| 8. Der HErr vor dem geistlichen Gericht.
Matth. 26, 57–68.
ZWei Fragen gibt es, zwei große, die an Wichtigkeit von andern nicht überboten werden können: um die wird es sich nun in der Geschichte der letzten Stunden JEsu handeln; und eine dritte ist ihnen gleich an Würde und Hoheit, aber sie liegt der Welt, die JEsum richten soll, weniger zu Tage und vor Augen, sie gehört
| zu der heimlichen Weisheit, welche am wenigsten verstehen, die sie am besten kennen und verstehen sollen, nemlich die Hohenpriester und Schriftgelehrten. Die erste Frage ist die nach der himmlischen Abkunft, die andere die nach der königlichen Würde JEsu und die dritte fragt nach der Giltigkeit und Kraft Seines Opfers. Die erste wird nun vor dem geistlichen Gerichte verhandelt, die andere vor dem weltlichen Richter Pilatus, und die dritte findet sich allenthalben, wo Christus redet, handelt oder leidet, ist aber verborgen denen, deren Auge gehalten ist und deren Herz kein Bedürfnis der Erlösung hat. − Gebt Acht, meine Freunde, wir begleiten den HErrn vor das geistliche Gericht zu dem Hohenpriester Caiphas. Bei ihm sind sie versammelt, die Rathsherren und Weisen und Aeltesten Israels, − und nun wird man verhandeln. Sie sind von vorn herein schon entschloßen, den HErrn zu tödten, denn sie haben einen tödtlichen Neid und Haß gegen Ihn in ihrer Brust; aber sie können doch nicht einfach wie es ihnen ums Herz ist, über Ihn herfallen und Ihn zerfleischen. Es muß doch in Israel, wo noch Gottes Wort und Recht auf dem Leuchter ist, eine rechtliche Form des Unrechts, dazu ein Grund und eine Ursache des Todes angegeben werden. Was soll man denn sagen, wenn alle die ehemals Blinden, Lahmen, Stummen, Tauben, Kranken, Krüppel und Todten, die nun durch JEsu Hand gesund sind, und alle, welche von Seinen Reden und Predigten ergriffen wurden, anfangen zu forschen und zu fragen: „Warum habt ihr JEsum von Nazareth getödtet?“ Also wohlan, tödten will man, aber man muß eine Ursache des Todes ausfindig machen: und weil es nicht leicht ist, so müßen alle Weisen forschen − in stiller Nacht, wo der Geist regsam und erfinderisch ist. Emsig beschäftigt ist nun also der hohe Rath der Juden: ein würdiger Berathungsgegenstand hat sie zur nächtlichen Berathung versammelt. Saure Mühe, die sie haben! Es kommt ein Zeuge nach dem andern, allerlei Zeugnis wird abgelegt, aber es ist nichts, die Zeugnisse stimmen nicht, − nicht unter sich, nicht mit der allbekannten Wahrheit; es ist, wie wenn an
der Person kein Schmutz haften wollte. Die Herren hätten es nie geglaubt, daß Er so rein wäre, wenn sie nicht diese Mühe übernommen hätten, Ihn zu richten. Indes ist bei den Versammlungen des hohen Rathes öfters Gottes Geist mit im Spiel gewesen, ohne daß man es wollte und wußte. Denkt an jene Versammlung, wo derselbe Caiphas, welcher gegenwärtig wieder den Vorsitz im Rathe führt, hohenpriesterlich weißagend das Wort sprach, das weit über sein Wißen und Verstehen hinausragte: „Es ist beßer, daß ein Mensch sterbe, denn das ganze Volk.“ So gehts auch jetzt. Zwei Zeugen kommen, welche aussagen, der Angeklagte habe einmal sich verlauten laßen: „
Ich kann den Tempel Gottes abbrechen und in dreien Tagen wieder bauen.“ Dieß Zeugnis führt näher zum Ziele. Es ist ganz des Inhalts, um den sichs handelt, wenn auch nicht nach dem Wortlaut der Zeugen, so doch nach den wirklichen Worten JEsu, da Er sagte: „
Brechet diesen Tempel, und Ich will ihn in dreien Tagen wieder bauen.“ Denn nun soll ja der Tempel gebrochen werden − und gebaut werden soll er desgleichen. Oder wenn ihr wollt, so kann man auch das Zeugnis der Zeugen nach wörtlicher Wahrheit gelten laßen; denn es bricht den Tempel des Leibes JEsu niemand, wenn nicht der Bewohner es will, − und der baut ihn auch wieder. Und doch, was soll der hohe Rath zu dem Zeugnis sagen? Schier ists, wie wenn er JEsu Sinn verstanden hätte, wie wenn er sich nicht gerne drauf eingelaßen hätte, den Tempel Seines Leibes auf die Bedingung und Aussicht hin zu brechen, daß Er Selbst ihn wieder baue. Oder ists nicht so? Wenn sie die Worte vom steinernen Tempel nahmen, konnten sie doch so gut eine Lästerung drinnen sehen, als sie später in ähnlichen Worten Stephani eine Lästerung sahen. Und wenn sie bei Stephanus die Lästerung todeswürdig fanden, konnten sie dieselbe Lästerung auch bei JEsu todeswürdig finden, zumal sie aus dem Munde JEsu drohender erklang, als aus dem Munde Stephani. Aber nein, sie trauen nicht; es ist ihnen bei dem Zeugnis nicht ganz wohl − und sie
sollen den Grund zum Tode nicht nehmen, an dem sie nach Weißagung des eigenen Gewißens vielleicht gar hätten zu Schanden werden können. Wohlan! Die letzten Zeugen wollten eine Lästerung auf JEsum bringen − und vielleicht läßt sich Ihm eine Lästerung des höheren Grades Schuld geben. Dem Hohenpriester fällt bei, daß Sich der HErr so oft Gottes Sohn im Sinne der Wesensgleichheit genannt hatte, und das, denkt der Sadducäer Caiphas, ist offenbare Lästerung. Gott hat keinen wesensgleichen Sohn, auch der Messias ist kein solcher: wer so etwas
| von sich behauptet, ist ein Lästerer. Das hat aber JEsus gesagt, mehr als ein Mal: also ist Er ein Lästerer. Wenn Er nun Seiner Aussage geständig bleibt, dann ist gefunden, was man wollte. Aber ob Ers geständig bleibt, ob man Ihn nur zum Reden bringt? Er ist so still, so schweigsam; Er schaut so unschuldig, so still in das Getriebe der Mörderhöhle hinein; ob Ihn etwas dahin bringt, die Rotte eines Wortes zu würdigen? Auch dafür findet der Hohepriester den rechten Rath: er beschwört Ihn bei dem lebendigen Gott,
da muß Er ja wohl reden. Ernster Augenblick! Kein geistliches Gericht hat jemals einen ernsteren gehabt. Himmel und Hölle lauschen. Die Frage vom Tempel spielt ein geringeres Spiel; aber nun, nun kommt eine, die setzt alles aufs Spiel, von ihrer Antwort hängt alles mit einander ab, das Alte Testament und das Neue und die ganze Welt. Caiphas, blind und dennoch ein erwähltes Werkzeug, der Hohepriester, der erste Mann in Israel, tritt hervor und ruft an den stillen, schweigsamen, ernsten JEsus hin die Frage der gesammten Menschheit, die größte Frage der Welt: „Ich beschwöre Dich bei dem lebendigen Gott, daß Du uns sagest, ob Du seiest Christus, der Sohn Gottes?“ Der Sadducäer redet, als glaube er einen Christus, Gottes Sohn, − er redet im Sinne Israels − und JEsu. Die Frage, die Beschwörung ist zu Ende. Da, horch, da redet der Schweigsame, der bisher noch keine Antwort gab. „Du sagst es, spricht Er. Doch sage Ich euch, von nun an wirds geschehen, daß ihr sehen werdet des Menschen Sohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen in den Wolken des Himmels.“ Also hat Er nun Seine Messiaswürde und Seine göttliche Abkunft, d. i. Seine Gottgleichheit
beschworen. Auf einen Schwur hat es der Hohenpriester getrieben, zu einem Schwur ists gekommen. Wird er, wird der hohe Rath dem Schwörenden glauben? Nein, sie glauben nicht. Der Schwur war, wie es scheint, bloß ein Mittel, den stummen JEsus zum Reden zu bringen. Voraus schon war der Hohepriester der Meinung, den Schwur zu einer Lästerung höchsten Grades zu stempeln. Und so thut er nun auch. Kein Zeugnis brauchte man weiter und all die Mühe war unnöthig, man hat aus des Verklagten eignem Schwur und Zeugnis die Ursache des Todes gefunden. Caiphas zerreißt die Kleider und spricht: „Er hat Gott gelästert: was bedürfen wir weiter Zeugnis? Siehe, jetzt habt ihr Seine Gotteslästerung gehört. Was dünkt euch?“ Die überwiegende Mehrzahl antwortet und spricht: „Er ist des Todes schuldig.“ Fertig ist der Spruch. Man speit, so edel sind die Rathsherren von Israel, dem geschworenen Lästerer ins Angesicht, man schlägt Ihn mit Fäusten, man schlägt Ihn ins Angesicht, man spottet Sein dazu und spricht: „Weißage uns, Christe, wer ists der Dich schlug?“ − Und nach also wohl vollbrachter Sache gehen die Rathsherren nach Hause und können ruhig bis zur Morgensitzung schlafen.
Wie stehen also die Sachen? Entweder ist JEsus ein Lästerer und Lügner, ein meineidiger Lästerer und Lügner, − oder Caiphas und seine Rotte im Ehrengewande sind Gotteslästerer, Gottesverspeier, Gottesschläger, Gottesverspotter. Hie wird ein hohes Spiel gespielt. Ist JEsus ein Lästerer, so wird Er mit Recht getödtet. Wird Er mit Unrecht getödtet, ist Er, was Er sagte, so kann Er im Tode nicht bleiben, wenn Er getödtet wird, wenn Er nicht schon vorher Sich der Bande entledigt und triumphierend von dannen geht. Entweder kann Er nicht sterben, oder Er muß auferstehen, − und steht Er auf, wird Er dadurch gerechtfertigt und erwiesen als Gott und Gottes Sohn, − mehr, als wenn Er nicht gestorben wäre; so müßen Ihn Seine Feinde sehen − gleichviel wann. Ja, Er muß ihnen in den Wolken des Himmels den Beweis liefern; sie müßen Ihn, wie Er gesagt hat, in den Wolken kommen und zur Rechten Gottes sitzen sehen. Und dann sind sie verloren.
Er stirbt, der Satan und die Priester ruhen nicht, bis sie Ihn ans Kreuz gebracht haben; Er stirbt, denn Er
will ja Sein Leben laßen. Aber Er bleibt auch nicht im Tode, sondern nach dreien Tagen baut Er den zerbrochenen, irdischen Leib, daß er geschaut wird als ein Bau nicht von Händen, sondern von Gott erbaut. Die Ihn nach Seiner Auferstehung schauen, wißen,
wer der Gotteslästerung schuldig und wer Gott ist, gelobt in Ewigkeit, − und die Ihn nicht sehen, weil sie nicht glauben, Caiphas und die Seinen, sie
werden Ihn sehen; sie liegen bald im Staub, aber sie werden ihre Häupter aufheben aus dem Staub und werden Ihn sehen. Die Sache ist also noch nicht aus, es fehlt noch − nicht die Ueberweisung der Gläubigen, denn sie sind innigst überwiesen, sondern die Ueberweisung der Ungläubigen und an ihrer Spitze der Gotteslästerer, der Verspeier, Schläger und Spötter
| Gottes. Diese Ueberweisung fehlt noch, aber sie
wird nicht fehlen: der HErr wird Sein Wort und Seinen Eid einlösen − und wehe, auf wen er dann fällt, der verworfene Eckstein; denn auf wen er fällt, der wird zermalmet werden. Bis dahin wird Christus, wie von Caiphas, so von andern verspottet und verspeit. Wir aber, lieben Brüder, beten an Den, der verspeit, geschlagen und verspottet ist und laßen uns des Teufels und seiner Rotten Spott nicht hindern. Wir wollen uns mit verspotten und verspeien, schlagen und, wenn es uns zu Theil wird, tödten laßen, aber von unserm Satze laßen wir nicht. Wir heben mit JEsu unsre Hände auf und schwören, daß Er ist Christus, des lebendigen Gottes Sohn, und daß Er kommen wird in den Wolken des Himmels von der Rechten Gottes, und daß Ihn schauen werden alle Augen, die in Ihn gestochen haben.