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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Gottes. Diese Ueberweisung fehlt noch, aber sie wird nicht fehlen: der HErr wird Sein Wort und Seinen Eid einlösen − und wehe, auf wen er dann fällt, der verworfene Eckstein; denn auf wen er fällt, der wird zermalmet werden. Bis dahin wird Christus, wie von Caiphas, so von andern verspottet und verspeit. Wir aber, lieben Brüder, beten an Den, der verspeit, geschlagen und verspottet ist und laßen uns des Teufels und seiner Rotten Spott nicht hindern. Wir wollen uns mit verspotten und verspeien, schlagen und, wenn es uns zu Theil wird, tödten laßen, aber von unserm Satze laßen wir nicht. Wir heben mit JEsu unsre Hände auf und schwören, daß Er ist Christus, des lebendigen Gottes Sohn, und daß Er kommen wird in den Wolken des Himmels von der Rechten Gottes, und daß Ihn schauen werden alle Augen, die in Ihn gestochen haben.




9. Petri Verleugnung.
Matth. 26, 69–75.

 ALs der HErr nach dem Abendmahle über den Kidron gieng und Seinen Jüngern ansagte, daß sie sich in der kommenden Nacht alle an Ihm ärgern, d. i. an Seinem Ergehen eine Ursache des Zweifels und Unglaubens an Sein Werk nehmen würden, trotz dem, daß Er ihnen voraus Seinen endlichen Sieg, Seine Auferstehung verkündet hätte; da war es Petrus, der für seinen Theil davon nichts wißen wollte, vielmehr sich vermaß, mit JEsu ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. Die Geschichte der Fußwaschung, das Osterlammseßen, das heil. Abendmahl, die feierlichen Abschiedsreden des HErrn hatten den Mann voll Redlichkeit und Einfalt, dieß reine Gegentheil des Verräthers, so mit Gnade und Kraft erfüllt, daß er mit seinem HErrn JEsu alles wagen zu können glaubte. Er wog zu wenig das Wort JEsu: „der Satan hat euer begehrt, euch zu sichten, wie den Weizen;“ er wußte nicht, daß er es in dieser Nacht nicht mit Fleisch und Blut, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, mit den Herren der Welt, mit den bösen Geistern unter dem Himmel zu thun haben würde; er wußte es nicht, daß in dieser Nacht Himmel und Hölle in Bewegung sein, daß der HErr und die Seinigen und Sein Werk der Gegenstand ihres heißesten Kampfes sein würden. Bald aber sollte ers inne werden. Der schwere Schlaf, welcher in Gethsemane über die Jünger fiel, war an und für sich ein grauenvoller Schlaf, hinderte die Jünger, den Kampf ihres HErrn, wie sie sollten, mit durchzumachen, und verursachte, daß sie nicht wachen und beten und sich dadurch gegen die nun über sie hereinbrechende Anfechtung und Macht der Finsternis rüsten konnten. Als nun Christus gefangen genommen wurde, da erwachte zwar der Geist Petri, allein weil ihm Wachen und Beten gefehlt hatte, fand er nun die rechten Waffen nicht, sondern er gerieth auf den Gebrauch fleischlicher Waffen, von denen unter diesen Umständen nicht bloß kein Erfolg zu hoffen war, sondern die ihm und seinem HErrn die Lage nur erschweren und in diesem Kampfe gar keine Statt haben konnten. Mit dem Versuch, seinem HErrn beizustehen, war es also nichts gewesen; der HErr Selbst heilte den von Petri angerichteten Schaden, tadelte den Jünger öffentlich und überwies ihn vor der gesammten Schaar Seiner Feinde, daß er noch immer, wie auf dem Weg von Galiläa nach Jerusalem, nicht was göttlich ist, sondern was menschlich war, meinte, Seinen Unterricht nicht gefaßt und die Notwendigkeit des Leidens JEsu nicht erkannt hatte. Petrus war seinem HErrn unnütz; allein gieng JEsus Seinen Leidensweg, allein ließ Er nun aber auch die Jünger, die nun nichts konnten, als sich zerstreuen. Die Jünger mußten gehen. JEsus wollte es Selbst, Sein allmächtig schützendes Wort war ihr Schild und sie waren nun in dem lang vorgesehenen Falle, daß der Bräutigam von ihnen genommen wurde. Sie sollten gehen, aber nicht, wie sies thaten; gehen sollten sie, im Gehorsam JEsu; sie aber flohen − Furcht, Schrecken, Verwirrung war über sie gekommen; nicht eine ehrenvoll entlaßene, sondern eine flüchtige Schaar waren sie − und dicht in die Schlingen des Aergernisses

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/315&oldid=- (Version vom 8.8.2016)