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Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)
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Am zweiten Pfingsttage.

Evang. Joh. 3, 16–21.
16. Also hat Gott die Welt geliebt, daß Er Seinen eingebornen Sohn gab, auf daß alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. 17. Denn Gott hat Seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, daß Er die Welt richte, sondern daß die Welt durch Ihn selig werde. 18. Wer an Ihn glaubet, der wird nicht gerichtet, wer aber nicht glaubet, der ist schon gerichtet, denn er glaubet nicht an den Namen des eingebornen Sohnes Gottes. 19. Das ist aber das Gericht, daß das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr, denn das Licht, denn ihre Werke waren böse. 20. Wer Arges thut, der haßet das Licht, und kommt nicht an das Licht, auf daß seine Werke nicht gestraft werden. 21. Wer aber die Wahrheit thut, der kommt an das Licht, daß seine Werke offenbar werden, denn sie sind in Gott gethan.

 DAs gestrige Evangelium zeigte uns in der Pfingstgestalt der Kirche das Ziel geistlicher Vollendung, zu welchem der Mensch berufen ist und zu welchem er durch den heiligen Geist gefördert wird. Die gestrige Epistel zeigte uns die Gründung der heiligen Kirche und in derselben ein Bild, das sich überall im Wesentlichen wiederholt hat und noch wiederholt, wo das Evangelium wirksam in die Welt eintritt. Dieselben Mittel bringen dieselben Wirkungen hervor, das Evangelium wird eine Ursache der Scheidung zwischen denen, welche gerettet werden und welche verloren gehen, den Verlorenen wird es ein Geruch des Todes zum Tode, denen, welche selig werden, ein Geruch des Lebens zum Leben, ein Mittel, in ihnen die heilige Pfingstgestalt des Menschen herzustellen. Was nun in der gestrigen Epistel mehr äußerlich erscheint, das sehen wir in dem heutigen Evangelium mehr innerlich vorgehen. Wie sichs dort vor den Augen scheidet| und sammelt, so scheidet und sammelt sichs hier innerlich. Dort sehen wir, wie sich äußerlich die Kirche bildet, hier wie sie innerlich entsteht. − Es ist dieß unser heutiges Evangelium um seines ersten Verses willen, den man mit einem gewissen Rechte eine kleine Bibel genannt hat, ein Lieblingstext vieler Tausende. Man erwartet gerne von denen, welche am Pfingstmontag predigen, daß sie das große Also der göttlichen Liebe auslegen, und entschuldigt es, wenn darüber der übrige Inhalt des Textes bei Seite gestellt wird. Auch meine Seele ruht in jenem großen Also, als im Mittelpunkte alles Glaubens, aller Liebe und am Ende auch aller Hoffnung; auch ich möchte bei ihm allein verweilen, an ihm mich und euch erbauen. Ich will mir aber doch nicht nachgeben, sondern meine gewohnte Weise, Hauptpunkte der Evangelien übersichtlich zusammenzustellen und zu betrachten, einhalten und euch die drei großen Grundgedanken unsres Evangeliums erläuternd vorlegen, nemlich den Gnadenrath Gottes, das Gericht und die Ursachen gerade dieses Gerichtes. Möge mein schlichtes, stilles Wort euch nicht eure Freude am heutigen Evangelium verderben! Möge, während euer Geist prüfend mein auslegendes Wort aufnimmt, zuweilen ein prüfender Blick in die eigene Seele gethan und die Frage gelöst werden, ob bei euch, bei einem jeden insonderheit Gottes Gnadenrath hinausgegangen und das Gericht zum Siege vollführt ist. Und wie auch die Frage von einem jeden gelöst werden müße; möge nach erkannter und gegebener, richtiger Antwort sofort das geschehen, was einem jeden zum Frieden dient.
 Gottes Gnadenrath über das menschliche Geschlecht wird uns im ersten Worte unsers Evangeliums kurz, aber vollständig enthüllt; so Ziel und Ende, wie der Weg zum Ziele liegt klar enthüllt vor unsern Augen. Die Welt, so wie sie ist, mit all ihrer Entartung und Verderbnis, mit allem Jammer, der Geister und Leiber erfüllt, steht Gott gegenüber. Sie ist werth, von dem allmächtigen HErrn verworfen und verflucht zu werden; ein Wink von Ihm reicht hin, sie ewig nach ihrem Verdienste und ihrer Würdigkeit zu bezahlen. Wird Er ihr thun, wie ihrs gebührt? Wird Er mit ihr handeln nach Seiner heiligen Gerechtigkeit? Was wird geschehen? Wie lesen wir? Wir lesen von Seinem gnadenreichen Rathschluß, die Welt selig zu machen. Was sie sich selbst erwählet hat, ohne es zu wißen, − was sie mit allem Thun und Laßen erstrebt, − wonach sie auf breiten, vollen Wegen reiset, − was ihr gegönnt ist von allen selbst verlorenen Geistern der Hölle, das ewige Verderben, das will Gott nicht, Sein Wille strebt wider den ihren zu ihrem eigenen Heil; Er will, was Er geschaffen, nicht umsonst geschaffen haben; Sein heiliger Wille, eine selige Welt vor Seinem Auge darzustellen, den Er schon in der Schöpfung hatte, der soll siegen; Seine uranfängliche Liebe zu Seiner Creatur hat Ihn trotz dem, daß Er die abscheuliche Jammergestalt der Welt kennt, nicht verlaßen, sondern sie regiert in Seinem heiligen, guten Wesen. Gott liebt die Welt, das ist aus Seinem Vorsatz, sie selig zu machen, so offenbar, als nur irgend etwas offenbar sein kann. Aber Er liebt die Welt nicht, weil sie so ist wie sie ist, nicht weil sie von Ihm und Seiner Bahn sich weggerißen und auf den Weg der Verdammnis gestellt hat: welcher Vater liebte je einen verlorenen Sohn um seiner Verlorenheit willen? Gleichwie ein Vater einen verlorenen Sohn trotz der Verlorenheit liebt, weil er sein Sohn ist, so liebt Gott die verlorene Welt trotz ihrer Verlorenheit, weil sie Seine Creatur ist. Sein Geist vermag es, ihre einstweilige Beschaffenheit von ihrem Wesen zu unterscheiden. Er weiß, daß das Böse, was im Menschen ist, nicht mächtiger ist, als sein Gutes und seine Liebe; Er kennt Wege, das Böse aus dem Menschen auszuscheiden, wie ein Scheidekünstler Gift aus Waßer scheiden kann; Er will, Seiner würdig, das Größte und Beste thun, des Teufels Rath zu nichte machen, des Teufels Werk aufheben, den Menschen selig machen. Das will und kann Er, aber der Weg, den Er hiezu einschlagen muß, ist kein gemeiner, kein leichter. Es ist ein Weg, den kein Teufel, überhaupt keine Creatur vorausgesehen und vorausgeahnt hatte. Hätte der Teufel bei Entwerfung seiner Plane den Weg erkannt, es würde ihm der Muth entfallen sein, Hand anzulegen; so sollte man wenigstens denken. Der Weg, welchen Gott erwählte, ist eben nichts anders, als das gepriesene, ewig preiswürdige große Also der Liebe, das sich in den Worten unsers Textes findet: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß Er| Seinen eingeborenen Sohn gab.“ Er gab der Welt Seinen Sohn − das ist ein staunenswerthes Wort. Also Er hat einen Sohn: dieses Vaters Sohn, was für ein Wesen muß Er sein? Dem Vater gleich an Wesen, Art und Majestät! Und diesen Sohn gibt Er der Welt. Es ist nun freilich eine reine Unmöglichkeit, daß der Vater der Welt Seinen Sohn so geben sollte, daß Er Selbst Ihn und der Sohn den Vater verloren hätte. Gott Vater kann Gott Sohn nicht so hingeben, daß Er nicht mehr Sein wäre: des Vaters und Sohnes Einigkeit ist eine wesentliche, und so wenig Gott aufhören kann, Gott zu sein, so wenig kann Vater und Sohn getrennt werden. Er gibt allewege so, daß er Sich nicht vergibt; Er gibt, was Er ewig behält, und Sein Geben erstattet fremden Mangel, ohne die eigene Fülle auszuschütten. Er gibt der Welt Seinen Sohn, von dem sie zuvor nichts gewußt, den sie nicht begehrt hat, − Er gibt und offenbart zugleich Seinen Sohn und bringt so die Welt in einen Besitz, welcher, noch ehe nur des Sohnes Werk gethan ist, sie in eine ganz andere Lage versetzt, aus der verzweifelt bösen eine hoffnungsvolle Lage macht. So wie nur der Sohn gegeben ist, kann die Welt nicht mehr als eine völlig verlorene angesehen werden: die Welt kann nicht verloren werden, die ein solches Geschenk empfangen hat. Und wenn sich nun erst der reiche Sinn des Gebens, dieses Wortes voll allerreichster Bedeutung, enthüllt, wie werden die Engel jauchzen und die Teufel zagen! Aber ich versetze mich zu sehr zurück in die anfängliche Zeit des Gebens; ich vergaß einen Augenblick, daß es ja Pfingsten ist und daß uns die sich nunmehr schließende Reihe schöner Gottesfeste des Gebens Sinn bereits von einer Stufe zur andern enthüllt hat. Am Anfang, als der HErr zu geben beschloß, da war der Entschluß schon ein Geben. Als der Engel am heiligen Tage der Verkündigung zu Marien trat, der heilige Geist über die Jungfrau kam, die Kraft des Höchsten sie überschattete, da war das Geben schon wundervolle Wahrheit worden: Gott gab Seinen Sohn in die Menschheit. Und von da an war jeder Tag Seines Lebens eine Stufe des Gebens mehr. Sein Geburtstag, Sein Tauftag, Sein Todestag, Sein Auferstehungstag, Sein Pfingsttag, − jeder kann die Aufschrift: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß Er Seinen eingeborenen Sohn gab,“ in besonderem Sinne tragen. Und wenn wir erst die Werke Christi recht bedenken, was Er gewonnen und erstritten, für uns gewonnen und erstritten, was mit Ihm uns alles gegeben und geschenkt ward, wie jede Gabe, die Er uns erworben, es Ihm möglich machte, Sich uns persönlich mehr zu nahen, Sich uns völliger zu geben! Er geht in den Tod, um uns zu versöhnen, Er kommt aus dem Tode, um uns Unsterblichkeit zu bieten, − und nachdem Er uns versöhnt und unsterblich gemacht hat, wird Er vollends mit uns eins, indem Er persönlich in uns Herberge nimmt und uns zu Seinen Tempeln macht. Charfreitag und Ostern bereiten Pfingsten vor und an Pfingsten wird Er uns so ganz gegeben! Und auch Pfingsten wird nicht das letzte Geben sein. Die Ewigkeit wird uns noch mehr enthüllen. Wie wird die Liebe Gottes von Tag zu Tage und von der Zeit bis in die Ewigkeit enthüllt, wie wird Sein Sohn immer mehr unser, wie wird uns immer mehr durch That und Wahrheit Gottes Lieb und Gabe erklärt und verklärt! − Gottes Sohn ist unser! Hat Gott uns Seinen Sohn geschenkt, wie sollte Er uns mit Ihm nicht alles schenken! Wie sollte also Gottes Absicht nicht erreicht, die Welt nicht selig werden können? Gott hat unser Heil möglich gemacht und wir könnten so leicht selig werden!
 Und doch werden nicht alle selig, sondern, wie wir wißen, es scheidet sich, es gibt ein Gericht, das ist eben eine Scheidung; − die einen werden selig und die andern werden es nicht. Gottes Liebe ist so reich, ergießt sich über alle, will keinen einzigen verloren gehen laßen; Sein Himmel, wie Sein Herz ist weit genug für alle. Und doch werden nicht alle selig! „Er hat, wie unser Text ausdrücklich sagt, Seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, daß Er die Welt richte, sondern daß die Welt durch Ihn selig werde.“ Und doch, bei dem ausgesprochensten Willen des HErrn, trotz der gewaltigsten Mittel, den Menschen zum ewigen Leben zu helfen, geht eine große Schaar verloren! Ist denn vielleicht ein erschwerender Umstand vorhanden, den wir etwa noch nicht berührt haben? Gott hat Seinen Sohn gegeben, das ist wahr. Aber Er ist nicht sichtbar vorhanden; wird es vielleicht dem Menschen schwer gemacht, Ihn zu| finden und zu erreichen? Ist es vielleicht für armselige Menschenkinder zu schwer, Sein habhaft zu werden? Aber wie leicht widerlegt sich das alles! Es ist nicht erschwert, im Gegentheil es ist erleichtert, es ist ganz unschwer, den Sohn und in Ihm das ewige Leben zu erlangen. Gott kennt ja, was für ein Gemächte wir sind, Er verlangt von uns im Grunde gar nichts, Er schenkt uns alles frei, den Sohn und alle Seine Güter. Er will auch gar nicht, daß wir den Sohn und Seine Gaben nur suchen, sondern Er sucht uns selber, Er bringt uns Seinen Sohn nahe, daß wir Ihn in der Weise, wie Er es haben will, leicht faßen und behalten können. Oder ists nicht so? Ist es nicht Sein Reichsgesetz, daß alle himmlischen Güter im Worte der Predigt nahen und daß wir alles das haben sollen, wovon Er uns zu hören gibt? Du hörst von Christo, da ist dir Christus nahe, da wird Er dir dargeboten. Du hörst von der Versöhnung, da wird sie dir gereicht. Du hörst vom ewigen Leben, und was du hörst, kommt zu dir im Worte selbst. Aber, sprichst du, wird denn nicht Glaube gefordert? Heißt es denn nicht: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß Er Seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben?“ Heißt es nicht: „Wer an den Sohn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes?“ Ist nicht die ganze Seligkeit an den Glauben gebunden, und ist nicht der Glaube eine schwere Sache, eine harte Forderung an den Menschen? Ist er nicht eine gewisse Zuversicht des, das man hoffet, und nicht zweifelt an dem, das man nicht sieht? Und ist nicht Zuversicht deßen, das man nicht hat, sondern erst hofft, − zweifellose Gewisheit unsichtbarer, nur durchs Wort kundgethaner Dinge etwas, was dem Sinne des Menschen widerstrebt, was ihm geradezu unmöglich ist? Mit diesen Fragen scheint meine Versicherung, daß Gott vom Menschen gar nichts zu seiner Seligkeit verlange, freilich umgestoßen zu werden; denn es ist Glaube nöthig, um selig zu werden. Dennoch ist mir nicht bange. Ich will vielmehr zugestehen, daß Glaube nöthig ist, ich will es recht betonen, ich will mit der Schrift sprechen: „Ohne Glauben ist unmöglich Gott gefallen.“ Es ist ja auch so, so zeuget die ganze Schrift, Glaube ist unumgänglich nöthig, wenn man selig werden will. Aber, und das vergiß nicht, so nöthig der Glaube ist, vom Menschen wird er nicht gefordert, ein menschliches Erfordernis zur Seligkeit ist er nicht. Er ist eine purlautere Gottesgabe, und wenn das ist, so fragt sich nur, ob ihn Gott jedem gerne gibt oder nicht. Gibt Er ihn gern, macht Er ihn dem armen Sünder möglich, dann ist ja nicht von Erschwerung die Rede. Ein besonderer Weg zur Seligkeit ist und bleibt alsdann der Glaube, aber ein Hindernis selig zu werden, ist er so wenig, als jeder Weg ein Hindernis ist, zum Ziele zu gelangen. „Gib, was Du befiehlst, betet ein alter Lehrer, und befiehl dann was Du willst;“ und das ist völlig richtig gebetet. Gibt mir Gott den Glauben, so kann Er mir wohl befehlen, Glauben zu haben; denn es liegt dann alle Schuld nur an mir, wenn ich keinen Glauben habe, ich muß ihn nicht angenommen, ich muß ihn von mir gestoßen haben. Und so ist es auch. Die göttliche Predigt erschallt, sie wird vernommen, da regt sich der natürliche Widerstand. Zwar leuchtet alsbald ein, daß die Predigt über alle Wißenschaft der Welt ist, daß sie hehr und heilig ist: denn an wessen Herzen und Gewißen sollte sie sich so nicht beurkunden? Aber es regt sich etwas gegen sie im Innern. Die Predigt erschallt und bald wird bemerkt, daß sie kein bloßes Menschenwort ist, daß sie nicht von abwesenden Dingen redet, daß ihr Inhalt bei ihr ist, mit ihr kommt, daß Kräfte, die überwindend sind, mit ihr dem Herzen nahen, daß sie das Wort eines Stärkeren ist, das den Palast des Starken brechen, ihn einnehmen, den Raub austheilen und ein neues im Innern schaffen kann. Man merkt, daß man leicht überwunden werden könnte. Wenn nun in solchem Fall der Mensch auf den Widerstand seines angeborenen Verderbens nicht achtet, sondern das Wort in sich walten und wirken läßt, dann kommt er zum Glauben, aus Glauben in Glauben, aus Gnade in Gnade. Wenn er hingegen an seinem natürlichen Widerwillen Wohlgefallen trägt und böswillig ihn stärkt, sich vornimmt, das Wort nicht zuzulaßen, ihm auszuweichen, zu widerstreben: dann weicht der Geist zurück, dann kommt der Mensch nicht zum Glauben, so lange er also gesinnt und entschloßen ist. Denn Gott schenkt den Glauben trotz des natürlichen| Widerstrebens, aber nicht trotz boshaften unnatürlichen Widerstrebens. Aufmerksame Hörer, die sich nicht entziehen, werden gläubig, ehe sie hinfahren; aber kein Mensch, der dem HErrn absichtlich, böswillig die Thür verschließt, wird Ihn eingehen sehen. − Da haben wir, meine Freunde, den Scheidepunkt. Etliche kommen zum Glauben, weil sie das Wort walten laßen; etliche kommen nicht dahin, weil sie boshaft widerstreben. Kann man nun noch sagen, daß Glauben schwer, und daß der Weg zum Leben erschwert sei? Was hält den Menschen im Zustand, in welchem er ist, was hindert ihn, erneut zu werden? Sein eigener, böswilliger Entschluß, sonst nichts. Was ist verlangt, wenn gesagt wird, du sollest das Wort hören und wirken laßen? Hörst du doch sonst dieß oder jenes Wort, das keines oder geringen oder schlechten Inhalts ist: warum willst du die wichtigste, die ansprechendste Botschaft nicht hören, nicht überlegen, nicht wirken laßen? Warum willst du dem heiligen Geiste und dem Zuge des Vaters zum Sohne widerstehen? Es ist ein Kleines, woran deine Seligkeit hanget, und das Kleine liegt ganz an dir. Dein Gericht ist in deiner Hand, du kannst wählen, ob du selig oder verdammt werden willst. Das Glauben wirkt Gott, wenn du hörst; wenn du nicht hörst, kannst du nicht gläubig werden und dein Gericht ist gerichtet.

 Da es nun in der That so leicht ist, selig zu werden; da Gott alles thun will und dem Menschen nichts befohlen ist, als hören, woher kommt es denn, daß dennoch so viele den leichten Weg verschmähen, daß sie verloren werden? Das ist das Letzte, was ich euch aus meinem Texte zu sagen habe. Laßet es nicht unbeachtet vor euern Ohren vorübergehen!

 „Das ist das Gericht, spricht unser Text, daß das Licht in die Welt kommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr, denn das Licht, denn ihre Werke waren böse. Wer arges thut, der haßet das Licht und kommt nicht ans Licht, auf daß seine Werke nicht gestraft werden. Wer aber die Wahrheit thut, der kommt an das Licht, daß seine Werke offenbar werden, denn sie sind in Gott gethan.“ In diesen Worten liegt die ganze Antwort auf unsere Frage.

 Das Licht, das in die Welt kommen ist, ist JEsus Christus. Die Finsternis ist der Zustand der Welt, welcher vor Christo gewöhnlich war und auch jetzt noch der gewöhnliche bei denen ist, welche von Christo nichts wißen wollen. Die Finsternis widerstreitet dem Licht und das Licht widerstreitet der Finsternis. Wenn das Licht kommt, weicht die Finsternis, und wenn die Finsternis kommt, weicht das Licht. Die beiden sind wider einander. So ist auch, ehe Christus kam, derjenige Zustand, in welchem der Mensch geboren ist, d. i. ein Zustand der Blindheit und unseliger, eigenwilliger Bosheit, wie eine allgemeine Nacht auf der Welt gelegen und es hat wenig Strafe desselben gegeben. Da kam Christus, der heilige, der gerechte Gottessohn, und Seine Person, Sein Amt, Seine Lehre, Seine Kirche, kurz alles, was Er war und hatte und that, widerstrebte dem, was gewöhnlich war. Und Er leuchtete hinaus in die Welt, das Gerücht und die Predigt von Ihm verbreitete sich überall hin. Alle Menschen wurden von dem Alten zum Neuen, von der Finsternis zum Lichte berufen. Da geschah es, wovon wir reden, die Menschen liebten die Finsternis mehr denn das Licht, und da sie hätten können erleuchtet und selig werden, erwählten sie auch ferner die Finsternis und waren mit ihren alten Zuständen zufrieden. Es wurden wohl viele vom Lichte beschienen und gezogen, aber die altgewohnte Finsternis war ihnen doch lieber, sie liebten die Finsternis mehr, als das Licht, nach leichterem oder schwererem Kampfe entschloßen sie sich zu bleiben, was und wer sie waren. Und warum das? Warum erwählten sie nicht Christum, das seligmachende Licht der Welt? Weil ihre Werke böse waren und weil der nicht ans Licht kommt, der arge Werke thut. Er kommt aber nicht ans Licht, damit seine Werke nicht gestraft werden. Es liegt im Menschen eine Trägheit nicht allein, sondern auch eine Schaam, sich zu ändern. Es will ein jeder den Ruhm haben, sich nie geändert zu haben, denn dieser Ruhm scheint einer und derselbe mit dem Ruhme zu sein, keiner Aenderung bedurft zu haben. Wer in bösen Werken herangewachsen ist, ist ein Kind der Nacht, das von den Strahlen des Lichts nicht bestrahlt werden will, weil jeder Lichtstrahl die Schwärze der nächtlichen Finsternis straft. In Christo ist keine Finsternis, sondern eitel Wahrheit, Gerechtigkeit und Friede; Ihm naht kein Sünder, ohne in sich zu fühlen, wie böse er ist, ohne erkennen zu müßen, daß er ein Urtheil wider sich habe. Das scheut, dieß| bestrafende Gefühl und Gewißen fürchtet der Sünder, es thut zu weh, es macht zu unruhig, es stört zu sehr im Traume selbstgenugsamer, sicherer Ruhe, es widerstreitet zu mächtig jeder Hoffnung des Eigendünkels. Da wäre es ja wahr, daß man nicht bloß umsonst, sondern auch sich zum Schaden gelebt habe; man müßte nicht bloß neue Wege einschlagen, sondern auch die alten selber tadeln und für sie Buße thun, und das, wie könnte man das vertragen? Zu Schanden werden, in den Staub geworfen werden, ein armer Sünder sein, dem außer der Gnade keine Hoffnung bleibt, nein, nur das nicht! Da zieht man sich zurück, da entweicht man dem Lichte, da ergibt man sich mit Entschloßenheit dem vorigen Wesen, und nun wird man ärger als zuvor, denn wenn das Wort umsonst vernommen ist, wenn sich die Seele verhärtet hat gegen das Gute, dann kommt das Böse als Strafe über den Menschen und, wenn er zuvor gesündigt hat, weil ihn seine Lust verführte, so ist es jetzt sein eigener Wille, des Bösen Knecht und Sklave zu sein, da wird er ein Gewaltiger in der Bosheit und mit jedem Tage weicht die Sonne der Gnaden weiter von ihm. − Also böse Werke, hochmüthige Schaam, sie zu bekennen und sich zu ändern, das ist die Ursache, warum sich die Menschen den Einflüßen des heiligen Geistes entziehen, warum sie dem Worte widerstreben.

 Man kann, wenn eine Wahrheit gepredigt ist, ganz ruhig sein wegen der Anwendung. Sie wendet sich selbst an, denn es ist ein allwißender Geist in ihr, der einem jeden Hörer, welcher nur des Wortes achtet, sein Theil gibt. Doch will ich hier meine Ueberzeugung aussprechen. Warum sind viele unter euch, da sie doch vom Worte der Wahrheit heimgesucht und zuweilen ergriffen waren, nicht zum Glauben, nicht zur Seligkeit gekommen, sondern immer schlimmer geworden und von einer groben Sünde in die andere dahingerißen worden? Weil es ihnen nach dem Evangelium gegangen ist. Sie hatten Sünde zu bekennen, und mochten sie nicht bekennen um ihres Stolzes willen; sie mochten nicht unrecht gethan, nicht gesündigt haben und keine Bestrafung leiden. Da sich nun auf der Leiter des Guten keine Sproße überspringen läßt, wer die erste verschmäht, keine andere besteigen darf, und der Mensch auch keines Stillstandes fähig ist; so blieb nichts übrig, als daß die stolzen Sünder rückwärts giengen und durch Gottes Gericht dem Bösen, dem sie nicht in der rechten Weise entsagen mochten, vollends überliefert und dessen Beute wurden. Wie viele von euch, die ihr noch lebet, geht das an! Und wenn man die Decke von der Hölle wegheben und die Verdammten fragen könnte, was sie, da sie doch zum Lichte hätten kommen können, in ihre Finsternis gebracht hat, würden sie nicht am Ende alle gestehen müßen, nicht ihre Uebertretungen an sich, die ja vergeben werden konnten, sondern ihr Hochmuth, nicht offenbar zu werden und sich zu erneuen, sei es gewesen? So wahr ist es, daß die Liebe zur Finsternis, nicht mehr die Finsternis allein die Seelen zur Hölle führt, seitdem Christus gekommen ist.

 Gegenüber diesem „Arges thun“, dieser entschloßenen Liebe zum Bösen, wodurch man verdirbt, steht in unserm Text ein „Thun der Wahrheit“. Wer die Wahrheit thut, heißt es, der kommt ans Licht. Es ist, meine Freunde, in der Reihe dieser Betrachtungen schon einmal erwähnt worden, was für ein großes Ding es ist um das „Thun der Wahrheit“, um den Fleiß in der Wahrhaftigkeit. Es ist und bleibet gewis, wer in allen Dingen eins im Auge behält, nemlich die Wahrheit, Wahrheit für seinen hungrigen Geist sucht, nach der innersten Wahrheit seines Erkennens, Wollens und Fühlens handeln und leben will, auch von allen den Seinigen zuallererst ein wahrhaftiges Benehmen wünscht, fordert und erheischt, der hat sich eine Aufgabe gestellt, und den Seinigen eine Regel gegeben, die weder niedrig, noch gemein ist, − und sein erwählter Weg der Einfalt wird sich ihm tausendfach vergelten. Wenn er nun vor allem mit solchem Sinne das Wort Gottes vernimmt, so strahlt ihn zwar, wie jedes arme, sündige Menschenkind, aus demselben ein Licht an, welches demüthigt; aber weil er die Wahrheit thut, weil er vor allem nach Wahrheit trachtet, so gibt er einfach dem Worte Recht, läßt es auf sich wirken, und sein in Gott gethanes, treues Thun bringt ihn zu JEsu, zum Lichte der Welt, und eben damit zu seiner Seligkeit. Es kann, meine Freunde, nicht die Rede davon sein, daß, wer Wahrheit und Wahrhaftigkeit zum obersten Grundsatz seines Lebens macht, gar nicht sündige, daß er alle seine Werke als in Gott gethan ansehen könne oder dürfe. Er bleibt ja doch bei allem seinem Streben ein irrsamer, sündiger Mensch. Aber sein Grundsatz selbst und sein ehrliches Verlangen ist in| Gott gethan und gesegnet; als eine Art von vorlaufender Gnade leitet es ihn zum Lichte und damit zu allerlei Gutem. Wie kann es auch anders sein? Wer Wahrheit vor allem ehrt und sucht, muß ja dem Worte Recht geben, wenn es das Innere des Menschen aufdeckt, muß also zur Erkenntnis der Sünde und an der gnädigen Hand Gottes zur Buße kommen. Und wer das Wort gelten läßt, wenn es ihn demüthigt, der wird es auch gelten laßen, wenn es ihn erhöht, wenn es JEsum, den Gekreuzigten vor die Seele malt, wenn es Wohlgefallen und Vertrauen in der Seele wirkt, wenn es die Gegenwart Christi zeigt, wenn es zu Seiner Anbetung und im Tode zu Seinem Anschauen führt. So liegt denn am Ende wirklich alles daran, daß ein Mensch die Wahrheit thue, daß er rein und hoch genug gesinnt sei, sie zu erringen, es gelte, was es wolle, gelte es auch, daß man selbst von erträumten Höhen heruntersteigen und sich anbetend vor einem andern, nemlich vor dem Sohne Gottes, in den Staub legen müße. Wen hat es je gereut, wahrhaftig gewesen zu sein und der Wahrheit ihre Geltung und ihr Recht gelaßen zu haben? Wer hätte es je zu bedauern gehabt, wenn er sich demüthigte und Gott Recht gab? Mag die Wahrhaftigkeit bußfertiger Selbsterkenntnis ihr Bitteres für den alten Menschen haben, sie hat auch ihr Süßes! Es kann keiner sich demüthigen und seine Missethat erkennen, ohne daß ein Friedens- und Freudenhauch jener Welt ihn anweht, ohne daß er eine Befriedigung spürt und eine Gewisheit, daß er nun einmal ein Werk in Gott gethan habe. Sich Unrecht gegeben zu haben, vor der Welt zu stehen, wie man vor Gott steht, ist der erste Schritt in das liebe, lichte Reich des HErrn. Der ist nicht ferne vom seligmachenden Lichte, der sich im Lichte erkannt hat; nicht ferne vom Glauben ist, wer in der Wahrhaftigkeit der Buße steht.

 Hiemit, liebe Brüder, verstummt in diesen Festtagen mein Wort. Vom Gnadenrathe Gottes, vom Gerichte, und warum das Gericht gerade so sich entscheide, habe ich euch gesagt, − und mit dem Preise einfältiger, gesegneter Wahrhaftigkeit habe ich geschloßen. Damit sei denn auch geschloßen. Es ist Pfingsten und Frühling vor der Thüre jedes Herzens, das nach Wahrheit, nach Wahrheit vor allen Dingen ringt. Geist der Wahrheit, mach uns wahrhaftig! Amen.




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