Textdaten
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Autor: Ludwig Walesrode
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Titel: Ein Charakterkopf
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 753–756
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[753]
Ein Charakterkopf.

Ferdinand Freiligrath.
Nach einer Photographie von Buchner auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Die Gesichtszüge bedeutender Persönlichkeiten erscheinen oft als wunderlich eigensinnige Räthsel, die dem Scharfsinne oder der Spitzfindigkeit des aus dem äußeren Menschen den inneren ergrübelnden Physiognomen zu rathen aufgeben. Selten jedenfalls ist der Ausdruck genialer Begabung am Menschenantlitze zugleich ein sympathischer, der die Herzen anmuthet und gewinnt.

Wie anders Ferdinand Freiligrath’s aus Bild und Leben volksthümlich bekannter Charakterkopf!

[754] Man brauchte nicht erst in der Schule der Physiognomen lesen gelernt zu haben, um aus dem Gesichte Freiligrath’s den Poeten und den Menschen heraus zu lesen und zwar – den Poeten und den Menschen. Nichts an diesem Kopfe erinnert an die Schablone, nach welcher die Natur Menschengesichter, so zu sagen, en gros zu formen pflegt, nur in kleinen Zügen und Nuancen das persönliche Einzelwesen, das Individuum andeutend oder markend.

Freiligrath hatte nicht blos im Sinne der sprüchwörtlichen Redensart „seinen eigenen Kopf“. Das Düsseldorfer Zuchtpolizeigericht, das im Jahre 1851 unseren Dichter „wegen Theilnahme an einem Complote zum Umsturze der Regierung“ steckbrieflich verfolgte, hätte sich das ganze übliche Signalement ersparen können. „Besondere Kennzeichen: Freiligrath Kopf“ und Punctum. Kein Gensd’arm, kein Polizist und wer und was sonst noch auf politische Verbrecher vigilirte und fahndete, „von Memel bis Saarlouis“, wie man damals statt des spätern „vom Fels zum Meere“ schrieb, hätte mehr zu wissen gebraucht, um den verfehmten Poeten, wo er nur immer auftauchte, sofort „dienstergebenst“ beim weltbekannten Kopfe zu nehmen. Schade nur, daß die weit reichenden Arme des vaterländischen Steckbriefes doch zu kurz waren, um den Dichter drüben im freien Albion, wo er für sich und Weib und Kind ein gastlich sicheres Asyl gefunden hatte, abzufassen.

Aber auch der mit dem Crayon bewaffnete Künstlerhumor hat auf den Poeten mit dem Freiligrath-Kopfe gefahndet, wie ja nur das eigenartig Charakteristische und Bedeutende die Parodie herausfordert. Der Künstler hatte mehr Glück als der Polizist. Er hat den Dichter richtig getroffen.

In dem Album der Gesellschaft „Bergwerk“ zu Stuttgart, die, nach dem Muster der ehemals viel genannten Wiener „Ludlamshöhle“, jetzt „die grüne Insel“, Dichter, Gelehrte, bildende Künstler, Schauspieler, Musiker und was sonst noch solcher Sphäre ausübend oder dilettirend angehört, an bestimmten Abenden zu heiterer Geselligkeit, dem horazischen „desipere in loco“, vereint, findet sich eine von dem verstorbenen Photographen Kaiser herrührende humoristische Illustration zu Freiligrath’s Gedichte „Der Löwenritt“. Der geniale, ebenfalls bereits und leider in der Maienblüthe seines künstlerischen Schaffens verstorbene Silhouettenzeichner Paul Konewka, der Shakespeare’s „Sommernachtstraum“ mit luftig durch die Dichtung huschenden Schattenbildern so anmuthig und übermüthig illustrirt hat, hat an der Ausführung sein Schelmenantheil gehabt. Das Blatt stellt den „Wüstenkönig“ in dem Momente dar, wie er eben aus seinem Verstecke im Schilfe der Lagune der nichts Böses ahnenden armen Giraffe auf den Nacken gesprungen ist:

„In die Muskeln des Genickes schlägt er gierig seine Zähne;
Um den Bug des Riesenpferdes weht des Reiters gelbe Mähne.“

Ein einziger flüchtiger Blick auf die Zeichnung läßt uns sofort in dem Kopfe des grimmen Giraffenreiters den portrait-ähnlichen, mähnenumwallten Kopf Ferdinand Freiligrath’s erkennen. Statt auf beflügeltem Hippogryphen, himmlisch verklärten Antlitzes, die goldbesaitete Lyra in den Armen, olympwärts sich aufschwingend, wie kunstbräuchlich der Poet dargestellt zu werden gewohnt ist, sehen wir hier den vor unseren leibhaftigen Augen in einen Löwen sich metamorphosirenden Dichter, fest eingekrallt in den Rücken einer Giraffe, durch den glühenden Wüstensand dahin galoppiren, im wilden Ritte sein Riesenpferd mit blutgierigem Behagen verspeisend.

Freiligrath hatte seine hell auflachende Freude an dem jovialen Blatte, das in photographischer Nachbildung seinem Photographiealbum einverleibt ist. Auch ich bin im Besitze einer solchen, die er mir für mein Album geschenkt hat. Der tolle Einfall paßte ihm zu der heiteren Selbstkritik, mit welcher er im Gespräche mit Freunden seinen „Löwenritt“ später in aller Unbefangenheit zu glossiren pflegte. – Bekannt sind die Verse, in denen er jene, seiner ersten jugendlichen Dichterperiode entstammten heißzonigen Phantasiemalereien für einen „überwundenen Standpunkt“ erklärt hat, um mich eines jener Zeit viel gebrauchten junghegelschen Ausdrucks zu bedienen:

„Zum Teufel die Kameele,
Zum Teufel auch die Leu’n!
Es rauscht durch meine Seele
Der alte deutsche Rhein!

Er rauscht mir um die Stirne
Mit Wein- und Eichenlaub;
Er wäscht mir aus dem Hirne
Verjährten Wüstenstaub –“

singt er in seinem Gedichte an Karl Simrock „Auch eine Rheinsage“. Es hat ihm aber nichts geholfen. „Trotz alledem und alledem“ werden jene originellen Dichtungen als hochgeachtete Cabinetsstücke dem Literaturschatze des deutschen Volkes verbleiben. Die deutsche Jugend vor Allen hat nicht aufgehört für sie zu schwärmen und gerade den „Löwenritt“ mit Vorliebe zu declamiren.

Mit Freiligrath’s Löwenkopf hatte es indessen seine volle Richtigkeit; der kecke Stift des Zeichners hat ihm denselben nicht anphantasirt. Auch wer unsern Dichter niemals im Leben von Angesicht zu Angesicht gesehen, wird bei einem Blicke auf das hier von der „Gartenlaube“ im Holzschnitte gegebene Bildniß Freiligrath’s nach der von dem Phonographen Buchner in Stuttgart 1873 aufgenommenen Photographie – meines Bedünkens unter den unzähligen Bildnissen, die von Freiligrath existiren, das charakteristischste, lebenvollste, von wahrhaft künstlerischer Wirkung – unwillkürlich an ein Löwenhaupt denken. Diese mächtige, trutzigliche Stirn, welcher die majestätisch grollenden Flammendichtungen aus des deutschen Volkes politischer Sturm- und Drangperiode von 1848 entsprungen sind, die in wilder Ueppigkeit das Haupt mähnenartig umwallende Haarfülle, die zorndrohenden Brauen – das Alles machte in der That am Freiligrath-Kopfe den Eindruck des löwengewaltigen Ingrimmes, erinnerte an das „In tyrannos!“ unter dem springenden Löwen auf dem Titelblatte der ersten Ausgabe von Schiller’s „Räuber“.

Und doch wiederum, wie viel versöhnliche Milde lag auf diesem Antlitze! Wie wohlwollend leuchteten unter den buschig grimmen Brauen die hellen, treuen Augen! Wie warm und beredt sprach aus jedem Zuge dieses Gesichtes jene an die ganze Menschheit hingegebene Liebe, von der unserem Dichter Herz und Lied überquollen! Liebe durch die ganze Scala tiefmenschlichen Empfindens, jene, man könnte fast sagen „evangelische Liebe“, wie sie in den feierlichen Choralstrophen seines Liedes austönt: „O lieb’, so lang du lieben kannst etc.“ – in der That hat es Aufnahme in kirchliche Gesangbücher gefunden und oft den Text zu weihevollen pastoralen Trau- und Grabreden geliefert – Liebe in dem Weherufe der „Todten an die Lebenden“, den unser Dichter schmerzbewegt und zornflammend – an des „Sängers Fluch“ in Uhland’s bekannter Ballade gemahnend – gegen die „stolzen Hallen“ eines Königsschlosses geschleudert hat, über Leichen,

„Die Kugel mitten in der Brust, die Stirne breit gespalten.“ –

Die Prädestination seines Dichtergenius war in bedeutenden „Motiven“, wie der Bildhauer sagt, dem originellen Charakterkopfe Ferdinand Freiligrath’s aufgeprägt; man konnte in dem offenen Gesichte des Dichters lesen, wie in dem aufgeschlagenen Buche seiner Dichtungen, den Poeten und den von diesem unzertrennlichen Menschen.

Auch die erregte Stimmung der flüchtigen, fröhlichen Stunde malte sich in ausdrucksvollen Reflexen auf diesem Löwenkopfe. Wie heiteres Wetterleuchten zuckte es von den Mundwinkeln über die gewaltige Stirne, blitzte die neckische Laune aus den sinnig tiefen Augen, wenn unser Dichter, der Arbeit los und ledig, der innern wie der äußern, geschäftlichen, in munterer Unterhaltung sich seines harmonisch gestalteten Familienlebens am häuslichen Herde erfreuen oder unter gemüthlich einverstandenen „trinkbaren Männern“ seinem Humor in freien Sprüngen die Zügel schießen lassen konnte. Er selbst allerdings war kein „trinkbarer Mann“ in der verwegenen Bedeutung des von Victor Scheffel in die Welt gesetzten Wortes. Aber er war nicht dazu angethan, sich durch „trübe Gedanken tief in die Melancholei“ scheuchen zu lassen, wie Klopstock in seiner Ode „An Ebert“ leichenbitterlich trübselig singt; davor behütete ihn sein fröhliches, dichterisches Verständniß für einen guten süffigen Tropfen. Der alte deutsche Rhein, wie er gesungen, rauschte „mit Wein- und Eichenlaub“ ihm um die Stirn und durch die Seele. Nicht zu vergessen des in grünen Römern blickenden Rheingoldes vom Johannisberge, von Rüdesheim, Geisenheim, Aßmannshausen, Marcobrunn und dem ganzen weiten „U. s. w.“, das die Weinkarte vom rebenglühenden Rheingau vor dem entzückten Blicke „froher, kluger [755] Zecher“ entfaltet. Doch auch die draußen im Reiche als particularistische Säuerlinge schnöde verschrieenen Weine von den Geländen des Neckars und der Tauber, an denen so viele schwäbische Heroen der deutschen Literaturgeschichte sich groß und unsterblich gesogen, hat er in sangesfröhlicher Dankbarkeit zu würdigen gewußt. Ganz besonders wohlig aber konnte sich Freiligrath angemuthet fühlen von der heimgebrauten („homebrewd“, wie die Engländer viel zu schön vom prosaisch dickblütigen Biere sagen), nach Frühling, Waldmeister und dem wunderholden Moselblümchen duftenden Maibowle, vorausgesetzt, daß er mittheilsam aus solcher mit seinem Herzen nahen Menschen „die Neige der köstlichen Zeit“ schlürfen konnte. Dieser seiner poetischen Vorliebe für den Maitrank, die sich von den seiner heimwehen Erinnerung unvergeßlichen, am Rhein gelebten Tagen datirte, hat ihn sein letzter ständiger Aufenthalt im Schwabenlande nicht zu entfremden vermocht. Die Schwaben „hassen dies Gebild aus Menschenhand“. Sie sind abgesagte Feinde aller Mischgetränke. Ich habe ihm noch während seiner Krankheit, im engsten Kreise seiner Angehörigen, manche Maibowle leeren helfen, die Frau Ida unter seiner sorgfältigen Anleitung gebraut hatte. Dieser flotte, fröhliche Zug seines Naturells ist nicht bedeutungslos für eine literaturgeschichtliche Charakteristik des Dichters.

Bei allem empfindungstiefen Ernste, in welchem der Grundton seines dichterischen Genies ausklingt, war Freiligrath reich mit jener „Frohnatur“ gesegnet, die Goethe vom „Mütterchen“ geerbt zu haben sich rühmt und die, wie mich dünkt, keinem Poeten von echtem Schrot und Korn fehlen soll. – Aus dem warm leuchtenden Goldgrunde einer dem fröhlichen, sonnigen Lichte offenen Poetenseele treten die ernsten Gebilde der schöpferischen Phantasie nur um so plastischer in greiflicher Wahrheit hervor. Mit dem Grubenlichte des Humors ausgerüstet, kann sich der Poet in dunkle Gedankentiefen wagen, in die ihm der Philosoph nicht zu folgen vermag. – Unsere Literaturgeschichte hat Goethe noch nicht als einen ihrer größten Humoristen gewürdigt. Ohne die ihm angeborene „Frohnatur“ würde Goethe nimmer seinen „Faust“, die gewaltigste seiner Schöpfungen, „fabulirt“ haben.

In den sechs Bänden von „Ferdinand Freiligrath’s gesammelten Dichtungen“ neuester Ausgabe findet sich nur eine einzige, die dem Humore unseres Dichters ein, nicht blos wie der Jurist das Wort versteht, „classisches Zeugniß“ ausstellt, sein im Exile, 1855, gedichtetes überaus ergötzliches Poem: „Auff Herrn Heinrich Köster’s und Jungfrau Käthen Bloem’s ihre Hochzeit. London. In Verlegung des Authoris.“ – Der zur Zeit unter den sorgsamen Händen der Gattin Freiligrath’s und seiner dichterisch hochbegabten Tochter Käthe Kroeker in London zu einem Supplementbande vorbereitete literarische Nachlaß unseres Dichters wird, unter vielem bisher Ungedrucktem oder als Manuscript Gedrucktem, eine Fülle von Humor sprudelnden, an seine Freunde, wie z. B. an denselben Herrn Heinrich Köster in Düsseldorf, Emil Rittershaus in Barmen, Richard Wehn in Melle und an viele Andere noch gerichteten poetischen Episteln enthalten, die den Namen Freiligrath’s auch unter den gefeierten Humoristen der Neuzeit zu verewigen genügen. – Was er in lachenden Wettgesängen mit Victor Scheffel gedichtet für die Festgelage bei ihrem gemeinsamen und überhaupt aller Poeten, Afrika- und Nordpolreisenden und sonstiger Unsterblichen Gastfreunde, dem originellen, um die Veredelung des schwäbischen Weinbaues hoch- und tiefverdienten Oberamtsrichter Ganzhorn von Neckarsulm, wird dem kritischen Schiedsrichter die Entscheidung nicht leicht machen, welchem von beiden Poeten die Palme zuzuerkennen sei.

Selbst als seine fortschreitende Krankheit bereits die Schatten schauernder Todesahnungen in seine Stimmung geworfen hatte – ach, er lebte gern und hatte allen Grund dazu! – konnte er in freundlich geselliger Unterhaltung, angeregt und anregend, körperliches Leid und trübselige Anwandlungen sich von Leib und Seele wegplaudern und weglachen.

Die rührend humoristische Dichtung, mit welcher er Scheffel zu dessen fünfzigjährigem Geburtsfeste am 16. Februar 1876 beglückwünschte, hat Freiligrath, einen Monat vor seinem Tode, auf seinem Krankenbette geschrieben, wenn ich den Lehnsessel so nennen darf, den er während der ganzen Dauer seiner Krankheit nur für die Nacht mit dem Bette vertauschte und in welchem er auch gestorben ist, ein früher gegen seine Gattin ausgesprochenes prophetisches Wort erfüllend, er werde, wie Goethe, einmal im Sessel sterben.

„Gern wär’ ich heut’ selbst Deines Reigens
Ein Zeuge flott und frank.
Doch meine Reime zeigen’s:
Der sie schickt, ist leider krank.

Hab’ Nachsicht d’rum mit dem Zitt’rer!
Sein Glas tönt voll und rein,
Ist auch sein Wein ein bitt’rer,
Ist’s auch nur Chinawein!“

schließt das Poem, sein letztes!

Ich weise bei dieser Gelegenheit auf einen bisher unbeachtet gebliebenen merkwürdigen, fast wunderbaren Zufall hin. Mit „Moosthee“ hat Freiligrath seine Laufbahn als deutscher Dichter eröffnet, mit „Chinawein“, dem letzten Worte seiner Dichtung, hat er sie geschlossen. Es waren die Stichworte für sein Auftreten auf die literargeschichtliche Bühne, auf welcher er eine so glorreiche Rolle zu spielen berufen gewesen, und für sein Abtreten von derselben – „the entrance and the exit“, wie es im „Shakespeare heißt. –

Zwischen „Moosthee“ und „Chinawein“ liegt indeß, zum Glück für die vaterländische Literaturgeschichte, der Zeitraum eines vollen halben Jahrhunderts, von 1826 bis 1876. – „Der Trank vom Hekla und vom Geiser“ hat an dem sechszehnjährigen Jüngling die wunderbare Heilkraft bewährt, die der Chinawein dem an einem unheilbaren Herzleiden erkrankten greisen Dichter leider versagte. – Der sterbende Poet, der mit wehmüthig heiteren Verse den gefeierten Collegen vom deutschen Parnaß zum fünfzigsten Geburtsfeste glückwünschend grüßte, war selbst ein Jubilar in weit eminenterer Bedeutung. Sein Todesjahr war das Ehren-Jubeljahr des Dichters; das fünfzigste, seitdem er mit jenem „Moosthee“-Gedichte vor seine Nation getreten! –

„Sechszehn Jahr – und wie ein greiser
Alter sitz’ ich matt und krank;
Sieh’, da sandten mir der Geiser
Und der Hekla diesen Trank.“

Aber der Jubelgreis ist nicht „wie“ – oder jetzt richtiger – als ein „greiser Alter“ gestorben, „matt und krank“. Der hellenische Ausspruch, daß die Götter den Menschen, den sie lieben, zu sich rufen, bevor er seine goldene Jugend ausgelebt, hat sich an Freiligrath glücklich erfüllt. Sein Genius hat sich die goldene Jugendfrische gewahrt; sein Herz war nur pathologisch erkrankt. Es hat bis zum letzten Schlage voll und warm geschlagen für alles Schöne, Gute, Hohe, für seine Ideale und seine Menschen. Und wie alle seine menschlich guten Eigenschaften ist ihm sein liebenswürdiger Humor treu geblieben bis zum letzten Athemzuge. Sein letztes Wort war ein an die geliebte Gattin gerichtetes scherzendes Wortspiel, ein Genre, im welchem unser Dichter in geselliger Unterhaltung sich immer schlagfertig erwiesen hat. Er hätte es darin mit dem seiner Zeit viel citirten Meister des witzigen Wortspieles, mit M. G. Saphir, dreist aufnehmen können. Ich werde an anderer Stelle auf diese, nur seinen näheren Freunden bekannte Eigenschaft unseres verewigten Dichters zurückkommen.

Mit seinem guten, mächtigen Löwenkopfe haben sie ihn in dem Sarg gelegt und auf dem idyllischen Uff-Friedhofe zu Cannstatt in sein kühles Grab gebettet unter schwarz-roth-golden bebänderten Lorbeerkränzen und einem ganzen duftigen Blumenfrühling, von der trauernden Verehrung und Liebe aus Nähe und Ferne gespendet. – Der Tod hat dem Charakterkopfe Ferdinand Freiligrath’s den Stempel der Wahrheit aufgedrückt. Die Signatur, die sein Dichtergenius und sein innerer Mensch auf dieses Angesicht geschrieben, war unlöschlich. – In unvergeßlicher Erinnerung schwebt mir das Bild unseres Dichters vor, wie ich ihn kurz nach seinem Tode in dem Lehnsessel sitzend gefunden, in welchem er mit dem bedeutungsvollen ersten Frühroth des 18. März seine Augen für immer geschlossen hatte. Die Leser der „Gartenlaube“ kennen aus Nr. 16, Jahrg. 1876 das nach einer photographischen Aufnahme in Holz geschnittene Todtenbildniß des Dichters und den sinnigen, herzergreifenden Text dazu, aus der Feder Richard Wehn’s.

Nicht eine Spur in seinem Antlitze wies auf jenen schweren, [756] unheimlichen Kampf hin, in welchem die Gewohnheit des Daseins mit dem unerbittlichen Mahner Tod um die letzte ärmliche Minute ringt. Er war gestorben, wie Dichter sterben sollen. Der Todesgenius schien mit leisem Kusse ihm den letzten Hauch von den Lippen geküßt zu haben; das Leben ihm wie in einem schönen Dichtertraume verklungen zu sein. Das auf dem Pfühl wie schlummernd ruhende Haupt war noch der alte, mähnenumwogte Löwenkopf, mit der trutziglichen Stirn. Nur daß neben den gewaltigen plastischen Zügen – man könnte fast von granitnen Formationen dieses Kopfes sprechen – die langen Leiden seiner letzten Krankheit, vor Allem aber die, in einem ergreifend schönen Gedichte geklagte, Trauer um das junge Leben seines 1873 in hoffnungsvoll jugendlicher Lebensfrische durch ein tückisches Nervenfieber dahin gerafften Sohnes Otto, wie mit leisen Meißelschlägen ihre Spuren gekennzeichnet haben. Das treffliche Buchner’sche Photographie-Bildniß unseres Dichters, das diesen in seiner vollen dichterischen, wie eine Welt herausfordernden Energie darstellt, ist wenige Wochen vor dem Tode seines geliebten Otto aufgenommen. Der elegisch trauernde Zug auf dem Antlitze des verblichenen Dichters erinnerte mich unwillkürlich an Thorwaldsen’s sterbenden Löwen von Luzern!

Ich meine, daß selten wohl das Bildniß eines Dichters zugleich als Illustration zum Verständniß seiner Dichtungen und seines Lebens so habe gelten können, wie der Charakterkopf Ferdinand Freiligrath’s. –
Ludwig Walesrode.