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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Vater, der größer war als der Sohn, wenn Er in Seiner Erniedrigung betrachtet wurde, aber dem Sohne gleich, sowie Dieser Seine Ihm gebührende Herrlichkeit anzog, − verdanken wir der Auffahrt JEsu die Oeffnung der himmlischen Fenster und den Regen göttlicher Güter; so verdanken wir dem Gekreuzigten die Auffahrt selbst. Denn ohne Sein Leiden und Sterben − wo bliebe Auferstehung, Auffahrt und alles zusammen. Am Kreuz ist alles verdient, und es ist keine Zeit und keine Ewigkeit, wo das Andenken des Gekreuzigten in den Hintergrund treten, der Glanz Seiner Nägelmaale und Seiner Seitenwunde verlöschen müßte. Ehre Seinem Königreiche an diesem Segenstage. Ehre aber auch Seiner Aufopferung am Marterpfahle. Ein Christus ist es, der am Kreuz erwarb, was der Welt durch den Geist der Pfingsten zu Theil ward, und der vom ewigen Throne ausgegoßen hat, was wir in der heutigen Epistel lasen. JEsus, JEsus tönts im lauten Schall und Windbrausen, das vom Himmel kam, − JEsus, JEsus aus der Apostel neugeweihtem Munde, − JEsus, JEsus von dreitausend neubekehrten Zungen: und alles das ist doch alles nur Echo des JEsus, JEsus, das von Golgatha ertönt ist. JEsus sei gelobet, der Erniedrigte und Erhöhte, − und gepriesen sei der Vater, der Ihn erniedrigte und erhöhte, − und der Geist, welcher vom Vater und dem Sohne ausgehet, welcher uns lehret, erinnert, tröstet, stärkt, heiligt und vollendet. Dem dreieinigen, ewigen Gott, dem wir von der Krippe JEsu bis zum Throne lobend nachgegangen, dem wir alle unsre Feste feiern, dem wir Weihnachten, Ostern, Pfingsten weihen, dem ewiglich Dreieinigen sei unsterbliches Lob aus dem Munde aller erlöseten und geheiligten Seelen! Amen.




Am zweiten Pfingsttage.

Evang. Joh. 3, 16–21.
16. Also hat Gott die Welt geliebt, daß Er Seinen eingebornen Sohn gab, auf daß alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. 17. Denn Gott hat Seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, daß Er die Welt richte, sondern daß die Welt durch Ihn selig werde. 18. Wer an Ihn glaubet, der wird nicht gerichtet, wer aber nicht glaubet, der ist schon gerichtet, denn er glaubet nicht an den Namen des eingebornen Sohnes Gottes. 19. Das ist aber das Gericht, daß das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr, denn das Licht, denn ihre Werke waren böse. 20. Wer Arges thut, der haßet das Licht, und kommt nicht an das Licht, auf daß seine Werke nicht gestraft werden. 21. Wer aber die Wahrheit thut, der kommt an das Licht, daß seine Werke offenbar werden, denn sie sind in Gott gethan.

 DAs gestrige Evangelium zeigte uns in der Pfingstgestalt der Kirche das Ziel geistlicher Vollendung, zu welchem der Mensch berufen ist und zu welchem er durch den heiligen Geist gefördert wird. Die gestrige Epistel zeigte uns die Gründung der heiligen Kirche und in derselben ein Bild, das sich überall im Wesentlichen wiederholt hat und noch wiederholt, wo das Evangelium wirksam in die Welt eintritt. Dieselben Mittel bringen dieselben Wirkungen hervor, das Evangelium wird eine Ursache der Scheidung zwischen denen, welche gerettet werden und welche verloren gehen, den Verlorenen wird es ein Geruch des Todes zum Tode, denen, welche selig werden, ein Geruch des Lebens zum Leben, ein Mittel, in ihnen die heilige Pfingstgestalt des Menschen herzustellen. Was nun in der gestrigen Epistel mehr äußerlich erscheint, das sehen wir in dem heutigen Evangelium mehr innerlich vorgehen. Wie sichs dort vor den Augen scheidet

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/251&oldid=- (Version vom 4.9.2016)