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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Berufe sind zeitlich, Menschenfahen wie Fischefahen. Es ist so einfach und natürlich, dies zu sagen und doch ists nicht ohne alle Ueberraschung. Man ist geneigt, den Beruf des Menschenfahens, weil er so nahe mit dem Himmel und der Ewigkeit sich berührt, einen nicht zeitlichen, sondern ewigen zu nennen. Und doch gibt es jenseits keine Menschen mehr zu fahen; was hier nicht gefangen wird, bleibt ungefangen, und an den Gestaden des gläsernen Meeres, von welchem St. Johannes schreibt, gibts keine Netze noch Fischer mehr; und es ist also nur übergroße Achtung vor dem Beruf des Menschenfahens, wenn man ihm eine ewige Währung und Dauer zumißt. Aber das ist wahr, von Gott ist der Beruf des Menschenfahens, von Gott stammt aber auch des Fischers Beruf. Diesen hat der HErr im Paradiese eingesetzt, wie jeden zeitlichen Beruf; jenen insonderheit stiftet der Sohn Gottes im Neuen Testamente. Und wie sie beide von Gott sind, so sollen sie beide im Dienste des himmlischen Berufes sein, den die Menschheit hat, sollen zu Dem führen, von dem sie stammen, zu Gott und Seinem ewigen Vaterhause. − Beide sind voll Mühe und Arbeit und ringen umsonst nach Erfolg, sind unfruchtbar und eitel, wenn nicht der HErr mit ihnen ist, der sie gestiftet hat, getrennt von welchem, ohne welchen keine Seiner Creaturen Wesen und Segen hat. Zwar gibt es auch gottlose Fischer, die dennoch Fische, und antichristische Menschenfänger, die viele Seelen zu Hauf bringen, aber ihre Erfolge sind kein Segen zu nennen, sondern sie sind hochbedenklich und seelengefährlich. Es ist eine Erfahrung, welche keiner entbehren kann, die jeder zuweilen machen muß, der ewig reich und groß werden soll, daß wir, allein mit aller unserer Macht und Weisheit, nichts vermögen. Unsere unfruchtbare Schwachheit, unsere gänzliche Abhängigkeit von dem Mitarbeiter, der uns heute im Schifflein Petri, nach gehaltener Predigt so groß und hehr erscheint, muß uns an die Hand gehen und uns in den Staub legen. Wer sich und seine Schwachheit nicht erkannte, verwechselt wohl auch den Segen, den der HErr gibt, mit dem Erfolg eigener Arbeit und der Frucht eigenen Werthes. Nur wer durch Erkenntnis seiner Armuth gedemüthigt wird, wird auch durch den Segen den Gott gibt, gedemüthigt: die nicht zerbrochenen Geistes sind, werden aufgebläht und hochmüthig durch jeden Erfolg, sie mögen nun Fische oder Menschen fahen. Lernen wir an Petro! Er ist arm und sein Fleiß ungesegnet gewesen, so lang er allein war, − das hat ihn gedemüthigt. Er ist reich geworden und groß von Segen, als der HErr mit ihm war, − das mehrte seine Demuth. Ehe JEsus kam, stand er darbend, in Hoffnung beßeren Gelingens seine Netze waschend; als JEsus kam und half, lag er voll Erkenntnis seiner Sünde und seines Unwerths und dennoch freudenvoll vor seinem Helfer auf den Knieen. Das Unglück hat seine Demuth angefangen, und das Glück hat sie vollendet. So hat ihm sein irdischer Beruf zur Erreichung des ewigen gedient. Und gerade das ist des Segens bester Segen! Wo der Segen Gottes recht wirkt, wirkt er wie Kohlen auf dem Haupte, bringt er zur Erkenntnis der Sünde und der Gnade Gottes, während er dem Hochmüthigen die letzte Spur der seligen Demuth im Herzen austilgt und ihn so fort und fort zum Verderben führt. Der demüthige Petrus wird durch die Menge der Fische auf die Menge seiner Sünden geführt. Ein demüthiger Landmann wurde durch die Menge Kornes, welches er aufgespeichert hatte, zur Erkenntnis seiner vormals unbedacht herausgeschütteten Flüche gebracht. Ein demüthiger Menschenfänger wird durch die Menge von ihm gewonnener, dem HErrn heimgeführter Seelen zu erschütternden Blicken in seine tiefe Verderbnis erweckt. Und wo immer Gottes Segen ein durch Unglück und Noth wahrhaft bereitetes Herz findet, da wirkt der Segen im zeitlichen Berufe nicht Vergeßenheit zuvor erfahrener Sünde und Schwachheit, sondern immerwährendes, beschämendes Andenken an die Zeit und Stunden, da man Saaten aussäete, welche eine ganz andere Aernte, nemlich eine Aernte des Fluches verdient hätten. Wirkt dann Gottes Segen also: so wirkt er auch noch mehr, nemlich Nachfolge JEsu. Petrus erkennt seine Schuld, er bittet den HErrn, ihn zu verlaßen, nicht weil er Ihn nicht gerne bei sich hatte, sondern weil er sich für eine allzugeringe und unpassende Gesellschaft JEsu hielt, − nicht weil er in seiner erkannten Sünde bleiben wollte, sondern weil er sah, welch eine weite Strecke zwischen seiner Sünde und der Reinigkeit des HErrn war. Er war nicht träg zum Guten, nicht verzweifelnd an seiner Heiligung; das zeigte sich, als ihn der HErr zu Seiner Schule und Nachfolge berief: „er verließ alles und folgte Ihm nach.“ Herrliche Wirkung des Segens im zeitlichen Beruf, mächtiger Fortschritt im

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 036. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/375&oldid=- (Version vom 5.7.2016)