Textdaten
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Autor: Richard Wehn
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Titel: Vom Menschen Freiligrath
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 269–272
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Vom Menschen Freiligrath.


Schon seit mehr als fünfundzwanzig Jahren begehen wir den 18. März mit einer ernsten Gedächtnißfeier für jene Männer, die im ungleichen Kampfe um die höchsten Güter der Nation ihren schönen Tod fanden, aber das stille Gedenken an jene Opfer und Märtyrer der Freiheit hindert uns nicht, uns der Ernte der blutigen Saat zu freuen und am bedeutungsvollen 18. März das Geburtsfest der Freiheit gehobenen Herzens zu feiern.

Nun ist der Tag für uns wiederum ein „stiller Feiertag“ geworden, weil wir an ihm einen der herrlichsten Schätze verloren, den das deutsche Volk besaß. An ihm schloß Ferdinand Freiligrath’s liederreicher Mund sich für immer. Und dennoch wird dem Hinscheiden des Sängers das Schmerzliche für uns einigermaßen durch den Gedanken genommen, daß Freiligrath’s Leben einen harmonischen Abschluß gefunden, daß er an dem Tage gerade seine Augen geschlossen, den sein Lied so glorreich gefeiert hat; daß endlich er, der Sänger und Prophet des Völkerfrühlings, am 21. März, dem Lenzanfange, der mütterlichen Erde übergeben wurde. Er starb in der Frühstunde bei Sonnenaufgang; sein Auge schaute den Morgen, wie sein Gesicht das Kommen der Freiheit, seiner Braut, ahnte. Albert Traeger hat in seinem ergreifenden Gedichte auf seines Freundes Tod so schön gesungen, daß, obwohl er die Freiheit selbst nicht mehr erblickt, sie ihm die bleiche Stirn doch geküßt hat.

Auf meinem Schreibtische liegen die Bilder von Freiligrath’s Geburtshause in Detmold und seinem lorbeerbedeckten Hügel des Ufkirchhofes in Cannstatt; dazwischen grüßt wehmüthig eine Locke seines von der Last der Jahre weiß gewordene Haares; ein reicher Schatz von Briefen, im Exile beginnend und bis zum letzten Jahreswechsel reichend, mahnt mich, daß ich mehr als tausend Andere in ihm verloren habe; endlich hängt mein Auge lange an dem Bilde des stillen Schläfers, wie es die „Gartenlaube“ heute bringt. Welch ein Leben spielt sich zwischen diesem Detmolder Vaterhause und der letzten Behausung Freiligrath’s auf dem Neckarhügel ab! Es ist unnöthig, die Lebensereignisse des Dichters in diesem Blatte noch einmal aufzuzählen; sie leben im Gedächtnisse seines Volkes fort. Wir weilen im Geiste im Elternhause „Unter der Wehme“ in Detmold und blicken pietätvoll nach der kleinen Tafel unter dem Fenster der Kinderstube, in welcher Freiligrath am 17. Juni 1810 das Licht erblickte.

Die „Gartenlaube“ brachte vor einigen Jahren eine Zeichnung des vermeintlichen Geburtshauses Freiligrath’s, des sogenannten Hölzermann’schen Grundstückes. Der Zeichner des betreffenden Bildes stützte sich dabei auf die Mittheilungen seiner alten Mutter, die zur Zeit im Freiligrath’schen Hause viel aus- und eingegangen war. Und doch ist jenes Haus nicht des Dichters wirkliches Geburtshaus.

Als zahlreiche Verehrer Freiligrath’s später dasselbe mit einer Gedenktafel zu versehen beabsichtigten, schrieb ich dem Freunde, er möge die in seiner Vaterstadt über die Identität jenes Hauses auseinander gehenden Meinungen klären. Die mir gewordene Antwort wünschte er damals indeß nur für die mündliche Mittheilung, nicht für die Oeffentlichkeit geschrieben zu haben, sodaß in Detmold hier und da heute noch der Zwiespalt in den betreffenden Ansichten obwaltet. Möge zur endlichen Klarstellung der Streitfrage daher heute ein Brief, der zugleich ein reizendes Bild der Jugendzeit des Dichters entwirft, auszugsweise hier folgen:

„Als Resultat meiner Nachforschungen,“ schreibt Freiligrath, „in Betreff der Detmolder Häuser kann ich melden, daß die mir gewordenen Mittheilungen entschieden zu Gunsten ‚unter der Wehme‘ lauten. Meine Autorität ist die allerbeste, die es unter den Umständen geben kann: meine gute zweite Mutter, mit der sich mein seliger Vater, etwas über zwei Jahre nach dem Tode seiner ersten Frau, meiner Mutter, im Jahre 1819 verheirathete, sie als junge Frau in das Haus unter der Wehme führte und die augenblicklich, hochbejahrt (gegen sechsundsiebenzig) und körperlich leidend, aber geistig noch vollkommen klar und frisch, in Soest lebt. Bei ihr habe ich mich nochmals nach Allem, was ihr vielleicht noch aus den Erzählungen meines Vaters in der Erinnerung sein möchte, erkundigt, und sie sowohl, wie ihre gleichfalls zu Soest lebende jüngere Schwester, behaupten auf’s Entschiedenste und ohne alles und jedes Besinnen, ja selbst ohne auch nur die Möglichkeit eines andern Geburtshauses zu unterstellen: daß ich, der öftern Angabe meines Vater zufolge, in dem fraglichen Hause unter der Wehme geboren worden bin. – Und selbst das Zimmer des Hauses, dessen Wände ich zuerst beschrieben habe, hat der Vater ihr bezeichnet, eine in’s Einzelne gehende Genauigkeit, die uns nicht in Verwunderung zu setzen braucht, wenn wir erwägen, daß mein Vater gewiß bemüht war, seine zweite Frau in dem Stillleben der Wohnung, in der er in Freud’ und Leid so mancherlei erfahren, heimisch zu machen und ihr seine geistigen und gemüthlichen Beziehungen zu den Räumen, in die er sie einführte, anzudeuten. Ich war das geliebte, einzig übrig gebliebene Kind seiner ersten Ehe; wie natürlich, daß er Ihr, die er mir zur zweiten Mutter gab, nun auch sagte: in diesem Hause, in dieser Stube ist der Junge geboren.“ „Das zarte Knäbchen von damals, um dessen Geburtsstätte es sich handelt,“ schreibt er in einem andern Briefe, „ist ein vierschrötiger alter Kerl mit grauem Kopfe geworden, und es wäre vielleicht besser, man verwahrte die Tafel für sein Grab, statt sie an sein Geburtshaus zu heften.“

Ein ander Mal berichtet er mir darüber: „In diesem meinem Geburtshause hab’ ich die ersten neun bis zehn Jahre meiner Kindheit verlebt, und meine ersten heitern und traurigen Erinnerungen haften an seinen stillen Räumen. In ihm zündeten treue, o wie lang’ schon erkaltete Hände meine ersten Weihnachtsbäume an, – in ihnen starb mir die Mutter und starben mir zwei Schwestern. Später haben wir noch in der langen Schülerstraße, am Markte und in der Bruchstraße gewohnt. ‚Unter der Wehme‘ aber bin ich geboren, und Freiligrath’s Geburtshaus und Grabbe’s Sterbehaus liegen Wand an Wand neben einander. Wie die Jahre dahinfliegen! Auch Grabbe schon einunddreißig Jahre todt!“

[270] Freiligrath hing zeitlebens mit rührender Liebe an seinen Eltern und bewahrte ihnen ein treues Gedächtniß. Als ich einst Nachforschungen nach seiner Mutter Grab vergebens anstellte, schrieb er mir:

„Ich wußte, daß das Grab der guten Mutter längst eingesunken und nicht mehr aufzufinden ist. Meinem theuren, unvergeßlichen Vater gestatteten seine Verhältnisse nicht, die Stätte mit einem Gedenksteine zu bezeichnen; zehn Jahre nach dem Tode der Mutter verließ er Detmold für immer – und wieder zwei Jahre später starb er selbst. Mich aber hat es seitdem hin und her getrieben, und ich habe den lieben Eltern, der Mutter wie dem Vater, nur eine gemeinsame und unantastbare Ruhestätte bewahren können – in meinem Herzen. Auch zwei Schwestern von mir ruhen auf dem Detmolder Kirchhofe; der Hauch des Waldgebirges rauscht schon über ein halbes Jahrhundert durch die Gräser auf den kleinen Hügeln.“ –

Ferdinand Freiligrath auf seinem Sterbesessel,
eine Stunde nach dem Tode aufgenommen.

Das Elternhaus wurde vom Knaben für immer verlassen, als der Vater seine Detmolder Lehrerstelle mit einer einträglicheren in Soest vertauschte. In der alten, einst blühenden Hansastadt finden wir den Jüngling als Kaufmannslehrling zwischen den Waarenballen in den Lagerhäusern oder hinter dem Ladentische des angesehensten Soester Productengeschäftes wieder. In Freistunden, die er freilich meistens dem Studium fremder Sprachen widmete, wurde dann und wann auch wohl gejagt. Von Soest begleiten wir den jungen Kaufmann nach Amsterdam, belauschen seine Thätigkeit hinter den großen Hauptbüchern eines holländischen Bankhauses und jauchzen seinen ersten farbensprühenden, mit dem mark- und saftlosen Hergebrachten so grell, aber wohlthuend contrastirenden poetischen Schilderungen des Orients und Südens. Im Liede der irischen Wittwe ahnen wir den Humanisten und künftigen socialen Dichter, den geschworenen Feind aller Unterdrücker. Wir ziehen mit ihm in’s Wupperthal, sind Zeugen des Freundschaftsbündnisses, den edle, gleichgesinnte Männer mit dem Dichter schließen, und sehen ihn gern einem Berufe entsagen, der sich mit Bleigewicht dem Fluge seines Genius anhängt.

Es folgen Jahre ungetrübten Glückes in Unkel, wo er durch Goethe’s Enkel seine spätere Gattin, Ida Melos aus Weimar, kennen lernt, in Darmstadt, wo er für seinen jungen Hausstand ein Heim zu gründen sucht, in St. Goar, unter dessen Nußlaub-Alleen er mit Emanuel Geibel eine herrliche Poetenzeit verlebt und die entzückenden Lieder „zwischen den Garben“ entstehen. Dann zechen wir in der August-Nacht mit ihm und Hoffmann von Fallersleben im Coblenzer „Riesen“ und drücken ihm dankerfüllt die Hand, wenn er, alle selbstischen Interessen aufgebend, sich voll und ganz der Volkssache, den Mahnungen nach einem liberalen, verfassungsmäßigen Staatsregiment anschließt. Wir zünden mit ihm im Schweizer Exil die Weihnachtskerzen für sein erstes Töchterchen, sein Käthchen, an und beklagen sein hartes Geschick, das ihn auch von dort wider seinen Willen in ein unstätes Wanderleben trieb. Wir begleiten das Schiff mit unseren Segenswünschen, das den Emigranten nach Englands gastfreier Küste trägt, aber wir fühlen uns selbst gedemüthigt, wenn sein geldprotzender Cityprincipal ihn damit empfängt, daß es für seine Stellung nicht passe, einen Schnurrbart zu tragen.

Dann kommen die „Sturm- und Drangjahre“. Es erscheinen vom Rheinlande – Düsseldorf und Cöln – die wilden Kampfgesänge, welche den politischen Leisetretern heute noch Nervenzuckungen verursachen. Die Kurzsichtigen, die nicht wissen oder verstehen wollen, daß Freiligrath ein Kind seiner Zeit war, daß diese anfeuernden Lieder einer politischen That gleichkamen und in der Entwickelungssache unseres Freiheitskampfes so nothwendig waren, wie die Sehne auf der Armbrust des Schützen!

Und nach der großen Erhebung – ja, da athmen wir in Londons Gassen mit dem Exilirten wieder Englands Nebel; wir sehen ihn im sauern Frohndienste sich abmühen, das harte Brod der Fremde essen, ohne Klage, ohne Haß und nur dann und wann seine Seele den Wunsch durchzittern, sein Volk glücklich zu wissen und den letzten Weihnachtsbaum im Vaterlande anzünden zu können für „sein Kleeblatt Fünf, die früh um ihn Gehetzten“.

Es sind goldene Worte, die er mir schrieb:

„Ich hab’ ein Weib und Bübchen zwei,
Die brauchen Zeug und Haferbrei, –
Du weißt, mein Herz ist stolz und frei,
Doch Besen schneiden,
Holz hacken will ich, eh’ die Drei
Je Noth mir leiden.

Dies ist ein Vers von Robert Burns, den ich nicht nur übersetzt, sondern selbst gemacht haben möchte; so sehr drückt er mein eigenes Wollen und Empfinden aus. Wie oft in den ‚Holzhackertagen des Exils‘, als ich für ‚Bübchen drei und Mädchen zwei‘ zu sorgen hatte, sind diese Worte (und das ganze Gedicht, dem sie entnommen sind) mir Trost und Ermunterung gewesen!“

Im Jahre 1867 faßten hochherzige Freunde des Dichters den Entschluß, den Exilirten zurückzurufen und ihm auf deutscher Erde ein Heim zu gründen. Der Aufruf, durch Emil Rittershaus’ „Meistersang“ eingeleitet und durch die „Gartenlaube“ energisch unterstützt, ist bekannt. Freiligrath schlug seine Wohnung am Neckar auf und erlebte es 1868 und 1869, daß ihn zuerst Rheinland im Gürzenich und dann Westfalen in Bielefeld und Detmold begeisterungsvoll als „besten, treuesten Sohn der rothen Erde“ begrüßte. – Im Dichterhause zu Stuttgart wurde es, nachdem Käthchen und Louise sich nach London an deutsche hochgeachtete Kaufleute verheirathet, und Wolfgang, der älteste Sohn, nach dem Westen Amerikas gezogen, immer stiller. Die Liebe seines Volkes verklärte den Lebensabend des Dichters, und er selbst sonnte sich im Glücke seiner geliebten Kinder. Seine Briefe aus jener Zeit verrathen die stillglückliche Stimmung des Unvergeßlichen, unterbrochen nur von dem Kriegsgeschreie der Jahre 1870 und 1871. Die Siege unserer Armee begleitete er mit den herrlichen Liedern, die unter der Sturmliteratur jener Zeit den ersten Rang einnehmen. Seinem Sohne Wolfgang folgte im „Dienste der Menschlichkeit als Krankenpfleger des Schlachtfeldes“ der väterliche Segen, und dankbar und hoffnungsvoll begrüßte der Dichter die neue Zeit, die so manche Ideale erfüllte, für die er in rüstigen Mannesjahren gelitten und gekämpft. Aber mitten in das Stillleben [271] seines neuen Heims fuhr ein jäher Blitzstrahl. Am 1. März 1873 Abends starb sein Sohn Otto, der als Freiwilliger im Stuttgarter Grenadierregiment diente, im Alter von zweiundzwanzig Jahren am Scharlachfieber. Freiligrath hatte von jeher seine Kinder unsäglich lieb gehabt und konnte diesen Verlust nie verschmerzen. Wie der Eichbaum, wenn ihm die Wurzel abgeschnitten wird, verdorrt und abstirbt, so siechte der Schwergeprüfte seit jenem Tage dahin. Anfänglich hoffte er, ein Aufenthalt in England bei seinen Kindern und Enkeln werde ihm

Freiligrath’s Ruhestätte auf dem Ufkirchhofe bei Cannstatt.
Nach einer am Begräbnißtage aufgenommenen Originalzeichnung.

einige Tröstung bringen, aber zurückgekehrt schrieb er mir im Herbste desselben Jahres:

„Mir ist oft weh’ um’s Herz, wenn ich denke, wie weit, weit unsere Kinder draußen in der Welt sind. Wir fühlen uns sehr einsam, meine arme Frau und ich. Du kannst dir denken, wie uns um’s Herz war, als wir hier die Räume wieder betraten, in denen wir so unsägliches Weh erleben mußten. Und wie am ersten Tage, so ist es jeden Tag. Der geliebte Schatten ist um uns, wo wir gehen und stehen. Die Zeit schwächt unsern Schmerz nicht ab und soll es auch nicht.“

Noch einmal lächelte dem vor Gram weißgewordenen Manne ein glücklicher Tag, als sein Sohn Wolfgang sich mit einem vortrefflichen englischen Mädchen, einer Perle von Frauenzier, verheirathete. Seine Muse, die sonst bei fröhlicher Veranlassung sich in muntern Weisen hören ließ, hatte an diesem Tage nur einen Geistergruß des todten Sohnes an den Bruder. Kleinere Uebersetzungen abgerechnet, verstummte der Sänger seit dem Tode des Kindes; die Saiten der Leyer waren eben jäh zerrissen. Da jenes Hochzeitsgedicht das letzte des Dichters ist, sein eigentlicher Schwanensang, und es bislang nur im Manuscript existirt, so mag es für die Leser der „Gartenlaube“, nach gütig ertheilter Erlaubniß der Frau Ida Freiligrath hier folgen. Es wird wohl Keiner diesen Schmerzensschrei ohne tiefe Rührung lesen können. Die Thränen des Vaters, welcher im Namen seines heimgegangenen Sohnes spricht, perlen gleichsam in jedem dieser wehmüthigen Verse.

Otto zu Wolfgang’s Hochzeit, 5. Juni 1873.

Es fällt ein ernster Schatten,
O Bruder, auf Dein Fest,
Wie ernst auf sonnige Matten
Gewölk ihn fallen läßt;
Er dunkelt ob Deinem Weine,
Er senkt sich auf Dein Brod:
Der Schatten, den ich meine,
Der Schatten ist mein Tod.

Du kehrtest auf fernen Wegen,
Zu holen Dir die Braut;
O Wolf, wie hab’ ich entgegen
Dir Kehrendem geschaut!
O Wolf, wie wollt’ ich heute
Mich deines Glückes freu’n:
Nun tönt mein Grabgeläute
In deinen Hochzeitreih’n.

[272]

Vergieb, vergieb, Du Lieber.
Daß ich Dir das gethan!
Es war das böse Fieber;
Das fiel so jäh mich an.
Ich habe mit ihm gerungen.
Ich wies ihm meine Kraft –
Es hat mich doch bezwungen,
Es hat mich doch entrafft.

Bei Stuttgart zwischen den Reben,
Da liegt ein stiller Grund,
Da ranken an schwarzen Stäben
Empor sich Blumen bunt;
Da breiten flüsternde Bäume
Sich über mir als Zelt;
Da lieg’ ich nun und träume,
Ich junger Springinsfeld.

Da lieg’ ich nun und halte
Feldwache für und für,
Die neue und die alte
Weinsteige über mir;
Da hör’ ich herab von den Seiten
Des Berges hellen Klang:
Der Cameraden Schreiten
Und muthigen Marschgesang.

O, könnt’ ich mit euch singen,
Wie sonst im Sonnenschein!
O, könnt’ ich mich heben und schwingen
In den blühenden Lenz hinein!
In den Lenz und über die Auen,
Meerwärts und England zu –
Und könnt’ in’s Auge Dir schauen,
Du lieber Bruder, Du!

Und könnte die Hand Euch geben,
Dir, Wolf, und Dir, Marie!
Nicht, Wolf, das wär’ ein Leben
In dieser Junifrüh’?
Doch o, doch o! Nicht heb’ ich
Zum Wandern mehr den Fuß;
Um Euer Fest nur schweb’ ich
Mit stillem Geistergruß.

„Meine herzliche Liebe Allen,
Allen den Andern auch!“
Das war mein letztes Lallen,
Das war mein letzter Hauch.
Die Mutter küßt’ ihn mit Thränen
Von der brennenden Lippe mir;
Der Gruß, das letzte Sehnen,
O Bruder, galt auch Dir!

„Meine Liebe,“ ja die Liebe!
Die ist’s. Die schwingt sich weit;
Den Tod überholt die Liebe –
Lieb’ ist Unsterblichkeit.
Wohl kannst Du sie nicht sehen,
Doch lebt sie und ist da –
Mit der Liebe leisem Wehen
Bin ich Dir heute nah.

Und bin es zu allen Stunden,
Und bin es immerdar,
Im Tode Dir noch verbunden,
Wie ich’s im Leben war,
Dir und „den Andern allen“,
Und werde, trotz Grab und Tod,
Meerüber mit Dir wallen,
Und folgen Deinem Boot.

Und werde Dich treu begleiten
Entlang die großen See’n,
Durch die Steppe mit Dir reiten,
Und mit Dir jagen geh’n,
Will steh’n, eine liebende Wache,
Auf Deinem Schwellenstein,
Will Deinem jungen Dache
Hausgeist und Schutzgeist sein.

So rast’ ich unter dem Hügel
Im lieben Heimaththal
Und hebe doch auch die Flügel
Um die Heimath Deiner Wahl,
Ruf’ auch in ihr mit Flüstern
Dir zurück die alte Zeit:
Bei den Eltern und Geschwistern
Unsre fröhliche Knabenzeit.

O Wolf, in Jugendtagen
Hat mich der Tod geküßt,
Doch will ich’s nicht beklagen,
Wenn Du nur glücklich bist,
Wenn nur in Deinem Westen
Der Himmel und die Au
Hold sind Euch lieben Gästen,
Dir, Wolf, und Deiner Frau.

Nun soll auch junges Leben
Bald um Euch blüh’n – o Gott,
Wie will ich erst das umschweben,
Ich, Euer treuer Ott!
Hoch über Euern Kleinen,
Ein ernster, milder Stern,
Soll meine Liebe scheinen –
O, ich hatte die Kinder so gern!

Im Spätsommer des vorigen Jahres sah ich Freiligrath seit vielen Jahren zum ersten Male wieder. Es war in seiner neuen Wohnung in Cannstatt. Ich erschrak fast über das veränderte Aussehen des Freundes. Als ich ihn zuletzt gesehen, war es kurz nach dem ihm zu Ehren in Bielefeld gegebenen Dichterfeste, von welcher Zeit mir seine kräftige Gestalt noch vorschwebte, wie er, den Becher in seiner Rechten, jenen Dank an’s Vaterland ausbrachte:

„Geliebt zu sein von seinem Volke,
O herrlichstes Poetenziel!
Loos, das aus dunkler Wetterwolke
Herab auf meine Stirne fiel!“

Jetzt war er ein stiller Mann geworden, dem die Erinnerung an die westphälischen Festtage nur noch ein wehmüthiges Lächeln abgewann. „Ja, ja, ich bin ein anderer Mann geworden, mein Freund,“ sagte er mir, als wir zusammen auf dem Balcon seiner Wohnung standen und die Sonnenlichter im Neckarflusse und seinem Wasserfalle glitzern und auf den jenseitigen Rebenhügeln mit Blatt und Trauben spielen sahen. „Es ist hier so schön, so herrlich; freilich nicht wie auf den Kämpen und in den Buchenwäldern meiner teutoburger Heimath, aber es ist doch so ein schönes Fleckchen Erde ringsum. Nun, mir erscheint das Alles grau in grau: ich sehe das blühende, junge Leben nicht mehr um mich. Du hast, gleich mir, Deine grünen Hoffnungen in’s Grab gelegt und verstehst mich.“ Mir aber preßten solche Worte das Herz zusammen.

Inzwischen gesellte sich zu diesem Seelenschmerze Freiligrath’s ein Herzleiden, das schließlich in völlige Wassersucht überging. Das Schreiben wurde dem Dichter schwer, und er mußte seiner mit ihrem Gatten aus Amerika zurückgekehrten Schwiegertochter Maria dictiren. Doch war er thätig bis zum letzten Augenblicke, vornehmlich bei der Redaction von Hallberger’s „Englischem illustrirten Magazin“. Todesgedanken überkamen ihn wohl hier und da; er vollzog sogar seinen letzten Willen, und doch mochte er sein Ende nicht so nahe wähnen. Seinem ältesten Freunde und täglichen Besucher, Ludwig Walesrode, war die schmerzliche Pflicht zugefallen, den Kranken durch Scherze, durch Gesang und Erzählung aufzuheitern, obgleich dem alten Manne, der sich bewußt war, ein Opferlamm zum Tode zu führen, darob das eigene Herz fast brechen wollte. In den letzten Tagen beschäftigte ihn ausschließlich der Gedanke einer baldigen Reise nach England zu seinen Kindern und Enkeln. Er sollte sie nicht wiedersehen; nur Wolfgang war um ihn. Am Morgen des 18. März früh bei Tagesgrauen wünschte er aufzustehen; seine Frau und ihre Schwester, Fräulein Marie Melos, halfen dem Kranken und geleiteten ihn zum Sessel. Noch scherzte er mit seiner Ida; als aber die ersten Sonnenstrahlen über die Rebengelände schauten, neigte er seinen Kopf leise zurück und entschlief. …

Einige Stunden nachher wurde von dem „stillen Schläfer“ die Photographie aufgenommen, die unser heutiges Bild wiedergiebt. Was soll ich noch von dem Begräbnisse, von den fast königlichen Ehren sagen, die dem Dichter im Tode gebracht wurden? Als ich den Freund wiedersah, lag er, von Veilchen, Camellien und Lorbeeren fast erdrückt, in seinem Sarge. Ich habe lange, lange die erstarrte Hand in der meinigen gehalten und konnte mich nicht satt sehen an diesen stillen, friedlichen Zügen. Während der folgenden Tage strömten die Menschen zu Hunderten in’s Sterbehaus, um den Sarg, der, umgeben von einem Palmen-, Cypressen- und Camellienwalde, auf schwarzem Postamente im Sterbezimmer stand, zu sehen. Zu Hunderten kamen die Lorbeerkränze in’s Todtenhaus; Hütten und Paläste aus allen Theilen Deutschlands sandten den Tribut ihrer Hochachtung dem todten Dichter. Wohl nie ist ein deutscher Poet im Leben und Tode mehr geehrt und geliebt worden von seinem Volke als Ferdinand Freiligrath.

Am 21. März gegen Abend begruben wir ihn unter Theilnahme von Tausenden auf dem Ufkirchhofe bei Cannstatt. Sein Grab liegt unweit der hoch gelegenen Capelle an der Friedhofmauer. Mein Wunsch, den sterblichen Theil Freiligrath’s im Walde bei Detmold zu betten, angesichts des ehernen Males der Einheit das Grab des Sängers der Freiheit zu graben, wurde zum schmerzlichen Bedauern seiner rheinischen und westfälischen Freunde von der Wittwe abgelehnt. Ich hatte den Plan eingedenk seiner Worte:

„Ich wandelte bei meiner Kindheit Bäumen,
Wo ich wohl wollte, daß sie mich begrüben –“

gefaßt und fand für seine Verwirklichung thätige und liebevolle Unterstützung beim Bürgermeister Detmolds, Herrn Dr. Heldmann. – Die Idee ist von den Freunden in Norddeutschland noch nicht aufgegeben, und man wartet eine ruhigere Zeit ab, um dann bittend bei der Wittwe und den Kindern noch einmal anzuklopfen.

Während die Lorbeerkränze an die offene Gruft gelegt wurden mit Grüßen von ganz Deutschland und selbst Amerika und ein Sängerchor sein schönes, ergreifendes „Stumm schläft der Sänger“ vortrug, sandte die Abendsonne ihre vollen Strahlen auf den menschengefüllten Friedhof. Dazwischen – ein seltenes Schauspiel – fielen Schneeflocken auf Grab und Lorbeer. Der Lenz kämpfte noch mit den letzten Spuren des Winters, aber nur kurze Zeit, denn sein Kommen hält nichts mehr auf. War das Naturspiel an Freiligrath’s Grabe ein Spiegelbild unseres Freiheitlenzes?

Deutsches Volk! Auf dem Bergkirchhofe im Neckargau schläft dein bester Freund. Du hast die letzten Jahre des nun stillen Todten durch deine hochherzige Gabe verschönt, aber bei Weitem nicht ganz abgetragen, was du ihm schuldest. Ich spreche nicht von den materiellen Gütern der Erde. Du kannst dem großen Todten nur zahlen, wenn du sein Vermächtniß erfüllst, wenn du um die Freiheit weiter streitest in dem Kampf, in welchem er dein erster Bannerträger war. Sein Hügel ragt in Schwabens Erde – o, möchte sich Nord und Süd über diesem Grabe die Bruderhand reichen; möchte aller Groll vergessen sein; möchten sich zu gemeinsamem Streben alle die wackeren Elemente verbinden, die vor Allem berufen sind, den Morgen hervorzurufen, den Morgen der Freiheit, dem das letzte Flehen Freiligrath’s galt!

Richard Wehn.