Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Gründonnerstag

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Am grünen Donnerstage.

Evang. Joh. 13, 1–15.
1. Vor dem Fest aber der Ostern, da JEsus erkannte, daß Seine Zeit gekommen war, daß Er aus dieser Welt gienge zum Vater; wie Er hatte geliebt die Seinen, die in der Welt waren, so liebte Er sie bis ans Ende. 2. Und nach dem Abendeßen, (da schon der Teufel hatte dem Judas Simonis Ischarioth ins Herz gegeben, daß er Ihn verriethe,) 3. Wußte JEsus, daß Ihm der Vater hatte alles in Seine Hände gegeben, und daß Er von Gott kommen war und zu Gott gieng, 4. Stund Er vom Abendmahl auf, legte Seine Kleider ab und nahm einen Schurz und umgürtete Sich. 5. Darnach goß Er Waßer in ein Becken, hub an den Jüngern die Füße zu waschen und trocknete sie mit dem Schurz, damit Er umgürtet war. 6. Da kam Er zu Simon Petro; und derselbige sprach zu Ihm: HErr, solltest Du mir meine Füße waschen? 7. JEsus antwortete und sprach zu ihm: Was Ich thue, das weißt du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren. 8. Da sprach Petrus zu Ihm: Nimmermehr sollst Du mir die Füße waschen. JEsus antwortete ihm: Werde Ich dich nicht waschen, so hast du kein Theil mit Mir. 9. Spricht zu Ihm Simon Petrus: HErr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt. 10. Spricht JEsus zu ihm: Wer gewaschen ist, der darf nicht, denn die Füße waschen, sondern er ist ganz rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle. 11. Denn Er wußte Seinen Verräther wohl, darum sprach Er: Ihr seid nicht alle rein. 12. Da Er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm Er Seine Kleider und setzte Sich wieder nieder und sprach abermal zu ihnen: wißet ihr, was Ich euch gethan habe? 13. Ihr heißet Mich Meister und HErr und sagt recht daran, denn Ich bin es auch. 14. So nun Ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt ihr auch euch unter einander die Füße waschen. 15. Ein Beispiel habe Ich euch gegeben, daß ihr thut, wie Ich euch gethan habe.

I.
 DIe Gedächtniszeit der Leiden JEsu ist bis zu ihrem Höhenpunkt gekommen. Mit diesem Abend, an dem wir uns hier zur Feier des heiligen Mahles versammelt haben, bricht der große Versöhnungstag der| Welt, der Todestag JEsu Christi, der Opferungstag unsers Passalammes an. Ist uns die Woche, in welcher wir leben, vor allen Wochen des Jahres ausgezeichnet, weil ein jeder oder doch nahezu ein jeder ihrer Tage durch geschichtliche Erinnerungen aus dem Lebensende JEsu geheiligt ist; so sind uns die vier und zwanzig Stunden, welche zwischen dem heutigen und dem morgenden Abend mitten inne zu durchleben sind, vor allen Stunden des Jahres ausgezeichnet, denn wir wißen fast von einer jeden insonderheit, was in ihr der HErr gesagt, gethan, gelitten hat. Jede Stunde ist eine Erinnerungsstunde, eine durch Erinnerung geheiligte Stunde. Gottes Wort, die Erinnerung an unsern einzigen, heißgeliebten, leidenden Erlöser, die betende Betrachtung Seiner Schritte zum Kreuz, Seiner Kreuzespein, Seines Todes weihe auch uns eine jede von diesen Stunden zum heiligen Sabbath.

 Beßer diese ernsten vier und zwanzig Stunden einleiten, als durch die Lection, die wir so eben vernommen haben, können wir nicht. Mit ihr eröffnet der Jünger, welcher beim heiligen Mahle an JEsu Brust lag, die Erzählung der Geschichte dieses Tages. Ihm folgen wir nach, indem wir sie jetzo betrachten. Jedoch, meine Brüder, seid ihr heute weniger gekommen, um menschliche Betrachtungen über göttliche Texte zu vernehmen, als vielmehr zu dem Zweck, selbst durch den Genuß des heiligen Mahles den Tod des HErrn zu verkündigen und so diesen Abend ganz in der Weise zu feiern, wie ihn der HErr gefeiert hat. Denn auch Er hat ja mit den Seinigen das Mahl gehalten. Daran will ich mich erinnern. Ich bitte den HErrn allewege, besonders jetzt um Einfalt, also mit euch Seinem Worte, meinem Texte, nachzugehen, daß wir Seine heiligen Gedanken walten laßen und nur hören, was Er am Abend, da Er Sein Mahl gestiftet, gethan und zu Seinen Jüngern gesagt hat.


 „Wie Er hatte geliebt die Seinen, so liebte Er sie bis ans Ende.“ Das ist die Ueberschrift, welche St. Johannes über die Pforte geschrieben hat, durch welche wir den letzten Lebensweg, den Leidenspfad des HErrn betrachtend und anbetend betreten. So hat Johannes geschrieben und wer unterschreibt, wer besiegelt nicht diese Ueberschrift? Der HErr wußte, daß Seine Zeit gekommen war, daß Er aus dieser Welt gienge zum Vater, − dicht vor Sich sah Er Sein Ende mit allen seinen Schrecken. Zwar sah Er jenseits Seiner Leiden die Herrlichkeit winken, welche Ihm der Vater gegeben hatte, ehe der Welt Grund gelegt ward; aber gegen den Glanz jener Herrlichkeit stach doch die Finsternis Seiner Leiden nur desto grauenvoller ab. Was treibt Ihn hinein, was hilft Ihm hindurch − durch diese Finsternis − in jene Herrlichkeit? „Die Liebe zu den Seinen,“ zu den Jüngern und zu allen, die durch ihr Wort an Ihn glauben sollten, die nicht glauben konnten, wenn Er diesen Todesweg nicht gieng. Die Liebe ist Herrscherin in Ihm − die Liebe zu Menschen, zu Sündern. „Ich bin gewis, daß weder Tod noch Leben, weder Engel, noch Fürstentum, noch Gewalt, weder Gegenwärtiges, noch Zukünftiges, weder Hohes, noch Tiefes, noch keine andere Creatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo JEsu ist, unserm HErrn,“ − sagt St. Paulus. Und wer will es wehren, wer muß nicht beistimmen, wenn wir sagen: „So hat Christus uns geliebt!“ Da sieh hinein, was Ihm alles begegnet in diesen vier und zwanzig Stunden, Leben und Tod, Engel und Fürstentum und Gewalt, Gegenwärtiges und Zukünftiges, zeitliche und ewige Strafen und Leiden, Hohes und Tiefes, Gottverlaßenheit und Höllenqual, und was alles, − und Er hat es gewußt, und Er geht doch vorwärts bis zum Ende, und es heißt: „Wie Er geliebt hat die Seinen, so liebte Er sie bis ans Ende!“ Liebe ist stark wie der Tod. Sieh JEsum an und sage mir, ob sie nicht stärker ist als der Tod? Liebe am Anfang − Liebe am Ende − Liebe vom Anfang bis zum Ende − Liebe jenseits des Endes − Liebe im Paradies und im Grab, in der Höllenfahrt und in der Auferstehung und in der Himmelfahrt: Er ist ganz Liebe, wie Gott die Liebe ist. JEsus und Liebe − das ist Ein Wort und Ein Sinn. Das sagt St. Johannes, das beschwört die streitende und die triumphirende Kirche. Und wer thäte es nicht heute noch? St. Paulus hat eifernd gerufen: „Wer unsern HErrn JEsum Christum nicht lieb hat, der sei Anathema Maran Atha!“ Ich bin nicht Paulus, ihr seids auch nicht, ach wir haben über unsre Lieblosigkeit zu klagen; aber wann wollen wir St. Paulo nachreden, wann wagen wirs, seis auch mit Zittern, wenn nicht an diesem Abend, unter der Pforte, bei der Uebersicht Seines Leidensweges?!

|  Gegenüber JEsu siehst du das krasse, schreiende Gegentheil. Der aufopfernden Liebe gegenüber steht der tödtende Haß, JEsu gegenüber Judas Ischarioth. Es ist ein so schöner Name, der Name Judas, und der eine Judas, der Mann von Karioth, wie sie Ischarioth deuten, der hat dem Namen für immer ein bös Geschrei gemacht, darum, daß er ihn trug. Der Name hat seine Deutung: „Der HErr sei gelobt“ − aber nun ist er gleichbedeutend mit „Jesusverräther, Gottesverräther.“ Was liegt am Namen? Aber daß ein Jünger so misrathen, so täuschen kann, daß ein Jünger sich dem Satan öffnen, Gedanken von ihm aufnehmen, ja den Satan in sich aufnehmen konnte! Das ist ein schrecklich warnendes Beispiel. − Da steht er − Judas gegenüber JEsu, in Judas, es ist grauenvoll zu sagen, − in Judas JEsu gegenüber der Teufel. JEsum verrathen will Ischarioth, JEsum verderben der Satan, welcher in ihn gefahren ist. JEsum verrathen, das heißt doch wohl die lebendige, helfende Liebe an den tödtenden Haß überliefern; JEsum tödten und verderben, was ist das anders, als die Liebe tödten und verderben. Welch ein teuflischer Gedanke ist das! Das hat sich die Hölle vorgenommen: − es soll keine Liebe Gottes mehr auf die Erde fallen und auf der Erde wirken. Denn die Liebe Gottes ist allmächtig; bleibt sie, so siegt sie, − wird sie in dem eingeborenen und menschgewordenen Sohne von der Erde weggeschafft, so hat dann die Hölle und das Verderben freien Raum. − Ach, und nun ist gekommen „die Stunde der Feinde und die Macht der Finsternis,“ wie der HErr selbst Luc. 22, 53. sagt! Wie steht sich Liebe und Haß, Himmel und Hölle, Christus und der Teufel einander gegenüber! Drohende Stille dieses Abends! Und Er ist allein, der Heilige, der Reine, und mit dem Satan ist Sein Reich! Von Ihm, dem Menschensohne, zieht sich der Himmel, die Engel, der Vater − immer mehr zurück, − Er wird immer einsamer, und es kommt so ein harter, folgenreicher Kampf! Denk ans Paradies, an die Worte, welche Gott nach dem Fall zur Schlange sprach, an den verheißenen Weibessamen − hier ist er: JEsus ist der Weibessame. Denk an den Schlangensamen − sieh nur! Judas ist der Schlangensame. „Ich will Feindschaft setzen zwischen ihrem Samen und deinem Samen“ − kennst du die Worte? Da hast du die Feindschaft: Judas, ein Apostel, vom Satan erfüllt, ist wider den Gerechten. Und diesen Abend rüstet sichs zum entscheidenden Kampfe: wie wird es hinausgehen!  Es könnte einem bange werden, wenn man, des Ausgangs vergeßend, sich lebendig in den Gegensatz denkt. Aber ein Blick auf JEsum, wie Er Sich in unserm Texte zeigt, ein Wort aus Seinem Munde macht, daß wir fröhlich aufathmen. „Weine nicht, siehe, es hat überwunden der Löwe aus Juda,“ so rief ein Heiliger dem Jünger Johannes zu, als er, seines HErrn vergeßend, die Frage von dem Buch mit seinen sieben Siegeln hörte. Und so können wir einander zurufen, wenn wir am Abend vor dem größten Kampf von dem Räthsel des Ausgangs geängstigt werden. Sieh ins Angesicht des HErrn, welch eine Ruhe, welch eine Zuversicht! Ja, welch eine Freudigkeit! Und woher dieß alles? Das sagt uns Johannes: „Nach dem Abendeßen, da schon der Teufel hatte dem Juda Simonis Ischarioth ins Herz gegeben, daß er Ihn verriethe, wußte JEsus, daß Ihm der Vater hatte alles in Seine Hände gegeben, und daß Er von Gott gekommen war und zu Gott gieng.“ Das sind die Worte des Textes. Der HErr sah also ganz klar den Kampf, wie wir das schon bemerkten, aber auch den Sieg. Er kennt die Stunde, die gekommen ist: es ist Seine Stunde, − Sein, weil sie Ihm bescheert ist, zum größten Leid, zur größten Freude. Da wendet sichs, da wird alles anders, alles neu, Himmel und Erde wieder vereinigt oder doch bereits das Hindernis hinweggeräumt, um des willen Himmel und Erde bisher nicht vereinigt werden konnten. Die Stunde der Versöhnung, der Erlösung ist gekommen, − die Stunde des Gelingens, um die man gebetet hatte, so oft man sang: „HErr, hilf, o HErr, laß wohl gelingen!“ Welche Aussicht für den Versöhner und Erlöser?! Es ist kein Traum, es ist wirklich so; denn wie kann es anders sein, da der Vater dem Sohne bereits alles, also doch auch den Sieg in Seine Hände gegeben hat? Und wie sollte es auch anders sein können? Dem muß alles in den Händen liegen, der vom Vater ausgegangen ist zu siegen, der nun weiß, daß Er wieder zum Vater geht, aber gewis nicht nach unvollbrachter Sache. Auf der Wißenschaft der göttlichen Abkunft, der ewigen Bestimmung, der gewissen Uebergabe aller Dinge beruht die Freudigkeit Christi auch in der dunkeln Stunde, wo der Vater von Ihm wich. Was dem Sterbenden sonst oft verhüllt wird, die Zukunft, das liegt vor des HErrn| Auge als ein liebes, lichtes Reich. − Nacht ists nur einen Tag lang, ewig ist, was aus dieser Nacht geboren wird, das Reich der Gnade und Erbarmung.

 Darum nimmt Er von den Seinigen auch gar nicht Abschied wie einer, deßen Tag sich neigt, deßen Zeit aufhört, sondern Er gibt eine Verordnung, welche bei Seinem Reiche immerwährende Geltung haben soll, und einen Trost, der sie erquicken soll, so lange die Sonne und der Mond währt. Er macht Seines Reiches größte Tugend, Seines Reiches größten, dauerndsten Frieden kund. Das deutet auf Zukunft und auf ein Ansehen, welches Sein Wort in ferne Zeiten haben wird. Beides aber gibt Er nicht bloß durch Worte, sondern auch mit bedeutungsvoller That. In der Fußwaschung und den dabei geführten Reden wird uns beides klar, des HErrn letzter Befehl vor Seinem Leiden und Seine Tröstung für alle mühseligen Jünger in der Zeit. Das wollen wir beides uns in die Seele faßen, als ein Almosen für unsern Geist wollen wirs aufnehmen, − ja, mit Dank und Anbetung wollen wir die zwei Worte fest behalten, die uns unser Text noch aufbewahrt. Was der HErr Angesichts Seines großen Kampfes gesprochen und gethan hat, Angesichts des Kampfes, von welchem sich unser Heil herschreibt: das ist so groß und wichtig für uns alle, das laßt uns mit ernstester Andacht in unsre Erinnerung rufen und bedenken.

 Die Jünger hatten gestritten, wer unter ihnen der größte wäre. Der HErr aber „stand vom Abendmahle auf, legte Seine Kleider ab und nahm einen Schurz und umgürtete Sich. Darnach goß Er Waßer in ein Becken, hub an, den Jüngern die Füße zu waschen, und trocknete sie mit dem Schurze, damit Er umgürtet war.“ Als Petrus an die Reihe kam, hatte der HErr deßen Einwendungen zu überwinden. Dann vollzog Er das begonnene Geschäft, nahm Seine Kleider, setzte Sich wieder nieder, und fieng an, den nächsten Sinn Seiner Handlung zu erklären. Petrus hatte ganz richtig gefühlt, wie gar nicht für den HErrn der Sklavendienst des Fußwaschens sich zu eignen schien. Er hatte ja erkannt, daß JEsus war Christus, des lebendigen Gottes Sohn, − und nun wascht derselbe JEsus Seinen Jüngern die Füße. In lebhafter Erkenntnis der Größe seines HErrn − und der Kleinheit des Geschäftes ruft Petrus aus: „Du sollst mir die Füße in Ewigkeit nicht waschen!“ Der HErr benahm ihm den Widerstand, Petrus ließ sich die Füße waschen, aber dennoch erkannte auch der HErr die Handlung Seines Fußwaschens als der Erklärung bedürftig. „Wißet ihr, was Ich gethan habe?“ spricht Er, nachdem Er wieder zu Tische saß. „Ihr heißet mich Meister und HErr, und saget recht daran, denn Ich bins auch. So nun Ich, euer HErr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt ihr auch euch unter einander die Füße waschen. Ein Beispiel habe Ich euch gegeben, daß ihr thut, wie Ich euch gethan habe.“ Ich habe euch, meine Brüder, die ganze Geschichte wiederholt, so weit sie hieher gehört. Ist einer unter euch, der sie nicht lieber drei als zwei mal hörte? Ich kenne Menschen, denen von Jugend auf nichts mehr zu Herzen gegangen, nichts behältlicher geblieben ist, als diese Geschichte und der Spruch: „Ein Beispiel habe Ich euch gegeben.“ Verwundert euch das? Gibt es etwas Schöneres, Lieblicheres, Nachdrücklicheres, als eben diese Art und Weise der Belehrung JEsu? Bei Empfehlung und Befehl keiner andern Tugend hat der HErr mit dem Worte Beispiel und symbolische Handlung verbunden, als bei Empfehlung der Grundtugend Seines Reiches, in welcher Er Selbst der größte Meister war und, recht verstanden, noch ist, nemlich der thätigen Demuth. Darin hebt Er Selbst Sein Beispiel zur Nachahmung hervor, und gerade darin dem HErrn nachzuahmen, fordern uns alle die Schriftstellen auf, welche von der Nachahmung JEsu reden. Wir, Würmer im Staube, können unserm HErrn in hundert Dingen nicht nachahmen und es wäre Hochmuth, es zu wollen. Aber in der Demuth, der dienenden, sich aufopfernden und hingebenden Liebe, sollen und können wir Ihm nachahmen. So wirs thun, werden wir erkannt als Glieder des Leibes, von welchem Er Selbst das Haupt ist, als lebendig in der Gemeinschaft Seiner Heiligen. Darin erscheint diese Gemeinschaft der Heiligen auch den Kindern der Welt; das ist der schöne Schein, von welchem der HErr spricht: „Laßet euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und den Vater im Himmel preisen.“ Daran, an der dienenden, aufopfernden Demuth hat es je und je am meisten gefehlt, und wie viel namenloses unaussprechliches Elend findet seinen Grund im Mangel dieser Tugend. Wie völlig recht behält der HErr, der vor Seinem Leiden keine Sache Seinen Jüngern tiefer einprägen wollte als Demuth. Ich wünschte, mich von der Demuth satt reden zu dürfen; noch mehr aber wünschte ich, daß wir der Uebung in ihr nicht satt werden| könnten, sondern unser ganzes Leben bis ans Ende in der Demuth zubrächten, welche der HErr in der Nacht, da Er verrathen ward, so sehr anempfohlen hat.

 Die Demuth, welche der HErr durch Wort und Beispiel empfohlen hat, tritt noch glänzender in unsre Augen, wenn man auf die heimliche Deutung achtet, welche dem Vorgang und der Handlung JEsu gebührt. Ich weiß, meine theuren Freunde, daß es viele mit den heimlichen Deutungen der Schrift übertreiben, daß sie solche Deutungen hervorbringen, welche dem Wortsinn widerstreiten, da es doch gewis ist, daß ein und dasselbe Wort des heiligen Geistes nicht einen doppelten, verschiedenen Sinn haben, daß nur Zusammenhangendes, aus einander Hervorgehendes, im innersten Sinne Verbundenes in ein göttliches Wort zusammengefaßt sein kann. Andererseits weiß ich aber auch, daß diejenigen zu viel behaupten, welche gar keine heimliche Deutung zulaßen, sondern immer und in allen Fällen nur den buchstäblichen Sinn festgehalten wißen wollen. Wie könnten diese Recht haben, da das neue Testament, und in ihm der Mund des HErrn JEsus und Seiner Apostel selbst so manches mal in alttestamentlichen Aussprüchen neben dem buchstäblichen einen zweiten Sinn offenbart, der, so völlig er mit dem buchstäblichen zusammengeht und wie die Seele mit dem Leibe zusammenhängt, dennoch von keinem menschlichen Leser gefunden oder auch nur geahnt worden wäre. Denkt nur z. B. an die Epistel vom Sonntag Lätare, an die Deutung, welche Sarah und Hagar finden. Wer die Geschichten von Sarah und Hagar liest, denkt von selbst gewis nicht an das himmlische Jerusalem und an Sinai. Der HErr aber, der Schöpfer aller Dinge, dachte, da Er Hagar und Sarah zu schaffen beschloß, an Sinai und das ewige Jerusalem, und machte die beiden Frauen zu Vorbildern des alten, vergänglichen und des unvergänglichen, ewigen Testamentes; Er offenbarte dem heiligen Paulus Seine Gedanken, dieser verkündigt sie uns, und wir finden in der heimlichen, Sarah und Hagar selbst unbekannten, Deutung die schönste Uebereinstimmung mit der äußeren Geschichte der beiden Frauen. So ists öfters − die ganze süße Lehre von den Typen und Vorbildern auf Christum und Seine Kirche wäre nur ein wesenloser Traum, wenn es nicht einen doppelten Schriftsinn gäbe, von welchem der innere zum äußeren sich wie der Same zur Frucht verhält. Laßen wir deshalb immerhin gelten, was gelten kann und muß. Erdichten wir keinen doppelten Sinn, aber wo der HErr und Sein Geist einen solchen offenbaren, da wollen wir Augen und Ohren öffnen und uns freuen, daß Er so gütig ist. − Eine von den Stellen nun, wo ganz offenbar ein doppelter, wenn schon völlig zusammenhängender Sinn derselben Handlung, derselben Worte Gottes angedeutet wird, findet sich grade in unserm Text.

 Der HErr wusch Seinen Jüngern die Füße, um sie durch Sein Beispiel und die mit demselben verbundenen Worte zur dienenden Demuth zu ermahnen. Nun überlege, was sich dabei zutrug. Als Er zu Petro kam, wollte dieser, wie bereits erwähnt, aus großer Ehrfurcht vor der Würde JEsu, aus Erkenntnis des eigenen Unwerths gegenüber JEsu sich die Füße nicht waschen laßen. Der HErr machte Petrum aufmerksam, daß Er mit Vorbedacht diese Handlung vorgenommen, daß Petrus jetzt nicht wißen, aber hernachmals erfahren solle, was sein HErr und Meister dabei im Sinne gehabt. Petrus weigert sich wiederholt, nur mit verstärktem Nachdruck. Da antwortet der HErr: „Werde Ich dich nicht waschen, so hast du keinen Theil mit Mir.“ Faßet diese Worte scharf ins Auge. Kann der HErr den Theil, welchen man an Ihm hat, von einer äußerlichen Fußwaschung abhängig machen? Wo hat Er das sonst gethan? Wie stände es dann mit dem Theile derer, die Er nicht gewaschen, mit Mariä, der heiligsten Mutter Theil am Sohne, mit dem Theile St. Pauli, den die Liebe zu Christo verzehrt hat, mit dem Theile des Apostels Matthias, von andern, von uns armen Spätlingen gar nicht zu reden! Und wie stände es mit Juda, in des Herz der Satan schon Macht hatte zur Zeit, da ihm die Füße gewaschen wurden? Hat er durch äußeres Waschen Theil bekommen, nachdem sein Herz durch Hingabe an den höllischen Fürsten allen Antheil an Christo verloren hatte? Ich denke, hier ist leicht zu richten. Die Handlung JEsu ist, wie man sagt, symbolisch, sinnbildlich: es ist ein geistiger, geheimer Sinn in Wort und Thun des HErrn. − Betrachten wir, was weiter geschah[.] Als Petrus hörte, daß von dem Fußwaschen der Antheil an JEsu abhangen solle, da wendet sich schnell sein gewandtes, tapferes Herz. Kurz zuvor wollte er sich „in Ewigkeit nicht“ oder „nimmermehr“ die Füße waschen laßen, und nun kommt es schnell umgekehrt: „HErr, nicht die Füße allein, ruft er, sondern auch die Hände und das| Haupt.“ So wie er begriffen hat, daß JEsus Seinen Jüngern nicht einen bloßen Sclavendienst, sondern einen Gottesdienst zu leisten vorhat, will Er nicht mehr der letzte, sondern der erste sein. Was spricht der HErr? „Wer gewaschen ist, der darf nicht, denn die Füße waschen, sondern er ist ganz rein, − und ihr seid rein, aber nicht alle.“ Wer gewaschen ist, den ganzen Leib gebadet hat, und nun nach dem Bade zu seinem Freunde geht, um mit ihm zu eßen, braucht vor dem Eintritt in den Speisesaal nicht wiederum den ganzen Leib zu waschen, denn der ist ja noch rein; aber die Füße bedürfen der Waschung, denn sie sind nach dem Bade über die staubigen Straßen gegangen. Soll das der ganze Sinn der Rede JEsu sein? Es leuchtet ein, daß es für eine so geringe Sache etwas viel Worte wären, − daß zu vielen Worten dieser Art die Zeit nicht stimmt, daß geringe Worte aufzubewahren, St. Johannes kein Interesse haben konnte. Aber wir haben noch anderen Beweis, daß der HErr mit diesen Worten auf eine geistliche Wahrheit deutet. „Ihr seid rein, sagt Er, aber nicht alle“ und St. Johannes setzt dazu: „Denn Er wußte Seinen Verräther wohl, darum sprach Er: Ihr seid nicht alle rein.“ Also war der Verräther nicht rein − und den Seelenzustand des Verräthers nennt der HErr Unreinigkeit. Vom Leib ist nicht die Rede, sondern von der Seele. Die Seelen der andern Jünger sind rein, weil sie keine Verräther sind, sondern JEsu treu und gläubig anhangen; Judä Seele ist unrein, weil sie von JEsu sich losgerißen und dem Satan übergeben hat. Ganz rein ist also JEsu treuer, gläubiger Jünger, − der ist im Bade der Erstlingsbuße und Bekehrung über und über gewaschen. Nun aber geschieht es der rein gewordenen Seele, wie dem Leibe. An des Leibes frischgewaschene Füße hängt sich Staub; so hängt sich an die rein gewordene Seele beim täglichen Wandel die tägliche Sünde, die Sünde der Schwachheit und unvollkommener Liebe. Und wie drum die Füße des Reinen dennoch immer wieder gebadet werden müßen, so bedarf die reine Jüngerseele eine Reinigung und Entledigung von täglicher Sünde. Und diese Reinigung von der täglichen, im armen Leben wegen unsrer Schwachheit unvermeidlichen Sünde ist es, welche JEsus beim Fußwaschen im Sinne hat, von welcher die Fußwaschung ein Abbild ist. Wenn Petrus sich die Füße nicht waschen läßt, hat er kein Theil an JEsu; denn wer die tägliche Sünde nicht loshaben will, wer − etwa gar, weil es der Würde des Erlösers zu nahe treten soll, täglich, „alle Tage reichlich“ Sünde zu vergeben − bei der falschen Lehre bleiben wollte, daß nach der allgemeinen Waschung im Bade der Taufe keine Vergebung der täglichen Sünde durch Christum verdient sei: der hat kein Theil an JEsu. Seiner Füße Schmutz würde am Ende die Reinigung des Leibes verhöhnen und vernichten. − Ferner wenn Petrus statt der Füße auch Haupt und Hände gewaschen haben will, vergißt er die Reinigung in der Taufe, vergißt er, daß er ja schon JEsu Eigentum und rein ist; er tritt seiner Taufe zu nah und verwechselt die tägliche Reinigung mit der anfänglichen, die Heiligung mit der Wiedergeburt − und das ist gefehlt. Denn nachdem der HErr Petrum schon erwählt hat, nachdem er schon erneut ist in der Taufe, bleibt ihm eins nöthig: die Versicherung, daß seine tägliche Schwachheitssünde ihn nicht von JEsu reißen soll. Diese ist es, welche der HErr den Seinigen zur Letzte gibt − und damit wird Sein Beispiel der Demuth erst recht vollkommen und Seine Jünger werden eben damit erst recht zur Nachfolge Seiner Demuth vermocht. Oder ist der HErr nicht demüthiger, wenn Er die täglichen Sünden Seiner Schüler trägt und abwascht, als wenn Er einmal ihre staubigen Füße wascht? Ist das nicht ein demüthiger Gott und Heiland, der, voraussehend, daß wir täglich sündigen, auch mitten im Scheine Seiner sonnenhellen Gnade, eine tägliche Arzenei bereitet und sie mit beständiger Geduld uns reicht bis ans Ende? Und muß nicht uns grade das am allermeisten zur Nachfolge reizen? Was drückt am allerschwersten, wenn wir Sein sind? Die tägliche Unvollkommenheit. Und nach der eigenen, was dann? Die tägliche Unvollkommenheit der Brüder. Nun haben wir Vergebung für unsre tägliche Sünde von dem demüthigen Heilande − und das sollt uns nicht reizen, des HErrn Gebot von der Demuth zu erfüllen und unsern Brüdern dennoch zu dienen, obschon uns ihre tägliche Sünde belästigt? Wir werden so geduldig getragen, so demüthig mit Vergebung bedient: und wir sollten nicht geduldig und demüthig tragen − nicht auch gerne bis ans Ende jedes Bruders Füße waschen? − Was antworten meine Brüder? Was können sie antworten, als ein tiefbeschämtes: Ja!?
|  Meine theuren Brüder! Dieß ist der Tag der Fußwaschung und der Einsetzung des heiligen Mahles, der rechte evangelische Fronleichnamstag. Das Andenken der Fußwaschung und der Einsetzung des heiligen Mahles gehören zusammen, denn der ganze Sinn, die ganze Bedeutung der Fußwaschung wird im heiligen Mahle erfüllt: das heilige Mahl ist der Jünger Reinigung von täglichen Sünden, ihrer Seelen Fußwaschung, gleichwie die Taufe nichts anders ist als eine Waschung des ganzen Leibes, durch welche abgewaschen ist, was uns von Adam angeerbt ist und was wir selbst hinzugethan haben. Der Taufe Kraft und Uebung dauert bis ans Ende und sie ist es, durch welche unser ganzes Leben und Wesen bis zum letzten Hauche in der Kindschaft Gottes erhalten wird. Das heilige Mahl aber nimmt uns das böse Gewißen weg, welches wir am Abend jedes Tages spüren, und macht uns vergnügt und froh in dem Jammer, des Lebens, wo jeder Tag schon deshalb seine eigene Plage hat, weil jeder seine Sünden und sein böses Gewißen hat. Die Taufe führt uns von der Welt ins Reich, in Gottes Haus und Tempel, führt um uns her Gottes Mauern auf und wölbt über uns das Dach Seines ewigen Friedens; das heilige Mahl aber macht uns, die wir im Hause Gottes wohnen, immer aufs neue gewis, daß der alte Gott, der Gott unsrer Taufe, noch lebt und daß Seine Güte alle Morgen neu ist. Indem wir von dem bösen Gewißen unseres täglichen Laufes gereinigt werden, wird uns der Frieden unsrer Taufe erhalten. Die Vergebung der täglichen Sünden, Gottes wahrhaftiger Leib, Sein theures Blut, welches wir zum Pfand und Siegel der Vergebung empfangen, läßt uns nicht entfallen von des rechten Glaubens Trost, erhält uns in der Gewisheit, daß wir Sein sind und keines andern. Wie freut sich ein Mensch, der das erkennt und das bedenkt, des Tages der Fußwaschung? des grünen Donnerstags, des schönen Fronleichnamstages! Wie freut man sich, wenn man des versichert ist, des heiligen Mahles! Wenn meine Taufe fest steht, weil meine tägliche Sünde vergeben ist, weil ich durch Seinen Geist Vergebung, durch Sein Fleisch und Blut selbst für den Leib die Gewisheit habe, daß er wird sicher liegen in seinem Grabe, bis der Thau des grünen Feldes fällt und die neuen Leiber wachsen und aus der Erde kommen: was fehlt mir dann? Brüder in dem HErrn JEsu Christo, Glieder an dem Einen Leibe, deßen Haupt Er ist! Sehet hin auf den Altar unsers HErrn und auf seine heilige Zier! Dort liegen bereits die Brote, die wir dem HErrn dargebracht haben, daß sich Sein Leib damit vereinige, und schon perlet in den Kelchen der Wein, der uns ein Träger Seines seligmachenden Blutes werden soll. Schon ist alles bereit − und Er selbst ist bereit, daß Er das größte aller Wunder vollziehe, Seinen Leib und Blut mit Brod und Wein zu vereinigen und so Seine Menschheit uns zum Theil zu geben. Schon wartet Er nur auf unser „Hosianna, gelobet sei, der da kommt,“ mit dem wir Ihn zum Vollzug des Wunders einholen. Schon ist Er bereit, die Worte des segnenden Priesters mit Seinem Worte zu kräftigen und stärken, auf daß geschehe, was Er am ersten Abendmahlstag für immer und bis ans Ende der Tage verheißen; auf daß uns die zeitliche Gabe zur ewigen Speise und zum seligmachenden Tranke werde. Wer unter euch fühlt sich bestaubt an Füßen, wen hungert am Tage der Fußwaschung nach der Fußwaschung seiner Seelen? Wer will den demüthigen JEsu knieen sehen und erfahren, wie Gottes Sohn den Menschen die Füße wascht? − Wen da hungert, der komme; wen da dürstet, der komme, auf daß er am Abend, da man durch JEsu beginnend Todesleiden gebeugt wird, durch die Güter Seines Abendmahles getröstet und erfreut werde. Auf, meine Brüder! Wäre es euch, wie mir, so griffen wir in die Saiten, so stimmten wir die Seelen zum Gesang, so sängen wir, indem wir zum Chore nahen, zum heiligen Mahle uns sammeln, das Lied des entzückten Sängers von der Liebe zu JEsu, dem Morgenstern, der Lilie vom Himmel, das Liebeslied der Kirche! „Wie schön leucht uns der Morgenstern!“ Es ist Abend der Welt und die letzte Stunde; am Abend wirds Licht, wenn der Morgenstern leuchtet im Sacrament, wenn die Himmelslilie im Sakramente blüht, wenn der Bräutigam, der hochgeborene König kommt. − „Hosianna, himmlisch Manna, das wir eßen, deiner kann ich nicht vergeßen!“ − Wie es mich reizt, das Lied anzustimmen! Wenn ichs vermöchte, euch alle zum Sang zu stimmen! Doch halt, nicht also! − Laßt mich nun stille sein. Laßt mich zum Altare gehen. Laßt mich betend euch voran und dem HErrn entgegengehen. Laßt mich meinem HErrn beim Abendmahl helfen, Ihm helfen, euch die Füße waschen. Dann wirds über euch selbst kommen und ihr werdet singen, wie von Gott gelehrt: |

Wie bin ich doch so herzlich froh,
Daß mein Schatz ist das A und O,
Der Anfang und das Ende!
Er wird mich doch zu Seinem Preis
Aufnehmen in das Paradeis,
Des klopf ich in die Hände.
Amen! Amen!
Komm du schöne
Freudenkrone,
Bleib nicht lange!
Deiner wart ich mit Verlangen!

Amen.




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