Land und Leute/Nr. 12. Die Bamberger Gärtner

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Autor: Ludwig Storch
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Titel: Die Bamberger Gärtner
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 45, 46, S. 641–644, 656–658
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Reisebericht aus der Artikelserie Land und Leute, Nr. 12
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[641]
Land und Leute.
Nr. 12. Die Bamberger Gärtner.
Von Ludwig Storch.

Bamberger Gärtner am Morgen.

Ehre jeder Hand voll Schwielen! 
Fred. Freiligrath.

Wir hatten uns ziemlich lange in der fränkischen Schweiz herumgetrieben und ihre Romantik, die in solcher Zusammenstellung ihres Gleichen nicht weiter hat, in und auf den Bergen mit Raffinerie durchgekostet. Wo in der Welt fände man im Raume von ein paar Quadratmeilen im Schooße der Berge so großartige pittoreske und wissenschaftlich wichtige Höhlen, wahre Zauberpaläste der uralten und ewig jungen reizenden Mutter Gäa, Wundergrotten und Boudoirs mit der groteskesten barocken Ausstattung, von der unsre vornehmen Damen und nach Originalität strebenden Baumeister etwas lernen könnten; und auf den Gipfeln der Berge solche malerische Ruinen, einst auch Paläste ritterlicher Herrlichkeit, nun in ihrem Verfalle als Zeugen einer abgeblühten Culturperiode erst recht Zierden des schönen Wisenthales und seiner Nebenthäler?

Meinen Genuß erhöhte mein Gesellschafter, den ein günstiger Zufall mir zugeführt, ein echt moderner Charakter, wie sie erst seit einem Vierteljahrhundert auf der Weltbühne aufgetreten sind.

Er war seines Zeichens Arzt, aber in dem Sinne wie die meisten jungen, genialen und ehrlichen Aerzte unserer Zeit; er [642] war aber auch Naturforscher (und kann denn ein ehrlicher Arzt etwas Anderes sein?), aber in demselben Sinne, d. h. wie alle geistbegabten, ehrlich und treu strebenden Naturforscher der Neuzeit es sind; und er war endlich Dichter und Schöngeist in dem Sinne Heinrich Heine's. Im Buche der Geschichte so bewandert, wie in dem der Natur, und voll köstlicher poetischer Anschauungen des Welt- und des Menschenlebens, entging seinem Scharfblicke nichts, das irgend geeignet wäre, der Beobachtung oder Forschung eine interessante Seite zu bieten, und da das Genie an jedem Gegenstande schnell Interessantes entdeckt, so war mein trefflicher Doctor L. unerschöpflich in geistreicher, fesselnder Unterhaltung und Belehrung. Was mich aber am meisten zu ihm hinzog, war seine schier begeisterte Liebe zum Volke, eben weil ich sie theilte. Er konnte sich eine Stunde lang mit einer alten Bauersfrau unterhalten, und ohne alle Ironie – obgleich diese sein Leibpferd war – auf ihre Ansichten eingehen, und sich von ihr belehren lassen.

Wir hatten verabredet, nach der alten Bischofsstadt Bamberg zu gehen, die noch soviele Zeugen und Denkmale eines einst reichen und prächtigen Fürstenhofes aufweist. Unterwegs im Waggon tauschten wir unsere Ansichten über das Mittelalter und die Jetztzeit aus, und Dr. L. erzählte mir köstliche Geschichten von fränkischen Rittern und Mönchen und ihren Begriffen von Ehre, Recht und Gottgefälligkeit, wie sie die Städtechroniken dieser gesegneten Länder aufbewahrt haben.

Wir fuhren dem stattlichen Bahnhofe zu. Vor uns stufte sich in imponirender Schönheit die alte verjüngte Stadt amphitheatralisch empor: unten im Thale auf der rechten (östlichen) Seite der Regnitz die langen Straßen der weit ausgedehnten Gärtnerei, auf der linken (westlichen) Seite des zweiarmigen Flusses die eigentliche Stadt sanft am Berge emporsteigend mit ihren majestätischen Kirchen, ehemaligen Klostergebäuden und ragenden Thürmen, auf einem der untern und niedern Berge der schlanke, vierthürmige Dom, auf einem etwas höheren Berge die erst anderthalb Jahrhunderte alten Gebäude des Michelsberges mit der weit ältern zweithürmigen Klosterkirche; noch etwas höher die bethürmte Kirche und die Gebäude der ehemaligen Propstei St. Getreu, jetzt Irrenanstalt, und als Gipfel dieser festlichen Pyramide die hohe uralte Altenburg, gleichsam die Mauerkrone der Stadt.

Mein neuer Freund deutete auf dieses reizende Ensemble und sagte: „Sehen Sie, der Gärtner, der so bescheiden da unten in der Thalebene wohnt, war, wenn nicht schon früher, wie ich glaube, so doch gewiß gleichzeitig hier mit dem Mönche in der westlichen Bergstadt drüben und mit dem Ritter auf dem Berge droben. Das erst glänzende und nachher faulende Ritterthum haben wir in seinen vom Zahne der Zeit stark benagten und zum Theil ganz zerfressenen Schalen und Gehäusen in der fränkischen Schweiz kennen gelernt; die Exuvien der erst nützlichen, nachher ausgearteten Möncherei kennen Sie in diesem gottgesegneten Frankenlande aus den prächtigen Häusern der ehemaligen Abteien Eberach, Banz, Langheim, Weitzenohe, Michelfeld. Hier in Bamberg haben wir zur Erinnerung an den ersten Stand die hohe Altenburg, an den andern den schönen Michelsberg, das ehemalige Karmeliterkloster, das ehemalige Dominikanerkloster und noch eine hübsche Anzahl andere. Ritter, Mönch und Gärtner haben hier manch Jahrhundert gehaust und ihre Spitze und Blüthe wurden die Fürstbischöfe. Aber der Ritter ist längst verschwunden; die Altenburg ist ein angenehmes Bier- und Kaffeehaus geworden; der Mönch ist ebenfalls bis auf ein kleines Restchen schlafen gegangen, und die Klöster sind Armenversorgungs- und Krankenheilanstalten oder Kasernen; die mächtigen und prächtigen Fürstbischöfe sind dem Ritter und Mönche gefolgt, und ihre stolzen Schlösser stehen vereinsamt oder dienen der baierischen Staatsregierung zu profanen Zwecken. Dieses Stück mittelalterlicher Schlangenhaut ist beseitigt, weil es keine Lebenskraft mehr hatte, dem Organismus nicht nur nicht mehr nützlich sein konnte, sondern sogar schädlich geworden war, und seine innere Haltlosigkeit der siegreichen Macht des Fortschritts keinen Widerstand mehr zu leisten vermochte. Ritter, Mönch, Fürstbischof sind nicht mehr; aber der Gärtner ist noch; er hat sie alle überdauert, und er wird auch die hohlen, unwahren Gestalten unserer Zeit überdauern. Der Gärtner blüht markig und kräftig, und wird in seiner schlichten Würde sich noch stattlicher und gehäbiger entwickeln. Der Gärtner, der Arbeiter, der einfache Sohn des Volks, der Ritter des Fleißes, der Mönch des echten Gottesdienstes, des frommen Feld- und Gartenbaues, der Fürst der Arbeit, er war, ist und wird sein, alle Lüge in Fleisch und Bein in Sammet und Seide überleben, weil er eine Wahrheit, eine naturwüchsige Wahrheit ist. Sehen Sie sich nur die Geschichte dieser vier verschiedenen Menschenkinder in Compendio an, um ihren wahren Werth, ihre wahre Größe gleichsam mathematisch zu finden! Während die Ritter mit dem Schwerte raubten und die Fürstbischöfe Abgaben und Gefälle im schönen Frankenlande mit dem Krummstabe eintrieben, beide, um sich´s wohl sein zu lassen, erwarben die Gärtner mit Hacke und Spaten, und ließen sich´s blutsauer werden. Die Früchte des Ritterthums und des Fürstbischofthums wurden allmählich alle faul und bitter, die Früchte des Gärtnerthums waren stets süß, wohlschmeckend, nahrhaft. Das Gärtnerthum grünt und blüht, wie Kohl und Kraut in seinen Gärten, und seine Wurzel ist so gesund, süß und tiefgehend, wie die feines Süßholzes. Es hat sich ganz unmerklich in ein nützliches, segensreiches Institut der Neuzeit verwandelt, das der Zukunft nicht allein zarte, schmackhafte, sondern auch goldene Früchte bringen wird. – Haben Sie nicht Lust, die Gärtnerei mit mir zu durchwandern?“

Der köstliche Gegensatz hatte mich frappirt, und hastig rief ich: „Ich halte Sie beim Worte, Doctor! Wir besuchen die wackern und ehrenwerthen Bamberger Gärtnersleute in ihren heimischen Wänden und auf den Wahlstätten ihres Fleißes. Kenne ich doch die stattlichen Bamberger Gärtnersfrauen und Gärtnerstöchter, wie ich sie oft und viel auf den Märkten von Coburg, Hildburghausen, Meiningen, Nürnberg, Bayreuth, Hof und der kleineren Städte Frankens und Südthüringens zwischen Bergen von köstlichen Gemüsen sitzen gesehen und verkaufen gehört habe, mit einer Bestimmtheit und Charakterfestigkeit ihre Situation beherrschend, die einem Feldherrn Ehre gemacht haben würde. Bin ich Ihnen nicht auf meinen Wanderungen im Thüringer- und Frankenwalde und im Fichtelgebirge, im Voigt- und Osterlande begegnet, den kräftigen, wohlgebauten Kindern des alten Badenbergs, auf ihren Körben große Lasten grünen Pflanzenreichthums hausiren tragend, den sie mit saurem Schweiß der mütterlichen Erde abgerungen, und nun wieder mit saurem Schweiße auf ihrem Rücken viele Meilen weit fortschafften, den Küchenmägden zu Nutz und Frommen, den Hausfrauen zum Trost, den Hausherren zur Freude, den Gastwirthen zum Vortheil, der Kinderwelt zum unaussprechlichen Jubel, überall willkommen, stets zu gesundem derben Witz und Scherz bereit, Jedem Waare gebend, dem Koch wie dem Spötter, wenn auch dem Letzteren nicht immer wohlschmeckende? Ich habe mich der einen erfreut, wie der anderen, und in meiner Brust schlägt ein dankbares Herz. Also heute noch in die Gärtnerei!“

„Wir werden sogleich mitten darin stehen,“ sagte der Doctor, indem wir den Waggon verließen und den Weg nach der Stadt einschlugen. „Dieser der Bahn zunächstgelegene Stadttheil ist die Gärtnerei. Doch schlage ich vor, daß wir jetzt ohne Aufenthalt hindurchgehen und erst, nachdem wir meinem trefflichen Freunde dem Professor Haupt, rühmlich bekanntem Naturforscher und Schriftsteller, Director des hiesigen ausgezeichneten Naturaliencabinets, einen Besuch gemacht haben, hierher zurückkehren. Professor Haupt wohnt im ehemaligen Jesuitengebäude in der Mitte der Stadt. Dieser Besuch wird uns von Nutzen sein und wir werden dann wohlvorbereitet zu den Gärtnern kommen.“

Wir fanden in Herrn Prof. Haupt einen eben so liebenswürdigen, gefälligen Menschenfreund, tüchtigen, in allen Wissensfächern bewanderten, in den Naturwissenschaften ausgezeichneten Gelehrten, der mit der größten Bereitwilligkeit sogleich auf unsern Wunsch einging, uns über die Bamberger Gärtner zu unterrichten.

Die nachfolgende Skizze ist großentheils nach Prof. Haupt’s freundlichen Mittheilungen entworfen.

Der Anfang der Bamberger Gärtnerei verliert sich im Dunkel der Vorzeit; es ist nichts davon aufgezeichnet. Wahrscheinlich entstand sie aber bald nach der von der doppelarmigen Regnitz westlich auf Hügeln am Fuße der Altenburg zerstreut gelegenen Stadt, vielleicht mit dieser zugleich. Diese östlich in der Ebene aufgebaute Niederlassung, Teuerstadt genannt, war jedenfalls ein Ort für sich und von slavischer Bevölkerung (Wenden) bewohnt, während die über dem Flusse drüben in der Hügelstadt sitzenden Franken waren. Teuerstadt lag im Radenzgau, Bamberg im Volkfeldergau. Die zu Karl´s des Großen Zeit schon stark benutzte große Handelsstraße von Regensburg, Augsburg nach Nürnberg über Forchheim, Hallstadt u. s. w. nach Erfurt mochte aus den slavischen Bewohnern Teuerstadts, wahrscheinlich Holzbauern, Köhlern, Theerschwelern, [643] Zeidlern, frühzeitig Land- und Gartenbauer, aus den deutschen Bewohnern Bambergs Häker, d. i. Wein- und Hopfenbauern, machen, die ihre Erzeugnisse meist an die reisenden Handelsleute absetzten. Die einzelnen Theile Teuerstadts, später Steinweg genannt, wurden dann durch einen Zunftverband zur Gärtnerei vereint, welche durch Siechenhäuser, Hospitale und Hospize für Pilger und durch das Collegiatstift St. Gangolph (1063) Ansehen und durch bischöflichen Schutz Sicherheit gewann. Beide Städte wuchsen im Laufe der Jahrhunderte über die Insel in der Mitte zwischen den zwei Flußarmen (St. Martin) zusammen. Aber noch heute erkennt man die Verschiedenheit der Bewohner beider Städte in Körperbildung, Sitte und Dialekt. Daß die Bewohner Teuerstadts, des spätern Steinwegs, der heutigen Maxmiliansstraße und der Gärtnerei Slaven waren, beweist der Umstand, daß die deutschen Bewohner der westlichen Stadt sie nur an bestimmten Tagen durch die Thore eintreten ließen, die ihnen außer der bestimmten Zeit verschlossen blieben. Gegen Menschen ihres Stammes hätten Franken keine solche Maßregel genommen. In den Geschichtsbüchern Bambergs hat sich wenig über die Gärtner erhalten. Nur so viel weiß man aus den Aufzeichnungen, daß Bamberg schon in sehr früher Zeit wegen seiner Gärtnerei berühmt war. Die lateinischen Lobgedichte auf Bamberg aus dem funfzehnten und sechzehnten Jahrhundert gedenken ihrer immer mit besonderer Auszeichnung; eben so die späteren Beschreibungen. Traditionell weiß man, daß die Gärtner immer ein wildes, stets schlagfertiges Völkchen waren, vor dem die Bamberger Respect gehabt zu haben scheinen.

Der Samenhandel war schon im siebzehnten Jahrhundert hier sehr bedeutend und konnte selbst im dreißigjährigen Kriege nicht gestört werden. Weinbau wurde hier schon im elften Jahrhundert betrieben, war im funfzehnten in hoher Blüthe, ging aber im siebzehnten fast ein. Hopfen wurde schon im ersten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts häufig gebaut weniger; einträglich, als andere Producte, ging er gegen Ende des Jahrhunderts meist ein. Doch ist er jetzt wieder in Flor. Wein und Hopfen wird von den Häkern (über 200 Meister) in der westlichen Stadt gebaut, die sich von den Gärtnern in der östlichen Stadt wesentlich unterscheiden.

Das Areal der Gärtnerei ist nicht größer, als etwa eine halbe Quadratmeile, alle Felder und Wiesen, selbst die der Städter mitgerechnet. Da sich davon gegen siebenhundert Gärtnermeister nähren müssen, so kann der Besitzstand des Einzelnen begreiflicher Weise kein bedeutender sein. Ja, was noch auffallender ist, der Boden ist an und für sich nicht einmal ein fruchtbarer; er hat durch tausendjährige Arbeit und den Dünger der Stadt erst zu so hoher Ertragsfähigkeit umgeschaffen werden müssen. Wenn irgendwo, so hat man hier eine Stätte vor sich, die uns Achtung vor dem deutschen Fleiße abnöthigt. Der südliche Theil dieses Garten- und Ackergeländes besteht nämlich fast nur aus Quarzsand, der nördliche bessere ist aus Keupersand und Moorboden gemischt, Kiesgerölle und loser rother Kalkmergel, von den Gärtnern Zinter genannt und sehr gefürchtet, bilden in der Regel den Untergrund. Im reinen Sandland werden die Cerealien, selbst Weizen, gebaut; das sandige Moorland ist der Mutterboden der Gemüse. Das Letztere ist das eigentliche bewundernswerthe Schöpfungsfeld der Bamberger höheren künstlichen Bodencultur, obgleich es, selbst in seiner besten Beschaffenheit, nur ungefähr den vierten Theil der Gesammtarea ausmacht. Dem Fleiße und der unablässigen Düngung sind die Bodengestaltung der Gegend und das gesunde, laue, selbst den Weinbau fördernde Klima begünstigend entgegen gekommen. Bei der allzugroßen Parcellirung des an und für sich nicht bedeutenden Areals kann selbst der fleißigste Gärtner durch den Betrieb des Gartenbaues allein nicht reich werden. Die Wenigen reichen Gärtner sind auf andere Weise zu Vermögen gekommen. Diese besitzen freilich zwanzig bis vierzig Tagewerke Felder und Wiesen und treiben für die hiesigen Verhältnisse ziemlich bedeutende Viehzucht (8 Kühe und 4 Ochsen). Eine weit größere Anzahl von Gärtnern ist Besitzer von einem Tagewerk Waizen, Viehfutter und Korn, von zwei Tagewerken Kartoffeln und hat in der Regel Antheil an den Marktfeldern (Gemüseland); diese halten vier Kühe und zwei Ochsen. Die dritte und zahlreichste Classe besitzt höchstens ein bis zwei Tagewerke Korn- und Kartoffelfelder, arbeitet um Tagelohn und hat zwei Kühe und höchstens einen Ochsen. Die meisten der kleinen Gärtner besitzen gar kein Land und erwerben ihren Lebensunterhalt auf Pachtfeldern und durch den Vertrieb der Gemüse, die sie von den Wohlhabenderen entnehmen.

Bei Grundtheilungen behält der Familienvater meist nur den Kindestheil, den er gewöhnlich von seinen Kindern bearbeiten läßt oder ihnen in Pacht gibt; der Sohn erhält bei seiner Verheirathung ein oder zwei Grundstücke. Diese haben sehr verschiedene Preise. Während der Körnerboden (Sandfelder) 50 bis 300 Gulden der Morgen kostet, wird der Gemüseboden (Marktfelder, Moorboden) je nach Lage und Güte zu 400 und 1200 Gulden gekauft. Die Parcellen liegen in der Flur außerordentlich weit zerstreut.

Nirgend wird wohl Dünger mehr geschätzt, als in der Bamberger Gärtnerei, und da die Erzielung der Gemüse das Hauptbestreben ist und Halmfrüchte kaum mehr, als für den eigenen Bedarf, gebaut werden, so fehlt die gehörige Einstreu und muß gekauft werden. Senkgruben werden in der Stadt gepachtet oder gekauft und Alles, was geeignet ist, zu Dünger verwendet.

Die Bamberger Gemüse werden durch den Kunstbau zu einer Fülle, Größe und Zartheit gebracht, von welcher man anderswo keine Ahnung hat. Dafür ist dieses delicate Erzeugniß der Natur und Kunst aber auch überall gesucht und bevorzugt, wohin es die emsigen Gärtnerfrauen führen. Wahrhaft in Erstaunen setzt die Größe des Kopfkohls, des Blumenkohls, die Schönheit und Zartheit des Rosenkohls, des Wirsings, Schnittkohls und des Kohlrabi. Von all’ diesen Kohlarten werden fast alle Species erzeugt. Ferner alle Arten Rüben, von der kleinen baierischen Teltower bis zur rothen Einmachrübe und großen Runkel. Ebenso ausgezeichnet sind der Knollensellerie, die Schwarzwurzel, die Petersilie. Radieschen und Rettige gelten hier für wahre Delicatessen. Salatliebhaber werden von allen Bamberger Salatarten in Entzücken versetzt und die Spargeln der Gärtnerei sind als classisch gefeiert. Was soll man von der Süßigkeit und Zartheit des Spinats, was vom pikanten Reiz der Zwiebeln und Lauche, der Angelika und des Meerrettigs sagen? Ueberall verkörperte Poesie für Auge und Zunge, aber eine Dithyrambe verdienen die Gurken, große und kleine, in welchen auch die Melonen und Kürbisse mit besungen werden müssen. Männer, welche die Poesie der Küche verstanden haben, wie der Deutsche von Rumohr und der Franzose Grimod de la Reynière, würden diesem herrlichen Stoffe sein Recht widerfahren lassen, wie der Bildhauer dem Marmorblocke. Es versteht sich von selbst, daß die Küchenkräuter nicht fehlen: Koriander, Senf, Kümmel, Anis, Liebesäpfel, Fenchel, Körbel, Raute, Minze, Garten- und Brunnenkresse, Majoran, Basilikum, Bohnenkraut, Thymian, Melisse, Borangen etc. Ich eile über die köstlichen Bohnen, als Wachs- und Schwertbohnen, Feuerbohnen, Buschbohnen, Puffbohnen, grüne und Golderbsen, Späterbsen und Linsen hinweg, um noch ein Wort über das hier gebaute Süßholz, die Freude der Kindheit, zu sagen.

Es wächst auch Kalmus und Eibisch hier, aber ich spreche nur vom Süßholz. Griechisch heißt es Glykyrrhiza oder Glykyrrhizon, daraus haben die Römer Liquiritia und aus diesem Worte die Deutschen Lakritze, die Franzosen aber Reglisse gemacht. Das ist denn nun der braune eingedickte Süßholz- oder Lakritzensaft, die braune Reglisse, der Lederzucker, die Leckerei der Kinder und das alte bewährte Hausmittel für Verschleimung und Katarrh. Die Süßholzpflanze ist ein Strauch oder vielmehr mannshohes Bäumchen mit rundlichen Blättern, denen der Akazie ähnlich. Die Wurzel, das eigentliche Süßholz, wächst eben so tief in die Erde, und es galt sonst als Meisterstück des Gärtners, sie unverletzt auszugraben. Die Blüthe ist weiß und blau – die baierischen Landesfarben. Durch den Süßholzbau war Bamberg im Mittelalter berühmter, als durch seinen Fürstbischof; ja dieser machte im 16. Jahrhundert anderen Fürsten Geschenke mit der bittersüßen Wurzel dieses Strauchs und seinem Decoct. Die zweite Stadt in Deutschland, welche mit Bamberg den Süßholzbau betrieb, war Erfurt, das überhaupt nicht allein im Gemüsebau und Samenhandel Aehnlichkeit mit Bamberg hatte und zum Theil noch hat. Jetzt hat der Anbau dieser Arzneipflanze sehr abgenommen, da andere Producte mehr Vortheil gewähren. Doch werden jährlich noch an 350 Centner davon gebaut.

Die ehemalige hohe Wichtigkeit des Süßholzbaues beweist auch eine Volkssage oder Kirchenlegende, welche die Cultur dieses Officinalstrauches in unmittelbare Berührung mit dem frommen Erbauer des Bamberger Doms und Stifter des Bisthums, dem Kaiser Heinrich II., bringt. Da nämlich die Süßholzpflanze nur in einem ganz bestimmten und scharf abgegrenzten Strich gedeiht, wie man mich versicherte, so berichtet die Sage, es wächst nur so weit, als Kaiser Heinrich spazieren gegangen ist. Der in Bamberg kirchenmythisch [644] gewordene Kaiser ist übrigens eine ganz andere verhimmelte Figur, als jener letzte Sproß des Sachsenstammes in der Geschichte, der sich einsichtsvoll und thatkräftig erwies. Daß man ihn nun vollends zum Vater des Süßholzes gemacht hat, klingt wie eine unbewußte Volksironie.

Sonst wurde an den Berghängen im Westen und Nordwesten der Stadt auch viel Wein gebaut, seit aber zu Ende des vorigen Jahrhunderts das Bamberger Bier berühmt und stark ausgeführt wurde, trat die Hopfenranke an die Stelle der Weinrebe. Der Obstbau ist ziemlich stark. Dürres Obst, vorzüglich Zwetschgen, und Nüsse werden viel ausgeführt.

Der Vertrieb der grünen Waare fällt fast ausschließlich den Frauen anheim, und sie werden dazu erzogen. Schon seit undenklichen Zeiten haben die Bamberger Gärtnerfrauen mit ihren schmackhaften und billigen Erzeugnissen fremde Märkte und Städte besucht. Sie fuhren mit ihren Ochsenwagen, oder gingen mit ihren Tragkörben in den Thüringer- und Frankenwald und in’s Fichtelgebirge, nach Ober-, Mittel- und Unterfranken, und frequentirten in diesen Länderstrichen die Märkte geradezu aller Städte. Jetzt benutzen sie die Eisenbahnen und haben ihre Erwerbsthätigkeit schon auf das ferne München ausgedehnt. Die neue Werrabahn wird sie wahrscheinlich auch in das westliche und östliche Thüringen führen, und sie werden den Erfurter Gärtnern Concurrenz machen. Schwierigkeiten scheint es kaum für sie zu geben. In dem großen angedeuteten Umkreise sind sie bekannt und beliebt, als wenn sie in jeder Stadt zu Hause wären.

[656] Früh um drei, spätestens um vier Uhr wandert der Gärtner mit dem Spaten der Stelle zu, auf der den Tag über sein Fleiß sich bewähren soll. Gegen sechs Uhr sind die Marktfrüchte schon in den Händen der Frau, die nun ihrerseits die Kunden bedient. Bis um zehn Uhr werden auf dem Felde die anstrengendsten Arbeiten verrichtet. Da bringt eine daheimgebliebene Tochter das sehr einfache Frühstück. Sie hat ihrerseits auch Eile nöthig. Zu Hause muß sie erst die Wirthschaft besorgen, dann Vater und Geschwister im Felde, endlich die Mutter auf dem Markte mit Stärkung bedenken. Von Mittagessen ist nicht viel die Rede; die frugale Speisung wird gewöhnlich mit kurzer Rast auf dem Felde eingenommen. Hier und beim Dreiuhrbrod spielt ein großer Krug mit, der gewöhnlich von den Kindern gefüllt herbeigetragen wird und dem fleißigen Arbeiter das ersehnte Labsal spendet. Aber er enthält nicht etwa gutes Bamberger Bier, ach nein! Nur zum achten Theil ist Bier die Mischung, sieben Achtel sind „Heinslein“, Kovent, die Maß zu zwei Pfennigen. Erst der Abend setzt dieser Thätigkeit ein Ziel; im Sommer zieht die Familie zwischen fünf und sechs Uhr auf den schmalen Feldpfaden ihrer bescheidenen Wohnung zu. Nun beginnt nicht Ruhe und Genuß, sondern – die Arbeit des Hauses. Das Vieh wird besorgt, der Marktgang für den folgenden Morgen vorbereitet und die kleinen Geschäfte der Haushaltung verrichtet. Erst um acht Uhr wird die Abendmahlzeit eingenommen, oft nur die dampfende Kartoffel in der Schale auf den Tisch ausgeschüttet, oft Klöße von so kräftiger Substanz, daß ihre Verdauung den verzärtelten Culturmenschen zur Verzweiflung bringen, daß ein Wurf damit an seine Schläfe ihn tödten würde. Aber diese Kinder der Arbeit würden Steine verdauen. Und nun sinken sie sogleich dem stärkenden Schlafe in die Arme. Da ist von keinem Vergnügen die Rede. Dieses tritt bei den Burschen Dienstags und Donnerstags Nachmittags in seine Rechte; der Sonntag ist natürlich der Dritte im Bunde. Der Hausvater muß sich in der Regel mit dem letzteren Tage als dem Tage des Herrn im doppelten Sinne begnügen. Da wird dann freilich dem Gerstennektar Oberfrankens die gebührende Ehre erwiesen. Daß er dann dem Geiste Flügel ansetzt, indem er den Beinen schadet, mag wohl vorkommen. Wie sehr ist den braven Leuten solch’ erhebendes Gefühl zu gönnen!

So leben sie Tag für Tag, Jahr aus, Jahr ein, das Leben durch in Arbeit und Mühe, in Mangel und Entbehrung, schlichte, biedre Menschen, die uns die höchste Achtung vor der deutschen Arbeit abnöthigen. Sie haben sich diese Achtung auch in Amerika verschafft, wohin die Stürme der neuesten Zeit viele verschlagen; denn die Jahre 1848 und 1849 regten diese kernigen, markigen Naturen sehr auf und es fehlte damals nicht viel, daß sie der bestehenden Ordnung gefährlich geworden wären.

Ihre Tracht hat keine Erinnerung mehr an ihren slavischen Ursprung bewahrt, wie bei den Hummelbauern; sie sind eben städtische Land- und Gartenbauern. Die Frauen sind durchgehends bunt gekleidet und mit dem rothen Kopftuche versehen, dessen Zipfel in den Nacken herabhängen. Die abscheuliche fränkische Flügelhaube, „Bamberger Barthaube“ genannt, die man noch vor zwanzig Jahren zu sehen Gelegenheit hatte, ist jetzt gänzlich verschwunden. Die Männer gehen Sonntags und bei kirchlichen Feierlichkeiten in langem blauen Ueberrocke mit kurzer Taille und rundem schwarzen Filzhute; die Burschen in kurzen Jacken und Kappen. – Die Tracht verallgemeinert sich hier wie überall.

Die Häuser der Gärtner sind meist einstöckig und sehr einfach; nur die Reichen haben zweistöckige Häuser, in welche auch der moderne Luxus eingewandert ist. Der Aermere begnügt sich mit dem bescheidensten Mobiliar. Die Viehställe liegen stets in der Nähe und sind meist in musterhafter Beschaffenheit. An das Haus stößt der große Garten mit dem Ziehbrunnen, gewöhnlich von sehr alter Construction. Die Straßen der Gärtnerei sind begreiflicher Weise tagsüber zum Erschrecken leer und einsam. Selbst die Kinder wandern aus der Schule auf das Feld. Der Säugling schläft dort in einem Marktkorbe unter dem schnell improvisirten Dache eines umgestürzten Wägleins. So werden sie von Kindheit an an Wind und Wetter gewöhnt und abgehärtet. In die Arbeit werden sie gleichsam spielend eingeführt.

Die früheren urkräftigen Sitten und scharfeckigen Umgangsformen der Gärtner haben Zeit und fortschreitende Cultur gesänftigt und abgeschliffen, namentlich sind die Frauen auf dem Markte durch den steten Umgang mit allerlei Menschen sehr gewandt, freundlich und höflich. „Höflich?“ hör’ ich manchen Leser verwundert fragen; „die Bamberger Gärtnersfrauen haben ja weit und breit den [657] etwas zweifelhaften Ruhm des Gegentheils!“ Gewiß, es ist etwas an der Sache, es liegt diesem Ruhme, den wir besser Ruf nennen wollen, etwas Positives zu Grunde. Wenn sie untereinander oder mit Leuten ihres Standes verkehren, so ist ihre Wortstellung allerdings keine gewählte. Es hat sich bei ihnen noch jene specifisch deutsche Art unserer Vorfahren, sich schlicht und recht mit ungeschminkter Geradheit auszudrücken, erhalten, jene primitive, barocke, handliche Redeweise, die ihre aus der nächsten Umgebung genommenen Bilder und Vergleiche mit originell kräftigen Pinselstrichen hinstellt. Wie z. B. Martin Luther in seinen polemischen Schriften seine Gegner – und wenn sie Könige und Fürsten waren – in einer gar köstlich derben, mit kräftigen Brocken gewürzten, mit pikanten Speckstücken gespickten Sprache bediente, daß uns beim Lesen die Augen übergehen, so hat sich auch noch etwas von der ursprünglichen naiven Ungebundenheit der Altvordern in der Ausdrucksweise

Bamberger Gärtner am Abend – Gebet beim Vesperläuten.

der Bamber Gärtner erhalten. Sie wissen noch nichts von der Lüge der Civilisation, diejenigen am höflichsten zu behandeln, die man am wenigsten leiden mag. Sie sagen’s noch mit altdeutscher Biederkeit und angemessenen Worten, zuweilen sehr originell und drastisch, gerade heraus, wie’s ihnen um’s Herz ist. Gedanke und Wort ist bei ihnen eins; sie wägen nicht ab, sie wählen nicht, sie überlegen nicht, so daß es freilich in Franken zum Sprüchwort geworden ist: „ein Mundwerk haben, wie eine Bamberger Gärtnersfrau.“

Diese Originalität, die oft einen Kreis unparteiischer Hörer herbeilockt und mit Heiterkeit erfüllt, entspringt aus dem gerechten stolzen Selbstbewußtsein ihres Werthes, aus der übersprudelnden Fülle ihrer geistigen und körperlichen Kraft. Sie fühlen sich berechtigt, jede Ungebührlichkeit mit derben Worten zurückzuweisen. Wer so fleißig ist, wie sie, darf auch so – gerade heraus sein, wie sie. Das Letztere sind sie nie ohne Veranlassung. Im Gegentheil! Darum halt’ ich die Behauptung fest: sie sind höflich, freundlich, mittheilsam; nur reizen darf man sie nicht. Die Männer sind dagegen um so schweigsamer. Der Gärtner läßt sich selten in eine Unterhaltung ein. „Guten Tag, guten Weg!“ das ist Alles. Die Wahrheit „Zeit ist Geld!“ sitzt ihm in Fleisch und Blut.

Im Hause des Gärtners herrscht noch ein gut Stück patriarchalisches Regiment. Der Vater ist Herr im Hause. Frau und Kinder, selbst die erwachsenen, folgen ohne Widerrede seinem Befehle. Er ordnet die Arbeit an, er weist die Familienglieder nach dem Maße ihrer Kräfte ein. Die Strenge waltet vor und in ihr thut sich die Liebe kund, und die Familie hängt mit schmuckloser Innigkeit aneinander. Zu der Arbeit suchen Alle die größte Ehre. Knaben wetteifern, schwere Lasten auf dem Schiebekarren zu fahren; mit dem zwölften Jahre dreschen sie schon.

Im „Bamberger Hofe“ hatten wir die schönste Gelegenheit, uns vom unvergleichlichen Wohlgeschmack der Bamberger Gemüse und des fränkischen Fleisches zu überzeugen. Wir speisten mit einer Dame aus Coburg, welche mit vieler Erfahrung und Geschmack uns auf die Vorzüge der hiesigen Producte im Detail aufmerksam machte. Sie versprach uns, am folgenden Morgen unsere Begleiterin und Cicerona auf den Markt, in die Gärtnerei und auf die Felder zu sein. Einstweilen erzählte sie uns auf sehr anziehende und unterhaltende Weise von einem köstlichen, alljährlich im September abgehaltenen Volksfeste ihrer Vaterstadt, die Coburger Zwiebelkirmeß oder der Zwiebelmarkt genannt, welches vorzüglich von den Bamberger Gärtnersfrauen illustrirt wird.

Das muntere Coburger Stadtkind berichtete mit rührender Innigkeit und köstlichem Humor:

„Vom Spittelsthore bis zum Ketschenthore, den ganzen Steinweg und die Ketschenstraße entlang, sind da Berge von Zwiebeln, [658] Krautköpfen von fabelhafter Größe, Gurken, Sellerie. Lauch, gelben Rüben, Cichorien etc., mit einem Worte, der ganze Bamberger Gemüsereichthum in augenfälliger Anordnung aufgehäuft. Dazwischen die ehrenwerthen Bamberger Gärtnerfrauen in ihrer stolzen Würde, in ihrem anerkennungswerthen Selbstgefühl mit Wannen voll Obst und Weintrauben. Sie kamen mir in ihrer malerischen Tracht, in ihrer großen Beweglichkeit und Zungenfertigkeit in der Mitte dieser künstlichen, köstlichen poetischen Berge, die Auge und Nase zugleich ergötzten und Zunge, Gaumen und Magen noch größeres Ergötzen, angenehme Befriedigung, behagliche Sättigung versprachen, wie ländliche Musen in theatralisch aufgebauten Musenbergen vor, geschickt einen heutigen Virgil zu einer modernen Georgica zu begeistern. Und in der That hat es mich oft Wunder genommen, daß kein Bamberger oder Coburger Dichter uns mit einem großen Gedicht über den Gartenbau, nach Art des Virgil’schen über den Feldbau, beschenkt und darin all’ die classischen Erzeugnisse der Bamberger Flur, vorzüglich das Süßholz, verherrlicht hat.

„Die Maler sind da mehr dem Zuge ihres Herzens gefolgt. In der benachbarten berühmten Pommersfeldner Gemäldegallerie hängen unvergleichlich gute Stillleben, auf welchen die Bamberger Gemüse ihre künstliche Verherrlichung erfahren haben. Leider fehlen aber die ruhmreichen Gärtnersfrauen auch auf diesen Bildern, die doch durchaus zu Kohl und Kraut gehören, wie Daphne zum Lorbeerbaume. Dadurch kommt die Nachwelt um die richtige Vorstellung von der majestätischen Flügelhaube, die diesen interessanten Frauen ein so imposantes Ansehen gab, und die in meiner Erinnerung ganz mit ihnen verwachsen ist.

„Welch ein buntes Leben und Weben in den Straßen und in den Häusern, in Höfen und Ställen! Welch ein malerisches, stets wechselndes Treiben der Landleute und Städter! Alle Welt kauft ein für den Winter. Zwiebeln und Kraut werden in ungeheuern Säcken verladen. Der ganze große Markt ist in Bratwurstdampf und Duft gehüllt. Die wurmartig gefüllten Därme schmoren und broddeln aus den Rosten. Alle Welt schmaußt Bratwurst und Gurkensalat. Mit dem Dufte der Bratwürste mischt sich der der Gemüse, welcher alle Straßen erfüllt. Ganz Coburg riecht wie Bamberg, und der strengste Stoiker würde dadurch verführt werden, selbst auf die Gefahr einer Indigestion, über den Appetit zu essen. Alle Welt in den Häusern der genannten Straßen ladet ein, bäckt Kuchen; die Kaffeemühle schnarrt in jeder Küche, der Kaffeekessel wallt dazu, Tassen klappern; hie und da versteigt man sich zur Chocolade. Das Mundwerk bleibt nicht hinter Mühle und Kessel zurück. Das schwatzt, schnattert, lärmt, feilscht, schreit, lacht, schimpft, jubelt in den Häusern, auf der Straße, und das starke Bier verstärkt das Brausen des allgemeinen Chorus. Aber die Stimme der Bamberger Gärtnerin übertönt alles Geräusch. Die Flügel ihres Hauptes sind Symbole der Flügel ihres Stimmorgans.

„Das ganze Coburger Ländchen freut sich auf die Zwiebelkirmeß; sie ist das schönste Volksfest im Jahre, und den Kindern ist sie das Vorspiel des Weihnachtsfestes. Wir kleine Welt hatten kein Interesse an Zwiebeln und Kraut, unsere Kindsköpfe dachten nur an das Bamberger Süßholz. O, Du, gleich der Zauber- und Springwurzel des Märchens, Sehnsucht der Kinderseele, helle, köstliche Freude der Unschuld! Süßholz, unvergeßliches Wort, das mir noch heute den schönsten Traum der Kindheit vor das innere Auge zaubert! Süßholz und Johannisbrod, Du Dioskurenpaar am Jugendhimmel!

„Die oft mannslange Wurzel des Süßholzes ist entweder in Kränze oder Peitschen geflochten, jene für die weibliche, diese für die männliche Jugend. Die Kränze haben die Form der Dornenkronen auf dem Eccehomo oder dem Bilde des Gekreuzigten, aber so wie sie ohne Dornen, so sind die Peitschen ohne Strick. Köstliche Mädchenlust mit der Süßholzkrone im flatternden Haare durch die Straßen zu laufen. Köstliche Knabenlust, sich mit der Süßholzpeitsche gegenseitig einige Hiebe zu versetzen, und dann aus Krone und Peitsche gemeinschaftlich den bittersüßen Saft zu saugen! Dorn und Strick fügt das spätere Leben hinzu, und läßt allein die Bitterkeit zurück. O könnten doch alle Dornenkronen und Peitschen, mit welchen wir großen Kinder beglückt werden, auf so genußreiche Weise beseitigt werden!

„Schön ist der Zwiebelmarkt bei schönem Wetter, aber noch interessanter ist er bei schlechtem. Regnet es, was vom Himmel will, und dies ist oft der Fall, so heißt der Markt „die Zwiebelsuppe.“ Der flüssige Koth, worin alle möglichen Gemüseblätter, Wurzeln und Süßholzstückchen als Brocken schwimmen, reicht bis an’s Schienbein; Regenschirm steht an Regenschirm; die Ketschengasse ist nicht breit; hüben und drüben die Bamberger mit ihren Miniaturchimborasso’s von Gemüsen, in der Mitte der Weg so vollgestopft, daß sich Niemand bewegen kann. Lachen, Lärm, Fluchen und Jauchzen in der breiten fränkischen Mundart. Plötzlich ein improvisirtes Drama! Originelle saftige Ausdrücke, eine Fluth von Schimpfwörtern, Gelächter, Beifallsruf; darauf lauteres Rufen, kühneres Schelten, homerische Wendungen und homerisches Gelächter. Beifallssturm. Alles laut und lauter, drastisch farbenfrisch, poetisch prächtig. Und der Kern des Volksschauspiels? Eine Bambergerin weist auf ihre nationalkräftige Weise das Mindergebot eines Bauers aus dem Itz- oder Lautergrunde zurück.

„Die Coburger Damen an den Fenstern sind ungemein geputzt; die kleinen Jungen haben die Sonntagshosen und Jacken an; die Mädchen weiße Kleider mit grünen Schärpen. So werden sie massenweis in Reih und Glied zur wohlthätigen Fee geführt, die Kronen und Peitschen an sie vertheilt und Aepfel, Birnen, Pflaumen und Weintrauben hinzugefügt. Alles schwimmt in Lust und Freude. Der Herbst schüttet durch die Hand seiner Gesandtin, der Bamberger Gärtnersfrau, sein ganzes Füllhorn über Coburg aus. Und ich sollte euch nicht lieben, ihr wohlthätigen Feen, die ihr mir die schönsten Stunden meiner Jugend geschenkt habt? Wahrlich, heute möchte ich mit Thränen der Rührung im Auge ausrufen: „Schöner Traum der Kinderjahre, kehr’ noch einmal mir zurück!“

Am andern Morgen gingen wir früh auf den Markt. Noch ein Begleiter hatte sich zu uns gefunden, mein trefflicher Landsmann, Meister Eduard Schade, der rühmlich bekannte Maler aus der Schmit’schen Kunstanstalt. Da saßen sie schon, so weit uns das Auge trug, bis über die untere Brücke in die jenseitige Stadt hinein, eine bunte lachende Reihe, die trefflichen Gärtnerinnen. Waare und Verkäuferinnen waren um die Wette preiswürdig. Aber auch uns lachte die helle Freude aus den Augen, und der Mund lief uns voll Wasser über die herrlichen Erzeugnisse der Gartenkunst. Wir plauderten mit den stattlichen Frauen; wie köstlich standen sie uns Rede! Wie verständig waren ihre Worte! Wie dienstwillig zeigten sie sich uns! Sie sprachen von ihren Kindern, von ihrem Vieh. Die Eine hatte einen blonden Knaben im Korbe neben sich schlafend liegen. Sie sagte, es gäbe kein größeres Glück, als ein paar hübsche Kinder und ein paar hübsche Milchkühe. Sie hatte Beides; sie war glücklich. Endlich hatte ich einen glücklichen Menschen gefunden; ich strich den Tag in meinem Kalender roth an.

Vom Markt gingen wir in die Gärtnerei. Wir traten mit seltner Befriedigung in die einfachen Wohnungen dieser durch nützliche Arbeiten glücklichen Menschen. Sie führten uns in die Gärten und zeigten uns die Cultur der Gemüse. Wir wurden äußerst freundlich über Natur und Wesen, über Wartung und Pflege dieser Küchengewächse belehrt. Unsere Coburgerin verstand es, die Leute, die sonst etwas mißtrauisch gegen Fremde sein sollen, zutraulich und gesprächig zu machen. Was sie begonnen, vollendete Dr. L. So hatten wir einige sehr genußreiche Stunden. Meister Schade zeichnete die Gärtnersleute für mich, wie sie das Gemüse putzen und für den Markt verladen. – Scheidend drückten wir ihnen die Hände, sie waren so hart von Schwielen wie eiserne Zangen.

Nachmittags ließen wir uns in die Felder hinausführen, die von den Eisenbahnen durchschnitten sind. Sie dehnen sich weit aus bis an den Hauptsmoorwald und den Breitenauer See, eine Ebene, deren hohe Cultur durch tausendjährigen Fleiß erstrebt war, und die ich mit ähnlichen erfurchtsvollen Gefühlen durchschritt, wie früher das Leipziger Schlachtfeld.

Ueberall fleißige Menschen und überall die Früchte, die die gütige Allmutter ihrem Fleiße grünend und blühend, üppig geschwellt und fleischig nahrhaft darbot. Wie viele Tausende werden davon gesättigt, gelabt, vergnügt! Die Sonne sank hinter die Altenburg und verklärte scheidend die schöne Stadt und das grüne Gartenfeld. Die Vesperglocke ertönte. Der Spaten entsank den Händen, damit sie sich falteten. Auch ich betete: „Aller Augen warten auf Dich, Herr, und Du gibst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit.“ – Meister Schade zeichnete die Scene.