« 2. Stunde Hermann von Bezzel
Einsegnungsunterricht 1892
4. Stunde »
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Dritte Stunde. Dienstag Morgen.

 O HErr JEsu, treuer HEiland, der Du den Deinen noch eine Ruhe bereitet hast, zu der sie gelangen sollen in Deiner Nachfolge, wir bitten Dich von Herzen, laß uns also Dir nachgehen, daß wir diese heilige und selige Verheißung, einzukommen zu Deiner Ruhe, nicht versäumen, auf daß alle, die wir hier versammelt sind, nicht zurückbleiben, sondern bei Dir ewigen Frieden finden mögen. Amen.

 Ich komme auf die praktische Frage von der Wechselwirkung zwischen Leiden und Wirken. Hier wird sich alsbald der Gegensatz geltend machen zwischen Welt und Christentum. Die Welt betrachtet das Leiden als| das, was nicht sein soll, sucht infolgedessen alle Mittel und Wege zu ergreifen, um das Leiden fernzuhalten, oder, wenn es da ist, sich über das Leiden hinwegzuhelfen, richtiger hinwegzulügen. Daß der Schmerz milde vorübergeführt werde, das ist ihr größter Zauber. Weil sie den Mann der Schmerzen nicht kennt, so kann sie den Begriff des Leidens nicht tragen, das Leiden selbst ist ihr unsympathisch. Der Christ aber betrachtet das Leiden als das, was sein soll. Wenn die Welt betont, daß das Leiden das Irrationale ist, so betont der Christ: das Leiden soll sein. Ja, die Wurzel, der Grund des Leidens soll nicht sein, die Verfehlung. Nachdem aber einmal durch die Sünde diese Unordnung in die Welt gekommen ist, betrachtet der Christ das Leiden als das Seinsollende, das Notwendiggewordene. Es werden Ihnen für Ihren Beruf ganz gewiß viele Gedanken der Barmherzigkeit kommen, wenn Sie festhalten, daß das Leiden das Seinsollende ist. Der HErr Christus hat ihm durch Sein Leiden die Existenzberechtigung zugesprochen. Wenn das Leiden nicht sein müßte, dann hätte Er nicht gesprochen: „Wer Mir nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich.“ Wir fassen den Begriff der Leiden zu enge, wenn wir sie nur da suchen, wo eine Störung der leiblichen oder geistlichen Lage sich findet. So gut bei Ihm das Leiden Wirken und das Wirken Leiden ist, so gut bei den Seinen. Bei Seinem Leiden tritt das Wirken in den Hintergrund und umgekehrt. Aber gerade von Seinem Leiden heißt es: Seine Seele hat gearbeitet. Es besteht kein Gegensatz zwischen Arbeit und Leiden, sondern vielmehr ein innerer Konnex, eine Wechselwirkung, es sind Korrelate, Ergänzungsbegriffe. In dem Moment, wo unser HErr auf der Höhe Seines Wirkens steht, hat Er am meisten gelitten. „O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll Ich bei euch sein, wie lange soll Ich Mich mit euch leiden,“ sagt Er auf der Höhe Seiner Arbeit. Nicht die Arbeit, sondern das Leiden betont Er in diesem Falle; so wie Er, sind auch wir in dieser Welt. Jede Arbeit, welche nicht im letzten Grunde ein Leiden ist, arbeitet sich auf und hat keinen Erfolg für den inneren Menschen, und wenn der äußere Erfolg| noch so groß wäre; und jedes Leiden, das nicht eine Arbeit ist, stumpft ab und hat auch keinen inneren Erfolg für den Menschen. „Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen.“ – Das ist die Arbeit des Leidens, in der das tiefste Weh beschlossen ist – gearbeitet und nichts gefangen. „Ich dachte, ich brächte meine Tage vergeblich zu.“ In der Arbeit liegt ein verborgener Segen, den man nicht hoch genug schätzen kann. Es soll kein Mensch, am wenigsten eine Dienerin Christi, Ueberfülle von Arbeit beklagen. Es giebt eine Arbeit, in der wir uns so heimisch fühlen, welche die verborgenen Kräfte der Sünde so sehr zurückbannt, daß wir für sie danken müssen, aber in aller Arbeit muß es heißen: „Nicht uns, HErr, nicht uns, sondern Deinem Namen gieb Ehre.“ Daß wir unsere besten Kräfte und Erfolge nicht uns, sondern Ihm zuschreiben müssen, darin liegt zunächst etwas Leidentliches; daß wir ganz andere Werturteile über unsere Arbeit bekommen, als sie unser natürlicher Mensch fällt, darin liegt das Leiden. Wir haben etwas erreicht und wir glaubten, etwas Bedeutendes erreicht zu haben, und mit der Zeit wird uns klar: „Es ist nichts gewesen!“ Umgekehrt: daß wir unsere Kräfte einsetzen müssen, unbekümmert um jeden Erfolg, einfach unsere Kraft und Leben darangeben, das ist das Leiden der Arbeit. Auf die Worte: „HErr, haben wir nicht in Deinem Namen große Thaten gethan?“ antwortet Er an jenem Tage: „Ihr habt sie gethan, aber Ich habe euch nicht erkannt.“ Darüber geben Sie sich keinen Illusionen hin. Wenn man nach dem Erfolg das Christenleben beurteilt, so legt man einen falschen Maßstab für dasselbe an. Wer nach den Großthaten den Segen GOttes bemißt, der bemißt ihn falsch. Es muß bei allen unsern Thaten das Leiden die eigentliche Grundbedingung sein; wir arbeiten für eine Sache, die zunächst nicht die unsere ist, sondern die Seine. Das ist das bitterste für den menschlichen Egoismus. Wenn Ihre ganze Berufsarbeit sich so ausgestaltet, daß Sie in allem und jedem, auch im Schwersten und im Schwersten zu meist, da am treusten arbeiten, wo Sie ganz gewiß wissen, menschliche Anerkennung trifft mich nie, dann sind Sie| auf der rechten Fährte. Wenn Sie das Beste thun unter solchen Bedingungen und Verhältnissen, daß kein Mensch davon weiß, dann stehen Sie im Leiden, denn Sie haben Ihre Kräfte an Nichtanerkanntes verwendet, und das ist schwer; aber der Vater, der ins Verborgene siehet, wird es Ihnen vergelten öffentlich. Wenn Ihr Leiden in den Vordergrund und das Arbeiten in den Hintergrund tritt, dann ist die Gefahr, daß man nur leidet, daß man sich im Schmerz giebt und dem Schmerz sich hingiebt, den Schmerz nicht als eine erziehliche, sondern als eine erdrückende und abstumpfende Macht ansieht. Wer das thut, der hat den Segen des Leidens sich geraubt, hat umsonst gelitten. Denn dadurch, daß einer leidet, wird er noch nicht gekrönt, ist er noch lange nicht ein Nachfolger Christi, sondern dadurch, daß einer im Leiden arbeitet. Und so oft das Leiden mehr in den Vordergrund tritt, soll es eine Arbeit sein am innern Menschen. Seine Seele hat gearbeitet (im Leiden). So ist auch Ihr Leiden, wenn es im Leben in den Vordergrund tritt, eine Arbeit am inwendigen Menschen, eine innere Entwickelung, eine Gebetsarbeit für das Reich GOttes, eine Arbeit im letzten Grunde für Ihn. Leiden und Arbeiten sind bloß zwei verschiedene Seiten derselben Sache. Das ist Christi Nachfolge, und darauf folgt die Verklärung. Wenn unsere Sache das „Verkläre sie, Vater“ hören soll, so muß sie zuvor durch leidentliche Arbeit und wirksames Leiden hindurchgegangen sein. Die erste Phase hat sie erreicht, das leidentliche Arbeiten. Daß sie das arbeitende Leiden schon erfahren hat, glaube ich nicht. Halten Sie sich diese zwei Frageformen stets gegenwärtig, und Sie werden in viel Thorheit und Schwindel des modernen Christentums unserer Tage nicht willigen. Sie können ein solch kurzatmiges Christentum, wie die innere Mission es oft darstellt, nicht billigen. Das sage ich im Vollbewußtsein des göttlichen Gebotes: „Du sollst kein falsch Zeugnis reden!“ Kurzatmigkeit, Schnellatmigkeit hat das Aufhören des Atmens zur Folge; wo bleibt bei dieser Arbeit der inneren Mission das Leiden? Ist wirklich das zweite Stadium, das des arbeitenden Leidens angebrochen, dann weigern Sie sich desselben nicht. Es kann eine Zeit| kommen, sie wird kommen, wo man uns auf die Probe stellen wird über unserer Arbeit im Leiden.
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 „Du hast Ihm Macht gegeben über alles Fleisch, auf daß Er das ewige Leben gebe allen, die Du Ihm gegeben hast,“ an denen Du Meine Gnade hast wirken lassen. Das ewige Leben hebt für unsern HErrn und Seine Diener schon im Diesseits an. Darin besteht das ewige Leben, daß wir Ihm und Ihn leben. Daß wir Ihm leben, das ist unsere Zeitlichkeit, daß wir Ihn leben, das ist unsere Ewigkeit. „Das ist das ewige Leben, daß sie Dich, wahren GOtt, und den Du gesandt hast, JEsum Christum, erkennen.“ Dies ewige Leben sei Ihr Teil, dies ewige Leben soll man Ihnen anmerken. Als Moses vom Berge des Gesetzes herabtrat, leuchtete Sein Angesicht. Das Antlitz eines Ewigkeitsmenschen soll noch weit mehr leuchten, und dieses Leuchten des Angesichts eines Ewigkeitsmenschen, der sich zu hoch fühlt für diese Zeit mit all ihren elenden Plänen, sei Ihr Los. „GOtt hat den Menschen die Ewigkeit ins Herz gelegt, sie aber suchen viele Künste.“ Und dieses Wort: „Die Ewigkeit ins Herz gelegt,“ ist das einzige Palliativ gegen komplizierte Charaktere, das ist eine Species von Menschen, die im Christenleben nicht existieren sollen. GOtt ist ein GOtt der Einfachheit, die Komplikation stammt aus dem Willen unseres Fleisches. „Schlecht und recht, das behüte mich, denn ich harre Dein.“ Haben wir die Ewigkeit im Herzen, und beherrscht die Ewigkeit unsere Gedanken, so haben wir ein Ziel im Herzen und vor Augen, und damit hört alle Komplikation auf, denn wir haben nur ein Ziel. „Wem Zeit wie Ewigkeit und Ewigkeit wie Zeit, der ist befreit von allem Streit,“ von aller Komplikation. Wem alle Seins- und Zeitformen nur in die Ewigkeit herüberdeuten, wem die Ewigkeit nichts anderes ist, als eine in die Unermeßlichkeit gesteigerte Seinsform, wer von sich weiß, daß er nicht ein Gehender, sondern ein Bleibender ist, daß er das Recht hat, dem Strom der Zeit sich entgegenzustellen in Christi Kraft, der ist befreit von allen! Streit, weil er ein Ewigkeitsmensch ist. Ich leb schon in der Ewigkeit, weil ich in Ihm lebe, der die Ewigkeit selbst dargestellt hat, weil ich in JEsu lebe,| Ihn erkennen heißt Ihn lieben. Darum muß der innere Gebetsumgang mit GOtt scharf betont werden. Ich komme hier auf die Frage des Gebetsumgangs mit Christo. (Etliche Schriften zu empfehlen: Monrad, aus der Welt des Gebets, Vortrag von Cremer; Lemme: Gebet des HErrn.) Die Gefahr des Gebets gerade bei Ihnen liegt auf der Hand: Das ‚viele Worte machen‘ und ‚lange Gebete‘ setzt große Kraft voraus, die nicht jeder zu haben braucht und nicht haben muß und kann. Wenn ich die Entscheidung zu treffen habe, welches Gebet das bessere sei, kurz oder lang, so lege ich auf kurz den Nachdruck. Das größte Gebet, das uns unser HErr Christus gelehrt hat, ist ein kurzes. Das bricht der Wahrheit nichts ab: „Betet ohne Unterlaß.“ Ich möchte den Nachdruck darauf legen: bei JEsu bleiben. Sie haben nicht immer die Zeit, in wohlgesetzter, formulierter Rede zu beten, reden Sie frei mit Ihm, wie die lieben Kinder mit dem lieben Vater, nicht auf deutsche Grammatik achtend. Reden Sie Ihm nichts vor, was Sie selbst nicht glauben. Wenn Sie veranlaßt sind, frei zu beten, dann thun Sie es mit Anlehnung an die Worte der Kirche, an das Wort der Schrift, dem Vorgange Ihres Heilandes getreu, der in Seinen letzten Stunden auch Psalmworte betete. Mit großem Ernst betone ich die Kürze des Gebets; das Gebetsleben krankt, wenn es ein Empfinden wird, vor GOtt keine künstlichen Reflexionen anstellen! Nicht in den Fehler der Tagebücher verfallen, die reflektieren da, wo sie berichten sollen. Das Gebet sei keusch! Wir haben einen barmherzigen Hohenpriester, darum dürfen wir mit Redefreiheit zu Ihm kommen, aber mit der Redefreiheit, die nichts weiß, als: „Ich bin ein armer, verlorner Mensch, und Du bist mein ewiger Erbarmer.“ Ich bin mißtrauisch, skeptisch, wo ich lange, freie Gebete höre. Anfängern giebt man nicht feste Speise, und wir bleiben schließlich immer nur Anfänger. Das Thema Ihres Gebetslebens sei ein gesundes, normales. Wir müssen unser ganzes Sein eintauchen ins Meer der Ewigkeit, man muß es uns anmerken, um Morgen und am Abend, daß wir ein erfrischendes Bad in Seiner Gnade genommen haben – man muß es unserm ganzen Wandel| ansehen, daß wir Menschen des Gebets sind, nicht früh, nicht mittags, nicht abends, sondern allezeit. Dann tritt ein das Hochgefühl des Bürgerrechts im Himmel. Sie dürfen sich nicht verlieren auf dieser armen Erde mit ihren Verzweigungen, sondern sollen Ihren Wandel führen als Bürgerinnen im Himmel, so daß man es Ihnen ansieht: hier sind edle Gestalten, weil von Christo veredelt. Dann können Sie all die schweren Nöten Ihrer Seele, Ihrer Familie, der ganzen Kirche, der ganzen Welt und Zeit in kurzen Worten, aber um so inhaltreicher unserem ewigen Erbarmer vortragen. Wenn Sie nach mühevollem Tagewerk der Schlaf übermannen will, so legen Sie Ihr Herz in ein einziges kurzes Gebetswort und Sie sind geborgen in Ihm.

 V. 4: „Ich habe Dich verkläret auf Erden und vollendet das Werk, das Du Mir gegeben hast, daß Ich es thun sollte.“ Ich habe einer knechtsgestaltigen Erde Deine Herrlichkeitsgestalt bereits aufgeprägt, wenn auch nicht äußerlich. Ich habe einem in Sündendienst versunkenen Geschlecht Deine Herrlichkeit und Gottheit wieder gezeigt, einer Welt, die in Zeitlichkeit verloren, den Ewigkeitsgedanken gegeben, der ganzen widergöttlichen Welt einen Stachel ins Herz gedrückt. Ich habe das Werk vollendet, Dich der Menschheit nahezubringen. Indem Ich Mich Dir opferte, habe Ich die Selbstsucht der Welt geopfert. Ich habe hinweggenommen die Sünde der ganzen Christenwelt. Ich habe Dich allein zum HErrn gemacht, und jetzt, weil ich zu Ende bin, jetzt, Mein HErr und Vater, eile zu Ende mit Mir, verkläre Mich, nicht mit einer ungeahnten Herrlichkeit, sondern setze Mich wieder ein in mein Recht, verkläre Mich mit der vorweltlichen Klarheit. Ich habe sie abgelegt, die Knechtsgestalt um Deinetwillen genommen, jetzt gieb Mir wieder zurück, was Mein ist, nachdem Ich Dir gegeben habe, was Dein, nachdem Ich Dir die im Principe erlöste Welt zurückerstattet habe.“

 HErr JEsu, Du ewiger Erbarmer, der Du alles vollendet hast, was Dir aufgegeben war, aus Erbarmen mit uns, schau in Gnaden herab auf uns, die Deinen, die der Vollendung entgegenharren und streiten, und darüber| klagen müssen, daß Du ihnen noch so ferne bist. Erbarme Dich unserer Schwäche, habe Mitleid mit all unserer Unfertigkeit, Unreife und Armut, und erstatte und erfülle Du gnädig aus Deinem Verdienst, was wir nicht können. Gieb uns Deinen Sieg und verkläre uns mit der Klarheit, die bei Dir und vor Dir ist um Deiner ewigen Liebe willen. Amen.

 Sehet, welche Liebe hat uns der Vater erzeiget, daß wir GOttes Kinder sollen heißen.



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