Der Katarakt der Sündenvergebung (der Poppanassum) in Indien
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(der Poppanassum)
in Indien.
Wir haben lange zusammen die Welt durchwandert und unser Traumbild menschlicher Weisheit ist verronnen. Ueberall sahen wir die nämlichen Mängel: nur das wie groß? und wie viel? war verschieden. Wir sahen allwärts das Recht, die Macht, den Reichthum zusammengehäuft bei einzelnen Menschen, oder Ständen, oder Kasten: – die Massen der Völker aber mehr oder minder arm, nackt ober leidend, und überall die Mehrzahl abhängig von den Wenigen, auch dann, wenn Charten und Constitutionen feierlich Rechtsgleichheit proklamirten. – Auch die Religionen sahen wir selten als Bildnerinnen, viel häufiger aber als Instrumente zur Verdummung der Völker, entweder im Interesse der Priester allein, oder zugleich in dem der Fürsten. Selbst die unvernünftigsten haben sich stets als ausschließliche Wahrheit verkündigt, und um so lauter ist solches geschehen, je mehr sie den reinen Urquell trübten, dem sie alle entsprungen sind, je mehr sie befangen waren in Irrthum; Unduldsamkeit aber fanden wir als ihr gemeinschaftliches Erbtheil. Doch so viel auch des Jammers wir gesehen, so hoch auch der Schutt des Mißbrauchs ist, der die unvertilgbare Saat allgemeinen Menschenglücks dergestalt zudeckt, daß sie nicht aufkeimen und emporwachsen kann: – so haben wir doch bei jedem Rückblick in den Zustand der Vergangenheit den Trost mit hinweggenommen, daß wenn auch die Menge der vorhandenen Uebel unübersehlich groß ist auf Erden, eine fortschreitende Verminderung derselben dennoch nicht geleugnet werden kann. Nur der Vergleich des Jetzt und Einst zeigt den Fortschritt Dem auch, welcher, in seinem Eifer für das Besserwerden, dem allgemeinen Fortrücken der Zeitgenossen immer voraus eilt, und dies oft so sehr, daß er wohl gar in Versuchung gerathen kann, an ein Rückschreiten des Geschlechts zu glauben. Es bleibt wahr, daß die Menschheit in jedem neuen Morgen einen glücklichren Tag werden sieht. Dieß ist begründet in der Ordnung, welche in der Welt der Wesen den Raum vom ersten Krystall an bis zum Menschen ausgefüllt hat.
[122] Solche Gewißheit eines stufenweisen Besserwerdens, welche über alle Zweifel erhaben ist, stille die Wogen empörten Gefühls, wenn dem Blicke Scenen begegnen, die und die Werke des Betrugs und der Verdummung an ganzen Völkern zeigen.
Zu einer solchen Scene führt uns das heutige Bild. Der Katarakt bei Puppanassum im Carnatik (2 Stunden von Tinevelly), ist der herrlichste in ganz Indien. Hundert und fünfzig Fuß hoch stürzt sich die gewaltige Wassermasse über die Felsen zum Abgrund. Was hat aber der Mensch aus diesem erhabenen Werke Gottes gemacht? Einen Tempel des Aberglaubens! Sicher schicken die schlauen Priester die Schaaren der Wallfahrer – nicht um die Herrlichkeit des Schöpfers in seinem Werke zu erkennen und zu ihm zu beten, sondern um sich vor ekelhaften Fratzen niederzuwerfen, welche lästernde Hände jenem Gotteswerke in’s Antlitz gemeißelt haben. Auch mancher christliche Wanderer zu den Muttergottesbildern in den Alpen denkt wohl nicht daran, den Herrn in seiner wunderschönen Bergwelt zu schauen, damit das Herz ihm aufgehe und er sich erwärme am Anblick der Gletscher und Schneefirnen. Er denkt vielmehr an Vergebung seiner Sünden! Ablaß und Absolution sucht hier auch der Hindu. Sein Priester lügt ihm vor: Bramah selbst spende an diesem Orte so allbarmherzig seine Gnade, daß hundert Menschengeschlechter in einem Tage von der Angst und Pein des Gewissens erlöst wären, wenn sie herkämen: – Denn seht, sagt er, jeder Tropfen dieser herabdonnernden Wassermasse, jedes Schaumbläschen hat die Kraft, die Menschen rein zu waschen von allem Schmutz der Seele. Einmal rein geworden, bleibt der Gläubige rein bis an’s Grab, und wenn er sich im Kothe der Verworfenheit und Schlechtigkeit alle Tage wälzte. – An den feierlichen Ablaßtagen drängen sich bei diesem geschändeten Werke Gottes viele Zehntausende zusammen, und eine Menge Priester sind gegenwärtig, welche die Opfer in Empfang nehmen, die man ihnen reichlich spendet. Auch außer der üblichen Wallfahrtszeit sieht man die fratzenhaften Gnadenbilder nie verlassen; man findet daselbst jeder Zeit Betende und Büßende aus den fernsten Theilen Indiens.