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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

der Mensch seine alte Herrlichkeit wieder finden und wieder üben kann. Es wird eine Zeit kommen, wo die Creatur dem Worte des Menschen sich wieder fügen und schmiegen wird, wie sich die Fische unter JEsu Willen fügen und sich gehorsam auf der Straße drängen, die Sein Auge und Sein heiliges Wort bezeichnen. Aber zu diesem Fischefahen kommt es durch ein Menschenfahen. Petrus fängt nichts, da er alleine ist; aber nachdem er des HErrn Wort vernommen, Glauben und Vertrauen zu Ihm gefaßt hat, auf Sein Wort auch das müde, schmutzige Netz noch einmal auswerfen will, da Er mit einem Wort von Christo gefangen ist, da fängt er auch Fische, da drängen sich die muntern, gehorsamen Thiere zu seinem Netze. Das ist der Weg für alle, die zur Herrlichkeit und zur Theilnahme an dem Reich und Regimente JEsu kommen wollen. Sich von JEsu fahen laßen, alles thun, was immer möglich, daß Er mehr und mehr von unserem Geschlechte fahe, − mit Ihm Menschen fahen, beten, fasten, weinen, sinnen, wachen, arbeiten und leiden für das Glück Seines heilsamen Netzes, Seines gesegneten Amtes, − Ihn nicht laßen, bis wir Mengen Seiner Menschenfische sehen: das ziemt uns, theure Freunde, und damit helfen wir, so weit es uns Armen vergönnt ist, die Zeit der Verherrlichung des menschlichen Geschlechtes herzubringen. Petrus wird aus einem ohnmächtigen Fischfänger ein gewaltiger Menschenfänger; wir werden an keine Macht über die Creatur und über die zeitlichen Dinge denken dürfen, bevor der große Fischfang des HErrn, das Werk Petri und seiner Nachfolger vollendet ist. Darum auf, meine Brüder, laßt uns dem HErrn unsere Schiffe und Ruder und Arme, unsere Zeit und Kraft aufopfern wie Petrus, auf daß er Menschen fahe. Je sehnsüchtiger wir auf den Tag hinaussehen, wo wir Könige und Priester sein werden im ewigen Reich, desto eifriger wollen wir Ihm unsern irdischen Beruf und alles, was wir sind und haben, zu Gebote stellen, daß Ihm Sein Werk gelinge, daß Ers vollende, daß Er das Netz ans Land ziehen könne und Seine Engel senden, auszulesen. Je brünstiger wir beten: „Komm bald, HErr JEsu!“ je fröhlicher Seine Antwort klingt: „Ja Ich komme bald!“ desto mehr wollen wir auch arbeiten, mit Ihm arbeiten, daß alle Hindernisse Seines Kommens verschwinden, und die Erde Seines Ruhmes und Preises und Seines Heiles voll werde. Der HErr schenke uns dazu fröhliches Wollen und treues, beständiges, starkes Vollbringen! Amen.




Am sechsten Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Matth. 5, 20–26.
20. Denn ich sage euch: Es sei denn eure Gerechtigkeit beßer, denn der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. 21. Ihr habt gehöret, daß zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht tödten; wer aber tödtet, der soll des Gerichtes schuldig sein, 22. Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnet, der ist des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Racha, der ist des Raths schuldig; wer aber sagt: Du Narr, der ist des höllischen Feuers schuldig. 23. Darum wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst, und wirst allda eindenken, daß dein Bruder etwas wider dich habe; 24. So laß allda vor dem Altar deine Gabe, und gehe zuvor hin, und versöhne dich mit deinem Bruder, und alsdann komm und opfere deine Gabe, 25. Sei willfertig deinem Widersacher bald, dieweil du noch bei ihm auf dem Wege bist, auf daß dich der Widersacher nicht dermaleinst überantworte dem Richter, und der Richter überantworte dich dem Diener, und werdest in den Kerker geworfen. 26. Ich sage dir, wahrlich, du wirst nicht von dannen herauskommen, bis du auch den letzten Heller bezahlest.

 DAs heutige Evangelium handelt nicht von der Gerechtigkeit des Glaubens, sondern von der wahren Lebensgerechtigkeit. Um es zu verstehen, wollen wir uns vornherein mit wenig Worten deutlich machen,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 039. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/378&oldid=- (Version vom 5.7.2016)