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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

 Meine theuren Brüder! Dieß ist der Tag der Fußwaschung und der Einsetzung des heiligen Mahles, der rechte evangelische Fronleichnamstag. Das Andenken der Fußwaschung und der Einsetzung des heiligen Mahles gehören zusammen, denn der ganze Sinn, die ganze Bedeutung der Fußwaschung wird im heiligen Mahle erfüllt: das heilige Mahl ist der Jünger Reinigung von täglichen Sünden, ihrer Seelen Fußwaschung, gleichwie die Taufe nichts anders ist als eine Waschung des ganzen Leibes, durch welche abgewaschen ist, was uns von Adam angeerbt ist und was wir selbst hinzugethan haben. Der Taufe Kraft und Uebung dauert bis ans Ende und sie ist es, durch welche unser ganzes Leben und Wesen bis zum letzten Hauche in der Kindschaft Gottes erhalten wird. Das heilige Mahl aber nimmt uns das böse Gewißen weg, welches wir am Abend jedes Tages spüren, und macht uns vergnügt und froh in dem Jammer, des Lebens, wo jeder Tag schon deshalb seine eigene Plage hat, weil jeder seine Sünden und sein böses Gewißen hat. Die Taufe führt uns von der Welt ins Reich, in Gottes Haus und Tempel, führt um uns her Gottes Mauern auf und wölbt über uns das Dach Seines ewigen Friedens; das heilige Mahl aber macht uns, die wir im Hause Gottes wohnen, immer aufs neue gewis, daß der alte Gott, der Gott unsrer Taufe, noch lebt und daß Seine Güte alle Morgen neu ist. Indem wir von dem bösen Gewißen unseres täglichen Laufes gereinigt werden, wird uns der Frieden unsrer Taufe erhalten. Die Vergebung der täglichen Sünden, Gottes wahrhaftiger Leib, Sein theures Blut, welches wir zum Pfand und Siegel der Vergebung empfangen, läßt uns nicht entfallen von des rechten Glaubens Trost, erhält uns in der Gewisheit, daß wir Sein sind und keines andern. Wie freut sich ein Mensch, der das erkennt und das bedenkt, des Tages der Fußwaschung? des grünen Donnerstags, des schönen Fronleichnamstages! Wie freut man sich, wenn man des versichert ist, des heiligen Mahles! Wenn meine Taufe fest steht, weil meine tägliche Sünde vergeben ist, weil ich durch Seinen Geist Vergebung, durch Sein Fleisch und Blut selbst für den Leib die Gewisheit habe, daß er wird sicher liegen in seinem Grabe, bis der Thau des grünen Feldes fällt und die neuen Leiber wachsen und aus der Erde kommen: was fehlt mir dann? Brüder in dem HErrn JEsu Christo, Glieder an dem Einen Leibe, deßen Haupt Er ist! Sehet hin auf den Altar unsers HErrn und auf seine heilige Zier! Dort liegen bereits die Brote, die wir dem HErrn dargebracht haben, daß sich Sein Leib damit vereinige, und schon perlet in den Kelchen der Wein, der uns ein Träger Seines seligmachenden Blutes werden soll. Schon ist alles bereit − und Er selbst ist bereit, daß Er das größte aller Wunder vollziehe, Seinen Leib und Blut mit Brod und Wein zu vereinigen und so Seine Menschheit uns zum Theil zu geben. Schon wartet Er nur auf unser „Hosianna, gelobet sei, der da kommt,“ mit dem wir Ihn zum Vollzug des Wunders einholen. Schon ist Er bereit, die Worte des segnenden Priesters mit Seinem Worte zu kräftigen und stärken, auf daß geschehe, was Er am ersten Abendmahlstag für immer und bis ans Ende der Tage verheißen; auf daß uns die zeitliche Gabe zur ewigen Speise und zum seligmachenden Tranke werde. Wer unter euch fühlt sich bestaubt an Füßen, wen hungert am Tage der Fußwaschung nach der Fußwaschung seiner Seelen? Wer will den demüthigen JEsu knieen sehen und erfahren, wie Gottes Sohn den Menschen die Füße wascht? − Wen da hungert, der komme; wen da dürstet, der komme, auf daß er am Abend, da man durch JEsu beginnend Todesleiden gebeugt wird, durch die Güter Seines Abendmahles getröstet und erfreut werde. Auf, meine Brüder! Wäre es euch, wie mir, so griffen wir in die Saiten, so stimmten wir die Seelen zum Gesang, so sängen wir, indem wir zum Chore nahen, zum heiligen Mahle uns sammeln, das Lied des entzückten Sängers von der Liebe zu JEsu, dem Morgenstern, der Lilie vom Himmel, das Liebeslied der Kirche! „Wie schön leucht uns der Morgenstern!“ Es ist Abend der Welt und die letzte Stunde; am Abend wirds Licht, wenn der Morgenstern leuchtet im Sacrament, wenn die Himmelslilie im Sakramente blüht, wenn der Bräutigam, der hochgeborene König kommt. − „Hosianna, himmlisch Manna, das wir eßen, deiner kann ich nicht vergeßen!“ − Wie es mich reizt, das Lied anzustimmen! Wenn ichs vermöchte, euch alle zum Sang zu stimmen! Doch halt, nicht also! − Laßt mich nun stille sein. Laßt mich zum Altare gehen. Laßt mich betend euch voran und dem HErrn entgegengehen. Laßt mich meinem HErrn beim Abendmahl helfen, Ihm helfen, euch die Füße waschen. Dann wirds über euch selbst kommen und ihr werdet singen, wie von Gott gelehrt:

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/175&oldid=- (Version vom 14.8.2016)