München, altes und neues
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„München ist die Residenz eines deutschen Kurfürsten. Seine Lage ist schlecht, seine Bauart nicht schön und das Entrée gar abstoßend. Hinter den Wällen gucken ein paar schlecht geformte Thurmköpfe und die Giebel von einigen Dutzend Gebäuden vor, und der stinkende Athem der breiten Wassergräben macht schon in der Ferne Ekel. In der Nähe hatten die vielen Schießscharten in den Mauern, die starken, mit Geschütz besetzten Bastionen und die dicken Thürme für mich etwas Unheimliches, und als unser Wagen über die hölzerne Wallgrabenbrücke und durch den langen, finstern Thorweg hinrasselte, dachte ich unwillkührlich an die dunkele Zeit des Feudalwesens und an ihre Gewaltherren. Auch das Innere Münchens konnte den übeln Eindruck nicht entfernen: winkliche Gassen, alte, häßliche, oft freskogemalte Häuser mit vorspringenden Giebeln, an denen nichts weiter zu bewundern ist, als die Menge der Fenster; die bessern altväterisch mit Stucco und meist geschmacklos verziert; hie und da Erker, wie ich sie in Augsburg und Nürnberg viel schöner sah. Hier ist Alterthümliches, ohne Pracht und ohne Sauberkeit, und daher ohne Reiz. Die Stadt soll etliche zwanzig tausend Einwohner haben. Das Schloß habe ich nur von Außen gesehen; die Architektur ist nicht zu rühmen. Ich wollte in die Kunstkammer, aber sie war nicht offen; der Inspektor war verreist.“
– – So beschreibt ein Reisender München im Jahre 1778. Wenn er heute wieder käme und sähe das München mit hundert tausend Bewohnern! –
Noch ist zwar in den Umgebungen des Schrannenplatzes das alte Stadtbild zu erkennen; aber was sonst die ganze Stadt gewesen war, das ist zum Stadtkern geworden, von dem sich die Quartiere des neuen Münchens nach allen Seiten hin aufthun. Wie in London noch das Bischofsthor bis auf den heutigen Tag steht, und die uralte City von der viermal größern Häuserwelt des Westendes scheidet, so hat auch München noch ein paar alte Thore; die Stelle der längst verschwundenen Festungswerke nehmen aber schöne Straßen ein, und in einem weiten, fast dreistündigen Umkreise wechseln Plätze und Promenaden mit den Zügen von großartigen Palästen und Monumenten. Auf dem rechten Ufer der Isar, in der sogenannten Vorstadt Au, reicht München von Bogenhausen bis Obergeising, fast anderthalb Stunden. Auf der entgegengesetzten, der westlichen Seite hat [124] sie ihre alten Mauerschranken nach allen Richtungen eine halbe Stunde weit übersprungen, nordwärts streckt sie sich bis Schwabing aus, oder wird durch den englischen Garten, den schönsten Park in Deutschland, an der weitern Ausdehnung nach dieser Seite hin gehindert. Aber die Schlösser und Landhäuser, welche stolz und zierlich über die Wipfel des Lustwalds ragen, oder da und dort eine Perspektive ausfüllen, verdecken auch hier die Begränzung der Stadt.
Der Totaleindruck des heutigen Münchens ist das Gegentheil von dem oben geschilderten: er ist anmuthig, freundlich, malerisch. München ist nicht wie manche andere große Städte, z. B. Prag, Mailand, Neapel, Paris, oder Amsterdam etc., ein Labyrinth enger, winkelvoller Gassen, wo ein paar Hauptstraßen und einige Reihen prächtiger Paläste hunderte von Sackgassen und Höfen verbergen, in welche nie ein frischer Luftzug dringen kann. Das Charakteristische der bayerischen Metropole ist vielmehr, daß die neuen Häusergruppen sich nach keiner Seite hin zu einer festen, compakten Masse einigen; die hie und da fortlaufenden Fronten der Neugebäude brechen meist plötzlich ab, Gärten und Anlagen treten dazwischen, und erst in größerer Entfernung sieht man neue Gebäudelinien aufgerichtet oder sich erheben. Dieß Vereinzeltseyn bringt zwar für die Bewohner der neuen Stadttheile manches Lästige mit sich; aber auf der andern Seite hat auch dieses Werden, Entstehen und Wachsen besondere Reize. Die Natur ist noch nicht verdrängt; es taucht das frische Grün noch zwischen den Häusern auf, und die schönsten Paläste verlieren nicht in solcher Umgebung.
Dieß ist das Totalbild des heutigen Münchens. – Einige Glanzpunkte, das Schloß des Königs, wo der fürstliche Luxus, vom Kunstgeschmack geadelt, in goldenen Sälen haust, und jene Tempel und Paläste, die der König den Wissenschaften und Künsten zur Bewahrung ihrer Schätze aufgerichtet hat, die Glyptothek und Pinakothek, haben wir schon in einem früheren Bande dieses Werkes betrachtet.