Malerische Wanderungen durch Kurland/Groß-Bersen, nebst dem dazu gehörigen Park

Der Park zu Mescheneeken Malerische Wanderungen durch Kurland
von Ulrich von Schlippenbach
Doblen, der Flecken und die Ruinen der alten Burg
{{{ANMERKUNG}}}
[368]
Groß-Bersen, nebst dem dazu gehörigen Park.

Ein nebliger Morgen weckte mich zur Fortsetzung meiner Reise nach Mitau; und nur die Hoffnung, daß sich das Wetter erheitern würde, gewährte mir Trost. Die Phantasie gleicht dem Schmetterlinge, der seine Puppe — sein Gefängniß — an einem heitern Tage im Nu zersprengt, an einem trüben Tage aber mehrere Stunden braucht um seinen Kerker zu durchbrechen, und auch dann nur mit zusammengelegten Schwingen ängstlich fortkriecht. Das trübe Wetter hatte sich wie ein Flor um die Schönheiten des Mescheneekschen Parks gefaltet; nur mühsam konnte die Erinnerung die ursprünglichen Züge der ländlichen Schönheit erkennen. — Meine Reisegefährten klagten überdem, während der Nacht von Mückenstichen beunruhigt [369] worden zu seyn. Ich wußte sie nicht besser zu trösten, als mit dem Beyspiel des heiligen Makarius von Alexandrien, der sich über den Stich einer Wespe erzürnte, sogleich aber die richtige Bemerkung machte, daß es doch besser gewesen wäre, als wenn ein Elephant ihn würde getreten haben; weshalb er denn auch nachher zur Buße sechs Monate auf den Scythischen Feldern stand, und sich von jenen Insekten martern ließ. — Ein leichter Ostwind, als zürnte er über die neidische Hülle der schönen Natur, trieb die Nebel, wie Rauchwolken, fort, und bey heiterem Wetter, und in einer, zufällig durch einen nach Mitau reisenden Freund vermehrten, angenehmen Gesellschaft, langte ich in Groß-Bersen, das nur ein paar Werst von Mescheneeken entfernt ist, an. Der Groß-Bersensche Park, der dem Mescheneekschen so nahe liegt, kann mit Recht als ein passendes Seitenstück zu diesem betrachtet werden. So ernst, feyerlich und erhaben die Natur allenthalben in Mescheneeken hervortritt; so freundlich und heiter scheint sie dagegen in Groß-Bersen zu lächeln. Schon das frische Grün des Laubholzes, im Vergleich des tiefen [370] Fichten- und Tannendunkels, trägt viel zu dieser Ansicht bey — und in dieser Berücksichtigung sind die sich so nahe liegenden Anlagen vereint zu betrachten. Wenn in Mescheneeken heilige Schauer der Ahndung eines höheren Seyns die Seele durchbeben, und das innere Leben sich in ernsten Träumen entfaltet; so führt Groß-Bersen dagegen sanft und freundlich das Äußere in heiterer Wirklichkeit den Blicken der Wanderer vorüber. Von der Seite der Landstraße, die nur ein paar hundert Schritte vom Gute entfernt ist, leitet an der Berse (eben derselbe Fluß, der den Mescheneekschen Park durchfließt) ein Weg in ein kleines Gebüsch, bis zu einem auf zwey Seiten von Hügeln umschlungenen Thale. Ein auf frey stehenden Säulen ruhender Tempel, der über ein kühles, durch eine in den Tempel herauf reichende runde Öffnung beleuchtetes Gewölbe, erbaut worden, und ein amphitheatralischer Rasensitz, der sich an dem sanft, eingebogenen Hügel fortzieht, machen die Hauptpartien dieses Thals aus. Die Aussicht aus dem Tempel über den Park und nach den schön gruppirten Gebäuden des Gutes sowohl, als nach [371] dem doblenschen lettischen Pastorate hin ist malerisch. — Aus diesem Thal, wo ich mit wahrhaft herzlichem Dank die Blumensträuße empfing, welche mir die jüngsten Kinder der edlen Besitzer von Groß-Bersen, wie liebliche Genien dieser Fluren, überreichten, und in diesen Blüthen mir jene aus meinem eignen Leben zurückriefen, die ein gebildeter, dem Schönen der Kunst und der Natur geweihter Umgang mir einst in diesem edlen Hause so oft gewährt hatte, führen mehrere kleine Wege durch das Gebüsch zu einer großen Wiese, rund um von ansehnlichen Weidenbäumen umgeben, deren groteske, häufig getheilte Stämme, unter den sie umringenden jungen Birken und Ellern, wie ehrwürdige Greise unter Jünglingen, stehn. Mitten auf der Wiese ruht, auf frey stehenden weiß angestrichenen Pfählen, die oben durch ein grünes Gitterwerk verbunden sind, ein geräumiges Sommerhaus, unter dessen Dachung sich an dem Tage, wenn man hier das Ärndtefest feyert, die Bauerschaft dieser Güter zu versammeln pflegt. Geschäfte haben mich immer abgehalten, diesem schönen Feste beyzuwohnen, das [372] jährlich hier begangen wird; doch will ich, nach einer Erzählung meiner Freunde, die zugegen waren, eine Beschreibung versuchen. Sie muß schon als Charaktergemälde der Behandlungsweise der Letten in Kurland Interesse gewähren. Nach der Ärndte waren alle Bauern, männlichen und weiblichen Geschlechts, groß und klein, welche zu den beträchtlichen Groß- und Klein-Bersenschen Gütern gehören, an einem bestimmten Tage auf dieser Wiese versammelt, und nur wenige zur Aufsicht der Wohnungen zurückgeblieben. Die Feyer wurde Nachmittags mit einem geistlichen Liede begonnen, worauf der doblensche lettische Kirchspielsprediger eine Rede hielt, welche auf das Fest einer gesegneten Ärndte (in diesen fruchtbaren Gegenden etwas ganz gewöhnliches) Bezug hatte. Eine solche Rede, im Geiste und Sinne des jetzigen doblenschen lettischen Predigers, Herrn Richter, gesprochen, und von diesem höchst achtungswerthen, eben so wahrhaft gelehrten als humanen Manne, vorgetragen, mußte auf alle Anwesende, und eben so gut auf die aus den gebildeteren Ständen, als auf die versammelten Letten, den lebhaftesten [373] Eindruck machen. Sodann erhielten diejenigen Mädchen, deren Aufführung von den versammelten Hausvätern als vorzüglich bezeugt wurde, und eben so auch die Jünglinge, gewisse Preise. Sie bestanden für erstere in schönen Tüchern und Schürzen, für letztere in zierlichen Hüten und Tüchern; den fleißigsten Hausvätern (Wirthen) selbst aber wurden große beschlagene Wagen, mit Heu beladen, zu Theil. Unter einem starken breitästigen Weidenstamme, den eine Tafel als den Ehrenplatz bezeichnet, wurden jene Preise, so wie außerdem durch Loose, in denen aber keine Niete fiel, verschiedene lettische Bücher vertheilt, und der Tag beschloß mit einem reichlichen Schmause und den frohen Tänzen der glücklichen Landleute. Die Letten sind in diesen Gegenden, so wie beynahe in ganz Kurland, wohlhabend, einige sogar reich und Besitzer von mehreren Tausend Albertusthalern. Reinliche Kleidung und selbst ihr, einen gewissen Grad von Bildung verrathendes Benehmen, so wie die Liebe und Anhänglichkeit an ihre Herrschaft vollendete ein Gemälde, das hier, auf einem grünen Wiesenplatz an einem heiteren Tage, [374] von jedem, der Gefühl für dergleichen Freuden hat, nur mit warmer Theilnahme erblickt werden konnte. Mit Ehrfurcht betrachtete ich den ehrwürdigen Stamm, unter dem die Ehrenpreise ausgetheilt waren. Wie manche Tugend — nicht wie sie bey der Ofenglut der Empfindeley in den Treibhäusern der großen Welt gedeiht, sondern voll Natur, der knospenden Rose gleich — mag hier nicht, wie diese, bescheiden erröthet seyn, als ihr Verdienst bemerkt wurde. Preise für die Tugend aber, da diese selbst keinen Preis hat, werden, wenn sie nur das Ehrgefühl, jene zu bewahren, erwecken sollen, eben so glänzend mit einem Hute, als mit einer brillantenen Brustschleife ausgetheilt.

Von der Wiese aus gehen mehrere Wege durch das anstoßende Gebüsch, in welchem sich eine kleine Einsiedeley befindet, die aber kein leeres Schneckenhaus ist, sondern ihren Bewohner lebend in sich faßt. Mit einem langen Barte, in braunem Mönchsgewande trat er aus seiner Hütte und überreichte mir ein Buch, um in selbigem meinen Namen zu verzeichnen. Ich schrieb folgendes Akrostichon auf Groß-Bersen hinein, [375] das, wie alle dergleichen poetische Spielereyen, keinen eigentlichen Werth hat, und daher nur als Andenken einer frohen Stunde diesen Blättern geweihet seyn mag:

Giebt die Natur für ihre Freuden Sinn,
Reicht zum Genuß sie ihren Segen hin:
O, dann entblühn dem einsam stillen Thale
So seltne Freuden, als sie nie die Pracht,
Schwelgt sie auch stolz am königlichen Mahle,
Bey alter Kunst-Gewalt erdacht!
Ein Leben unter Blüthenzweigen
Rufe edlere Gefühle wach;
Sie wogen in dem stillen Bach
Empor‚ in jeder Blume sanftem Neigen,
Natur, wo deine Opferdüfte steigen.

Der Gang längs dem Bache, der auf der Seite, wo das Wäldchen liegt, ein flaches, gegenüber aber ein steiles, abgerissenes, felsenähnliches Ufer hat, leitet zu einer kleinen, im gleichwinkeligen Dreyeck erbauten Fischerhütte, deren weiße Mauer zwischen dem Grün des Laubes angenehm hervorschimmert. Auch mehrere andre kleine Partien im Park sind lieblich und mit Sinn angelegt; aber ich habe dem Leser nur die vorzüglichsten darstellen wollen. Sobald man das Tannenwäldchen, bey Groß-Bersen verläßt, erblickt [376] man die graue Mauer der alten BurgDoblen, deren Ruinen schon in der Aussicht einen interessanten Anblick gewähren.