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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Auge als ein liebes, lichtes Reich. − Nacht ists nur einen Tag lang, ewig ist, was aus dieser Nacht geboren wird, das Reich der Gnade und Erbarmung.

 Darum nimmt Er von den Seinigen auch gar nicht Abschied wie einer, deßen Tag sich neigt, deßen Zeit aufhört, sondern Er gibt eine Verordnung, welche bei Seinem Reiche immerwährende Geltung haben soll, und einen Trost, der sie erquicken soll, so lange die Sonne und der Mond währt. Er macht Seines Reiches größte Tugend, Seines Reiches größten, dauerndsten Frieden kund. Das deutet auf Zukunft und auf ein Ansehen, welches Sein Wort in ferne Zeiten haben wird. Beides aber gibt Er nicht bloß durch Worte, sondern auch mit bedeutungsvoller That. In der Fußwaschung und den dabei geführten Reden wird uns beides klar, des HErrn letzter Befehl vor Seinem Leiden und Seine Tröstung für alle mühseligen Jünger in der Zeit. Das wollen wir beides uns in die Seele faßen, als ein Almosen für unsern Geist wollen wirs aufnehmen, − ja, mit Dank und Anbetung wollen wir die zwei Worte fest behalten, die uns unser Text noch aufbewahrt. Was der HErr Angesichts Seines großen Kampfes gesprochen und gethan hat, Angesichts des Kampfes, von welchem sich unser Heil herschreibt: das ist so groß und wichtig für uns alle, das laßt uns mit ernstester Andacht in unsre Erinnerung rufen und bedenken.

 Die Jünger hatten gestritten, wer unter ihnen der größte wäre. Der HErr aber „stand vom Abendmahle auf, legte Seine Kleider ab und nahm einen Schurz und umgürtete Sich. Darnach goß Er Waßer in ein Becken, hub an, den Jüngern die Füße zu waschen, und trocknete sie mit dem Schurze, damit Er umgürtet war.“ Als Petrus an die Reihe kam, hatte der HErr deßen Einwendungen zu überwinden. Dann vollzog Er das begonnene Geschäft, nahm Seine Kleider, setzte Sich wieder nieder, und fieng an, den nächsten Sinn Seiner Handlung zu erklären. Petrus hatte ganz richtig gefühlt, wie gar nicht für den HErrn der Sklavendienst des Fußwaschens sich zu eignen schien. Er hatte ja erkannt, daß JEsus war Christus, des lebendigen Gottes Sohn, − und nun wascht derselbe JEsus Seinen Jüngern die Füße. In lebhafter Erkenntnis der Größe seines HErrn − und der Kleinheit des Geschäftes ruft Petrus aus: „Du sollst mir die Füße in Ewigkeit nicht waschen!“ Der HErr benahm ihm den Widerstand, Petrus ließ sich die Füße waschen, aber dennoch erkannte auch der HErr die Handlung Seines Fußwaschens als der Erklärung bedürftig. „Wißet ihr, was Ich gethan habe?“ spricht Er, nachdem Er wieder zu Tische saß. „Ihr heißet mich Meister und HErr, und saget recht daran, denn Ich bins auch. So nun Ich, euer HErr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt ihr auch euch unter einander die Füße waschen. Ein Beispiel habe Ich euch gegeben, daß ihr thut, wie Ich euch gethan habe.“ Ich habe euch, meine Brüder, die ganze Geschichte wiederholt, so weit sie hieher gehört. Ist einer unter euch, der sie nicht lieber drei als zwei mal hörte? Ich kenne Menschen, denen von Jugend auf nichts mehr zu Herzen gegangen, nichts behältlicher geblieben ist, als diese Geschichte und der Spruch: „Ein Beispiel habe Ich euch gegeben.“ Verwundert euch das? Gibt es etwas Schöneres, Lieblicheres, Nachdrücklicheres, als eben diese Art und Weise der Belehrung JEsu? Bei Empfehlung und Befehl keiner andern Tugend hat der HErr mit dem Worte Beispiel und symbolische Handlung verbunden, als bei Empfehlung der Grundtugend Seines Reiches, in welcher Er Selbst der größte Meister war und, recht verstanden, noch ist, nemlich der thätigen Demuth. Darin hebt Er Selbst Sein Beispiel zur Nachahmung hervor, und gerade darin dem HErrn nachzuahmen, fordern uns alle die Schriftstellen auf, welche von der Nachahmung JEsu reden. Wir, Würmer im Staube, können unserm HErrn in hundert Dingen nicht nachahmen und es wäre Hochmuth, es zu wollen. Aber in der Demuth, der dienenden, sich aufopfernden und hingebenden Liebe, sollen und können wir Ihm nachahmen. So wirs thun, werden wir erkannt als Glieder des Leibes, von welchem Er Selbst das Haupt ist, als lebendig in der Gemeinschaft Seiner Heiligen. Darin erscheint diese Gemeinschaft der Heiligen auch den Kindern der Welt; das ist der schöne Schein, von welchem der HErr spricht: „Laßet euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und den Vater im Himmel preisen.“ Daran, an der dienenden, aufopfernden Demuth hat es je und je am meisten gefehlt, und wie viel namenloses unaussprechliches Elend findet seinen Grund im Mangel dieser Tugend. Wie völlig recht behält der HErr, der vor Seinem Leiden keine Sache Seinen Jüngern tiefer einprägen wollte als Demuth. Ich wünschte, mich von der Demuth satt reden zu dürfen; noch mehr aber wünschte ich, daß wir der Uebung in ihr nicht satt werden

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/172&oldid=- (Version vom 14.8.2016)