Seite:Hermann von Bezzel - Einsegnungsunterricht 1892.pdf/19

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

das, was nicht sein soll, sucht infolgedessen alle Mittel und Wege zu ergreifen, um das Leiden fernzuhalten, oder, wenn es da ist, sich über das Leiden hinwegzuhelfen, richtiger hinwegzulügen. Daß der Schmerz milde vorübergeführt werde, das ist ihr größter Zauber. Weil sie den Mann der Schmerzen nicht kennt, so kann sie den Begriff des Leidens nicht tragen, das Leiden selbst ist ihr unsympathisch. Der Christ aber betrachtet das Leiden als das, was sein soll. Wenn die Welt betont, daß das Leiden das Irrationale ist, so betont der Christ: das Leiden soll sein. Ja, die Wurzel, der Grund des Leidens soll nicht sein, die Verfehlung. Nachdem aber einmal durch die Sünde diese Unordnung in die Welt gekommen ist, betrachtet der Christ das Leiden als das Seinsollende, das Notwendiggewordene. Es werden Ihnen für Ihren Beruf ganz gewiß viele Gedanken der Barmherzigkeit kommen, wenn Sie festhalten, daß das Leiden das Seinsollende ist. Der HErr Christus hat ihm durch Sein Leiden die Existenzberechtigung zugesprochen. Wenn das Leiden nicht sein müßte, dann hätte Er nicht gesprochen: „Wer Mir nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich.“ Wir fassen den Begriff der Leiden zu enge, wenn wir sie nur da suchen, wo eine Störung der leiblichen oder geistlichen Lage sich findet. So gut bei Ihm das Leiden Wirken und das Wirken Leiden ist, so gut bei den Seinen. Bei Seinem Leiden tritt das Wirken in den Hintergrund und umgekehrt. Aber gerade von Seinem Leiden heißt es: Seine Seele hat gearbeitet. Es besteht kein Gegensatz zwischen Arbeit und Leiden, sondern vielmehr ein innerer Konnex, eine Wechselwirkung, es sind Korrelate, Ergänzungsbegriffe. In dem Moment, wo unser HErr auf der Höhe Seines Wirkens steht, hat Er am meisten gelitten. „O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll Ich bei euch sein, wie lange soll Ich Mich mit euch leiden,“ sagt Er auf der Höhe Seiner Arbeit. Nicht die Arbeit, sondern das Leiden betont Er in diesem Falle; so wie Er, sind auch wir in dieser Welt. Jede Arbeit, welche nicht im letzten Grunde ein Leiden ist, arbeitet sich auf und hat keinen Erfolg für den inneren Menschen, und wenn der äußere Erfolg