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durch die Römer, als durch die scythischen Barbaren, löschte am Bosporus das griechische Leben aus, und es folgte eine Periode der Verödung. Erst als das byzantinische Kaiserthum unter dem Andrang der arabischen Völkerwogen zu wanken anfing, als deren Schwert die alten Leitfäden des Welthandels zerschnitt und diesen zum Aufsuchen neuer Bahnen zwang; als der Verkehr Asiens und Europa’s über Alexandrien und den Taurus aufhörte und er den Umweg auf dem Oxus durch das kaspische Meer, auf der Wolga und dem Don nach Constantinopel und den italienischen Handelsrepubliken eingeschlagen hatte, und die Genuesen an dem Canale, den dieser große Verkehr nicht entbehren konnte, Posto faßten, blühete auf ein paar Jahrhunderte hier noch einmal ein üppiges Leben, welches an alte Zeiten erinnerte. Später folgte Türken- und Tartarenherrschaft; sie legte den Fluch der Verödung auf die herrliche Landschaft. Es wurden nun aus den kornreichen Feldern dürre Steppen, die Handelsflotten waren nicht mehr zu sehen, die verwüsteten Städte wurden nicht wieder aufgebaut, nur graues Gemäuer am Ufer und auf den Bergen erzählte die Geschichte der Vergangenheit. Erst mit der jetzigen, der russischen Herrschaft hat für diese Länder eine neue Epoche begonnen. Jahrhunderte zwar mögen vergehen, ehe man ein Theodosia wieder sieht, wie das genuesische zur Zeit der Kreuzzüge, wo es das Constantinopel der Krim hieß und 150,000 Einwohner zählte; – doch ist ein Emporarbeiten und Besserwerden unverkennbar. Rußland sieht die Wichtigkeit des cimmerischen Bosporus zu gut ein, als daß es nicht alles Mögliche thun sollte, das Wiederaufblühen zu beschleunigen. Bisher war die Regierung vorzüglich bestrebt, einen Stapelplatz für den voraussichtlich unermeßlichen Verkehr zu bereiten, welcher hier seine Stätte aufschlagen wird, sobald der russische Adler das Kreuz auf die byzantinische Sophia zurückgetragen hat: – denn dann wird ein Canal Don und Wolga verbinden, dann wird der Handel Asiens mit Europa zur größern Hälfte diese Straße ziehen.

Für eine solche Zukunft hat Rußland sein Kertsch erbaut. Es wählte dazu die vortheilhafteste Stelle am cimmerischen Bosporus, den Ort, wo des Mithridat berühmte Hauptstadt, das alte Panticapäum, gestanden hatte. Noch ist Kertsch nicht groß; (es hat gegenwärtig etwa 5000 Einwohner): die mit dem Aufwande von mehren Millionen Rubel erbauten prächtigen Kaien, Magazine, Quarantainanstalten machen inzwischen die Absicht kenntlich, welche bei der Gründung der Stadt das russische Gouvernement leitete. Die Stadt selbst ist neu und mit vielem Geschmack gebaut; die Straßen sind sehr regelmäßig; alle durchschneiden sich in rechten Winkeln. Seit einigen Jahren müssen die nach dem asow’schen Meere gehenden Schiffe hier Quarantaine halten, und die Contumaz ist wahrhaft musterhaft. Ihre Lage ist luftig, heiter; sie ist ausgestattet mit allen Bequemlichkeiten, mit Billiardsalons, Bädern und schönen Promenaden.

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/206&oldid=- (Version vom 11.12.2024)