Malerische Wanderungen durch Kurland/Die Stadt Hasenpoth

Privatgut Willgahlen, die Freysassen in den Kurisch Königen Dörfern; die Peterskirche; Privatgut Wangen Malerische Wanderungen durch Kurland
von Ulrich von Schlippenbach
Katzdangen, Gebäude daselbst; Neuhausen, Flecken und Schloß; Schrunden, dessen Lage und Umgebungen; Fahrt nach Frauenburg; der Garten zu Berghoff
{{{ANMERKUNG}}}
[311]
Die Stadt Hasenpoth.[WS 1]

In dem irdischen Himmel, den Kurland seinen Bewohnern gewährt, verdient Hasenpoth gewiß Abrahams Schooß genannt zu werden; denn wahrscheinlich gibt es dort der Nachkömmlinge des israelitischen Stammvaters [312] nicht mehr als hier. Ja es ist ein gesetzlicher Grund vorhanden, Hasenpoth als das Paradies der Ebräer in Kurland anzusehen, denn mittelst früher als Gesetz geltenden Landtagsschlusses[1], waren alle im Piltenschen Kreise wohnenden Ebräer verbunden, ihre Paradiesäpfel (eine Art Citronen, die sie unter diesem Namen bey ihren Religionsgebräuchen, bey gewissen Festen nöthig haben) nur aus Hasenpoth zu nehmen. Von eigentlichen Merkwürdigkeiten der Stadt – man müßte denn den Straßenkoth, der hier, in Quantität und Qualität vielleicht selbst den der weltberühmten Stadt Paris übertrift, dazu zählen – weiß ich wenig zu sagen. Doch ja, Hasenpoth hat eben so gut, wie andere Städte, ein sogenanntes Wahrzeichen. Schade nur, daß dieses in einem auffallenden Mangel besteht. Das Wahrzeichen nämlich ist der einzige Kirchthurm, der aber viel niedriger als die Kirche selbst ist, und auf die Weise sich zur Kirche, wie eine schwache Assonanz zu einem ächt romantischen [313] Kraftworte reimt, Ein zweytes, aber jezt verschwundenes Wahrzeichen, war ein Pranger mit zwey Händen und dem sonderbaren Merkmale, daß sich ein Bündel Ruthen in der linken Hand dieser Pfahlgestalt befand. Aber was konnten die entschlafenen Väter der guten Stadt dafür, daß die symbolischen Zeichen der Strafe nicht in der rechten Hand waren. Allenfalls könnte das Rathhaus noch eine Merkwürdigkeit in einer fixirten unbeweglichen Wetterfahne aufzeigen, die, es mag von allen Seiten stürmen, doch immer nach Osten, dem Morgenlande zu hin gerichtet bleibt. Da Hasenpoth nur 1115 Einwohner — männlichen und weiblichen Geschlechts, worunter 600 Ebräischer Nation sind — und nicht mehr als 88 Häuser hat, so wird man die Erwartung der Beschreibung prächtiger Gebäude und Anstalten wohl etwas mäßigen. Indessen auch hier scheint eine warme Frühlingssonne, und wo ihr Strahl hindringt, gedeiht menschliches Glück und Zufriedenheit. Ich habe hier Menschen kennen gelernt, die meine höchste Achtung, meine innigste Liebe verdienen; [314] habe hier im kleinen häuslichen Zirkel unter Freunden und Bekannten glückliche Tage verlebt, wie sie mir eine fürstliche Residenz leicht versagt haben könnte. Die Kunst hat hier keinen Tempel, der ihrer würdig wäre, errichtet; vielleicht nur deshalb nicht, weil sie es für ein Wagestück hielt, ihn neben demjenigen zu stellen, den sich die Natur rund umher erbauet hat. Die Stadt liegt, auf der nord- und westlichen Seite, an einem beträchtlichen Hügel, auf Felsengrund; nach der Ost- und Westseite zu aber schließt sie an eine Ebene, die eine sehr weite Aussicht in die benachbarte vortreflich angebaute Gegend gewährt. Wenn aber auch das kleine Städtchen, das übrigens in Hinsicht der mehresten Häuser, die bequem, ja eines Theils selbst groß und massiv gebaut sind, einen Vergleich mit den andern Städten Kurlands aushalten kann, durch die Gegenwart, die es zeichnet, wie es ist, wenig Interesse gewinnt, vielleicht gelingt es dann der Vergangenheit, die selbst in einen Zuge der vaterländischen Geschichte die Aufmerksamkeit des Patrioten fesselt, dieses zu erwecken. [315] Der Name der Stadt, die vielleicht die alte Kurländische Stadt Appulia ist, deren mehrere Chroniken als einer solchen gedenken, deren Lage man nicht mehr kennt, ist nicht so emblematisch als man, dem Schalle des Worts nach, glauben sollte, sondern leitet seinen Ursprung, von dem lettischen Aisputte (verstümt)[WS 2] her, und zwar, weil in jedem Winter eine Menge Schnee in die Klüfte, welche Hasenpoth von zwey Seiten umgeben, herein geweht wird, und, nach der Erzählung des Baron Blomberg, der die Geschichte Kurlands und seine Verfassung im Jahr 1698 beschreibt [2], dieser wirbelnde Schnee in ältern Zeiten einem auf Hasenpoth losrückenden Feinde so ins Gesicht geweht haben soll, daß er, gleichsam geblendet, leicht bekämpft werden konnte. Man sieht wohl, wie sehr sich das Klima in 500 bis 600 Jahren geändert hat, und, gleich den Einwohnern selbst, sanfter und friedlicher geworden ist.

Die Stadt muß vor dem Jahre 1378 erbaut seyn, denn in diesem Jahr schenkte [316] schon das Domkapitel zu Kurland, mit Beystimmung des Bischofs Otto, den Bürgern zu Hasenpoth „Stätte und Räume“ um sich anzubauen. In der Folge wurde die Stadt beträchtlich vergrößert, hatte sieben Kirchen, deren Plätze noch zum Theil sichtbar sind, und in Muende, 3½ Meilen von hier, einen besondern Hafen, auch daselbst Speicher und Waarenniederlagen. Ferner war in Hasenpoth eine bischöfliche Domkirche, der Wohnort der Domherren, ein Mönchs- und ein Nonnenkloster. Noch findet sich in der hiesigen Kirche der Grabstein eines Bischofs Balduin, dessen Zeitalter aber ungewiß ist, mit der Aufschrift: Admodum reverendus in Christo Pater Dominus Balduinus Episcopus. Als vor mehr als 50 Jahren das Grab geöffnet ward, fand man in demselben eine Monstranz und einen hölzern Bischofsstab. Die Stadt trieb ehemals einen sehr wichtigen Handel; über die Ursachen ihres nachherigen Verfalls schweigt die Geschichte. Die Kirchen sind, wie die Eingepfarrten, verschwunden, und an dem schönen, von schattigen Bäumen umzäunten [317] Johanniskirchhof, wo die Vergangenheit nur noch in einem alten verfallenen Beinhause ihre Zeichen auf nachte Schädel grub, lehnt jezt eine jüdische Synagoge mit sprechender Toleranz. Als ein Beyspiel dieser hier einheimischen Tugend führe ich das Testament eines hiesigen Ebräers an, der zu einer Uhr auf einem christlichen Kirchthurme, wenn ich nicht irre, die Summe von 100 Rthlr. legirte. Daß dieser Thurm vielleicht gerade der kleinste aller christlichen Kirchenthürme ist, beschneidet seinem Vermächtniß keinesweges das Verdienst, und es läßt sich hoffen, daß wenn erst das Kapital gewachsen ist — dem Thurme dürfte es schwerer gelingen — die Feyer der Toleranz in jeder Stunde erschallen und der Reichthum des alten Testaments, durch das neue seines Anhängers, vom Thurme her silberrein erklingen wird.

Wann ich dem Leser die ferne Vorzeit und die Gegenwart der Stadt Hasenpoth beschrieb, so mag er mit Geduld auch etwas von dem Mittelalter derselben hören, und überhaupt es sich gefallen lassen, daß ich [318] ihn noch immer durch die mit weicher, feuchter Erde und nur wenig mit hartem Stein gepflasterten Straßen begleite. Ich will es versuchen, seine Aufmerksamkeit für diesen Samenteich der israelitischen Brut, aus dem hervorgehend sie nach den übrigen Städten hin versetzt werden, auf alle Weise zu gewinnen, und daher stehe hier das Beyspiel einer gewiß seltenen Gerechtigkeitsliebe, die den Beweis liefert, daß man das Gute um des Guten willen thun kann, ohne durch ein andres, als das reine Interesse für die Sache selbst, bestimmt zu werden.

Als Hasenpoth nach seinem Ruin von einer ehemals blühenden Handelsstadt, wie schon oben erzählt ist, zu einem Flecken herabgesunken war, in dem nur wenige Strohhütten wieder aufgebauet worden, hatte dennoch, zugleich mit der Kriminalgerichtsbarkeit der Stadt, auch der Trieb, diese auszuüben, sich in der Brust der Väter derselben erhalten. Allein schon war ein halbes Jahrhundert beynahe verflossen und noch kein bedeutender Exceß vorgefallen, noch stand der, aus dem Ruin, durch seine isolirte Lage, [319] wie ein Blitzableiter, sich gerettet habende Galgen unschuldiger da, als der Held eines Trauerspiels im ersten Akt. Glücklicherweise endlich war ein Dieb aus einem nicht sehr entfernten Gute aus dem Kerker entflohn, und hatte, zum Behuf seiner Flucht, sich eines Pferdes auf der Stadtweide bedienen wollen, wo er ergriffen ward. Vergeblich wurde er zur Fortsetzung der bereits gegen ihn eingeleiteten Untersuchung reklamirt; stärker als sein durch den erhobenen Rechtsgang bereits fixirtes Forum zog ihn der Galgen, der schon so lange vergeblich auf Beute gewartet hatte, an sich. Zur Konservation der peinlichen Gerichtsbarkeit begann die Pein des armen Verbrechers und das Resultat des Urtheils des hohen Raths schwebte in hoher Luft, als Warnungszeichen für die Nachwelt. Diese merkwürdige Kriminalanekdote gründet sich auf allgemeine Sage und scheint, obgleich seitdem mehrere Jahrzehende verflossen, doch für die damalige Zeit und Sitte ziemlich charakteristisch. Man muß gestehen, daß für das reine Ansehn der Gesetze die Themis nirgends mehr thun [320] konnte, und diese ihren Gang hier nicht auf zwey, sondern auf drey Füßen stützte. Späterhin, als die Stadt sich wieder zu vergrößern anfing, verlor sich dieser peinliche Trieb immer mehr, und mit der Toleranz, die ich schon früher zu preisen Gelegenheit fand, kehrte auch jede andere Duldung zurück. Hasenpoth hat seine Existenz im Meere der Zeiten mit Ebbe und Flut verwechselt. Von einer ansehnlichen Handelsstadt war es fast zu einem armseligen Dorfe herabgesunken; vor ohngefähr 12 bis 15 Jahren hingegen hatte der Handel sich wieder mächtig gehoben. Im den Jahren 1794 bis 1797 sind hier allein an baumwollenen Tüchern 12000 Dutzend mehr abgesetzt worden, als in Königsberg und Liebau. Ein Umstand, der daher rührte, weil die polnischen Juden ihre Waaren lieber bey ihren Glaubensgenossen in Hasenpoth als anderswo erkauften. Dadurch waren denn auch die hiesigen Ebräer wohlhabend geworden, daß selbst ihr militärischer Geist, der seit der Zerstörung Jerusalems in tiefem Schlummer lag, hier erwachen und sich im Jahr 1797 oder 1798 eine [321] jüdische Garde zu Pferde, aus 20 Mann ohngefähr bestehend, bilden konnte. Ihre Kleidung bestand aus Stiefen (Pantoffeln waren gegen das Kostüm), schwarzen weiten Pantalons und kurzen grünen Jacken; einzelne Glieder waren sogar mit einigen Waffenstücken versehen, die vielleicht jezt, da diese Blüthe der israelitischen Jugend ihren kriegerischen Schmuck wieder abgelegt hat, zum Kampfe gegen den symbolischen Fleischklumpen ihres Erbfeindes Haman verbraucht worden sind. Es war ein malerischer Anblick, diese mosaische Garde auf dürren Pferden, die durch morgenländische Laute zum stärkern Trabe angefeuert wurden, einherziehen zu sehen. Hin und wieder raubte die Luft, die noch kein solcher Zug durchstreift hatte, ein zu loses Stück des Gewandes, und dem weichsten Pflaster drückten sich Spuren der härtesten Pferde ein. Statt Kies und Funken, stoben Erde und Wasser umher. Mit welcher Wonne mag der König David aus seinem Wolkensitze herabgelächelt haben, als er hier seine Nachkommen so muthig versammelt sah, und seiner, im tiefen [322] Frieden ruhenden Harfe wieder einmal kriegerische Akkorde zum Lobe der Thaten seiner Nachkommen entrauschen konnten!

An großen ebräischen Festtagen ist ein Gang nach der ziemlich geräumigen Synagoge nicht uninteressant. Die hohe Andacht, mit der fast jeder Ebräer betet, und die, einer ganzen zahlreichen Versammlung mitgetheilt, über jede Religion eine Himmelsglorie verbreitet, bleibt immer rührend, und eine Thräne des Entzückens, der Begeisterung und des Dankes erhebt das fühlende Herz, sie mag nun aus einem zum Himmel gerichteten Auge auf einen langen Bart oder auf ein Ordensband fallen. In dem Chore, wo die Weiber von den Männern getrennt sitzen, habe ich diese Andacht bey weitem nicht so bemerkt. Die weltlichen Gedanken der Weiber schimmern hier aus ihren auf der Brust herabhängenden Goldmünzen und Korallen hervor. Eine von diesen Damen fiel mir, ich weiß nicht mehr an welchem Festtage, besonders auf. Denn die Menge Goldmünzen, die wie Schellen um sie herumhingen, waren alle merklich stark beschnitten. Einem [323] geharnischten Holländer fehlten die Füße und die Schwertspitze; ein paar große Herren hatten auf den Münzen, die ihr Bild und ihre Überschrift trugen, den halben Hirnschädel verloren; andern war das Auge durchbohrt. Welche christliche Dame würde es gelitten haben, ihren Schmuck so verkleinert zu sehen? Man müßte denn annehmen, daß die jüdischen Damen diese Beschneidung nur aus Religionseifer gestatten, in der Überzeugung, daß durch dieses Arrondissement nichts Wesentliches verloren gehe. Doch wir verlassen die Kinder Israel für jezt. Ich brauche nur ein paar Schritte aus diesem Tempelchen Salomonis zu treten und die herrlichste Aussicht zeigt sich meinem Auge. Heller als rosenrothe und purpurfarbene Seide, glänzender als die Flügel der Cherubim auf der verlornen Bundeslade des alten Glaubens, fällt der Sonnenstrahl auf den Ausfluß des Tebberbachs, der in einer engen Kluft zwischen ein Paar auf der Gegenseite mit schönem Laubholze bewachsenen Bergen, wie ein helles blaues Auge in einer freundlichen Stirne, liegt. Noch eine weit [324] mannigfaltigere Aussicht genießt man vom deutschen Kirchhofe. Die Kirche selbst liegt wie eine Feste auf einer Bergspitze, von der einen Seite dem neuen Schlosse Hasenpoth, von der andern dem alten Schlosse und seinem Garten gegenüber. Beyde Schlösser liegen gleichfalls auf Bergen, und die Kluft dazwischen füllt der Ausfluß des Tebberbaches, der sich in einem Mühlenteiche endigt. Die Mühle und die am Berge unten fortlaufende Landstraße, die Brücke über den Teich, das neue Schloß mit seinem bis unten am Teiche terrassirten Garten, gewähren ein liebliches Gemälde, besonders im Kontraste mit dem alten Schlosse, das sich noch recht gut erhalten hat. Die Kluft und die Straße zwischen den Denkmälern der alten und neuen Zeit, erscheinen wie der Weg, den viele Literatoren gehen, die sich mit dem Gesichte bald der alten, bald der neuen Zeit zuwenden, und sich, je weiter sie fortschreiten, von beyden entfernen, bis sie sich endlich auf eine nackte Fläche versetzt sehen. Das alte Schloß Hasenpoth wurde von dem Herrmeister Diedrich von Grüningen im [325] Jahr 1249 erbauet, doch soll hier schon vorher eine Burg der Kuren gestanden haben, welche Beyda hieß. Es läßt sich vermuthen, daß die Feste einmal zum Theil zerstört worden ist, denn man sieht neu angebaute Stellen. Einige Theile derselben werden noch jezt bewohnt; aber man findet auch nicht das mindeste Merkwürdige der Vorzeit darin, außer einem finstern Gange, welcher, der Sage nach, unter dem Wasser und den Bergen, bis nach dem ehemaligen Kloster, dem jetzigen Krongute Hasenpoth, hingereicht haben soll. Der Eingang ist sichtbar, aber der Gang selbst soll verschüttet seyn. Daß ein solcher Gang wirklich existirt hat, ist aus mehreren Stellen, wo plötzlich die Erde einsank und wahrscheinlich dem darunter befindlichen eingestürzten Gewölbe nachfiel, zu vermuthen. Der Gang scheint deutlich zu beweisen, daß das Kloster von Nonnen besetzt gewesen ist: den armen Jungfrauen kam hier der Trost nicht vom Himmel herab, sondern unten aus der Erde herauf. Wir folgen diesem Gange auf festem Boden; aber von dem ehemaligen Kloster [326] finden wir nur einige wenige abgebrochene Mauerstücke. Es liegt jenseit der Stadt an der Kluft, welche die Ufer des Tebberbaches einschließt. Auch hier ist eine herrliche Aussicht nach dem alten und neuen Schlosse, und in das, mit schönen Bäumen, Teichen und einzelnen Häusern geschmückte Thal, welches unsere vorzüglich talentvolle Landsmännin, Fräulein von Mirbach (im Freymüthigen 1805) so lieblich besang. Meinen Blicken entdeckt sich hier ein einsames Plätzchen von jungen Bäumen umpflanzt, das rührender, wie jenes Andenken der Vorzeit, zu meinem Herzen spricht. Dort schlummert Blumenthal. Noch kennt mein Vaterland diesen Namen und segnet ihn[3]. Blumenthals Grab bedarf des Marmors nicht, es ist bescheiden und anspruchlos, wie sein Verdienst; aber in der Mitte einer schönen Natur, die einst ihrem Lieblinge, als Arzt, [327] ihre Geheimnisse enthüllte, als Mensch, ihren schönsten Segen, ein edles, fühlendes Herz gab. Auf der südöst- und südwestlichen Seite der Stadt ist nichts zu sehn als eine fruchtbare Fläche, voll Wiesen und Kornfelder, und der Platz des Stadtwaldes, der aber selbst nicht einmal, ein paar Bäume, die den jüdischen Kirchhof umschatten, ausgenommen, als Gesträuch existirt, und nur noch in der Funktion eines in Amt und Pflicht stehenden Buschwächters, idealisch fortlebt. –

Obgleich die Stadt jährlich an Umfang und Größe gewinnt und mehrere, zum Theil recht schöne Häuser erhalten hat, so ist der Handel doch lange nicht mehr so beträchtlich; was indessen durchaus nicht die Schuld der Kaufleute selbst ist, da es unter diesen einige Ebräer von Bildung giebt, die den Handel und dessen Potenzen im ganzen Umfange verstehn. Vor einiger Zeit ist hier auch eine Kreisschule eingerichtet und feyerlich eröfnet worden. Diese wird gewiß für die Bildung der städtischen Jugend die wohlthätigsten Folgen haben. Die weise Einrichtung, [328] wodurch, mit eben so kaiserlicher als menschlicher Milde, in ganz Rußland Schulen gegründet werden, verdient gewiß den höchsten Dank jedes treuen Unterthanen. Der Staat gewinnt in der höhern Ausbildung seiner Bürger eine Quelle von Kräften, die kein Klima beschränkt, und die nach einer Zeit von 10 bis 12 Jahren schon die glücklichsten Wirkungen bezeugen müssen. Das hier von der Krone neu angekaufte Schulgebäude ist bequem, und für den Umfang der Stadt, zum Unterrichte groß genug.

Hasenpoth ist der Hauptort des mit eigenen besonderen Rechten privilegirten Piltenschen Districts in Kurland, und als solcher der Sitz des Piltenschen Landraths-Collegiums, das in Civil- und Criminal-Sachen die höchste nur dem Senate untergebene Instanz ausmacht — und zugleich als Adelsbevollmächtigte, die Ritterschaft in Landesangelegenheiten repräsentirt. Zum Piltenschen District, der einen Flächeninhalt von 5400 Quadrat Wersten einnimmt, gehören 2 Städte und 2 Flecken, 3 Krons- und 110 Privatgüter, 16 Pastorate, 2 Kronsforsteyen [329] und 2814 Bauergesinde. Die Anzahl der Bewohner beträgt 25592 Seelen männlichen und 25530 weiblichen Geschlechts. Da die Glieder des Landraths-Collegiums, mehrere zu selbigem gehörige Advokaten und Kanzeleybeamten, die Kreisofficianten und die Glieder des Manngerichts sich für immer in Hasenpoth aufhalten‚ auch mehrere Personen des Adels und des gelehrten Standes hier wohnen, so fehlt es hier nicht an gebildeter Gesellschaft, und eben so wenig im Winter an Bällen und andern Vergnügungen. Die hier neuerlich angelegte Tapeten- und Türkische Papier-Fabrik, verdient vorzüglich bemerkt zu werden, da sie eine so schöne Arbeit liefert, wie man sie nur in englischen Fabriken mit gleicher Vollkommenheit findet.

Ehe ich Hasenpoth verlasse, muß ich eines heiteren stillen Plätzchens vor der Stadt erwähnen, wo mitten in einem lieblichen Garten voll treflicher Fruchtbäume, umgeben von kleinen Wiesen und Feldern, ein Häuschen liegt, das, seines Strohdachs unerachtet, schon durch sein nettes, friedliches [330] Ansehn interessirt. Es gehört dem Herrn Kandidaten Perniz, der hier in wahrhaft philosophischer Ruhe, geschätzt und geliebt von seinen zahlreichen Freunden und Bekannten, lebt, und dessen für Natur und Kunst gleich ausgebildeter Sinn dieses Plätzchen verschönerte, und zu einem angenehmen Spaziergange für seine Freunde weihte. Die innere Einrichtung entspricht dem äußern und dessen Umgebung. Es ist nett, gefällig und mit einigen sehr gelungenen Pastell- und Ölgemälden von der eigenen Hand des Besitzers geziert. Unter diesen zeichnen sich vorzüglich ein alter Kopf und das Portrait des Maler Mengs aus. Auch der Garten des Bürgermeisters K–z verdient Erwähnung, so wie der neu angelegte des Herrn Landgerichtsadvokaten F., der durch seine Lage, am Abhange eines Hügels, mit einer lieblichen Aussicht auf ein angebautes Thal, sobald er ganz vollendet worden, gewiß vorzügliche Aufmerksamkeit erregen wird.

Und nun genug von diesem kleinen Landstädtchen, bey dessen Zeichnung mir der Stamm Juda das Lächeln verzeihen mag, das [331] mich unwillkührlich, da wo ich seiner erwähnen mußte, beschlich. Auch ihm entsproß ja mancher redliche, gebildete Mann, hier gekannt und geschätzt, und solcher Glaube an Wahrheit und Tugend wird auch hier in Israel gefunden[WS 3]. Sollte er aber zürnend jede Wahrheit, die die komischen Züge des morgenländischen Originals nachzeichnet, für Übertreibung halten: so hat er sie, treu dem Rathe des Talmuds, nicht gehört; denn, sagt dort ein Rabbi, auf die wichtige Frage: warum ist das Ohr der Menschen hart, das Läppchen aber weich geschaffen worden? Deswegen, damit ein Frommer das Läppchen ins Ohr hineinstecke, auf daß er die Gläubigen nicht lästern höre[4]. Noch einen Trunk reinen und klaren Wassers, das aus einer starken Quelle am Fuße des Berges an der Westseite der Stadt mit Gewalt hervorsprudelt, an Helle und Reinheit aber vielleicht der Blandusischen Quelle selbst [332] gleich kömmt, – und so gestärkt nach der Wanderung verlassen wir die Stadt.



  1. Landtagsschluß d. Anno 1740.
  2. Description de la Livonie.
  3. Der Doct. Med. Blumenthal, groß durch seine Kenntnisse als Arzt, starb im Jahr 1804 zu Hasenpoth, wo er mehr als 20 Jahre gelebt hatte, als Wohlthäter der Armen, die er unentgeldlich heilte, geliebt, geehrt, und gekannt von ganz Kurland.
  4. Christoph Paul Mayern (eines bekehrten Juden und gewesenen Rabbi) Gebräuche der heutigen Juden. Danzig 1682, Pars 9.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Kapitel ergänzt; vergl. Druckfehler.
  2. aizputināt: verwehen
  3. Vorlage: funden