Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Trinitatis 05

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Am fünften Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Luc. 5, 1–11.
1. Es begab sich aber, da sich das Volk zu Ihm drang, zu hören das Wort Gottes und Er stand am See Genezareth, 2. Und sahe zwei Schiffe am See stehen; die Fischer aber waren ausgetreten und wuschen ihre Netze: 3. Trat Er in die Schiffe eines, welches Simonis war, und bat ihn, daß er es ein wenig vom Lande führete. Und Er setzte sich und lehrete das Volk aus dem Schiff. 4. Und als Er hatte aufgehöret zu reden, sprach Er zu Simon: Fahre auf die Höhe und werfet eure Netze aus, daß ihr einen Zug thut. 5. Und Simon antwortete und sprach zu Ihm: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf Dein Wort will ich das Netz auswerfen. 6. Und da sie das thaten, beschloßen sie eine große Menge Fische und ihr Netz zerriß. 7. Und sie winkten ihren Gesellen, die im andern Schiff waren, daß sie kämen und hülfen ihnen ziehen. Und sie kamen und fülleten beide Schiffe voll, also, daß sie sunken. 8. Da das Simon Petrus sahe, fiel er JEsu zu den Knieen und sprach: HErr, gehe von mir hinaus; ich bin ein sündiger Mensch. 9. Denn es war ihnen ein Schrecken angekommen und alle, die mit ihm waren, über diesen Fischzug, den sie mit einander gethan hatten; 10. Desselbigen gleichen auch Jacobum und Johannem,| die Söhne Zebedäi, Simonis Gesellen. Und JEsus sprach zu Simon. Fürchte dich nicht; denn von nun an wirst du Menschen fahen. 11. Und sie führeten die Schiffe zu Lande und verließen alles und folgten Ihm nach.

 AM See Genezareth steht der HErr. Von den Bergen, welche rings den See umgeben, kommt ein unzähliges Volk, das nach dem Worte Gottes hungert; − am Ufer stehen zwei leere Schiffe, die Schiffer sind ausgetreten, stehen im Waßer und waschen ihre Netze, welche die Nacht über vergeblich ausgeworfen und schmutzig geworden waren; die Schiffer haben Mangel an zeitlicher Nahrung. Zum Herzen des gütigen und barmherzigen Heilandes spricht also ein gedoppelter Mangel, der geistliche Mangel des herzuströmenden Volkes und der leibliche jener Schiffer. Wem wird nun der HErr helfen? Welche Noth wird Ihm mehr zu Herzen dringen? − Nicht die, welche vielen Barmherzigen dieser Welt als dringender vorgekommen sein würde, sondern die Seelennoth der sich um Ihn her sammelnden Menge. Die hungrigen Leiber müßen warten, die hungrigen Seelen werden zuerst gespeist. Erst muß der himmlische Beruf an die Menge ergehen, ehe der irdische Beruf der Fischer seinen Segen empfängt. Die Fischer müßen ihr Misgeschick vergeßen, ihre leibliche Noth bei Seite schieben, ihrer Seelen Bedürfnis ins Auge faßen, sich unter die Hörer mischen und hören, ihren Seelenhunger, welcher, wie hernach erschien, wie der HErr voraus erkannte, in der Tiefe ihrer Seele auf Speisung wartete, vor dem leiblichen Mangel stillen laßen.

 Daraus geht hervor, daß die Noth der Seele, obschon sie durch Gewohnheit vom Mutterleibe an weniger gefühlt wird, in den Augen Gottes dennoch größer ist, als die gefühltere und empfindlichere Noth des Leibes. In Gottes Augen ist es also, aus dem Evangelio ist es gleichfalls leicht darzustellen, es wird auch im Allgemeinen so angenommen und zugestanden; aber wenn einer in den Fall der Fischer kommt, wenn er von Leibesnoth bedrängt ist und ihm die gemeingiltige Behauptung, daß seine Seelennoth größer sei, vorgehalten und er ermuntert wird, vor allen Dingen für seine Seele zu sorgen: da sträubt sich das Herz wider die längst beschworene Regel und man merkt in der Schule der Erfahrung, wie schwer es sei, wenn die irdische Hütte drückt, an der Seelen Heil zu denken. Da gilt es ein gelehriges, selbstverleugnendes, geduldiges, im Glauben starkes Herz. Ach da gibts Seufzen und Klagen − und nur selten sind die edlen, demüthigen und doch hochgemuthen Heldenseelen, die, treu dem himmlischen Berufe, die zeitliche Qual mit Freuden tragen und zufrieden sind, wenn es ihnen nur ewig glückt. Und doch ist in der Verleugnung alles Zeitlichen ein süßerer Trost, als man denken mag, und wer ihn einmal genoßen, kann sein nie vergeßen, verlangt auch im Strome von Gott geschenkten, irdischen Glückes zurück nach ihm.

 Lernet, theure Brüder, lernet Verleugnung dieser Welt, lernets für euch, euch zum Frieden, lernet es auch für andere, die euer Beispiel lehren soll, daß die Seelennoth und Seelensorge so viel größer sei als Leibesnoth und Leibessorge, als die Seele über den Leib erhaben ist an Werth. Wenn nirgend solche Menschen erscheinen, aus deren ganzem Wandel ersichtlich ist, daß man dem Heile der Seele leben könne: so kommt die Menge auf den Gedanken, es sei nicht möglich, im schmerzlichen Weh des zeitlichen Lebens dem Heile der Seele nachzutrachten, und sie überläßt sich dann, im Innern ungestraft und ohne Unruhe, desto ungezügelter der Lust und dem Schmerze dieser Welt. Wenn hingegen hie und da einmal Menschen ersehen werden, die für den Himmel leben und mitten im Leid und in der Wonne dieser Welt den Einen Gedanken behalten und ihm Raum geben können, daß sie hier keine bleibende Stadt haben, sondern die zukünftige suchen; so wird manch anderer auch auf die Gedanken gebracht, die so heilsam sind, und heilige Beispiele fröhlicher Weltentsagung erwecken Nachfolge, helfen manches Herz von den Banden der Erde losreißen und dem Himmel zukehren. Das beachtet, liebe Brüder! Es ist ja doch nur Anfechtung und Täuschung, wenn die Leibesnoth größer erscheint als die Seelennoth; der Versucher will die Himmelssorge nicht aufkommen, nicht siegen laßen, will das Herz in Erdennoth ersticken, damit es ewig unglückselig werden möge!


 Unser Evangelium erinnert uns an einen doppelten zeitlichen Beruf: Fischefahen, Menschenfahen. Beide| Berufe sind zeitlich, Menschenfahen wie Fischefahen. Es ist so einfach und natürlich, dies zu sagen und doch ists nicht ohne alle Ueberraschung. Man ist geneigt, den Beruf des Menschenfahens, weil er so nahe mit dem Himmel und der Ewigkeit sich berührt, einen nicht zeitlichen, sondern ewigen zu nennen. Und doch gibt es jenseits keine Menschen mehr zu fahen; was hier nicht gefangen wird, bleibt ungefangen, und an den Gestaden des gläsernen Meeres, von welchem St. Johannes schreibt, gibts keine Netze noch Fischer mehr; und es ist also nur übergroße Achtung vor dem Beruf des Menschenfahens, wenn man ihm eine ewige Währung und Dauer zumißt. Aber das ist wahr, von Gott ist der Beruf des Menschenfahens, von Gott stammt aber auch des Fischers Beruf. Diesen hat der HErr im Paradiese eingesetzt, wie jeden zeitlichen Beruf; jenen insonderheit stiftet der Sohn Gottes im Neuen Testamente. Und wie sie beide von Gott sind, so sollen sie beide im Dienste des himmlischen Berufes sein, den die Menschheit hat, sollen zu Dem führen, von dem sie stammen, zu Gott und Seinem ewigen Vaterhause. − Beide sind voll Mühe und Arbeit und ringen umsonst nach Erfolg, sind unfruchtbar und eitel, wenn nicht der HErr mit ihnen ist, der sie gestiftet hat, getrennt von welchem, ohne welchen keine Seiner Creaturen Wesen und Segen hat. Zwar gibt es auch gottlose Fischer, die dennoch Fische, und antichristische Menschenfänger, die viele Seelen zu Hauf bringen, aber ihre Erfolge sind kein Segen zu nennen, sondern sie sind hochbedenklich und seelengefährlich. Es ist eine Erfahrung, welche keiner entbehren kann, die jeder zuweilen machen muß, der ewig reich und groß werden soll, daß wir, allein mit aller unserer Macht und Weisheit, nichts vermögen. Unsere unfruchtbare Schwachheit, unsere gänzliche Abhängigkeit von dem Mitarbeiter, der uns heute im Schifflein Petri, nach gehaltener Predigt so groß und hehr erscheint, muß uns an die Hand gehen und uns in den Staub legen. Wer sich und seine Schwachheit nicht erkannte, verwechselt wohl auch den Segen, den der HErr gibt, mit dem Erfolg eigener Arbeit und der Frucht eigenen Werthes. Nur wer durch Erkenntnis seiner Armuth gedemüthigt wird, wird auch durch den Segen den Gott gibt, gedemüthigt: die nicht zerbrochenen Geistes sind, werden aufgebläht und hochmüthig durch jeden Erfolg, sie mögen nun Fische oder Menschen fahen. Lernen wir an Petro! Er ist arm und sein Fleiß ungesegnet gewesen, so lang er allein war, − das hat ihn gedemüthigt. Er ist reich geworden und groß von Segen, als der HErr mit ihm war, − das mehrte seine Demuth. Ehe JEsus kam, stand er darbend, in Hoffnung beßeren Gelingens seine Netze waschend; als JEsus kam und half, lag er voll Erkenntnis seiner Sünde und seines Unwerths und dennoch freudenvoll vor seinem Helfer auf den Knieen. Das Unglück hat seine Demuth angefangen, und das Glück hat sie vollendet. So hat ihm sein irdischer Beruf zur Erreichung des ewigen gedient. Und gerade das ist des Segens bester Segen! Wo der Segen Gottes recht wirkt, wirkt er wie Kohlen auf dem Haupte, bringt er zur Erkenntnis der Sünde und der Gnade Gottes, während er dem Hochmüthigen die letzte Spur der seligen Demuth im Herzen austilgt und ihn so fort und fort zum Verderben führt. Der demüthige Petrus wird durch die Menge der Fische auf die Menge seiner Sünden geführt. Ein demüthiger Landmann wurde durch die Menge Kornes, welches er aufgespeichert hatte, zur Erkenntnis seiner vormals unbedacht herausgeschütteten Flüche gebracht. Ein demüthiger Menschenfänger wird durch die Menge von ihm gewonnener, dem HErrn heimgeführter Seelen zu erschütternden Blicken in seine tiefe Verderbnis erweckt. Und wo immer Gottes Segen ein durch Unglück und Noth wahrhaft bereitetes Herz findet, da wirkt der Segen im zeitlichen Berufe nicht Vergeßenheit zuvor erfahrener Sünde und Schwachheit, sondern immerwährendes, beschämendes Andenken an die Zeit und Stunden, da man Saaten aussäete, welche eine ganz andere Aernte, nemlich eine Aernte des Fluches verdient hätten. Wirkt dann Gottes Segen also: so wirkt er auch noch mehr, nemlich Nachfolge JEsu. Petrus erkennt seine Schuld, er bittet den HErrn, ihn zu verlaßen, nicht weil er Ihn nicht gerne bei sich hatte, sondern weil er sich für eine allzugeringe und unpassende Gesellschaft JEsu hielt, − nicht weil er in seiner erkannten Sünde bleiben wollte, sondern weil er sah, welch eine weite Strecke zwischen seiner Sünde und der Reinigkeit des HErrn war. Er war nicht träg zum Guten, nicht verzweifelnd an seiner Heiligung; das zeigte sich, als ihn der HErr zu Seiner Schule und Nachfolge berief: „er verließ alles und folgte Ihm nach.“ Herrliche Wirkung des Segens im zeitlichen Beruf, mächtiger Fortschritt im| himmlischen Beruf! Demüthig − und eifrig im Guten! Voll tiefen Wehs der Sünde − und doch voll glühenden Hungers des heiligen JEsu Eigentum zu sein! Nichts schonen, alles verlaßen, Weib und Beruf und Haus, und JEsu folgen! O des nachahmungswürdigen Beispiels Petri, der, so von dem heiligsten Fischer JEsus gefangen, den Weg betritt, ein Menschenfänger sonder Gleichen zu werden! Brüder, wandeln wir auch so durch Mangel und zeitlichen Berufssegen zur Demuth und von der Demuth zum Gehorsam, zur Hingabe an JEsum? Petrus verließ alles und folgte JEsu; halten wirs für schwerer oder für leichter, was uns obliegt, − nichts zu verlaßen und Christo zu folgen, also durch die zeitlichen Güter zu wandeln, daß wir die ewigen nicht verlieren? − Ich breche ab, ich wiederhole nur noch den Sinn des Gesagten mit zweien Worten, − mit zweien Worten, die ich am liebsten zu dem Vater der Barmherzigkeit in Christo JEsu richte: Der HErr gebe, daß auch uns der zeitliche Beruf zur Erreichung des himmlischen, zu unserer Seelen Vollendung diene!
 Fische fahen, Menschen fahen − beides zeitliche Berufe, beide von Gott, beide bestimmt, dem ewigen Berufe, der Heiligung und Vollendung der Menschheit zu dienen! So haben wir vernommen. Beide ordnen sich dem himmlischen Berufe unter, das ist gewis; aber laßt uns einmal beide nicht mit dem höheren, himmlischen Berufe, sondern unter einander vergleichen, so werden wir finden, daß sich einer wieder dem andern unterordnet. Welcher von beiden mit dem himmlischen Berufe der Menschheit am unmittelbarsten zusammenhängt, ihn am kräftigsten fördert, der ist unter beiden der erste, dem ordnet sich der andere unter. Sieh in unsern Text! Der Fischer läßt seine Netze, leiht dem großen Menschenfischer JEsu sein Schifflein, führt es ein wenig vom Lande, nicht um aus dem See Genezareth Fische zu ziehen, sondern damit der HErr von der Schaar an dem gekrümmten Ufer beßer gesehen und vernommen werden könnte. Das Schifflein wird zur Kanzel, der Fischer zum Kirchner − offenbar dient der Fischer und sein Fahrzeug dem Menschenfischer JEsus, der zeitliche Beruf des Fischefahens weicht und gibt die Ehre dem zeitlichen Berufe des Menschenfahens; dieser ist der erste, jener ist der zweite. So ist es: alle zeitlichen Berufe ordnen sich dem Berufe des Menschenfahens unter, weil keiner so unmittelbar und geradezu die Bahn zum Himmel und der ewigen Verklärung des menschlichen Geschlechtes zeigt, auf dieselbe hilft und auf ihr fördert. Es ist nicht muthwillige, übermüthige Erhebung, sondern es ist gerechte Anerkennung einer unumstößlichen Wahrheit, wenn wir behaupten, vor dem Netze des Menschenfischers JEsus, vor dem Amte und Berufe, den Er gestiftet hat, Seelen aus dem Meere der Welt zu Sich zu ziehen, neigen sich auch Kronen und Scepter, − und alle Berufe der Welt und die gesammte letzte Zeit und Stunde der Welt dient im Grunde nur dazu, daß JEsu Fische gefangen werden, und wenn der letzte ins Netz gegangen, den Er vorausgesehen, so verrinnt die Zeit, alle zeitlichen Berufe hören auf und die Ewigkeit beginnt. − Scheine ich zu viel zu reden, bin ich albern im Ruhme des Amtes, das ich selber habe; so vertraget mich noch ein wenig, und laßt mich hoffen, daß, was ich ferner zu reden habe, euch meine Behauptung und den Ruhm meines Amtes angenehmer macht. Sehet noch einmal in den Text! Warum empfängt Petrus die große Menge Fische? Ists nicht Lohn dafür, daß er in seinem zeitlichen Berufe dem Menschenfischer JEsus gedient hat? Segen im zeitlichen Berufe erscheint hier als Lohn für treue Unterordnung desselben unter den Beruf des Menschenfahens. Ich will nicht zu dem biblischen Beispiele noch andere aus der Geschichte der Welt und der Kirche liefern, die ein Gleiches bezeugen, daß der HErr diejenigen im zeitlichen Berufe segnet, welche ihn anwenden, dem Menschenfischer JEsu zu dienen. Ich will es kühnlich wagen, aus dem einen Beispiel unsers Textes meine Behauptung aufzustellen und hier zu wiederholen; ich will auf Widerlegung warten − und werde geruhig warten − und fortfahren können. − St. Petrus ordnet seinen Fischerberuf dem Berufe des Menschenfahens unter, dafür empfängt er im zeitlichen Berufe selbst großen Segen, und der große Segen dient nun wieder dem Beruf des Menschenfahens. Denn er selbst und seine Genoßen im zeitlichen Berufe werden durch diesen Fischfang gefangen, JEsu Anbeter, JEsu Schüler − und wir merken also, daß nicht bloß der zeitliche Beruf des Fischers, sondern auch der irdische Segen des Fischers im Dienste des Menschenfahens steht. Das merken wir und wir schließen getrost daraus noch mehr,| daß nemlich aller Segen, den Gott auf irgend einen zeitlichen Beruf legt, zu Seines Reiches Mehrung, also auch zur Förderung Seines heiligen Berufes des Menschenfahens dienen soll. − Und überdies! Petrus war ein Fischer am See Genezareth, Christus beruft ihn zum Menschenfischer. Darum, daß er mit seinem zeitlichen Berufe Christo in Seinem Berufe des Menschenfahens gedient hat, wird er nicht bloß mit Fischen gelohnt, sondern er wird berufen, sein bisheriges Gewerbe niederzulegen, um sich in JEsu Schule und Nachfolge zum Menschenfahen vorzubereiten. Da hieß es: wenn du mich demüthigst, machst du mich groß. Petrus war durch Mangel und Reichtum klein geworden. Innere Kleinheit ist Befähigung zu Größerem und gibt Anwartschaft dazu. Demüthigung ist der Anfang derjenigen Seelengröße, die Gott wirkt, die Ihm gefällt, die Er in Seinem Reiche gebraucht, − die Er, um von unserem Fall zu reden, zum Menschenfahen gebraucht, denn Menschenfahen ist eine Erhöhung gedemüthigter Seelen. Es ist in Wahrheit eine Erhöhung und eine große Seligkeit. Von dem HErrn gefangen werden ist auf Erden die größte Seligkeit, nach dieser gibt es keine größere, als die, Menschen für den HErrn fahen zu dürfen. Zu dieser beruft der HErr, da Er Petrum lohnen will. Zu dieser zu berufen, Menschenfänger zu bereiten, ihnen den Fang möglich, den Fang gedeihlich zu machen, kam Er Selbst in die Welt, sandte Er auch Seinen heiligen Geist, wurde Er Selbst zum Menschenfänger. Es ist von dem HErrn ganz und gar auf das Menschenfahen abgesehen, Menschenfahen und Seligmachen ist sehr verwandt! dieses ohne jenes ist nicht möglich, denn jenes ist der Anfang von diesem. Menschenfahen ist für die Ewigkeit der einflußreichste Erdenberuf − und es bleibt dabei, daß alle anderen Berufe diesem die Palme reichen und reichen sollen. − Und das alles, meine Freunde, ist so ferne, ein Versuch zu ungebührlicher Erhebung des geistlichen Amtes zu sein, daß ich vielmehr zum Schluße dieser Sätze sagen kann: Wie groß werden Petrus und seine Genoßen dadurch, daß sie zu Menschenfischern erhoben werden, und wer ist dennoch ärmer und geringer geblieben als sie? Sie verließen alles und folgten JEsu nach, da folgten sie Ihm auch in Sein armes Leben, in Seine Verfolgungen, endlich zu Seinem Kreuze. Wichtigkeit und Segen des Berufes sind ja nicht einerlei mit Pracht und Wohlleben. Der Beruf, der so groß und hehr ist in sich selber, ist ein Bettler in der Welt; der alle Welt reich machen soll und kann, klopft demüthig an alle Thüren, als wollte er nicht geben sondern nehmen, und es geht gerade, wie der HErr gesagt hat? Der größte unter allen ist ein Diener aller. Das beklage kein Knecht des HErrn − es ist einem jeden heilsam und schadet weder der Größe und Würde, noch der Wirkung des heiligsten Berufes.
 Zum Schluße, meine theuern Brüder, lege ich euch noch eine Reihe von Gedanken vor, die meiner Seele wohlthun, so oft ich sie mir selber wiederhole. Sie sind aus unserm Text genommen. − Als Petrus die große Menge Fische sah, dachte er, wie wir schon gehört haben, an seine Sünden und betete JEsum an. Daran erkennen wir eine Apostelseele. Er hat die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen, daran wird er inne, daß er keine Macht über die Creatur hat, und richtig fühlt er, daß diese Ohnmacht in dem Falle, in der Sünde ihren Grund und Boden habe. Christus dagegen spricht ein Wort, da kommen ohne Zwang die Fische ins Netz; Christus ist HErr über die Creatur − und Petrus schließt daraus ganz richtig auf die Sündlosigkeit unsers HErrn, − und der starke Gegensatz zwischen der eigenen Ohnmacht und Christi Macht erweckt in ihm den stärkeren Gegensatz zwischen seiner Sünde und Christi heiliger Reinheit. Daß wir über die Geschöpfe nicht mehr Herren sind, daß das Thier auf dem Felde, der Vogel in der Luft, der Fisch im Waßer so theilnahmlos an uns vorübergehen und unser so wenig achten, zeigt uns deutlich, wie nur irgend etwas, unsern tiefen Fall und den Verlust des göttlichen Ebenbildes. Denn zum Bilde Gottes gehört Macht und Stärke eben so wie Weisheit und Verstand, wie Heiligkeit und Gerechtigkeit. Wir sind gefallen und erniedrigt, und erfahren es alle Tage und können es nicht leugnen. Wir sehnen uns alle Tage mehr darnach, daß es anders werde, daß die Offenbarung der Herrlichkeit komme, welche Gottes Kindern bestimmt ist, und daß wir wieder Herren werden über die Natur, die nimmermehr ist, was sie soll, wenn sie nicht unser ist. − Es wird auch wieder anders werden. Jedes Wunder, womit Christus oder Seine Heiligen über die Natur Macht beweisen, ist ein Pfand und Angeld, daß es anders werden, daß| der Mensch seine alte Herrlichkeit wieder finden und wieder üben kann. Es wird eine Zeit kommen, wo die Creatur dem Worte des Menschen sich wieder fügen und schmiegen wird, wie sich die Fische unter JEsu Willen fügen und sich gehorsam auf der Straße drängen, die Sein Auge und Sein heiliges Wort bezeichnen. Aber zu diesem Fischefahen kommt es durch ein Menschenfahen. Petrus fängt nichts, da er alleine ist; aber nachdem er des HErrn Wort vernommen, Glauben und Vertrauen zu Ihm gefaßt hat, auf Sein Wort auch das müde, schmutzige Netz noch einmal auswerfen will, da Er mit einem Wort von Christo gefangen ist, da fängt er auch Fische, da drängen sich die muntern, gehorsamen Thiere zu seinem Netze. Das ist der Weg für alle, die zur Herrlichkeit und zur Theilnahme an dem Reich und Regimente JEsu kommen wollen. Sich von JEsu fahen laßen, alles thun, was immer möglich, daß Er mehr und mehr von unserem Geschlechte fahe, − mit Ihm Menschen fahen, beten, fasten, weinen, sinnen, wachen, arbeiten und leiden für das Glück Seines heilsamen Netzes, Seines gesegneten Amtes, − Ihn nicht laßen, bis wir Mengen Seiner Menschenfische sehen: das ziemt uns, theure Freunde, und damit helfen wir, so weit es uns Armen vergönnt ist, die Zeit der Verherrlichung des menschlichen Geschlechtes herzubringen. Petrus wird aus einem ohnmächtigen Fischfänger ein gewaltiger Menschenfänger; wir werden an keine Macht über die Creatur und über die zeitlichen Dinge denken dürfen, bevor der große Fischfang des HErrn, das Werk Petri und seiner Nachfolger vollendet ist. Darum auf, meine Brüder, laßt uns dem HErrn unsere Schiffe und Ruder und Arme, unsere Zeit und Kraft aufopfern wie Petrus, auf daß er Menschen fahe. Je sehnsüchtiger wir auf den Tag hinaussehen, wo wir Könige und Priester sein werden im ewigen Reich, desto eifriger wollen wir Ihm unsern irdischen Beruf und alles, was wir sind und haben, zu Gebote stellen, daß Ihm Sein Werk gelinge, daß Ers vollende, daß Er das Netz ans Land ziehen könne und Seine Engel senden, auszulesen. Je brünstiger wir beten: „Komm bald, HErr JEsu!“ je fröhlicher Seine Antwort klingt: „Ja Ich komme bald!“ desto mehr wollen wir auch arbeiten, mit Ihm arbeiten, daß alle Hindernisse Seines Kommens verschwinden, und die Erde Seines Ruhmes und Preises und Seines Heiles voll werde. Der HErr schenke uns dazu fröhliches Wollen und treues, beständiges, starkes Vollbringen! Amen.




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