Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Trinitatis 08

« Trinitatis 07 Wilhelm Löhe
Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)
Register der Sommer-Postille
Trinitatis 09 »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|

Am achten Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Matth. 7, 15–23.
15. Sehet euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen; inwendig aber sind sie reißende Wölfe. 16. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man auch Trauben lesen von den Dornen, oder Feigen von den Disteln? 17. Also ein jeglicher guter Baum bringet gute Früchte; aber ein fauler Baum bringet arge Früchte. 18. Ein guter Baum kann nicht arge Früchte bringen, und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen. 19. Ein jeglicher Baum, der nicht gute Früchte bringet, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. 20. Darum an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. 21. Es werden nicht alle, die zu mir sagen: HErr, HErr! in das Himmelreich kommen; sondern die den Willen thun meines Vaters im Himmel. 22. Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: HErr, HErr, haben wir nicht in Deinem Namen geweißagt? Haben wir nicht in Deinem Namen Teufel ausgetrieben? Haben wir nicht in Deinem Namen viele Thaten gethan? 23. Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie erkannt, weichet alle von mir, ihr Uebelthäter.

 ES ist unter unserm Volke eine gemeine Rede geworden, von den Predigern zu sagen: „Sie predigen Gottes Wort“. Diejenigen, welche dem Satze widerstreiten, werden für lieblos und für Wortzänker angesehen. Es sollte nun freilich wohl so sein, daß alle Gottes Wort predigten, und es wäre die größte Ehre für die Prediger, wenn man unbesehens von allen sagen könnte: „Sie predigen alle Gottes Wort“. Aber so stehts nun einmal nicht, daß man ihnen insgemein diese Ehre anthun könnte, und es unterliegt durchaus keinem Zweifel, daß das Recht auf Seiten derer steht, welche einen Unterschied unter den Predigern| setzen. Schlimm genug, wenn man das Auge vor den Unterschieden, die sich so unverkennbar hervorthun, absichtlich schließt. Gar nichts zu reden von den natürlichen, von Gott, dem Geber alles Guten, stammenden Unterschieden rücksichtlich der Begabung, oder von der großen Verschiedenheit in Treue und Eifer, ist es offenbar, daß auch der Inhalt der Predigten nicht einer und derselbe ist, daß in der Hauptsache keine Einigkeit und daß es also gut und nöthig ist, die Augen aufzuthun und die Geister zu prüfen. − Ob aber auch einer sich der Wahrnehmung deßen entziehen und erst in Frage stellen wollte, was wir mit einem starken Nein beantwortet haben; so können wir einem solchen mit unserm Texte, also mit JEsu Worten, dienen, welche gleich heiligen Eiden ein Ende alles Haders machen. Unser Text verneint es auf das Bestimmteste, daß alle Prediger Gottes Wort predigen. Zwar redet er insonderheit von den Propheten und belehrt uns, daß nicht allen Propheten zu trauen sei, weil es falsche Propheten gebe. Allein das dient nur zu desto kräftigerer Verneinung unserer eigentlichen Frage. Denn wenn zwischen den Propheten, die an der Spitze aller Prediger stehen, ein Unterschied ist, und sie nicht alle Gottes Wort predigen, so wird es bei den Predigern, die an Art und Begabung die geringeren sind, vermuthlich nicht beßer stehen. Vernehmet also, meine Brüder, was ich aus unserm Texte zum Beweise des Satzes vorzubringen habe, daß nicht alle Prediger Gottes Wort predigen und rechte Prediger sind.

 Niemand ist liebevoller, als Christus; Ihm geben alle Parteien den Preis, Ihm weicht der Hochmüthigste gerne. Wenn Er die schärfsten Worte spricht, wird sich dennoch niemand erfrechen, Ihn schroff oder lieblos zu nennen; man wird, wenn die Liebe in Seinen Worten nicht gleich zu Tage liegt, sich die Mühe nicht verdrießen laßen, zu forschen und zu bedenken, wo sie sei. Er kann ja die Liebe nicht verletzen, da Er selbst die Liebe ist und solche Beweise von Liebe gegeben hat, über deren Giltigkeit und Lauterkeit im Himmel, auf Erden und in der Hölle kein Streit mehr ist. Darin sind Gott und alle, auch Seine verfluchten Creaturen einig, daß Christus Liebe ist, lautere Liebe. Wohlan, dieser Christus, welcher die Liebe ist, nennt etliche Prediger in unserm Texte Schafe, und die andern nennt Er Wölfe. Mit den beiden Ausdrücken hat Er doch ohne Zweifel einen Unterschied setzen wollen! Oder sind Schafe und Wölfe einerlei? Wer hat zwischen den beiden je eine Gemeinschaft gesehen? Welches stärkere Bild hätte der HErr wählen können, um einen Unterschied, einen Gegensatz, einen Widerstreit damit zu bezeichnen? Ich denke, so gewis es ist, daß im Texte die Schafe fromme Prediger bezeichnen, so gewis ist es auch, daß die Wölfe gottlose Prediger bezeichnen, und damit allein schon wäre Unterschieds genug gemacht.

 Es kann aber auch niemand sagen: Ja, Christus scheidet, und Ihm ziemt es wohl, zu scheiden, weil Er ein gerechter und untrüglicher Richter ist; aber wir sollen nicht unterscheiden. Diese Einwendung stammt aus arbeitsscheuer Trägheit und aus jener selbstsüchtigen Feigheit, die lieber Aug und Ohr verschließt, ehe sie es mit jemand verdirbt. Predigen alle Gottes Wort, oder ziemt sich wenigstens für uns nicht, einen Unterschied zu machen; so kann man mit allen Predigern und mit den Zuhörern und Anhängern aller im Frieden bleiben. Das ist richtig, und eben so richtig ist es, daß solchen faulen, feiggesinnten Seelen ein Evangelium, wie das heutige, sehr unbequem sein muß, denn es widerstrebt der trägen Ruhe allzusehr. Sehen wir nur hinein, liebe Brüder! Was ist das ganze Evangelium, wenn es nicht eine Warnung vor den falschen Predigern ist? Wenn es aber eine Warnung vor ihnen ist, ists dann nicht auch die bestimmteste Aufforderung, aufzusehen, zu prüfen, zu vergleichen, zu unterscheiden, also die trägen Faulbetten der Gleichgiltigkeit zu verlaßen, einem Theil der Prediger Lebewohl zu sagen und Streit anzukündigen? − Das willst du nicht? Du magst dich nicht verfeinden? So will ich dir ein zwingenderes Wort sagen. Christus nennt falsche Lehrer „reißende“ Wölfe. Wenn sie reißend sind, muß eine Gefahr da sein, versteht sich eine Seelengefahr, eine Gefahr, die leicht zu ewigem Wehe ausschlagen kann. Willst du die Mühe des Prüfens und Unterscheidens noch immer nicht auf dich nehmen? Ist es dir noch wohl in deiner selbsterwählten Blindheit? Du hast doch auch eine Seele zu verlieren, und dein Weib und deine Kinder, für welche du einstehen mußt, desgleichen. So laß dir doch das Wort in den Ohren klingen, das ich dir zurufe: „Reißende Wölfe, gefährliche, seelengefährliche Raubthiere nennt Christus die falschen Lehrer.“ Doch| will ich meine Stimme aus dem Evangelium noch verstärken. Es ist nicht bloß das ganze Evangelium eine Warnung vor den falschen Lehrern, nicht bloß der ganze Inhalt ist als Warnung zu verstehen, nein, es enthält auch die allerförmlichste, deutlichste Warnung und Aufforderung zur Prüfung. „Sehet euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen.“ Das ist der Eingang unsres Evangeliums. Wer kann sich dem entziehen, ohne Christo ungehorsam zu werden, ohne es geradezu mit der Rotte der Feinde des Reiches Gottes zu halten? Alle Knechte Christi haben es je und je mit der Prüfung der Geister genau genommen. Wie eifert St. Paulus! Und wie eifern die Briefe Petri und Judä gegen falsche Lehrer, welche gewaltige Warnungen enthalten sie! Ich will gerne zugeben, daß einer aus eigener Unwißenheit, aus Unkunde der Schrift, aus Schwachheit die Prüfung und Unterscheidung der Geister unterlaßen kann, und ich mag einen solchen nicht strenge richten. Aber wenn er belehrt ist, wenn er das „Sehet euch vor“ des HErrn und die gewaltigen Episteln nur z. B. Petri und Judä, oder auch Johannis gelesen hat, und dann noch unter dem Scheine der Liebe sich der Pflicht der Unterscheidung entziehen und andere, die gewißenhafter handeln, verdächtigen kann, dann habe ich Muth und gutes Gewißen genug, ihn einen Heuchler zu nennen und einen Gesellen der verkappten Wölfe, vor denen Christus warnt. Es gilt Seelenverführung, da ziemt sich Ernst und Vorsicht. Die Worte des HErrn vom faulen Baum und vom Feuer, das sein wartet, − Seine Erzählung aus dem Verlaufe des jüngsten Gerichtes, welches Er voraus sieht und kennet, die erschrecklichen Worte: „Ich hab euch nie erkannt, weichet alle von Mir, ihr Uebelthäter!“ zeigen klar und offen, daß den HErrn bei Seiner Warnung der heiligste Ernst durchdrang, daß Ihm falsche Lehrer sehr verhaßt sind. Warum sind sie Ihm aber so verhaßt, als weil sie Seine Schafe verderben? Was gibt Ihm also den großen Haß ein gegen die Wölfe, als die Liebe zu den Schafen, als Sein Eifer gegen Verführung und Verderbnis der Seelen? Wer wie der HErr gesinnt ist, unterscheidet die Wölfe, warnt vor ihnen, flieht vor ihnen! Wer das nicht thut, eigne sich Seine Worte zu: „Wer nicht mit Mir sammelt, der zerstreuet!“ aber von Liebe rede er nicht. Er hat keine Liebe zu Christo, denn er ist nicht gesinnt wie Er. Er hat keine zu Christi Schafen, weil er ihnen das Auge vor den Wölfen schließen will, weil er dem Satan und seinen verkappten Wölfen das Spiel erleichtert. Er hat keine Liebe zur eigenen Seele, weil er selbst auf die Warnung Christi nicht achtet und damit sich selbst allem Betrug der Wölfe übergibt. Nicht einmal den falschen Lehrern thut er wohl, weil er nur hilft, ihr schreiendes Gewißen zu betäuben und sie desto unaufhaltsamer dem Satan und seiner ewigen Hölle zuzuführen. Weit entfernt also, daß Gleichgültigkeit rücksichtlich falscher Lehrer mit Liebe bestehen könne, ist sie vielmehr ein Zeichen, daß man aller Liebe baar und ledig sei.
 Steht es so, so dürfen wir uns wohl ändern und Fleiß auf die Unterscheidung der Lehrer wenden. Nun ist es aber gewis, daß eine Gemeinde, die nicht auf JEsu Worte hört, von Ihm nicht denken und urtheilen lernen mag, unmöglich richtig zwischen Lehrern und Lehrern unterscheiden kann. Ein solche mag urtheilen, wie sie will, so ist ihr Urtheil, so schädlich es ihr selbst etwa werden mag, dennoch jeden Falls von keinem Belang. Man muß ja, um zu meßen, einen Maßstab haben, und der wird weder mit einem Menschen geboren, noch wird er von einem menschlichen Geiste ohne höhere Leitung gefunden. Er liegt in Gottes Wort, das ihr alle lesen könnet, und das auf Befragen gute Antwort gibt. Die fragenden, suchenden, betenden Seelen finden ihn leicht. Eine Gemeinde, die nicht fragt, sucht, um Erleuchtung betet, findet ihn gewis nicht; wie sie ihn von Natur nicht hat, so wird er ihr auch von Gott nicht gegeben. Um Dinge von so hoher Wichtigkeit muß man sich bemühen und Zeit und Kraft nicht bereuen, die man darauf wendet. Ist es dir einerlei Ding, wie es um deinen Prediger stehe, so ist es dir auch einerlei Ding, wie es um dich stehe; denn ganz ohne Einfluß bleibt ein Prediger auf keinen Menschen, der ihn lange hört, und gleichgiltige Seelen saugen am Ende doch auch das ein, was ihnen täglich ums Ohr schallt. Darum lege man vor allen Dingen die Gleichgiltigkeit ab, denn die Gleichgiltigen bekommen die Gabe der Unterscheidung nicht, und die Wahrheit leuchtet nur in fragende, sehnsüchtige, offene Gemüther. Das sagte ich euch, meine Freunde, um euch zum Forschen nach den| Unterschieden zwischen rechten und falschen Lehrern anzureizen − und jetzt laßet mich hoffen, daß ich vor theilnehmende Ohren und für fragende Seelen über jene Unterschiede rede.

 Bisher, meine geliebten Brüder, habe ich unser heutiges Evangelium ganz als Antwort auf die Frage behandelt: „Predigen alle Prediger Gottes Wort“? Nunmehr wendet sich meine Rede also, daß die Frage ist: „Welche sind die rechten Prediger und woran werden sie erkannt?“ Beide Fragen und deren Antworten hängen auf das Innigste zusammen und ihr werdet das selbst leicht finden. Es hälfe uns ja nichts, zu wißen, daß nicht alle Gottes Wort predigen, wenn wir nicht auch Aufschluß darüber bekämen, welche Prediger als Prediger des göttlichen Wortes und als gute Unterhirten JEsu anzusehen sind, denen man seine Seele vertrauen kann. Gemäß unserm Texte will ich mich darüber so kurz und deutlich faßen, als ich kann.

 Zuerst sage ich: Man erkennt treue Lehrer und gute Hirten nicht bloß an ihrem Aeußern. Der HErr sagt, die falschen Propheten kämen im Gewande der echten, die Wölfe in übergezogenem Schafspelz. Alles, was man äußerlich annehmen kann, was man erheucheln kann, ist nicht ein sicheres Kennzeichen des Innern. Was also ein falscher Lehrer durch Aufwand von List und natürlichen Kräften frommen Lehrern abborgen kann, kann täuschen, und weh dem, der solchem äußerlich erscheinenden Wesen traut. Es versteht sich dabei von selbst, daß das Aeußerliche, weil es verführen kann, deshalb nicht verführen muß, also auch nicht verworfen, verdammt und verachtet werden kann. Es bleibt in seinem Werthe und alles, was gesagt werden soll, ist im Grunde nicht mehr als daß man es nicht überschätzen dürfe.

 Das, woran man den Menschen überhaupt, also auch den rechten Prediger und Lehrer erkennen soll, nennt der HErr Frucht. Den Menschen nennt Er Baum, seine sichern Kennzeichen Früchte. Auch die Frucht ist etwas Aeußeres, wie der Pelz; aber die Frucht ist ein Aeußeres, welches mit dem Innern in der genauesten Verbindung steht, welches sich nicht wie der Pelz am Schafe, wie die Rinde am Baume bloß äußerlich ansetzt und nicht wie Pelz und Rinde mit anderem Pelzwerk oder mit der Rinde anderer Bäume verwechselt werden kann; die Frucht wächst aus dem Innern hervor, gibt Zeugnis von dem innern Wesen und Werth des Baumes und versinnbildlicht uns ganz kenntlich und leicht zu unterscheiden die wahre Kraft und Tugend des Baumes. An nichts kann man Baum und Baum, Creatur und Creatur leichter unterscheiden, als an der Frucht. Da sehen wir nun, wie gar nicht der HErr das Aeußere verachtet! Er dringt nur auf die Verbindung des Innern und Aeußern und will keine Creatur an einer andern äußerlichen Sache erkannt haben, als an der Frucht, die selbst der stärkste Beweis ist, daß Inneres und Aeußeres unzertrennlich vereinigt sind, wo Er mitwirkt. So sollen wir uns zumal bei der Unterscheidung von Menschen und Lehrern ja nicht einbilden, ins Innere schauen zu können. Das Innere ist unsichtbar, nur Gott erkennt es und weder Menschen, noch Engel, noch Teufel. Nicht das Innere eines Baumes, geschweige das Innere des Nächsten können Menschen unterscheiden. Der Mensch sieht, was vor Augen ist, und es ist genug, wenn er nur sein Auge auf das Aeußerliche richtet, welches nicht trügt, nemlich auf die Frucht. Denn die Frucht trügt nicht, das sagt der HErr. „An ihren Früchten, spricht Er, der Selbst nicht trügt, an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ „Kann man, fragt Er, kann man auch Trauben lesen von den Dornen? oder Feigen von den Disteln? Also ein jeglicher guter Baum bringt gute Früchte, aber ein fauler Baum bringt arge Früchte. Ein guter Baum kann nicht arge Früchte bringen, und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen. Ein jeglicher Baum der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Darum an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.

 Bei einer so starken, gewaltigen Behauptung und Lehre von der Untrüglichkeit der Früchte, fragt es sich nun vor allem, was für Schafspelz, was für Frucht zu rechnen sei? Zum Aeußern, das trügen und täuschen kann, rechnet der HErr unerwartet viel. Er rechnet z. B. die äußere Ehre dazu, die man Ihm selbst gibt, indem man Ihn „HErr, HErr“ nennt. Es liegt in der Wiederholung des Wortes HErr eine Andeutung, daß die äußerliche Ehre dem Hochgelobten mit großem Eifer dargebracht sein kann, ohne doch eine Frucht der Seele genannt werden zu dürfen. Zwischen dem Eifer, der sich in Anrufungen Gottes erschöpft, und jenem gründlichen Beten, da man vor Gott sprechen kann: „Aus der Tiefen rufe ich, HErr, zu Dir“ − ist ein großer Unterschied. Jener kann Schafpelz sein,| dieses ist Frucht − aber nicht kenntlich für andere, sondern nur für die eigene Seele; denn von dem innerlichen, aus der Tiefe strömenden Gebete weiß Sicheres nur Gott und die eigene Seele. − Zum unverläßigen Aeußern rechnet der HErr ferner die außerordentlichen Gaben, das Weißagen in Seinem Namen, das Teufelaustreiben in Seinem Namen, das Thaten thun in Seinem Namen. Wenn der HErr es nicht ausdrücklich sagte, daß Er dereinst auch solche, die sich so großer außerordentlicher Gaben vor Ihm rühmen können, auf ewig von Sich weisen werde; wir würden uns schwer zu dem Satze aufgeschwungen, uns schwerlich erkühnt haben, zu sagen: Der HErr kann Seine außerordentlichen Gaben auch solchen geben, die Er ewig verstoßen wird. Nun Ers selbst sagt, wer wills verneinen? Also ist kein Weißagen, kein Teufelaustreiben, kein Wunderthun so wichtig, so hoch zu achten, daß man um des willen ein vertrauensvolles Ohr dem Wunderthäter leihen, oder gar ihm seine Seele zur Leitung übergeben dürfte. Man könnte, wenn man darauf trauen wollte, betrogen werden. Es ist hoch zu verwundern, aber die Schrift sagt es öfters, sie sagt sogar von dem Antichristus, daß er Zeichen thun werde, welche, wenn es möglich wäre, auch die Auserwählten verführen würden, − und sie stellt uns in einem Saul und Bileam Beispiele auf, welche die Wahrheit besiegeln, daß man ein Kind des Satans sein und dennoch, ergriffen vom Geiste Gottes, weißagen könne. In einer Zeit, wie die unsrige ist, in welcher neben den Gnadenergießungen des heiligen Geistes so viel Ungeheures sich regt, was die Seelen verwirrt, wo grobe, starke Täuschungen vorkommen, wo man über die Versuchlichkeit und leichte Verführung der Menschen staunen muß, ists gut und nöthig, solche Stellen, wie die unsers Textes, von der wir reden, recht laut zu wiederholen, recht oft zu sagen, als Fahne aus-, als ein Panier aufzustecken, damit nicht falsche Propheten, Lügner und Belialskinder die armen Seelen verführen. Wenn man den Namen JEsu durch Wunder und Kräfte verherrlichen, also in einem gewissen Maße das Reich ausbreiten kann, das nicht von dannen ist, und doch als ein Gleisner und Lügner, als ein fauler Baum zum Feuer verdammt werden kann: was soll dann nicht bei denen Statt finden können, die den Namen JEsu, Seine und Seines Reiches Ehre gar nicht oder doch nicht sonderlich im Auge haben!

 Doch hier komme ich nun eben zur Hauptsache, zur Darlegung deßen was Frucht sei, und hier wollen wir uns, um nicht irre zu gehen fest an die Worte unsers Textes halten. Der Text redet von Propheten. Die öffentliche Anrufung des HErrn und die sich äußerlich erweisenden Prophetengaben sind es also nicht, welche eines Propheten Frucht sind. Was ist denn eines Propheten Frucht? Der HErr sagts klar, was eines Propheten Frucht sei, nemlich den Willen Seines Vaters im Himmel thun. Es fragt sich hier nicht, wie ein anderer Mensch, auch nicht zunächst wie ein Prophet in seinem gewöhnlichen Leben den Willen Gottes thue, sondern wie er ihn thue als Prophet. Wenn wir die rechte Antwort auf die Frage haben: „Was ist der Wille Gottes an die Propheten, was sollen sie in ihrem Amte thun?“ so haben wir die Erkenntnis der Frucht eines Propheten. Nun sagt der HErr zu Mose: „Du sollst Aarons Gott sein und er soll dein Prophet sein“; er sagt es, da Mose wegen seiner schweren, unbeschnittenen Zunge sich weigerte, den großen Auftrag zu übernehmen, den ihm Gott geben wollte. Was war also Aaron, der Prophet Mosis anders, als ein Verkündiger deßen, was ihm Mose sagte, ein Mund Mosis und in Ausführung der Worte Mosis auch seine rechte Hand? Eben so ist es nun mit allen Propheten. Sie thun den Willen Gottes, wenn sie nicht weißagen ihres Herzens Gedicht, nicht predigen ihre eigenen Träume, sondern an Gottes Munde hangen, gewißenhaft auf den Dächern reden nur was Gott zu ihnen heimlich sagt, in ihrem Amte thun, was Gott befiehlt, mit Fleisch und Blut sich nicht besprechen, nach zeitlichem Vortheil niemals handeln, sondern lediglich im Gehorsam ihres Gottes stehen. Ganzheit, völlige, ausnahmslose Hingabe in des HErrn Dienst, das ist es, was ihnen ziemet. Propheten sein und sonst nichts, rufende Stimmen in der Wüste, weiter nichts, − das ists, das sollen sie, das ist der Wille des HErrn. Solcher Propheten „HErr, − HErr − sagen,“ ihr Weißagen, Teufelaustreiben und Wunderthun ist angenehm dem HErrn.

 Hiemit scheint freilich nicht sehr viel gesagt zu sein, weil ja noch nicht gesagt ist, wie man erkennen soll, daß ein Prophet Gottes Wort und Willen thut. Aber es liegt hier die Befriedigung nicht ferne. Es sind ja der Propheten nicht bloß einer oder zwei, sondern viele, Gott hat zu vielen gesprochen und Sein bewährtes| Wort, Seine ewigen Grundsätze sind bekannt. Jeder Prophet ist nur ein Glied in der Kette der Prophetenreihe, das nächste Glied, das sich an die vorigen anreiht. Zu denen muß er stimmen, auf dem Grund und Boden der heiligen Wahrheit seiner Vorgänger muß er wandeln. Die Wahrheit, die Gott von Anfang her überliefert, die ein Prophet dem andern zugereicht hat, die alle aufrecht hielten, − die allgemeinen Grundsätze eines heiligen Prophetentums müßen auch ihn beseelen und regieren − und sein besonderer Auftrag von dem HErrn muß als das Neue aus dem Uralten sich erweisen, in keiner Weise widersprechen, sondern bestätigen, weiter führen. An der Einheit mit der uralten Lehre aller Propheten, an dem Zusammenklang mit der heiligen Vorzeit und ihrem Gottesworte erkennt man, daß, was ein Prophet besonderes hat, nicht falsch ist.

 Gerade so ist es mit den Predigern, auf welche wir den Text anwenden. Ihr Schafspelz ist nicht Wunderthun, aber ihre wahre Frucht ist dieselbe wie die der Propheten. Es ist nur Eine Wahrheit, die von Aposteln, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrern gepredigt wird und gepredigt werden muß, gepredigt mit dem Munde, gepredigt mit der That des Amtes und des gewöhnlichen Lebens. Die Gabe und Ausrüstung zur Fortpflanzung und Bestätigung der Einen Wahrheit sind verschieden, wie die Personen: aber die Lehre, die Vermahnung, die Züchtigung in der Gerechtigkeit, die Strafe ist Eine − und diese Eine Lehre und Wahrheit, vorgetragen im Zusammenklang des ganzen Lebens, in Einstimmung mit dem Altertum, − das ist die Frucht, die man von einem Lehrer erwarten kann. Eines Lehrers Frucht ist Lehre, eines Predigers die Predigt, eines Dieners Gottes Frucht Gottesdienst nach dem Befehl des HErrn und nach der Weise aller frommen Knechte Gottes. Hier habt ihr, meine Freunde, was nicht Schafspelz, was Frucht der Lehrer ist: reine, alte, schriftgemäße Lehre des Mundes und Lebens, − denn es lehrt an einem Lehrer alles und es gibt keine Zeit und keinen Ort, wo der, dem das göttliche Amt zu Theil geworden ist, aufhörte, es zu tragen. Wenn nicht immer im Amte, doch allezeit für das Amt lebt ein Knecht des HErrn, und ein Widerspruch zwischen Lehre und Leben soll drum nicht Statt haben. Die Lehre Seines Mundes ist das Ja − und der Wandel das Amen; die Lehre ist die Traube und der Wandel zeigt sich als reif und süß. Die Lehre wird erkannt an der Schrift und am Bekenntnis der treuen Kirche − und der Wandel an der Lehre − und sonach den rechten Lehrer von dem Wolfe zu unterscheiden ist für ein einfältiges Auge, das gerne sähe, nicht schwer.

 Bei alle dem, meine Freunde, ist nicht zu verleugnen, einmal daß vor allem auf die Lehre der Lehrer das Auge zu richten ist, weil sie kenntlicher und leichter zu urtheilen ist, als der Wandel, weil erst an ihr der Wandel Licht bekommt − und weil die Lehre mehr, als der Wandel vor den Augen und Ohren Jedermanns ist. Das Beispiel ist gewaltig, aber das böse ist gewaltiger, als das gute, und das reine Wort, in welchem und durch welches der heilige Geist wirkt, ist kräftiger als ein reines Leben, das bloß mit menschlichem Zuge die Herzen anzieht. Die heilige Lehre ist Himmelwesen, in die Seele eingesenkt, − sie ist der Leib des heiligen Geistes, wenn Er den Menschen heimsucht: sie überwindet in willigen Herzen je länger je mehr allen Widerstand, sie heiligt − und gleicht dem Sonnenlichte, das nicht bloß leuchtet, sondern auch erwärmt und belebt. Eine Abweichung von der reinen Lehre ist Lüge − und eine Lüge, so klein sie scheine, ist nicht klein, sie ist verderblich und ein wenig Sauerteig verderbt den ganzen Teig. Darum achte jeder, wie sehr er immer kann, auf die Lehre.

 Es ist aber zweitens auch nicht zu verleugnen, daß in Sachen der Lehre, wie in allen Dingen, welche vom Verständnis abhangen, der Begabtere, auf welchen die andern aufsehen, eine Verantwortung auch für diese übernimmt. Es kann in der Religion nicht anders sein, als in allen übrigen Gebieten und Lebenskreisen der menschlichen Seele. Die einen gehen voran und die andern folgen nach, und der Vorgänger muß der Nachfolgenden gedenken. Deshalb geht an die Begabteren in jeder Gemeinde das Wort des HErrn „Sehet euch vor“ in doppelter Kraft, und es mögen drum die unter euch, welchen Urtheil und Verstand gegeben ist, zusehen, daß sie nicht sich verderben und die ihnen folgen.


 Was, meine theuern Freunde, von den Predigern gilt, das gilt auch von den Confessionen. Heute seid ihr unterrichtet, woran man sie erkennen soll. So prüfet denn wohl! Laßet bei eurem Prüfen der Lehrer| und Confessionen keine Ungerechtigkeit walten, keine Unbilligkeit. Sehet nicht auf einzelne Fehler; der beste Baum bringt zuweilen eine verkrüppelte Frucht. Seht nicht auf die Zahl und Menge der Früchte, oft ist Eine Frucht mit viel mehr Mühe, unter viel mehr erschwerenden Umständen zu Tage gefördert, als sonst tausend. Seht auf des ganzen Lebens Lauf und Zug und Richtung, und laßt euch an dieser nicht schwachmüthig irre machen, wenn irgend eine augenblickliche Unterbrechung oder Krümmung sich zeigt. Es ist nicht an euch, Lehrer zu richten oder zu verdammen nach ihren einzelnen Werken, und Confessionen nach vorhandenen Mängeln und Gebrechen zu urtheilen; sondern nur daran liegt es, daß ihr erkennet, welchem Lehrer, welcher Confession ihr ohne Seelenschaden anhangen könnet. − „Sehet euch vor,“ rufe ich euch am Ende noch einmal mit JEsu zu, und wenn ihr auf mich selber die Augen prüfend richten wollet, so sei mirs angenehm und lieb, und je ernster ihrs nehmet, desto größere Freude wird es mir sein, wenn ihr mich JEsu treu erfindet und alsdann meinem Hirtenstabe folget, wohin er euch in Christo JEsu leitet! − Der HErr sei gnädig uns allen! Amen.




« Trinitatis 07 Wilhelm Löhe
Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)
Trinitatis 09 »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).