Kertsch, am cimmerischen Bosporus
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig. |
Der älteste griechische Sagenkreis macht den cimmerischen Bosporus zum Schauplatz der Thaten der Götter und Heroen. Die Herkules-Mythe knüpft ihre Fäden an seine Gestade; so jene der Iphigenia und der Argonauten. Auch in spätern Zeiten, während der Glanzperiode Griechenlands, blieb die herakleische Halbinsel in inniger Verbindung mit Hellas, und sowohl an der Küste des schwarzen Meers, als am Gestade der Meerenge, blüheten viele griechische Pflanzstädte. Es entstand ein bosporanisches Reich, das viele Jahrhunderte dauerte und den alten Verkehr mit Griechenland festhielt. Mit dem Untergang der griechischen Welt, weniger
[118] durch die Römer, als durch die scythischen Barbaren, löschte am Bosporus das griechische Leben aus, und es folgte eine Periode der Verödung. Erst als das byzantinische Kaiserthum unter dem Andrang der arabischen Völkerwogen zu wanken anfing, als deren Schwert die alten Leitfäden des Welthandels zerschnitt und diesen zum Aufsuchen neuer Bahnen zwang; als der Verkehr Asiens und Europa’s über Alexandrien und den Taurus aufhörte und er den Umweg auf dem Oxus durch das kaspische Meer, auf der Wolga und dem Don nach Constantinopel und den italienischen Handelsrepubliken eingeschlagen hatte, und die Genuesen an dem Canale, den dieser große Verkehr nicht entbehren konnte, Posto faßten, blühete auf ein paar Jahrhunderte hier noch einmal ein üppiges Leben, welches an alte Zeiten erinnerte. Später folgte Türken- und Tartarenherrschaft; sie legte den Fluch der Verödung auf die herrliche Landschaft. Es wurden nun aus den kornreichen Feldern dürre Steppen, die Handelsflotten waren nicht mehr zu sehen, die verwüsteten Städte wurden nicht wieder aufgebaut, nur graues Gemäuer am Ufer und auf den Bergen erzählte die Geschichte der Vergangenheit. Erst mit der jetzigen, der russischen Herrschaft hat für diese Länder eine neue Epoche begonnen. Jahrhunderte zwar mögen vergehen, ehe man ein Theodosia wieder sieht, wie das genuesische zur Zeit der Kreuzzüge, wo es das Constantinopel der Krim hieß und 150,000 Einwohner zählte; – doch ist ein Emporarbeiten und Besserwerden unverkennbar. Rußland sieht die Wichtigkeit des cimmerischen Bosporus zu gut ein, als daß es nicht alles Mögliche thun sollte, das Wiederaufblühen zu beschleunigen. Bisher war die Regierung vorzüglich bestrebt, einen Stapelplatz für den voraussichtlich unermeßlichen Verkehr zu bereiten, welcher hier seine Stätte aufschlagen wird, sobald der russische Adler das Kreuz auf die byzantinische Sophia zurückgetragen hat: – denn dann wird ein Canal Don und Wolga verbinden, dann wird der Handel Asiens mit Europa zur größern Hälfte diese Straße ziehen.
Für eine solche Zukunft hat Rußland sein Kertsch erbaut. Es wählte dazu die vortheilhafteste Stelle am cimmerischen Bosporus, den Ort, wo des Mithridat berühmte Hauptstadt, das alte Panticapäum, gestanden hatte. Noch ist Kertsch nicht groß; (es hat gegenwärtig etwa 5000 Einwohner): die mit dem Aufwande von mehren Millionen Rubel erbauten prächtigen Kaien, Magazine, Quarantainanstalten machen inzwischen die Absicht kenntlich, welche bei der Gründung der Stadt das russische Gouvernement leitete. Die Stadt selbst ist neu und mit vielem Geschmack gebaut; die Straßen sind sehr regelmäßig; alle durchschneiden sich in rechten Winkeln. Seit einigen Jahren müssen die nach dem asow’schen Meere gehenden Schiffe hier Quarantaine halten, und die Contumaz ist wahrhaft musterhaft. Ihre Lage ist luftig, heiter; sie ist ausgestattet mit allen Bequemlichkeiten, mit Billiardsalons, Bädern und schönen Promenaden.
[119] Die Lage von Kertsch ist äußerst reizend. Auf der einen Seite ist der Canal, durch welchen das asow’sche Meer seine Fluthen dem Euxinus zuwälzt; auf der andern ein Amphitheater von Bergen, deren zunächst gelegene Höhen die Sommerwohnungen und Gärten der zahlreichen russischen Beamten schmücken. Ein zierlicher Tempel krönt die Stelle, wo die prächtige Residenz der bosporanischen Könige stand, und ein zweiter, noch schönerer Bau steht auf einer hervorspringenden Terrasse. Er ist zu einem Museum für Alterthümer bestimmt, und ward für Rechnung des Kaisers aufgeführt. Nur Wälder fehlen der Landschaft. Die Berge sind kahl, und der Holzmangel ist einer der fühlbarsten für die Bewohner von Kertsch, welche ihren Feuerungsbedarf 15 Meilen weit herholen müssen.
Die Ufer des Bosporus waren von jeher als sehr reiche Fundorte von altgriechischen Alterthümern in Ruf, und vom Schönsten, was die Museen Genua’s, Venedig’s etc. etc. besitzen, stammt Vieles daher. Die meisten Funde werden in den Gräbern gemacht, die man öffnet. Aufdeckungen von größern Bauwerken aus altgriechischer Zeit wurden bisher nur wenige versucht, und da sie nicht sogleich beträchtliche Beute gaben, niemals durchgeführt. Die Tumuli (antike Grabhügel) sind äußerst zahlreich um Kertsch, und schon sie können beweisen, wie reich einst das Land und dicht bevölkert es war und welch ein kunstsinniges Geschlecht daselbst gewohnt hat. In mehr als hundert der in den letzten 50 Jahren aufgebrochenen Gräbern fand man goldene Zierrathen, die schönsten Vasen und Statuen von Bronze und Silber und viele andere Skulpturen, fast alle aus der besten griechischen Kunstepoche. Seltsamer Weise wurde erst im Jahre 1830 jener größere Hügel geöffnet, den eine uralte Sage des Volks als das Grab des Mithridat bezeichnet hatte, und den die Tartaren Altyn Obo, den Berg voll Gold, nannten. Der Fund rechtfertigte den Namen. In dem weiten Grabgewölbe, das noch Spuren von der prachtvollsten Dekoration zeigte, fand man einen solchen Schatz von goldnem Schmuck vortrefflicher, griechischer Arbeit, und dazu eine solche Menge von vergoldeten Bronzevasen und Geräthen, daß man damit allein ein Cabinet bilden konnte. Vieles davon fand im Kertscher Museum den schicklichsten Bewahrungsort; leider aber wurde auch sehr Vieles nach Petersburg geschafft, und Manches fand einen Weg zu Antiquaren und Kunsthändlern, von wo es sich in alle Welt zerstreute.
Von den altgriechischen Bauwerken um Kertsch hat nur Weniges der Zerstörung durch Zeit und Menschenhand getrotzt. Keiner verläßt aber die Gegend, ohne den Sitz des Mithridat bestiegen zu haben, eine aus dem Fels gehauene große Steinbank auf dem Gipfel eines nahen Berges. Dort, wo das Auge in ungemessene Ferne schweift und zwei Meere zugleich übersieht, wo so oft der Herrscher saß, um eines Blicks sein Reich voller Fruchtbarkeit und prangendem Wohlstande mit stolzem Selbstgefühle zu überschauen – wollen auch wir ausruhen, und einen letzten Blick auf diese gefeierte Gegend werfen. Siehe dort den schmalen, schillernden Wasserstreifen! [120] auf ihm schaukelten sich die Handelsflotten der griechischen Welt. Jene Küsten hallten wider von den Begebenheiten, welche die Welt erfüllten, und jene graue Reihe niedriger Schutthügel, sie ist der Leichenacker vieler Städte, denn in jedem Tumulus liegt ein einst blühender Ort begraben. Sieh’ dort, wo ein halb versunkener Säulencyklus die Kontur seiner verwitterten Gestalt an den Horizont hinzeichnet, dort findest du die Wiege jener wunderbaren Mythen, welche die Wanderung durch die Welt gemacht haben und unter der Hülle vielerlei Religionen durch alle Zeiten gingen: – dort that Herkules, der Volkszähmer und Staatengründer, seine Thaten. – Damals und Jetzt: – welch ein Zeitraum trennt sie! Denke die Namen, welche die Weltgeschichte an diese Landschaft knüpft, laß jeden Namen ein Buchstabe seyn, und alle Buchstaben sich zur Inschrift reihen, und kannst du jene lesen, welche Gottes Finger an’s Himmelszelt geschrieben hat, so wird dir auch diese keine Hieroglyphe seyn. –