« 2. Stunde Hermann von Bezzel
Einsegnungs-Unterricht 1909
4. Stunde »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
3. Stunde.
Lied 439, 7. 10. 12. Psalm 121.


Gebet: O Herr Jesu, der Du Deiner Gemeinde auf Erden die Gnade gegeben hast, daß sie in dem verordneten Beruf lebe, leide, streite und Deine Nachfolge bewahre, verleihe gnädig allen denen, die Dich suchen, daß sie Deiner zu aller Zeit gewiß und froh werden und in Dir ihres Lebens Kraft und das Ziel ihrer Arbeit erblicken, um Deiner Liebe und Erbarmung willen. Amen.









 Das Gefäß, in das wir unsre Treue zu legen verheißen und in dem wir den Dank zu erstatten versprachen, den wir für die dreifache Berufung, die uns von der Herrenlosigkeit erlöste, erstatten wollen, ist der Beruf. Ich habe mit Absicht den Unterschied zwischen irdischem und himmlischem Beruf nicht berührt, weil ihn der evangelische Christ nicht kennt. Was mich nicht in den Himmel fördert, ist nicht mein Beruf, und was mein Beruf ist, das muß mich in den Himmel fördern. Wo ich in meinem Erdenberuf irgend einen Aufenthalt finde, würde an mich das Wort des Herrn ergehen: „Aergert dich aber dein Auge, so reiße es aus.“ Besser, man sieht die Dinge einseitig und wird gerettet als man ist vielseitig und geht verloren. „Aergert dich die rechte Hand, so haue sie ab.“ Es ist besser tatenbeschränkt die Ewigkeit erreicht, als volltätig der Ewigkeit bei Gott verlustig gehen. Ewiger und irdischer, himmlischer und zeitlicher Beruf sind nach evangelischer Anschauung auf eine Richtung eingestellt, und darum spreche ich heute noch ganz kurz vom allgemeinen Christenberuf und von seinen Besonderungen.

 1. Der allgemeine Christenberuf. Er besteht in der Nachfolge Jesu Christi, in der einfachen schlichten Willigkeit, das Kreuz Ihm nachzutragen. Ueber das Kreuz Jesu sagt Luther: „Jesus hat das Kreuz unschuldigerweise erlitten und darum hat Sein Kreuz die Bedeutung der Nachfolge. So du um Missetat willen gestäupt wirst, das ist kein Kreuz, nur so man um der Gerechtigkeit willen leidet.“ Dieses Kreuz sollen wir auf uns| nehmen, täglich um Jesu Christi willen Widerspruch zu erfahren, Widerspruch nicht sowohl von der Welt, die uns umgibt, sondern aus der Welt heraus, die hier in unserm eignen Herzen sich erhebt. Das ist Nachfolge Christi, wenn ich meine Neigung dem Pflichtgebot opfere, das ist Jesu Kreuz, wenn ich immer weniger auf das blicke, was meinem natürlichen Menschen, sei es als Behagen der Arbeit, sei es als Freude der Ruhe, eingeht und schön deucht, sondern auf das sehe, was sein muß und soll, etwas von dem lerne, daß man in späteren Tagen sich führen lassen muß den Weg, den man nicht wollte noch begehrte. Wenn ein Mensch in seine ganze Lebensfolge die Leidensfolge aufnimmt und seinem Herrn zu Ehren auch den Weg der Schmach und der Vereinsamung nicht scheut, wenn er willenlos und doch nicht willensschwach ohne irgend welches Begehr für sich harte, ernste Tage auf sich nimmt, dann ist etwas von dem Kreuz Christi da. Und wir werden uns alle wohl prüfen müssen, wie weit wir im Stande wären das Kreuz zu tragen. Unsere Kirche hat bekanntlich in ihrer Sittenlehre einen ganz eigenen Lokus vom Kreuz, spricht über das „grobe heilige“ Kreuz, zu dem der Herr diejenigen beruft, denen Er das Herz und Seine Liebe abgewonnen hat. Wie nun das Kreuz im Einzelnen heißt und welche Gestalt es im Einzelnen annimmt – es sei uns genug, daß es die Weise ist, in der und auf die wir unserm Heiland ähnlich werden. Er aber macht es leicht zu erkennen, was Kreuz ist, indem Er mit großem Ernste nimmt, zerbricht, zerstört, um dann eine Arbeit aufzulegen, die aussichts- und erfolglos scheint. Er tut es, indem Er alles, was ein Mensch von Natur kann, ihn weglegen heißt, damit er das lerne, was er von Natur nicht kann. Christi Kreuz ist nicht Selbstbeherrschung. In der Selbstbeherrschung kann man es zum Virtuosentum bringen. Man kann durch tägliche Schulung eine Fertigkeit in der Selbstbeherrschung erreichen, daß man auf all die wechselnden Eindrücke mit einem gewissen Gleichmut antwortet, aber in der Selbstverleugnung hat noch niemand ein Virtuosentum erreicht, da ist nur einer unser Meister, der Sein Leben bis in den Tod nicht geliebt hat. Diese Art von Selbstverleugnung hebt im Herzen an, wenn ich seine Neigungen aufopfere, anscheinend berechtigten Stimmungen kein Gehör schenke und mit ganzem Eifer das zu denken trachte, was zu denken Er mir vorstellt. Die Selbstverleugnung beginnt mit dem paulinischen Wort: Ein Jeglicher sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war, heißt uns in den ganzen Ernst einer herzlichen, aufrichtigen, lauteren Hingabe unsrer Gedankenwelt an den Herrn Christum eindringen und eintreten, heißt uns arm werden, damit Er in uns reich sei und wir in Ihm reich werden.| Die wahre Selbstverleugnung geht uns vielleicht erst später recht auf, sie ist schweigsamer Natur. Man hat Sorge um das schnell fortlaufende Wort und ist in solcher Bekümmernis darüber, ob es nicht weit zu wenig oder weit zu viel sage.

 Die Selbstverleugnung hat auch das an sich, daß sie nicht scheint. Glaube, der Berge versetzt, Arbeitskraft, die Großes ausführt, Selbstbeherrschung, die den Leib brennen läßt, Selbstverzicht, der seine Gaben den Armen gibt, alles das glänzt und gleißt. Aber die Selbstverleugnung tut das Beste ihrer Werke heimlich und bleibt in der Stille und sorgt weit mehr dafür, daß sie nicht gesehen wird, als daß es ihr am Herzen liegt, vor den Augen der Leute zu stehen. Selbstverleugnung hat nur den einen Gedanken, daß sie den Ort finde, wo sie zu Jesu hinflüchte, mit Ihm Zwiesprache halte und von Ihm Stärkung, Tröstung und neuen Mut empfange. Selbstverleugnung will auf dieser Erde nichts mehr und nichts anderes, denn daß sie ihrem Herrn ähnlich werde und Ihm entgegenkomme zur Auferstehung. Selbstbeherrschung ist im letzten Grunde Weltseligkeit, Selbstverleugnung ist die Kraft des Heimwehs zu ihm. Das ist also der Beruf, zu dem Er uns als zu der einen Ihm gefälligen Form des Dankes gerufen hat, das ist der Beruf, in dem wir uns täglich erzeigen und bewähren sollen und wollen: Die einfache, schlichte Arbeit des Kreuzes.

 Ich meine, wenn wir uns dazu gürten würden, ehe es ein anderer an uns besorgt, und wenn wir uns darauf rüsten könnten, ehe Er uns mit Gewalt dazu zwingt, hätten wir eine große Aufgabe in Seinem Dienste erfüllt. Nur von diesem Gesichtspunkt aus sehe ich die Diakonissensache als eine Sturmwehr gegen alle Fluten an, die über Nacht das ganze Kirchenfeld verheeren können; an den Mauern der Selbstverleugnung bricht sich die Welt. Was wäre es für eine große Hilfe in aller Not, wenn diese 35 sich zusammenschlössen zu einer Kraftentfaltung, die unter dem Kreuze erwacht und zu dem Kreuze will, zu einer Kraftentfaltung in der Hingabe all ihres Willens an den Herrn und Meister. Es wären dann ganz sichere, in Ihm geheiligte und Ihm geheiligte Persönlichkeiten, und wo sich solch eine Kraft der Nachfolge in einem Menschen anhäuft, geht sie als stärkende, belebende Gewalt auf andere über. Das kann kein Mensch geben, dazu kann man kaum recht anregen, wer aber in diesen Tagen in der Stille lebt und in die Stille geht und den Mut hat, von der Ewigkeit her sein Leben zu betrachten, wer da in die Wahl gestellt, ob er hinfort ihm selbst lebe oder dem, der für ihn gestorben und auferstanden ist, mit lauterem Ernste sagen kann: Du, Herr Jesu, Du alleine, sollst mein Ein und Alles sein, dieselbige Seele hat Kraft gewonnen| und die Macht, Kraft zu schenken. Der allgemeine Christenberuf heißt: Willentliche Willenlosigkeit. Wer das recht könnte. Liebe, die mich hat gebunden an ihr Joch mit Leib und Sinn; Liebe, die mich überwunden und mein Herz hat ganz dahin: Liebe, dir ergeb ich mich! Gott der Herr müsse, ehe alles zerbricht, in uns diese seltene und hohe Kraft einsenken, auf alles zu verzichten, daß nichts denn Er mehr übrig sei. Man erkennt es; ach, wenn man es nur nicht übersieht; Er sagt es; ach, wenn man es nur nicht überhört: Das ist der Weg, auf dem wir wandeln sollen: Gib mir, mein Kind, dein Herz! Und indem wir diesen gemeinsamen Christenberuf, der alles umschließt, aufnehmen, sehen wir, daß der Herr den besonderen Beruf, den ein jeder unter uns hat, wie eine Schutzdecke auf der einen und auf der andern Seite wiederum wie ein Gefäß zu dem allgemeinen Christenberuf stellt. Wir bemerken es reichlich, der Erdenberuf – und als solchen werden wir den Diakonissenberuf ansprechen können und dürfen – hat seine verschiedenen Seiten.

 Es ist kein Zweifel, daß der Erdenberuf und Diakonissenberuf eine rein irdische Seite hat. So wenig eine Diakonisse so gemein ist, sich irdische Schätze in diesem Beruf erwerben zu wollen, so wenig verzichtet sie darauf, durch diesen Beruf ihr äußeres Leben zu fristen. Wir wissen wohl, daß auch nach der Sünde noch ein Beruf besteht und wissen ebensowohl, daß der Erdenberuf mit dazu gegeben ist, die äußere Seite des Lebens zu erhalten und zu bewahren. So müssen wir auch sagen, daß wir nicht ohne weiteres Offenb. 14 auf die Werke des Erdenberufs anwenden dürfen, wissen vielmehr, daß mit dem Aufhören der irdischen Lebensseite auch die irdische Seite des Berufs entfällt. Es ist deshalb rechte evangelische Nüchternheit nötig, daß man die Erdenseite, die arme Seite des Berufs ansieht, nicht weil man sie will, sondern weil es so sein muß. Wo ich durch allerlei Aeußerlichkeit und Aermlichkeit hindurchgehen muß – es sind eben die Fragen nach den äußeren Dingen, so demütigend sie sein mögen, Fragen, die, so lange wir im Leibe wallen, gelöst sein wollen – kann nicht vergessen werden, daß der Herr auf dieses Erdenleben auch den Fluch gelegt hat, sich mühen und sorgen zu sollen um Vergängliches und für ein Leibesleben, das gar bald im Grabe zerfällt. Es gehört mit zu den Demütigungen und großen Anfechtungen, die der treue Gott uns aufgelegt hat, damit wir in der Armut der Nachfolge bleiben, daß in alten Tagen noch für die Kleidung gesorgt werden muß und daß auch in kümmerlicher Zeit Speise und Trank nicht ganz vergessen werden dürfen, daß der Mensch auch den Schlaf braucht um sich für seine Arbeit leiblich zu erquicken und dergleichen mehr.

|  Aber ich sehe ab von dem, was ich Erdenseite und Vergänglichkeit des Berufs nennen möchte, von dem Menschlichen und allzu Menschlichen, das Gott der Herr in den Beruf gesenkt hat, und sage uns allen zum Troste: In dem Erdenberuf setzt die Heiligung ein. All das, was du in der Nachfolge willst und tust, und all die Arbeit, die du um Jesu willen auf dich nimmst und vollziehst, und all der Ernst, den du dem Heilande zu Dank Ihm und dir gelobst, das hat seinen Umkreis, sein Arbeitsfeld in dem irdischen Berufe. Da siehe du deinen Stand an: in dem Widerstreit zwischen Erdenflucht und Erdenbehauptung, zwischen Himmelssehnsucht und Erdeneroberung, zwischen enteilendem Heimweh und der Pflicht, die Erde zu bauen, in diesem großen herzbrechenden Widerstreit schützt und segnet der irdische Beruf. „In meinem Beruf ist dein Amt und Befehl.“

 Nun sind wir köstlich bewahrt vor der Gefahr, uns einen Kreis, in dem wir Jesu nachfolgen sollen, erst zu schaffen. Denn alle diese selbstgezeigten Kreise haben nicht die Kraft, uns beim Wort zu nehmen. In die selbstgezogenen Kreise nehmen wir schützende Ausnahmen, bewahrende Möglichkeiten, rettende und sichernde Ausflüchte herein. In alle selbstgewählten Möglichkeiten legt der Mensch eine Sicherung hinein vor dem ernstesten Pflichtgebot. Der Mensch kann vieles, um Eines nicht zu können, er vermag vieles, damit er Einem entgehe, und es ist eine bekannte tiefernste Tatsache, daß, je mehr wir in die Nachfolge Jesu eingründen, desto mehr wir die Einfachheit des Erdenberufes preisen.

 Zum zweiten: Indem wir den Erdenberuf annehmen, werden wir immer ängstlicher in der Frage, was ist deines Berufes und was nicht. Die Ausdrücke: Dazu fühle ich keinen Beruf in mir, dazu fühle ich mich berufen, werden immer seltener. Hat ein Mensch seinen Erdenberuf, er heiße, wie er wolle, und nimmt er ihn aus der Hand des treuen Gottes, so wird in diesem Erdenberufe er mit ganzem Ernste und mit ganzem Eifer das Eine halten, das Eine, die Beschränkung, die Beengung, die Einfachheit; er begehrt nichts mehr. Lassen Sie sich das recht an das Herz gelegt sein! Wir stehen jetzt in der Zeit der Vielgeschäftigkeit. Das Neue Testament hat besondere Worte für diese Vielgeschäftigkeit geprägt. Wenn ich eine Feder ansetze zu einem Brief, der nicht ganz auf der Linie meiner Pflicht liegt, so ist es Sünde. – Wenn das noch als Vermächtnis von mir gegeben werden dürfte, so hätte ich dem Hause ein Kleinod hinterlassen. Glauben Sie einem Manne, der in schwerer Zeit seinem Heiland versprochen hat: Ich setze keinen Bleistift an, um etwas zu erhellen oder zu beschönigen; alles,| was nicht ganz hart in der Linie des Berufes liegt, das ist Gefahr. Weil mir der Weg zu schlecht und die Straße zu einsam war, darum habe ich bald da, bald dort einen Seitenweg eingeschlagen und das ist nicht richtig. Unsere Heiligung liegt auf der Linie des Berufs; wer von dieser Linie abweicht, hat bereits den Heiligungsberuf verlassen und wie könnte er auf Seitenlinien diesen Beruf üben. Lieber in der Enge, lieber in der Verborgenheit, als daß man um alles sich kümmert und dabei seine Seele ärgert und betrübt. Wäre diese Auffassung eine allgemeine unter uns, wieviel Schweres bliebe erspart! Nicht die Pflicht der Regierung ist das Schwere, sondern die Sorge, wie man Nebenregierungen begegnet. Nicht die Schwere der Verantwortung drückt, sondern, wenn man einstehen soll und weiß nicht wofür.

 Wer aber bei seinem Werke und dem gottgewiesenen Berufe verharrt, dem zeigt der Herr seine Gnade auf diesem Wege, daß er stille werde, seine Seele in Jesu Hand berge, den Gehorsam bewahre, ein unverletztes Gewissen behalte und endlich alles wohl ausrichten möge. Es kommt ja nicht darauf an, daß du vielerlei erreichst. Wenn der Geist sich müde gearbeitet hat, kehrt er zurück zu dem Allereinfachsten, und wenn das Leben zu Ende geht, verlangt es nach einer Einheitlichkeit und will nicht mehr anderes und Größeres, denn daß es Gottes Antwort sei und Gottes Antwort höre. Es kommt nicht darauf an, daß man viele Dinge anfängt und in das Leben stellt, sondern darauf, das Viele unter einen Gesichtspunkt zu ordnen und Eines über alles zu stellen.

 Wer seinen Erdenberuf recht liebt, darf es gewiß wissen und glauben, daß ihn Gott vor aller Selbstirrung bewahrt. Das, so glaube ich, wird ganz bestimmten Erscheinungen ein gar kurzes Leben bereiten; sie tun nicht das, was sie die Enge tun heißt, sie erwählen eine Weite und darum fallen sie ab. Zum dritten: Der von Gott gegebene Erdenberuf hat etwas Schützendes. Wie oft haben Sie es sich gesagt: Komme ich um, so komme ich um. Dieser Erdenberuf wird einfach aufgenommen und geübt, dann wird er fortgeführt mit der Kraft, die Gott darreicht, und der Herr zeigt, wenn es genug ist. Und je mehr Kraft man für diesen Beruf aufwendet, desto mehr Kraft strömt zurück, damit jedermann erfahre, daß nicht er die Last, sondern die Last ihn trage. Es ist eine wunderbare Gabe Gottes, daß, je mehr ein Mensch mit allem, was er ist und was er weiß, seinem Erdenberufe sich zuwendet, dieser ihn schützend umgibt, stärkend erhebt, tröstend erquickt. Ich meine, von diesen Gesichtspunkten aus angesehen, wird der Erdenberuf eine liebe Pflicht und eine leichte Arbeit und ein seliges Recht,| daß man auch in den schwersten Tagen über Lasten zu klagen verlernt.

 Und dann ein Viertes: Der Erdenberuf sagt mir: Wenn ich dir zu schwer bin, so denke daran, ich bin nur eine Behausung für einen ewigen Gedanken und nur die Form für eine ewige Pflicht. Die Form und die Behausung zerfällt, aber, was beide erfüllt, bleibt in Ewigkeit. Es ist das für mich das Tröstende im Erdenberuf, daß er über sich selbst hinausweist und sagt: Nur eine kurze Weile trage mich, führe mich, fülle mich aus, wie es recht ist, und um den Abend kommt der Herr des Weinbergs und dann ist es vorbei. Trösten wir uns mit der Gewißheit, daß, wer seine Kräfte und Gaben auf seinen Beruf sammelt und in seinem Beruf Jesum Christum heiligt, über ein Kleines das Wort von dem Feierabend hört, in dem nicht die äußeren Hüllen die Hauptsache sind, sondern die Gabe, mit der man sie trug, und die Kraft, mit der man sie erfüllte.

 Ich ziehe kurze Sätze: 1. Hauptsatz: Jeder Mensch hat einen Erdenberuf, aber nicht jeder kennt ihn und will ihn kennen. Auch der ärmste Blöde, Kranke und Sieche hat von Gott seinen Erdenberuf bekommen. Indem er ganz das ist, wozu ihn Gott gemacht hat, und ganz das trägt, was ihm zu tragen Gott verordnet hat, ist er ein ganzer Mann und darum ein ganzer Christ.

 2. Jeder Erdenberuf hat seine ganz bestimmte Begrenzung und die Weisung: Gehe in die Tiefe, fahre auf die Höhe, aber laß das, was neben liegt. Jeder irdische Beruf hat seine Begrenzung. Je mehr wir sie achten, desto größere Treue kommt der Hauptsache zu, und in dieser Hauptsache liegt dann Leben und Seligkeit.

 3. Jeder irdische Beruf weist in die Kraft hinein, aus der heraus er getan werden muß. Halten wir den Beruf, den uns Gott geschenkt hat, hoch und in Ehren, nehmen wir diesen Erdenberuf aus Seiner Hand, streben wir nie selbst auch in Gedanken nicht, seine Aenderung an: Wenn Gott solche Aenderung will, dann zeigt Er sie und gibt sie in Seiner Weise und zu Seiner Zeit. Reden wir nicht in ungesunder Ekstase von einer Gewißheit gerade dieses Berufs, sondern nur von der Gewißheit, daß Er uns ruft.

 Alles das, was man tut um einen bestimmten Beruf zu sichern, ist, wie unsre Väter sagten, eine Schmähung des Schöpfers und seiner Regierung. Gott kann ja in irgend einer Form etwas anderes schaffen und verlangt, daß wir dann ebenso treu sein sollen, wie wir hätten vorher sein müssen. Es ist nur das unser Trost: Keine Heiligung außer dem Berufswerk. Die kath. Kirche sieht leicht die Heiligung außer dem| Berufswerk. Wenn Elisabeth von Marburg darüber selig gepriesen wird, daß sie ihren Mutterberuf verließ und sich fremder Dinge annahm, so ist das Verkehrung der Gottesordnung. Darüber rede ich nicht weiter. Wenn man nur die gemeine Durchschnittssittlichkeit in der Berufstreue findet, während der Mensch, der einen andern Weg geht, weit über diesen Durchschnittsleuten steht, so wissen wir, Heiligung außerhalb der nächsten Arbeitspflicht ist eine Schmähung dessen, der sie uns gab; sie wird vor Ihm nicht bestehen und taugt vor Ihm nichts. Kraftentfaltung auf einem andern Gebiet als auf dem vom Herrn gezeigten ist Ihm nicht angenehm. Wo wäre der Lehrer, der vor leeren Bänken stehen wollte, weil die ihm befohlenen Schüler anderwärts eingefallen sind? Wie heißt der Führer, der auf einem andern Schlachtfeld sich bewähren wollte, als in das er geführt, wo wäre der Gott, der seinen Menschen erlaubte, andere Wege zu gehen, als die Er zeigt, um dann die auf diesem Wege vermeintlich geübte Treue als eine wirkliche gelten zu lassen?
.
 Noch einmal sei es gesagt, und das wollen wir in unsere späteren Betrachtungen recht hineinnehmen, es gibt keine Heiligung außerhalb des Berufs. Der Erdenberuf umspannt unser Leben, von ihm aus orientieren sich alle Beziehungen zu unsern Verwandten, Freunden, zu Gott, alle inner- und überweltlichen Beziehungen. Was deinem Berufe nicht zugute kommt, das ist Sünde, und wenn es noch so gleißte, und was dein Beruf fordert, das ist recht. Von Berufs wegen fragen wir uns: Können wir jene Erholung und dieses Vergnügen uns gönnen? Dürfen, müssen nicht im späteren Leben auch Verwandtschaftsbeziehungen gelockert werden, können wir nicht, müssen wir nicht auf manches verzichten, was einem andern zusteht? Der Beruf macht das Gewissen enge, weil er das Herz so weit, so groß und stark macht. Sehen wir auf den Weg und auf die Straße unseres Berufs! Das ist in meinen Augen die hohe Bedeutung der Schule, an der unsre Diakonissen vorgebildet werden sollen, das ist die Bedeutung der blauen Schule, daß in ihr, so lange sie besteht, der Ernst der Berufstreue gepredigt und bezeugt wird. Es muß eiserne, starke, große Grundsätze geben, an denen man nicht ungestraft vorbeigeht; es muß ein Erbe dastehen, nicht von Menschen, sondern von dem Menschensohne, und ein Besitz, der je mehr behütet wird, je mehr die blaue Schule in ihrer Abgeschiedenheit bleibt. Es wäre nach meiner festen Ueberzeugung ein Stück Tod im Hause, wenn die blaue Schule ein Sprechsaal würde, wo alle ungefragt ihre Meinung äußerten. Es sind das alles Reden für eine andere Zeit, die nicht mehr die meine sein wird; aber achtzehn Jahre Arbeit machen sich dem, der sie| getan hat, nicht ohne weiteres vergessen, und Grundsätze, für die man ein gut Teil seiner Lebenskraft eingesetzt hat, kann man nicht wechseln. Und weil man sie bewährt erfunden glaubt, legt man sie der kommenden Zeit bescheidentlich und bittend vor; es soll die Berufstreue doch ja eingeprägt werden. Unsere Diakonissenhäuser gehen an den Abwechselungen noch zugrunde. Es ist nicht gut, wenn ein Tag immer wieder etwas anderes bringt, als das, was Gott ihn bringen heißt. Es ist nicht gut, wenn der Mensch Abwechslung begehrt, statt daß er den eisernen Tritt der Pflicht schreitet. Man wird nicht müde dabei, man wird nicht alt darüber. Gott erhalte der blauen Schule den Ernst der Pflicht, der Berufstreue, sonst wird sie ein Haus, dem das Dach abgetragen ist, wo es hinein regnet und schneit und die Wetter hingehen, da wird auch das Unkraut bald an den Balken wachsen. Und wenn unsre Einzusegnenden ein Gelübde geben wollen, dem Berufe treu zu sein, so wäre das ein vernünftiger Gottesdienst. Diese Berufstreue nimmt ein Wort ins Auge: Eintönigkeit der Pflicht. Und das ist etwas von dem vielstimmigen Halleluja, das wir, so Gott will, Ihm bald opfern dürfen.
.
 Die Eintönigkeit der Pflicht ist, dazu helfe uns Gott in Gnaden, die Wegfertigung der Arbeit, wie sie der Tag bringt und nimmt. Es lasse sich niemand verführen. Erst in letzter Zeit ist der Gedanke mir wieder so nahe getreten: Es möge doch unter uns nie eine andere Erholung gesucht werden als die, welche von der Tür der einen in die Tür der anderen Pflicht führt. Es gibt nur der Wechsel der Pflicht die rechte Erquickung. Es muß, wenn lutherischer Name nicht nur ein Schall sein soll, das äußere Gebot der Pflicht in der Nachfolge Jesu erfaßt werden. Je mehr wir uns heiligen, desto mehr werden wir. Man rufe mir nicht ins Gedächtnis, daß der Herr doch eine Hand voller Güter habe. Wir wissen das wohl, wir wissen aber auch, es gibt nur Weltbemächtigung auf dem Wege der Weltverleugnung und so oft habe ich es schon gesagt und sage es noch zum letzten: Von denen, die in unscheinbarem Wesen ihre Pflicht tun, wird die Zukunft des Hauses abhängig sein. Es wäre sehr schlimm, wenn diese 35 Probeschwestern lauter führende Geister würden. Aber noch weit schlimmer wäre es, wenn diese 35 einen anderen Weg der Heiligung suchten, als den des gehorsamen Schritt für Schritt und Jesu nach. Er helfe uns allen zur Treue, zu der Treue, welche in allem, was sie tut und sucht, in allem, was sie begehrt und zurückweist, nichts anderes als den guten gnädigen Gottes willen begehrt. Gott helfe uns zur Einsamkeit, daß wir [i]n Zweifelsfällen lieber schweigen als reden, daß wir die| streitigen Aufgaben dem Herrn befehlen, Er wird es recht machen.
.
 Ich wünsche ja so sehr, daß eine Zeit des ruhigen Gleichmaßes komme, eine Zeit des stillen Ausbaues, aber auch eine Zeit des beharrlichen Fortschrittes. Ich wünsche so sehr, daß diese 35 so verschieden an Gaben und Kräften und Wollen und Meinung in dem einen sich doch zusammenfinden möchten, wie sie das Wohl ihrer Kirche aufs beste fördern. Hat denn, so frage ich mich, die Kirche keine Zukunft mehr? Ist denn wirklich die Selbstzersetzung des Protestantismus bereits eingetreten? Hat nicht Gott unsre Vielgeschäftigkeit heimsuchen wollen, weil wir nicht ganz das sein mochten, was wenigstens der Herr von uns verlangte? Ich brauche in dieser Versammlung nicht erst zu sagen, daß aus jeder Zersetzung des Protestantismus, der wir entgegengehen, ein neuer Lebensprozeß sich entwickeln wird. Ich brauche nicht erst meiner unwandelbaren Ueberzeugung Ausdruck zu geben, daß die Pforten der Hölle all das, was auf den Fels Jesus gebaut ist, nicht überwältigen werden. Aber es wird erlaubt sein zu beten: „Und weil ich schwach, so lasse Du kein allzustark Versuchen zu“, und es wird erlaubt sein zu mahnen: „Heiliget Gott den Herrn in euren Herzen.“ Die Berufstreue ist ein Bollwerk gegen innerliche Zersetzung. Der Herr Christus, der für mich gestorben, ist der, der vor mir hergeht. Ich kann Ihn als den einen nicht fassen, wenn ich Ihn nicht als den andern habe, und wenn ich Ihn als den einen fasse, habe ich Ihn auch als den andern. Von dem Erlöser zum Vorbild, von dem Vorbild zum Erlöser! – Von dem, der für mich gestorben, zu dem, der vor mir Seine Straße zieht. Heiligung ist Erfassung des Heiligen und das führt weiter und wieder zur Heiligung. In diesem Wechselverkehr stehen beide. Wer in seinem Erdenberuf treu ist und ihn als eine Gottesgabe hinnimmt, der flüchtet aus der immer mehr sich zur Empfindung gebenden Untreue in die Vergebung und aus der Vergebung will er einen Dank der Heiligung zahlen. Wenn ich für Sein Erbarmen danke, so danke ich in der Nachfolge, und wenn meine Nachfolge so schwach ist, getröste ich mich wieder der Vergebung in Seinem Blut. Unsere Kirche kommt wieder zu ihrem Heiland, das weiß ich gewiß; die Frage ob ichs noch erlebe, trifft nicht zum Ziel. Man erlebt es täglich, unsere Kirche kehrt wieder zu ihrem Bischof zurück. Diakonissenhäuser sind Sammelhäuser der Treue. Hier wird das Gewissen für das Kleine geschärft, hier wird das Auge für die Unscheinbarkeit der Lebensbetätigung geöffnet. Hier hört man nichts anderes als die eine Weisung: „Rede Du, Herr, Deine Magd hört.“ Und darum, weil gefaßte, schlichte, ernste Lebenstreue| in diesen Häusern eingeschärft und gepredigt wird, darum, weil sich hier eine Menge Seelen zusammenfinden, die der König mit Seinem Blut erlöst hat, auf daß sie in dieser Form des Dienens Sein eigen seien und Ihm Gehorsam und Dank erzeigen, darum erblicke ich in dieser gesunden Heiligungs-Bewegung der weiblichen Diakonie eine Rückwirkung auf das ganze Leben der Kirche. Der bitterschwere Jammer, daß mit der Entvölkerung der Diakonissenhäuser das Amt des Wortes immer weniger gesucht wird, die furchtbare Not der kommenden Jahrzehnte, welche speziell unsre bayerische Landeskirche betteln gehen sehen wird, kommt zum allerersten und zum allerletzten daher, daß man die Arbeit scheut, die eine ganze Treue begehrt. Der Dorfpfarrer, der jeden Tag seiner armen, in der Arbeit der Erde wie versteinerten Gemeinde nachgeht, der Stadtpfarrer, der sich in den Strudel der Gottlosigkeit stürzt, ob er noch etliche daraus rette, der jeden Tag Katechismusstücke seinem Volke predigt, die Diakonisse, die frühe ausgeht um dem Massenelend zu begegnen und spät niedersinkt um am Morgen die eine Arbeit wieder an- und aufzunehmen, die Lehrerin, welche mit immer neuer Geduld und Treue das arme Volk auf verlassne Heiligtümer hinweist, sie alle bleiben einsame und unverstandene Leute, weil die Heiligung in der Treue ein immer selteneres Ding wird.
.
 Schwestern, wenn ihr die Treue im Erdenberuf haltet, die schlichte, einfache, unscheinbare Treue, die eine tausendmal gelernte Lektion zum tausend und erstenmal mit neuem Mut beginnt, wenn ihr mit ganzem Ernste zu dem eisernen Gebote der Pflicht ein warmes Herz bringt, dann tut ihr für unsere arme Kirche das allerbeste. Man wird mir dies ohne weiteres glauben, wie einem Einsamen, der eine gute Zeit seines Lebens allerdings auf stürmisch erregtem Wasser fuhr, aber doch zur Rechten und Linken das rettende Ufer erreichbar sah, und nun auf einmal in ein weites, wüstes Meer hinausgestoßen wird, wo er immer weiter von der Küste gestoßen erscheint, so wird es mir manchmal zumute sein bis ich in ein einziges Wort mich flüchte, und das heißt: Tu das Deine, stelle dich hin, laß dich schlagen, schlage, wenn es not tut, arbeite und richte dein Amt aus, mehr kannst du nicht und mehr sollst du nicht. All die weittönenden Worte von Kirchenpolitik und Kirchengestaltung und Neugeburt gleiten ab. Nun sucht Er nichts mehr an Seinen Oekonomen, denn daß sie treu erfunden werden. Wie die Kirche sich jeden Tag unter das Kreuz ihres Herrn Jesu beugt: Ich danke Dir von Herzen, o Jesu, liebster Freund, für Deine Todesschmerzen, da Du’s so gut gemeint. Ach gib, daß ich mich halte zu Dir und Deiner Treu usw.,| so begehren auch wir nichts anderes zur Lösung für peinliche Fragen und zur Tröstung in peinvollen Stunden als die Treue im Erdenberufe, die da sprechen läßt: Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn.


Gebet: O Herr Jesu, der Du im oberen Heiligtum ohne Aufhören und Ende für Deine Gemeinde betest, verleihe die hohe Gabe des heiligen Geistes uns allen, die wir um sie ernstlich flehen, daß wir in guter und böser Zeit die Treue halten, nichts von uns und für uns, sondern alles von Dir erwarten und endlich zum ewigen Leben durch Not und Anfechtung durchdringen um Deiner Erbarmung willen. Amen.














« 2. Stunde Hermann von Bezzel
Einsegnungs-Unterricht 1909
4. Stunde »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).