Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Passionskapitel 07

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7. Die Gefangennehmung.
Matth. 26, 47–56.
 SChon in der ersten dieser Lectionen ist hervorgehoben worden, daß JEsus freiwillig in das von Ihm erkannte Leiden gieng. Zu besonderem Beispiel davon kann die Geschichte Seiner Gefangennehmung dienen. Sein freier Wille war aber Unterordnung unter den Willen Seines himmlischen Vaters. Was der Vater in Eintracht mit Seinem ewigen Sohne gewollt hat, war eitel Gnade und Wohlthat für die Menschen, ihnen offenbarte Gott diesen Seinen Willen in herrlichen Verheißungen. Dagegen war alles, was für die Menschen Verheißung war, für den menschgewordenen Sohn Gottes selbst nichts als ein göttliches Gesetz, das Seinen Lebensgang vom Anfang bis zu Seinem Tode regelte. Wenn Er diesen Willen Seines Vaters nicht vollzog, war es aus mit allen Verheißungen. Aber Er ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz, und Sein heiliger Gehorsam bringt uns die Erfüllung aller Verheißungen. Seinen freien und treuen, vollkommenen Gehorsam gegen das heilige Gesetz Seines Lebens, den Willen Seines Vaters, laßt uns nun in der Geschichte Seiner Gefangennehmung schauen. − Die Häscher, Soldaten und Leute, die im Dienste der Hohenpriester und des hohen Rathes standen, waren gekommen, mit ihnen die Hohenpriester, die Tempelhauptleute und Aeltesten selbst. Es war mondhell, sie hatten sich aber dennoch mit Fackeln und Lampen vorgesehen; dazu war alles in Waffen, wie wenn es eine Schlacht gelten sollte, − und voran dem Haufen gieng Judas. Mit einem Kuße verrieth er Ihn, der Freche, welcher das Zeichen der innigsten Liebe zum Kennzeichen des erwählten Schlachtopfers ihres Haßes machte, auf daß erkannt würde, daß der Liebenswürdigste das Sühnopfer unsers Haßes werden sollte. Von Juda weg geht der HErr der Menge entgegen. Voll ernster Majestät schreitet Er daher und sein: „Wen suchet ihr?“ schallt ihnen entgegen. Sie nennen den Gesuchten, und Er macht, daß sie bei Seinem Bekenntnis: „Ich bins“ rückwärts weichen und zur Erde fallen. Offenbar wird also, daß Er noch jetzt die Macht hat, wie früher, über Geister und Leiber, daß Er unnahbar ist, wenn Er es sein will, daß Ihm niemand an kann, Er dulde es denn. Das muß auch offenbar werden, auf daß die freie Liebe unsers HErrn und Seine Ihm bis zum letzten Hauche und ewig einwohnende Gotteskraft außer allen Zweifel gesetzt werde. Allein so gewis Er ihnen Seine Macht und Unnahbarkeit zeigen will, eben so bestimmt und kenntlich zeigt Er ihnen Seinen Entschluß, Sich ihnen zu ergeben und gefangen mit ihnen zu gehen, wohin sie Ihn führen würden. Noch einmal fragt Er: „Wen sucht ihr?“ Er bekommt dieselbe Antwort, bekennt Sich wiederum, daß Ers sei, und schirmt nun nicht mehr Sich, sondern nur noch Seine Jünger durch Sein gewaltiges Wort: „Laßet diese gehen.“ Und nun legt man Hand an Ihn. − Petrus zieht sein Schwert, er schlägt des Hohenpriesters Knechte Malchus das rechte Ohr ab und ist bereit, noch weiter zu gehen. Wie natürlich, wenn nun die Häscher auch Petrum gegriffen hätten! Aber er ist sicher durchs Wort des Gefangenen: „Laßet diese gehen“ und durch die Treue seines HErrn, der keinen von allen verliert, die Ihm Sein himmlischer Vater gegeben hat. Geschützt ist also Petrus, aber gelobt wird er nicht für sein Thun. Hohe Worte kommen von den Lippen des Gefangenen: statt zwölf Apostel zwölf Engellegionen hätte Er, wenn Er wollte, wenn Er nicht in freier Liebe dem Rathschluß der Erlösung dienen wollte, wenn die Menschen anders selig werden könnten; aber das kann nicht sein, und so will Er auch keine Engel und keine Apostel zum Schutz; es ist nun die Stunde des freiesten Gehorsams da; Er| hat Sein Herz und Muth und Lust gefunden, den Kelch zu trinken, der Ihm verordnet ist; darum soll Petrus mit den andern Jüngern unter Seinem Schutze gehen, alle sollen Ihn allein laßen, Er will nun einsam und verlaßen, aber in Sich Selbst dem Werk gewachsen Seine edle Straße, Seinen Todesweg gehen. Dem Malchus heilt Er das Ohr, auf daß um Seinetwillen niemand leiden oder Schaden haben müße, − und zu den Hohenpriestern und Hauptleuten und Aeltesten spricht Er ein Wort, ganz desselben Sinnes, den bisher seit Ankunft Judä in Gethsemane alle Seine Worte hatten. Er will ihnen zum Verständnis helfen, warum ihnen gelingt, was ihnen zuvor nie gelungen ist, warum sie sich jetzo Seiner bemeistern können. „Ihr seid ausgegangen wie zu einem Mörder mit Schwertern und Stangen, Mich zu fahen; bin Ich doch täglich geseßen bei euch und habe gelehret im Tempel, und ihr habt Mich nicht gegriffen.“ Was heißt das anders, als: ihr wolltet Mich länger und öfter schon greifen, aber es war noch nicht die vom Vater bestimmte Stunde und darum nicht Mein Wille. Aber „dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis“; „wie sollte sonst die Schrift erfüllet werden?“ Hiemit läßt Er ihnen Seine Hände, Seine Arme, Seinen Leib. Nicht macht-, noch wehrlos, aber sanftmüthig und ergeben, voll Willens, Gottes Lamm zu sein läßt Er Sich führen. Die Jünger aber alle flohen unter Seinem Schutz, auch der Jüngling in der weißen Leinwand, der Ihm zu folgen versuchte und darum gefangen werden sollte, entrinnt mit heiler Haut. Niemand, weder Malchus, noch ein Jünger, weder Feind, noch Freund soll mit Ihm leiden, denn Er leidet für alle; über niemand als über Ihn, das Lamm Gottes, gibt der Vater den Bösewichtern Macht. Einer für alle, ganz allein und verlaßen wird Er dahingeführt.

 Ists nicht also? Ist Er nicht ein unbezwinglicher und unbezwungener Held? Die Juden und Pilatus könnten Ihn nicht führen, wie sie wollten, geschweige tödten; aber es wird nun ein höherer Wille vollzogen, dem Er Sich in heißem Kampfe vollkommen untergeben hat. Diese Leute wißen nicht, was sie thun; aber Er weiß es. Sie waren selbst erstaunt, Ihn gefangen zu haben; sie führen Ihn, böse Werkzeuge des ewigen Bösewichts, und Er geht unter ihnen heilig und hehr, von ihnen selbst innerlich gefürchtet und gescheut, ein Schauspiel der Engel und des himmlischen Vaters, dem Seine Eingeweide über Seinem Sohne in Liebe nicht minder, wie im Zorne brausen, Seinen Gang zurück über den Kidron, hinein in die Stadt, zu ungerechten Richtern, zu einem ungerechten und dennoch gerechten Urtheil, denn Er ist Bürge und Stellvertreter und Opfer für alle Sünder.

 Ob der Mond nicht in jener Mondnacht sein Angesicht verhüllte, wie hernach die Sonne? Ich weiß nicht. Aber Du, HErr, leuchtest mir, wie eine Sonne, Du, den Jesaias gesehen und von Ihm gesagt hat: „da Er gestraft und gemartert ward, that Er Seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, wie ein Schaaf, das verstummet vor seinem Scherer und seinen Mund nicht aufthut.“ Von Dir, von Deinem Gang aus Gethsemane in Jerusalem hinein und von da hinaus nach Golgatha, redete Jesaias. Dein Gang voll Niedrigkeit und Hoheit leuchte mir hell. HErr, laß mich Deiner freien Liebe, Deiner Hingabe und Erniedrigung, aber auch Deiner Unschuld, Deiner Hoheit, Deiner Macht, Deiner Siegsgewisheit in allen Aengsten und Deines auch mir erworbenen Verdienstes gedenken, wenn ich verunglimpft und verurtheilt werde um Deinetwillen, sonderlich aber, wenn ich leide um meinetwillen. Dein bitterer Todesgang sei meine Ruhe; Dein getrostes Leiden mein Beispiel, dem ich folge.




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