zierden der Hauptstadt zusammen gestellt sind. Auf lange Dauer haben die wenigsten Anspruch; denn massive Gebäude gehören zu den Ausnahmen. Fast alle sind von Backsteinen und die Dekorationen daran von vergänglichem Stuck. Größere und schwer zu beseitigende Nachtheile gehen für Berlin aus der durchaus ebenen Lage hervor, welche mehr oder weniger die Stagnation von der Gesundheit schädlichen Miasmen und Feuchtigkeiten verursacht, die sich von einer großen Bevölkerung fortwährend absondern. Die Friedrichsstraße z. B. hat bei mehr als ¾stündiger Länge kaum 13 Zoll Neigung von einem Ende zum andern. Daher ist im Hochsommer, wenn die von der Sandebene zurückgeworfenen Strahlen der Sonne eine drückende Hitze verbreiten, die Atmosphäre manchmal unerträglich und alle anwendbaren Luftreinigungsmittel sind nicht im Stande, das große Uebel völlig zu entfernen. Daß den meisten Straßen Trottoirs fehlen, ist auch ein fühlbarer Mangel, den man in einer Hauptstadt, wie diese, am wenigsten erwarten sollte.

Der bloße Tourist kann die Merkwürdigkeiten Berlin’s recht bequem in 14 Tagen beschauen, und wer nichts weiter sucht, wird sich dann langweilen. Wer aber mehr um der Menschen, als um der Schau ihrer Werke

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/22&oldid=- (Version vom 25.10.2024)