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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Gott gethan und gesegnet; als eine Art von vorlaufender Gnade leitet es ihn zum Lichte und damit zu allerlei Gutem. Wie kann es auch anders sein? Wer Wahrheit vor allem ehrt und sucht, muß ja dem Worte Recht geben, wenn es das Innere des Menschen aufdeckt, muß also zur Erkenntnis der Sünde und an der gnädigen Hand Gottes zur Buße kommen. Und wer das Wort gelten läßt, wenn es ihn demüthigt, der wird es auch gelten laßen, wenn es ihn erhöht, wenn es JEsum, den Gekreuzigten vor die Seele malt, wenn es Wohlgefallen und Vertrauen in der Seele wirkt, wenn es die Gegenwart Christi zeigt, wenn es zu Seiner Anbetung und im Tode zu Seinem Anschauen führt. So liegt denn am Ende wirklich alles daran, daß ein Mensch die Wahrheit thue, daß er rein und hoch genug gesinnt sei, sie zu erringen, es gelte, was es wolle, gelte es auch, daß man selbst von erträumten Höhen heruntersteigen und sich anbetend vor einem andern, nemlich vor dem Sohne Gottes, in den Staub legen müße. Wen hat es je gereut, wahrhaftig gewesen zu sein und der Wahrheit ihre Geltung und ihr Recht gelaßen zu haben? Wer hätte es je zu bedauern gehabt, wenn er sich demüthigte und Gott Recht gab? Mag die Wahrhaftigkeit bußfertiger Selbsterkenntnis ihr Bitteres für den alten Menschen haben, sie hat auch ihr Süßes! Es kann keiner sich demüthigen und seine Missethat erkennen, ohne daß ein Friedens- und Freudenhauch jener Welt ihn anweht, ohne daß er eine Befriedigung spürt und eine Gewisheit, daß er nun einmal ein Werk in Gott gethan habe. Sich Unrecht gegeben zu haben, vor der Welt zu stehen, wie man vor Gott steht, ist der erste Schritt in das liebe, lichte Reich des HErrn. Der ist nicht ferne vom seligmachenden Lichte, der sich im Lichte erkannt hat; nicht ferne vom Glauben ist, wer in der Wahrhaftigkeit der Buße steht.


 Hiemit, liebe Brüder, verstummt in diesen Festtagen mein Wort. Vom Gnadenrathe Gottes, vom Gerichte, und warum das Gericht gerade so sich entscheide, habe ich euch gesagt, − und mit dem Preise einfältiger, gesegneter Wahrhaftigkeit habe ich geschloßen. Damit sei denn auch geschloßen. Es ist Pfingsten und Frühling vor der Thüre jedes Herzens, das nach Wahrheit, nach Wahrheit vor allen Dingen ringt. Geist der Wahrheit, mach uns wahrhaftig! Amen.




Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/257&oldid=- (Version vom 4.9.2016)