Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Schiffs-Fischerei mit Dampf
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 648–650
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[648]
Schiffs-Fischerei mit Dampf.
Der eiserne Dampf-Derrick in London.

Das unersättliche Meer, wie viele Menschen und Güter verschlingt es jährlich, ja täglich, ohne je satt zu werden! Im Jahre 1857 verunglückten um die englischen Küsten allein 1141 Schiffe mit 176,544 Tonnen Gütern. Die Menschen, die mit diesen 1141 Schiffen verunglückten oder ertranken, werden dabei gar nicht besonders beachtet. Blos wenn, wie neulich in dem verbrennenden großen Hamburg-Newyorker Dampfer von 500 Menschen über 450 auf einmal doppelt umkommen, verbrennen und ertrinken, nimmt die Presse Notiz davon.

Nach Berichten aus allen Häfen und Meeren der Welt hat man angenommen, daß jährlich im Durchschnitt 20,000 Fahrzeuge auf dem Meere verunglücken, damit 10 Millionen Tonnen oder 200 Millionen Centner Waaren oder Güter und mehr als 100,000 Menschen. Von Letzteren kann Niemand gerettet werden, wenn er einmal den Meeresboden berührt und Millionen Einwohner der salzigen Fluth zur Mahlzeit eingeladen; aber von den Schiffen und deren Gütern, die der Tiefe verfallen, könnten im Durchschnitt zwei Drittel wieder auferstehen, wenn man ihnen nur eine kräftige, hülfreiche Hand von oben zu reichen verstände. Daran fehlte es bis jetzt.

Nun aber nicht mehr.

Die Amerikaner haben einen Auferstehungshebel für diese Schiffe und deren Güter erfunden und bis jetzt mit dem überraschendsten Erfolge angewandt. Die Engländer machen’s ihnen nach und zwar mit der Aussicht, daß sie von den im vorigen Jahre verunglückten 1141 Fahrzeugen mindestens 800 retten, emporziehen, ausbessern und wieder gebrauchen können. Für solche Auferstehungshebel hat sich eine patentirte Compagnie gebildet, die den Namen „Patent Derrick Company“ führt und unlängst den ungeheuersten, eisernen Koloß von „Derrick“ im Osten von London, unweit des trauernden „Leviathan“, vom Stapel laufen ließ.

Ein Derrick?

Was ist das? Etwas ganz Neues, namentlich für uns „Landratten.“ Selbst 99/100 der Londoner Bevölkerung staunten ein ganzes Jahr lang und wunderten sich, als sie nach und nach ein fabelhaftes Ungeheuer von Eisen emporsteigen sahen. Es ist 12 Fuß breiter, als der ganze Leviathan, und so merkwürdig von Gestalt, daß man sein Lebtage rathen kann, ohne das Richtige zu treffen, wenn’s uns kein Eingeweihter sagt. Einige meinten, es sei ein [649] schwimmender Leuchtthurm, Andere wollten behaupten: ein Flotten-Katapult, ein Sturmbock des Krieges, um zunächst die Festungswerke von Cherbourg damit zu zerstoßen und niederzubröckeln.

Nein, es sollte ein Derrick werden und ist einer geworden, der größte. Aber was ist nun ein Derrick? Der Henker, ja zunächst der Henker Derrick, der berühmte amerikanische Henker Derrick, der die Kunst, bestimmte ihm übermachte Personen an einer zu engen Cravatte sterben zu lassen, ganz aus dem ff verstanden haben soll. In Folge davon nannte man auf Schiffen die Kreuzmaste, welche beim Laden und Löschen als Hebel und Krahne benutzt werden: Derricks. Aus Mangel an Tauftalent heißen nun auch die schwimmenden Maschinen mit großen Kreuzmasten, bestimmt untergegangene Schiffe heraufzuziehen und an’s Land zu bringen, Derricks. Die vollkommenste Art derselben, in Amerika patentirt, nennt man „Patent Boom Derricks“ („Boom“ ist der Hauptquermast auf Schiffen).

Der eiserne Dampf-Derrick.

Der englische patentirte Boom-Derrick ist sicht nur der größte Mechanismus der Art, sondern auch zum ersten Male durchaus von Eisen, der Hebel-Mechanismus von Schmiedeeisen.

Das Fahrzeug von unten, der Schiffsrumpf oder „scow“ hat hier keinen andern Zweck, als den ungeheuern Galgen zu tragen und ihm Festigkeit und Hebelkraft zu sichern. In der Mitte hat er eine rhomboidische Gestalt und läuft nach beiden Seiten spitz zu, mit Rudern hinten und vorn. Der Boden oder Kiel unten ist ganz gerade und platt, wie der Boden eines Fasses, um dem Wasser den möglichst größten Widerstand zu leisten, wenn es gilt, tausendtonnige Schiffe heraufzuheben. Daraus erklärt sich leicht die ganz von andern Schiffsformen abweichende Gestalt. Der ganze Rumpf unten ist ein ungeheueres Eisengerippe von 257 Fuß Länge und 90 Fuß Breite in der Mitte. Jede Rippe inwendig besteht aus mehreren Tonnen massivem Eisen. Das Rippengefüge ist inwendig so mit Eisenhaut überzogen, daß daraus 80 separirte, wasserdichte Zellen entstanden. Diese sind zunächst das Gerüst und Gerippe für den Herkules des Hebelns, dann dienen sie auf einer Seite, mit Wasser gefüllt, als Gegengewicht, wenn der Riese auf der anderen Seite ein gesunkenes Schiff heben muß.

Nun der Hebelapparat, der zunächst von den gewöhnlichen Krahnen dadurch abweicht, daß er nicht einen ein-, sondern zweiarmigen Hebel bildet, einen Wagebalken mit dem Stützpunkte auf der Haupt- und Mittelsäule, von den republikanischen Amerikanern Königs-Ständer, „King-post“, genannt. Dieser zweiarmige Hebel bietet manche Vortheile, besonders in der patentirten Structur. Man erreicht und vertheilt dadurch mehr Kraft, als mit dem einarmigen Krahnhebel. Der „Königsständer“ ruht, wie Figura zeigt, auf einer Pyramide von Eisensäulen, auf einem Kegel, dessen Spitze, im Umfange von 7 Fuß und hohl (es spielten einmal zwei Herren Schach darin), den schmiedeeisernen, 120 Fuß langen, 1600 Centner schweren Haupthebel, den Boom oder eigentlichen „Derrick“ trägt. Der Königsständer ragt 50 Fuß hoch über den Derrick empor und trägt ihn so, daß er sich frei auf seinem Stützpunkte drehen kann. Die Hälfte des Derricks, welche dem directen Hebelarme entgegengesetzt ist, wird durch massive Metalltaue mit dem Rumpfe unten verbunden und so, nach hier nicht zu erörternden mathematischen Gesetzen, die Anstrengung des Hebens über den ganzen massiven Eisenkörper vertheilt und zerstreut, so daß sie sich nicht auf einem einzelnen Punkte zerstörend und Kräfte überbietend geltend machen kann.

Die Hälfte des Derricks, welche direct als Hebel dient, ragt über die Seite des Schiffsrumpfes hinaus und ist oben mit zehn Partien von Hebelblöcken versehen, die, in Flaschenzugweise wirkend, jeder eine Hebekraft von 100 Tonnen ausüben. Ueber jeden der Hebelblöcke läuft eine Kette hinunter durch das Innere des Königsständers auf Spillbäume unten auf der entgegengesetzten Seite. Letztere, durch Dampf gedreht, üben nun durch diesen mächtigen Flaschenzugapparat eine Hebekraft von nötigenfalls 1000 Tonnen aus, so daß das mächtigste Schiff, welches im Wasser so viel von seinem Gewichte verliert, als es Wasser verdrängt, damit aus der Tiefe gehoben werden kann.

Das ganze eiserne Ungeheuer von 1200 Tonnen Gewicht, mit der Spitze der Königsständers mehr als 200 Fuß über die Wasserfläche [650] emporragend, geht gleichwohl nicht tiefer, als 30 Zoll, so daß es leicht, wie eine Wasserspinne, auf die seichtesten Stellen kriechen und dort sitzengebliebene oder gewrackte Schiffe erlösen kann. Zwei Dampfmaschinen bewegen die Füße dieser Spinne, eine große Menge lange, kleine Ruder, die nur einige Zoll tief eintauchen und durch ihre Menge und ihren gleichmäßigen Schritt eine Triebkraft ausüben, daß sich das Ganze nöthigenfalls schneller bewegen kann, als das erste ordinäre Dampfschiff. Die beiden Ruderdampfmaschinen haben 320 Pferdekraft, die Hebemaschinen 60. Das ganze Bauwerk, gleich einem Schiffe von 5000 Tonnen, kostet 45,000 Pfund. Es soll, wie man hofft, mindestens zwei Drittheile der 15 bis 20 Millionen Thaler, die jährlich allein an den englischen Küsten durch Schiffbrüche in´s Wasser fallen, wieder herausholen. Im Kleinen hat man schon die glücklichsten Versuche damit gemacht; die Anwendung im Großen ist in der alten Welt noch neu, aber in der neuen Welt alt. In Amerika holt man nicht nur seit langer Zeit gesunkene Schiffe mit solchen Derricks aus der Tiefe, sondern braucht sie auch bei großen Wasserbauten zur Hebung, Versenkung und Placirung ungeheuerer Steinblöcke, eben so in Häfen und auf dem Lande statt gewöhnlicher Krahne. 16 See-Derricks von Holz, mit einer Hebekraft von 2300 Tonnen, arbeiten in den Gewässern um und in Amerika schon seit Jahren mit dem größten Erfolge. Zwei solche Derricks haben bereits 400 gesunkene oder gestrandete Schiffe gehoben und gerettet, außerdem über 300 große Dampfmaschinen in neue Schiffe gehoben und placirt.

Vor einiger Zeit ging das weiland berühmte Schiff Ericsson von 2300 Tonnen, das den Dampf vertreiben und alle Maschinen mit heißer, verdünnter Luft bewegen wollte, in aller seiner Herrlichkeit und Schwere an der Küste von Neu-Jersey unter und wurde von einem dieser Derricks aus dem Grabe geholt, flott gemacht und dem Leben und Streben, sich von heißer Luft zu nähren, wiedergegeben.

Bisher hat man manches untergegangene Schiff durch Taucher noch auszubeuten gesucht, aber das ist langweilig, kostspielig und blos bis zu 15–20 Klaftern Tiefe möglich.

Mit diesen Derricks kann man in einem Zuge ganze Schiffe überhaupt aus fast jeder Tiefe herausholen, wenn nur die Hebelkette lang genug ist. Etwa sechs Mann sind im Stande, mit wenigen Kosten, binnen einigen Stunden jedes gesunkene Fahrzeug, das überhaupt noch zusammenhält, auf die Oberfläche des Wassers zu derricken, an’s Land oder überhaupt in Sicherheit zu bringen und dessen Schätze oder das Schiff selbst für die Lebenden nutzbar zu machen. Wir sehen daraus schon, daß diese neue Combination von Hebelkräften nicht nur technisch interessant, sondern auch industriell praktisch und mittelbar uns Allen, die wir uns noch über Wasser und Kirchhofsrasen halten, zu Gute kommen wird.