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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Wort, Seine ewigen Grundsätze sind bekannt. Jeder Prophet ist nur ein Glied in der Kette der Prophetenreihe, das nächste Glied, das sich an die vorigen anreiht. Zu denen muß er stimmen, auf dem Grund und Boden der heiligen Wahrheit seiner Vorgänger muß er wandeln. Die Wahrheit, die Gott von Anfang her überliefert, die ein Prophet dem andern zugereicht hat, die alle aufrecht hielten, − die allgemeinen Grundsätze eines heiligen Prophetentums müßen auch ihn beseelen und regieren − und sein besonderer Auftrag von dem HErrn muß als das Neue aus dem Uralten sich erweisen, in keiner Weise widersprechen, sondern bestätigen, weiter führen. An der Einheit mit der uralten Lehre aller Propheten, an dem Zusammenklang mit der heiligen Vorzeit und ihrem Gottesworte erkennt man, daß, was ein Prophet besonderes hat, nicht falsch ist.

 Gerade so ist es mit den Predigern, auf welche wir den Text anwenden. Ihr Schafspelz ist nicht Wunderthun, aber ihre wahre Frucht ist dieselbe wie die der Propheten. Es ist nur Eine Wahrheit, die von Aposteln, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrern gepredigt wird und gepredigt werden muß, gepredigt mit dem Munde, gepredigt mit der That des Amtes und des gewöhnlichen Lebens. Die Gabe und Ausrüstung zur Fortpflanzung und Bestätigung der Einen Wahrheit sind verschieden, wie die Personen: aber die Lehre, die Vermahnung, die Züchtigung in der Gerechtigkeit, die Strafe ist Eine − und diese Eine Lehre und Wahrheit, vorgetragen im Zusammenklang des ganzen Lebens, in Einstimmung mit dem Altertum, − das ist die Frucht, die man von einem Lehrer erwarten kann. Eines Lehrers Frucht ist Lehre, eines Predigers die Predigt, eines Dieners Gottes Frucht Gottesdienst nach dem Befehl des HErrn und nach der Weise aller frommen Knechte Gottes. Hier habt ihr, meine Freunde, was nicht Schafspelz, was Frucht der Lehrer ist: reine, alte, schriftgemäße Lehre des Mundes und Lebens, − denn es lehrt an einem Lehrer alles und es gibt keine Zeit und keinen Ort, wo der, dem das göttliche Amt zu Theil geworden ist, aufhörte, es zu tragen. Wenn nicht immer im Amte, doch allezeit für das Amt lebt ein Knecht des HErrn, und ein Widerspruch zwischen Lehre und Leben soll drum nicht Statt haben. Die Lehre Seines Mundes ist das Ja − und der Wandel das Amen; die Lehre ist die Traube und der Wandel zeigt sich als reif und süß. Die Lehre wird erkannt an der Schrift und am Bekenntnis der treuen Kirche − und der Wandel an der Lehre − und sonach den rechten Lehrer von dem Wolfe zu unterscheiden ist für ein einfältiges Auge, das gerne sähe, nicht schwer.

 Bei alle dem, meine Freunde, ist nicht zu verleugnen, einmal daß vor allem auf die Lehre der Lehrer das Auge zu richten ist, weil sie kenntlicher und leichter zu urtheilen ist, als der Wandel, weil erst an ihr der Wandel Licht bekommt − und weil die Lehre mehr, als der Wandel vor den Augen und Ohren Jedermanns ist. Das Beispiel ist gewaltig, aber das böse ist gewaltiger, als das gute, und das reine Wort, in welchem und durch welches der heilige Geist wirkt, ist kräftiger als ein reines Leben, das bloß mit menschlichem Zuge die Herzen anzieht. Die heilige Lehre ist Himmelwesen, in die Seele eingesenkt, − sie ist der Leib des heiligen Geistes, wenn Er den Menschen heimsucht: sie überwindet in willigen Herzen je länger je mehr allen Widerstand, sie heiligt − und gleicht dem Sonnenlichte, das nicht bloß leuchtet, sondern auch erwärmt und belebt. Eine Abweichung von der reinen Lehre ist Lüge − und eine Lüge, so klein sie scheine, ist nicht klein, sie ist verderblich und ein wenig Sauerteig verderbt den ganzen Teig. Darum achte jeder, wie sehr er immer kann, auf die Lehre.

 Es ist aber zweitens auch nicht zu verleugnen, daß in Sachen der Lehre, wie in allen Dingen, welche vom Verständnis abhangen, der Begabtere, auf welchen die andern aufsehen, eine Verantwortung auch für diese übernimmt. Es kann in der Religion nicht anders sein, als in allen übrigen Gebieten und Lebenskreisen der menschlichen Seele. Die einen gehen voran und die andern folgen nach, und der Vorgänger muß der Nachfolgenden gedenken. Deshalb geht an die Begabteren in jeder Gemeinde das Wort des HErrn „Sehet euch vor“ in doppelter Kraft, und es mögen drum die unter euch, welchen Urtheil und Verstand gegeben ist, zusehen, daß sie nicht sich verderben und die ihnen folgen.


 Was, meine theuern Freunde, von den Predigern gilt, das gilt auch von den Confessionen. Heute seid ihr unterrichtet, woran man sie erkennen soll. So prüfet denn wohl! Laßet bei eurem Prüfen der Lehrer

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 056. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/395&oldid=- (Version vom 17.7.2016)