Hervorragende Persönlichkeiten in Dresden und ihre Wohnungen: Martin Luther

Hervorragende Persönlichkeiten in Dresden und ihre Wohnungen (1918) von Adolf Hantzsch
Martin Luther
Daniel Greser
Wikipedia: Martin Luther
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

[1] Nr. 1. Luther, Martin, 1463–1546. Daß unser großer Reformator in Dresden geweilt hat, gilt allen theologischen Schriftstellern und hiesigen Chronisten, die dieser Tatsache gedenken, als unbestreitbar; dagegen stimmen sie in den Fragen nicht überein, wie viele Male und in welchen Jahren L. in unserer Stadt gewesen ist. Von den bekannten Chronisten bespricht als erster Weck die vorliegende Angelegenheit. Er kennt nur eine einmalige Anwesenheit des großen Gottesmannes in Dresden, als dieser vor dem Herzog Georg predigen mußte, und verlegt diese Tatsache irrigerweise in das Jahr 1516. Am Schlusse seiner Mitteilungen erklärt er Seite 307 seines Werkes wörtlich: „Nach diesem ist Lutherus nicht wieder gen Dreßden kommen.“

Allerdings hat L. 1516 tatsächlich unsere Stadt besucht, aber aus einem ganz anderen Grunde, als den Weck angibt. L. war nämlich von Dr. Johannes v. Staupitz, dem damaligen Generalvikar des Augustinerordens für Deutschland, beauftragt worden, elf Augustinerklöster in Meißen und Thüringen, darunter das Altendresdner Kloster, einer genauen Prüfung zu unterziehen. Für die erste Anwesenheit L's. in unserer Stadt zeugt ein von ihm an den Prior der Augustiner-Eremiten in Mainz gerichteter Brief, worin der Reformator um Zurücksendung eines aus dem Altendresdner Kloster entlaufenen Mönches bittet. Das Schreiben trägt (in deutscher Übersetzung) die Unterschrift: „Lebt wohl. Aus Dresden aus unserm Konvent am Tage der Heiligen Philippus und Jakobus (1. Mai). Im Jahre 1516. Bruder Martin.“

Bei diesem ersten Besuche, dessen Dauer jedoch nicht bekannt ist, hat L., wie er selbst bezeugt, bei seinen Ordensbrüdern gewohnt. Das von Markgraf Wilhelm 1404 gestiftete und am 24. Oktober desselben Jahres vom Papst Innocenz VII. bestätigte Augustiner-Eremiten-Kloster mit seiner Kapelle und mehreren Nebengebäuden nahm den Raum ein, auf dem sich heutzutage der Klosterplatz und die beiden Klostergassen ausdehnen. Als die Hussiten bei ihrem 1429 erfolgten Einfalle ins Meißnische Land auch das damals noch unbefestigte Städtchen Altendresden, die heutige Neustadt, ausplünderten und anzündeten, sank auch das dortige Kloster in Asche. Später wieder aufgebaut, stand es noch über hundert Jahre, wurde aber wohl um die Mitte des 16. Jahrhunderts abgebrochen, und der dadurch gewonnene Raum wahrscheinlich erst nach dem großen Brande von Altendresden im Jahre 1685 anderweit bebaut. – Das Kloster beherbergte immer nur eine verhältnismäßig geringe Anzahl [2] Mönche. Als man es 1559 mit Einführung der Reformation in Dresden aufhob, waren deren außer fünf Laienbrüdern nur sechs darin.

Während seines ersten Aufenthaltes in unserer Stadt hat L. es sich sehr angelegen sein lassen, wie Pastor Hilscher Seite 22, 25 berichtet, „die Brüder, wie bißher schon einige Zeit auch in Wittenberg von ihm geschehen, zu unterweisen, daß sie nicht an Aristotele, Thoma und anderen Scholasticis hangen, sondern Gottes Wort fleißig lesen, auch nicht in ihren Kräfften und guten Wercken, sondern allein in dem Verdienst Christi und seiner Gnade Vergebung der Sünden und Seligkeit suchen müßten.“

Ganz im Gegensatz zu Weck nimmt der schon erwähnte M. Paul Christian Hilscher, Pastor zu Altendresden, dem wir wertvolle Mitteilungen über die früheren kirchlichen Verhältnisse seines Wohnortes bis 1717 verdanken, eine dreimalige Anwesenheit L's. in Dresden an, und zwar in den Jahren 1516, 1517 und 1518. Auch zu dem zweiten Besuche war der Reformator durch Staupitz veranlaßt worden. Diesen hatte Herzog Georg gebeten, ihm einen frommen und gelehrten Theologen zu schicken, dem er das Amt eines Hofpredigers übertragen könne. Staupitz schlug für diese Stellung L. vor, der deshalb nach Dresden kam und hier nach Hilschers Angabe (Seite 32) am 25. Juli 1517, dem Jakobitage, in der damaligen, wohl 1471–1476 erbauten Schloßkapelle in Gegenwart des Herzogs und seines Hofes über den üblichen Festtext Matth. 20, 20–25 predigte. Auf Grund desselben ermahnte Luther seine Zuhörer eindringlich, sich als das Beste der Seelen Seligkeit von Gott zu erbitten. Man könne der Erhörung dieser Bitte gewiß sein, wenn man das Verdienst Christi ergreife. Luther wurde nicht zum Hofprediger gewählt, denn obgleich die Predigt einem großen Teile der Zuhörer sehr trostreich gewesen war, hatte sie dem Herzog durchaus mißfallen. Erklärte er doch noch an demselben Tage, „er wolle groß Geld darum schuldig sein, wenn er dergleichen Predigt nicht gehört, als welche die Leute nur sicher und ruchlos mache“. (Dibelius, Zweites Heft der Beiträge zur Sächs. Kirchengeschichte S. 355.)

Das von Pastor Hilscher angegebene Jahr 1517, in dem L. am Jakobitage in Dresden jene Predigt gehalten haben soll, die ihm die dauernde Feindschaft des Herzogs Georg eintrug, ist von allen späteren Dresdner Schriftstellern, die darüber etwas veröffentlicht haben, bis in die allerneueste Zeit als das richtige anerkannt und festgehalten worden, zuletzt noch in dem nicht unterzeichneten Aufsatze des Dresdner Anzeigers vom 22. Juli 1917, Seite 15: Martin Luther, der Prediger. Nun gibt es einen Brief L's. vom 1. September 1518, in dem er seinem Gönner Staupitz berichtet, daß ihm wegen seiner nicht lange vorher in Wittenberg gehaltenen Predigt vom Bann in Dresden, wo man sie gekannt habe, ihm von feindlich gesinnten Personen übel mitgespielt worden sei. Man habe ihm die Predigt ins Gesicht geworfen und ungescheut eins und das andere daraus laut zugerufen. „Siehe“, schreibt er u. a., „wie man mir so hämisch zu Leibe will, und ich überall mit Dornen gleichsam umzäunet werde, aber Christus lebet noch und regiert gestern und heute und in Ewigkeit.“ Dieser Brief beweist, daß L. im Sommer 1518 in unserer Stadt gewesen sein muß; es fragt sich nur, [3] ob dies sein zweiter oder dritter Besuch war. Letzteres wurde von Pastor Hilscher[1] 1728, M. Ziller[2] 1839 und Konsistorialrat und Superintendent D. Dr. Dibelius[3] 1883 angenommen, während Hasche[4] 1817, Klemm und Hilscher[5] 1837, Lindau[6] und Pfarrer D. Dr. Blanckmeister[7] 1917 eine zweimalige Anwesenheit erwähnen. Nun haben die von den bekannten Lutherforschern Köstlin, Kawerau und Enders angestellten neueren Untersuchungen den Beweis erbracht, daß L. nur zweimal in Dresden gewesen ist, nämlich in den Jahren 1516 und 1518.

Noch weiter gestützt wird diese Tatsache durch einen im dritten Heft der von D. Dr. Franz Dibelius und D. Dr. Gotthard Lechler herausgegebenen Beiträge zur Sächsischen Kirchengeschichte, Seite 145–150, enthaltenen Aufsatz, in dem Dr. Friedrich Seifert eingehend die Frage erörtert: „Hat L. 1517 oder 1518 in Dresden gepredigt?“ Er weist dabei auf zwei Briefe L's. vom 7. und 14. Januar hin, von denen hier der zweite Erwähnung verdient, der an den kurfürstlichen Hofprediger Spalatin gerichtet ist. In diesem Schreiben, das in deutscher Übersetzung Pastor Hilscher in seinem II. Etwas zur Altdreßdnischen Kirchen-Historie Seite 34–38 abdruckt, kommt L. nochmals und sehr eingehend auf seine Erlebnisse zurück, als er gelegentlich seiner Predigt vor Herzog Georg in Dresden weilte. Nun weist Dr. Seifert genauer nach, daß L. nicht in der ersten Januarhälfte des Jahres 1518, sondern zu derselben Monatszeit erst 1519 sich in Leipzig aufhielt. Er nimmt daher weiter an, daß der Reformator „in den beiden Briefen vom 7. und 14. Januar 1518 im Drange der Geschäfte in der Jahreszahl sich geirrt hat, was zu Anfange eines neuen Jahres wohl leicht geschehen kann, und daß deshalb die Jahreszahl 1519 zu setzen ist“. So kommt Dr. Seifert zu dem Ergebnis: „L. hat am 25. Juli 1518, nicht 1517, in Dresden, wo er laut seines Schreibens vom 1. September 1518 an Staupitz Mitte 1518 allerdings gewesen ist, vor dem Herzog gepredigt, so daß sein bisher angenommener zweiter und dritter Aufenthalt in Dresden zusammenfiele“ (Seite 150).

Am 14. Februar 1917 hielt Pfarrer D. Dr. Blanckmeister im Verein für Geschichte Dresdens einen Vortrag über „Luther und seine Mitarbeiter in Dresden“ und erwähnte darin laut Anzeigerbericht vom 3. März, Seite 5, daß L's. Predigt in der hiesigen Schloßkapelle am 25. Juli 1517 stattgefunden habe. Auch in der im Juli 1917 erschienenen Schrift Blanckmeisters „Pastorenbilder aus dem alten Dresden“ findet sich auf Seite 1 dieselbe Angabe. Nach den Darlegungen Dr. Seiferts kann sie wohl nicht mehr aufrechterhalten werden.

[4] Wenn M. Ziller in seinem Reformationsbüchlein Seite 33 behauptet, L. sei, als er in Dresden predigen mußte, „höchst wahrscheinlich“ in dem Hause Schloßgasse Nr. 325, jetzt Schloßstraße 30, das damals dem Hofe gehört hätte, zur Herberge gewesen, so ist das jedenfalls unrichtig; vielmehr muß man mit Pastor Hilscher (Seite 43) annehmen, daß er auch diesmal bei seinen Ordensbrüdern im Augustinerkloster gewohnt hat.

Im Widerspruch zu den hier gemachten Angaben, die sich auf L.s zweiten Besuch in Dresden beziehen und seit mehr als drei Jahrhunderten als richtig anerkannt worden sind, brachte der hiesige Ratsarchivar Dr. G. Müller bemerkenswerte neue Mitteilungen in seinem am 27. Oktober d. J. im Verein für Geschichte Dresdens gehaltenen Vortrage. Auf Grund desselben veröffentlichte er an der 400-Jahr-Feier der Reformation in Nr. 300 des Dresdner Anzeigers unter der Überschrift Dr. Martin Luther in Dresden einen Aufsatz, in dem er u. a. sagt: „Daß Luther dem Herzog Georg von Staupitz zu einer Probepredigt als Hofprediger zugesandt sei, hat sich nach neueren Forschungen als irrig erwiesen, ebenso daß bei dieser Gelegenheit der Grund zur späteren Feindschaft des Herzogs gelegt sei. Dieser war damals auf dem Augsburger Reichstag und die Anregung, daß Luther, der bekannte Ablaßgegner und berühmte Wittenberger Professor, in der Schloßkapelle predigte, geht vermutlich auf Hieron. Emser, den Hofkaplan und -sekretär, zurück, welcher damals noch zu Luther freundschaftlich näher stand. ... Am Festtage des Heiligen Jakobus, dem 25. Juli (1518), predigte Luther in der Schloßkapelle vor dem Hofe, dem Hofstaate und für ihn interessierten Kreise der Theologen, Humanisten und wohl auch Bürger, über das Evangelium von den Söhnen Zebedäi, von den „thörichten Wünschen“ der Menschen und von „dem, was ein Christ erbitten müsse“. – Die Prüfung und Klärung dieses Gegensatzes muß den Fachgelehrten überlassen bleiben.

Vier Erinnerungszeichen an den großen Gottesmann birgt unsere Stadt. Gelegentlich seines 400jährigen Geburtstages 1883 beschloß man, dem Reformator hier ein würdiges Standbild zu errichten. Man wählte dazu Rietschels Modell der Luthergestalt für das große Wormser Reformationsdenkmal. Am 31. Oktober 1885 erfolgte auf dem Neumarkt vor der Frauenkirche in feierlichster Weise die Enthüllung des Standbildes aus Erz. – Eine würdige Nachfeier des 400jährigen Geburtstages bildete die am 12. November stattgefundene Grundsteinlegung zur Martin-Luther-Kirche. Das im romanischen Stile erbaute Gotteshaus wurde am 10. November 1887 eingeweiht und damit seiner Bestimmung übergeben. – An der neuen 1905–1907 erbauten Superintendentur An der Kreuzkirche 6 befinden sich zu beiden Seiten des Eingangs die aus Sandstein gearbeiteten Hermen von Luther und seinem großen Mitarbeiter Melanchthon. An demselben Gebäude, und zwar am Erker des an der Schulgasse stehenden Flügels erblickt man in erhabener Arbeit ein Steinbildwerk, das den Reformator im Kreise seiner Familie und Freunde darstellt.


  1. II. Etwas zur Alt-Dreßdnischen Kirchen-Historie 1728, Seite 3, 45–48.
  2. Der 23. April 1539, Seite 33.
  3. Beiträge zur Sächsischen Kirchengeschichte, Zweites Heft, Seite 353, 354.
  4. Diplomatische Geschichte, II. Teil, Seite 150, 151.
  5. Chronik der Königl. Sächsischen Residenzstadt Dresden, I. Band, Seite 170, 171.
  6. Geschichte der Haupt- und Residenzstadt Dresden. Erste Auflage, erster Band, Seite 426.
  7. Dresdner Anzeiger vom 3. März 1917, Seite 5.