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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Unterschieden zwischen rechten und falschen Lehrern anzureizen − und jetzt laßet mich hoffen, daß ich vor theilnehmende Ohren und für fragende Seelen über jene Unterschiede rede.

 Bisher, meine geliebten Brüder, habe ich unser heutiges Evangelium ganz als Antwort auf die Frage behandelt: „Predigen alle Prediger Gottes Wort“? Nunmehr wendet sich meine Rede also, daß die Frage ist: „Welche sind die rechten Prediger und woran werden sie erkannt?“ Beide Fragen und deren Antworten hängen auf das Innigste zusammen und ihr werdet das selbst leicht finden. Es hälfe uns ja nichts, zu wißen, daß nicht alle Gottes Wort predigen, wenn wir nicht auch Aufschluß darüber bekämen, welche Prediger als Prediger des göttlichen Wortes und als gute Unterhirten JEsu anzusehen sind, denen man seine Seele vertrauen kann. Gemäß unserm Texte will ich mich darüber so kurz und deutlich faßen, als ich kann.

 Zuerst sage ich: Man erkennt treue Lehrer und gute Hirten nicht bloß an ihrem Aeußern. Der HErr sagt, die falschen Propheten kämen im Gewande der echten, die Wölfe in übergezogenem Schafspelz. Alles, was man äußerlich annehmen kann, was man erheucheln kann, ist nicht ein sicheres Kennzeichen des Innern. Was also ein falscher Lehrer durch Aufwand von List und natürlichen Kräften frommen Lehrern abborgen kann, kann täuschen, und weh dem, der solchem äußerlich erscheinenden Wesen traut. Es versteht sich dabei von selbst, daß das Aeußerliche, weil es verführen kann, deshalb nicht verführen muß, also auch nicht verworfen, verdammt und verachtet werden kann. Es bleibt in seinem Werthe und alles, was gesagt werden soll, ist im Grunde nicht mehr als daß man es nicht überschätzen dürfe.

 Das, woran man den Menschen überhaupt, also auch den rechten Prediger und Lehrer erkennen soll, nennt der HErr Frucht. Den Menschen nennt Er Baum, seine sichern Kennzeichen Früchte. Auch die Frucht ist etwas Aeußeres, wie der Pelz; aber die Frucht ist ein Aeußeres, welches mit dem Innern in der genauesten Verbindung steht, welches sich nicht wie der Pelz am Schafe, wie die Rinde am Baume bloß äußerlich ansetzt und nicht wie Pelz und Rinde mit anderem Pelzwerk oder mit der Rinde anderer Bäume verwechselt werden kann; die Frucht wächst aus dem Innern hervor, gibt Zeugnis von dem innern Wesen und Werth des Baumes und versinnbildlicht uns ganz kenntlich und leicht zu unterscheiden die wahre Kraft und Tugend des Baumes. An nichts kann man Baum und Baum, Creatur und Creatur leichter unterscheiden, als an der Frucht. Da sehen wir nun, wie gar nicht der HErr das Aeußere verachtet! Er dringt nur auf die Verbindung des Innern und Aeußern und will keine Creatur an einer andern äußerlichen Sache erkannt haben, als an der Frucht, die selbst der stärkste Beweis ist, daß Inneres und Aeußeres unzertrennlich vereinigt sind, wo Er mitwirkt. So sollen wir uns zumal bei der Unterscheidung von Menschen und Lehrern ja nicht einbilden, ins Innere schauen zu können. Das Innere ist unsichtbar, nur Gott erkennt es und weder Menschen, noch Engel, noch Teufel. Nicht das Innere eines Baumes, geschweige das Innere des Nächsten können Menschen unterscheiden. Der Mensch sieht, was vor Augen ist, und es ist genug, wenn er nur sein Auge auf das Aeußerliche richtet, welches nicht trügt, nemlich auf die Frucht. Denn die Frucht trügt nicht, das sagt der HErr. „An ihren Früchten, spricht Er, der Selbst nicht trügt, an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ „Kann man, fragt Er, kann man auch Trauben lesen von den Dornen? oder Feigen von den Disteln? Also ein jeglicher guter Baum bringt gute Früchte, aber ein fauler Baum bringt arge Früchte. Ein guter Baum kann nicht arge Früchte bringen, und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen. Ein jeglicher Baum der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Darum an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.

 Bei einer so starken, gewaltigen Behauptung und Lehre von der Untrüglichkeit der Früchte, fragt es sich nun vor allem, was für Schafspelz, was für Frucht zu rechnen sei? Zum Aeußern, das trügen und täuschen kann, rechnet der HErr unerwartet viel. Er rechnet z. B. die äußere Ehre dazu, die man Ihm selbst gibt, indem man Ihn „HErr, HErr“ nennt. Es liegt in der Wiederholung des Wortes HErr eine Andeutung, daß die äußerliche Ehre dem Hochgelobten mit großem Eifer dargebracht sein kann, ohne doch eine Frucht der Seele genannt werden zu dürfen. Zwischen dem Eifer, der sich in Anrufungen Gottes erschöpft, und jenem gründlichen Beten, da man vor Gott sprechen kann: „Aus der Tiefen rufe ich, HErr, zu Dir“ − ist ein großer Unterschied. Jener kann Schafpelz sein,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 054. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/393&oldid=- (Version vom 17.7.2016)