Die deutsche Communisten-Colonie der „Wahren Inspirations-Gemeinde“ in Iowa

Textdaten
<<< >>>
Autor: Wilhelm Müller
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die deutsche Communisten-Colonie der „Wahren Inspirations-Gemeinde“ in Iowa
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 756–758
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[756]
Die deutsche Communisten-Colonie der „Wahren Inspirations-Gemeinde“ in Iowa.
Von Wilhelm Müller.


Mitten in den Prairien Iowas, etwa zweiundsiebenzig englische Meilen von Davenport, liegt eine blühende Niederlassung, welche den hochklingenden Namen Amana führt und aus mehreren Dörfern besteht. Wird ein deutscher Reisender zufällig in eines derselben verschlagen, betritt er dann des Abends die Schenke und sieht den sandbestreuten Fußboden, die langen gescheuerten Tische, die plumpen Bänke ohne Lehnen an den Wänden des niedrigen, durch eine Oellampe spärlich erhellten Raumes, so ist er geneigt, seinen Augen zu mißtrauen oder eine allzu lebhafte Thätigkeit seiner Phantasie anzunehmen. Tritt jedoch der wohlbeleibte Wirth im kurzen Wammse, die Zipfelmütze auf dem Kopfe und eine Pfeife im Munde, näher und erkundigt sich im oberländischen oder elsässischen Dialekte nach den Wünschen des Gastes, so wird diesem ganz auerbachisch zu Muthe, und er fragt sich: „Befinde ich mich denn in dem Westen der Vereinigten Staaten auf den Prairien Iowas, oder in einer Schwarzwälder Dorfkneipe?“ Bleibt der Reisende in dem Wirthshause über Nacht, so wird die Illusion durch die Einrichtung des Schlafzimmers, durch den kahlen Boden und das mächtige Federbett in der Ecke verstärkt und schwindet erst, wenn er am nächsten Morgen einen Spaziergang durch das Dorf macht. Die einfache Bauart der Häuser, die Anlage der Gärten und vor Allem die Tracht der Bewohner tragen zwar dazu bei, den gestern empfangenen Eindruck wieder aufzufrischen; allein die hölzernen Seitenwege der Straße, die flachen Schindeldächer der Gebäude und der regelmäßige Plan wie die Neuheit des Dorfes sind specifische Eigenschaften eines amerikanischen Landstädtchens und erinnern ihn daran, daß er sich nicht in der alten Heimath, sondern an den Ufern des Iowa-Flusses in einer von deutschen Pietisten gegründeten Colonie befindet.

Im Jahre 1816, so erzählen die Jahrbücher der „Wahren Inspirations-Gemeinde“, wurde Michael Krausert, ein Straßburger Schneider, durch die Gnade des Herrn zu einem „Werkzeuge“ erwählt und begann unter Mitwirkung eines Schweizers, Namens Christian Metz, in der Umgegend von Constanz und Schaffhausen durch kräftige Ermahnungen die Herzen frommer Landleute und Handwerker zu rühren und dieselben zu einem gottseligen Leben zu erwecken. Barbara Heynemann, „eine arme und ganz ungelehrte Dienstmagd aus dem Elsaß“, war auserlesen, die einfachen Lehren dieser Männer durch Offenbarungen, welche sie von dem heiligen Geiste empfing, zu bestätigen. Allein verblendet vom bösen Feinde, richtete sie ihr Auge mit Wohlgefallen auf einen jungen hübschen Bauernburschen, Georg Landmann, und heirathete selben trotz ernstlicher Ermahnung der Aeltesten. Da ging sie ihres heiligen Amtes auf längere Zeit verlustig, und Christian Metz wurde vom Geiste zum „Werkzeuge“ berufen. Unter seiner Leitung sammelte sich während der dreißiger Jahre eine größere Anzahl von Gläubigen in Armenburg, wo sie den Offenbarungen des Herrn aus dem Munde seiner Heiligen lauschten und zu einigem Wohlstande gelangten, aber von „Babylon“ verfolgt wurden, da sich die Mitglieder weigerten, den Unterthaneneid zu leisten und ihre Kinder in die Pfarrschulen zu schicken.

Im Jahre 1842 wurde dem Christian Metz durch eine besondere Eingebung vom Geiste befohlen, die verschiedenen Gemeinden zusammen zu berufen und mit ihnen nach Amerika auszuwandern, wo sie nach den Lehren des Herrn und den Forderungen ihres Gewissens ihr Leben einrichten könnten.

Im September desselben Jahres segelte Metz mit vier Begleitern nach den Vereinigten Staaten und kaufte in der Nähe von Buffalo von der Regierung fünftausend Acker Landes, die von den nachkommenden Brüdern besiedelt wurden. Bei dem Baue der Blockhütten und der Urbarmachung der Felder hatten die Ansiedler Vieles unter den Feindseligkeiten der Indianer zu leiden. Durch die Freundlichkeit ihres Benehmens und die Ehrlichkeit im Tauschhandel mit den Rothhäuten wußten sie den Haß derselben zu entwaffnen, während es ihnen durch ausdauernde Thätigkeit, kluge Sparsamkeit und geschickt geleitete Geschäftsunternehmungen gelang, ihre Schulden zu bezahlen, neue Ländereien zu erwerben und die Colonie in hohe Blüthe zu bringen.

Die Gründung der Gemeinde auf einer communistischen Grundlage war ursprünglich von den Auswanderern nicht geplant. Sie hatten sich im fernen Westen eine Freistätte erworben, auf der sie, unbehelligt durch Regierungserlasse und ungestört durch die Agitation orthodoxer Priester, ihr Leben gänzlich dem Herrn weihen und zur Vorbereitung auf die bessere Welt benutzen wollten. Sollten nun Alle der Segnungen dieses Asyls und der reinen Lehre aus dem Munde der Heiligen theilhaftig werden, so mußten sie nothwendiger Weise in Gemeinschaft mit einander leben. Leider waren jedoch die Aermeren gezwungen, hart zu arbeiten und konnten sich nicht, wie die Wohlhabenderen, während der Woche geistlichen Uebungen widmen; auch hatte man nicht Arbeit genug für die Handwerker, und diese mußten sich ihren Lebensunterhalt in den umliegenden Dörfern zu verdienen suchen. Unter diesen kritischen Verhältnissen hatte Metz, der die fünf Bücher Mosis genau studirt und die Taktik des alttestamentarischen Gesetzgebers vollkommen begriffen zu haben scheint, eine Offenbarung, in Folge deren er Gemeinschaft der Güter proclamirte, und „von dieser Stund’ an, erzählt die Chronik, „goß des Herrn Segen Fülle und Wohlstand über die Seinen“.

Um diese Zeit scheint Barbara Heynemann aus Deutschland angekommen und bald nach ihrer Niederlassung unter den Gläubigen ihren früheren Einfluß wieder erlangt zu haben. Sie wahrte von da an, in Gemeinschaft mit Metz, die geistlichen Interessen der Brüder und ist seit dem Tode des Propheten, im Jahre 1867, alleiniges Werkzeug und höchste geistliche Autorität der „Wahren Inspirations-Gemeinden“.

Einige Jahre früher hatte die Commune fünfundzwanzigtausend Acker Land in Iowa erworben, und sobald sich günstige Gelegenheit zum Verkaufe ihres Eigenthums bot, verließen die respectiven Familien die alte Colonie „Eben-Ezer“ und siedelten sich auf dem neuen Besitzthume „Amana“ an.

Die religiöse Anschauung der Amaniten gipfelt in dem Glauben an die Nothwendigkeit eines streng geistlichen Lebens auf dieser Erde zur Vorbereitung für das Jenseits und zeigt die entschiedenste Abneigung gegen die Anwendung von Ceremonien beim Gottesdienste, sowie alle Formen im gewöhnlichen Leben. Sie glauben an die Dreieinigkeit, an die Auferstehung der Todten, an ein letztes, allgemeines Gericht, jedoch nicht an die Ewigkeit [757] der Höllenstrafe. „Die Bibel ist das Wort Gottes und enthält die einzig wahre Lehre; sie ist ein in allen Theilen und Einzelnheiten von Gott inspirirtes Buch. Aber derselbe Geist, der über die Propheten und Apostel kam und ihre Herzen mit himmlischer Weisheit erfüllte, lebt noch und verkündet den Auserwählten den Willen des Herrn durch unmittelbare Offenbarungen. Im siebenzehnten Jahrhundert begann der Geist das Werk der Inspiration in England (bei den Quäkern), im achtzehnten in Frankreich und Deutschland, erweckte die Gemüther vieler Frommen und führte sie durch die vortrefflichen Ermahnungen der Heiligen wieder zur reinen Lehre zurück. Doch der Versuchungen sind viele, und deshalb ist es räthlich, in gänzlicher Absonderung von der Welt durch Werke der Liebe, durch unausgesetzte geistliche Uebungen der Gnade des Herrn würdig zu werden.“

Die Taufe wird nicht ertheilt, dagegen wird das Abendmahl in ähnlicher Weise wie bei den ersten Christen gefeiert. Es wird jedoch nicht an bestimmten Tagen, sondern nur dann gereicht, wenn der Geist einen speciellen Erlaß an ein „Werkzeug“ ergehen läßt, was manchmal während mehrerer Jahre nicht geschieht. Die Gemeinde bereitet sich durch lange und inbrünstige Gebete, durch Belehrungen der Aeltesten, in welchen sich diese nicht nur allgemein über die Bedeutung des Festes und über die Pflichten der Gläubigen verbreiten, sondern einzelne Mitglieder je nach den Eingebungen des Geistes ermuthigen und loben, oder ermahnen und tadeln, auf das gnadenreiche Ereigniß vor. An dem feierlichen Tage versammeln sich die Frommen „zerknirschten Herzens“ im Bethause und bringen mehrere Stunden mit Singen und Beten und dem Anhören erbaulicher Reden zu. Dann waschen die Aeltesten die Füße gewisser durch Frömmigkeit ausgezeichneter Männer und Frauen. Nach diesem Acte findet die Segnung der Brode und des Weines durch das Werkzeug und die Austheilung derselben durch die Aeltesten statt. Darauf lassen sich die Gemeindemitglieder zu einem Liebesmahle, bestehend aus Kuchen, Chocolade und Kaffee, an den langen Tafeln nieder, stärken sich nach Beendigung desselben durch einen geistlichen Gesang und bringen den Rest des Tages in erbaulichem Nachdenken und stillem Gebete in ihren Häusern zu.

Die Amaniten haben dreimal die Woche, des Mittwochs, Samstags und Sonntags, Morgengottesdienst und täglich um sieben Uhr Abendandachten. Die Gemeinde ist, je nach der Heiligkeit der Mitglieder, in drei Grade oder Classen eingetheilt, welche sich gewöhnlich in besonderen Localen, am Samstag jedoch gemeinsam in der thurmlosen Kirche zusammenfinden. Am oberen Ende des geräumigen, niedrigen Betsaales befinden sich ein Tisch und mehrere Stühle, zu beiden Seiten des mittleren Ganges lange Bänke ohne Lehnen, auf denen die Gläubigen, rechts die Männer, links die Frauen, Platz nehmen. Die plumpen Möbel, die ungetünchten Wände und die Abwesenheit allen Schmuckes in dem Raume machen auf den Beschauer einen ungemein traurigen Eindruck, überhaupt sind die Amaniten fanatische Anhänger der Utilitätstheorie und haben der Schönheit und der Kunst in jeder Form den Krieg erklärt. Die Andachten werden gewöhnlich durch Absingen eines geistlichen Liedes eröffnet und beschlossen. Diese Gesänge – geschmacklose und holperige Versificationen der Psalmen mit hinzugefügten Nutzanwendungen und Lebensregeln – haben gewöhnlich zwölf bis vierundzwanzig Strophen, die wohl ein vom Geiste erfüllter Heiliger im Vorgeschmack himmlischen Entzückens zu dichten, jedoch selbst ein Amanite mit seiner unerschöpflichen Geduld nicht alle zu singen vermag. So werden gewöhnlich vier Strophen gesungen und der Rest derselben von den Aeltesten gelesen. Nach dem Gesange verharrt die Gemeinde einige Minuten in feierlichem Schweigen, um dann andächtigen Gemüthes einem kurzen Gebete des Aeltesten, gewöhnlich in Versen, zu lauschen. Darauf sagen alle männlichen Mitglieder, einzeln und in einer gewissen Reihenfolge, in singendem halblautem Tone ein kürzeres oder längeres Gebet her. Ein Aeltester improvisirt nun ein Gebet und liest einige Capitel aus den aufgezeichneten Verkündigungen der Werkzeuge, in den Morgenandachten dagegen hält er gewöhnlich eine erbauliche Ansprache, die sich durch die einfachste Diction und vollständige Planlosigkeit auszeichnet. Manchmal jedoch, wenn der Geist über das Werkzeug kommt, verfällt dasselbe in einen religiösen Paroxysmus; es windet sich in krampfartigen Zuckungen und stößt erhabene Prophezeiungen aus, welche an glühender Bilderpracht und absoluter Unverständlichkeit manchen Stellen in der Offenbarung Johannis gleichkommen. Der Gottesdienst wird durch Absingen eines geistlichen Liedes beschlossen. In den einzelnen Gebeten wechseln die Frauen und Männer miteinander ab. E. L. Gruber hat einundzwanzig „Regeln für ein gottgefälliges Leben“ geschrieben. Dieselben bilden das Moralgesetz der Amaniten und gebieten Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit, Mäßigkeit und Enthaltsamkeit von müßigen Gedanken, Worten, Werken und allen weltlichen Lustbarkeiten, Schweigsamkeit und Arbeitsamkeit, Vermeidung des Umgangs mit Andersdenkenden und Personen des anderen Geschlechtes, Geringschätzung irdischer Güter, Heiligung aller Handlungen durch Gebet, Gehorsam gegen die geistliche und weltliche Obrigkeit und Demuth und Selbsterniedrigung vor den Aeltesten.

Aus den vorstehenden Benennungen ergiebt sich, daß die Bewohner der Colonie harmlose religiöse Schwärmer sind. Sie gehören meistens den unteren Schichten der Gesellschaft an. Merkwürdig ist jedoch die Thatsache, daß sie neben ihrem religiösen Eifer einen bedeutenden Grad gesunden Menschenverstandes und klugen Geschäftstactes besitzen. Hierdurch wurden sie befähigt, die erkauften Ländereien bald in fruchtbare Felder, blühende Gärten und üppige Wiesen zu verwandeln und mit großem Erfolge Fabriken zu errichten und Gewerbe zu betreiben.

Die Niederlassung Amana – der Name ist dem Hohen Liede entnommen – besteht jetzt aus sieben Dörfchen: Amana, Homestead, Ost-, West-, Süd- und Mittel-Amana und Amana am Hügel. Die Commune besitzt zwei Wollspinnereien, eine Brauerei, zwei Getreide- und drei Sägemühlen, eine Gerberei und eine Druckerei, welche in den verschiedenen Dörfern liegen und für ihre Produkte bei den benachbarten Farmen, sowie in den nächsten Städten Absatz finden. In jedem Dorfe findet man Werkstätten für die Handwerker, eine Schenke, einen Laden, mehrere Bethäuser und in entsprechenden Entfernungen Speisehäuser, worin etwa vierzig Personen gemeinsam ihre Mahlzeiten einnehmen. Die Speisen werden von einer gewissen Anzahl hierzu bestimmter Frauen und Mädchen zubereitet, welche die nothwendigen Lebensmittel, im Verhältniß der Besuchenden, aus dem Laden beziehen. Das Essen ist einfach, aber kräftig – Brod, Butter und Käse sind ausgezeichnet. Kranken Mitgliedern werden die Speisen in ihre Wohnungen gebracht. Die Amaniten haben die Gewohnheit des zweiten Frühstückes und des Vesperbrodes beibehalten. Bei den Mahlzeiten sitzen die Geschlechter gesondert in demselben Saale, die Kinder essen in einem besonderen Hause, unter der Aufsicht von Wärterinnen. Die Bewohner der Colonie sind weniger ascetisch als die Shakers und Rappisten. Sie haben weder Bacchus noch Gambrinus abgeschworen, bauen einen erträglichen Landwein und brauen ein leichtes, wohlschmeckendes Bier. Beide Getränke werden sowohl bei den Mahlzeiten, wie zu jeder anderen Zeit genossen, und die meisten Männer wissen den Genuß einer Nachmittags- oder Abendpfeife wohl zu würdigen. Die Dörfer bestehen aus einer langen Straße, auf beiden Seiten derselben liegen die aus Holz oder Backstein erbauten Häuser, von einem großen Garten umgeben. Die äußerst geräumigen Scheunen und Ställe, die Mühlen und Fabriken, sowie die Häuser der Tagelöhner, deren die Commune etwa zweihundertfünfzig beschäftigt, befanden sich außerhalb des Dorfes.

Die Familien bewohnen besondere Häuser, deren Einrichtung einen gänzlichen Mangel an ästhetischem Sinne, ja selbst an Bequemlichkeitsliebe offenbart. Die Wände sind ungetüncht; die Möbel bestehen aus rohen Brettern. Alle Gefäße sind ungewöhnlich plump, dagegen läßt sich überall eine wahrhaft holländische Reinlichkeit bemerken. Nach dem Frühstücke und dem Mittagsmahle gehen die Erwachsenen, unter der Leitung eines Vormannes, ihrer Arbeit nach; die Kinder versammeln sich in der Schule, wo sie von einem Lehrer in der Religion, in der deutschen und englischen Sprache, sowie in den Elementarfächern unterrichtet werden. Mädchen und Knaben werden zum Stricken von Strümpfen, Handschuhen und Halstüchern angehalten, und die verfertigten Kleidungsstücke genügen nicht nur dem Bedürfnisse der Commune, sondern bilden einen gewinnbringenden Export-Artikel. Der Schwerpunkt des Unterrichts liegt in dem Memoriren des Katechismus und in religiösen Uebungen. „Wir brauchen keine Advocaten und Prediger – wozu sollten unsere Knaben studiren? Gottes Gebote aus der Bibel zu lernen und [758] darnach zu leben, in Gehorsam gegen ihn und Liebe gegen ihre Nächsten, das ist alles, was ihnen Noth thut –“ so sagte der Lehrer zu einem Fremden.

Die Kleidung der Amaniten ist einfach, aus selbstgewobenem, dunkelfarbigem Zeuge gemacht und ähnelt der Tracht der Bauern im badischen Oberlande.

Die Leitung der municipalen und geschäftlichen Angelegenheiten liegt in den Händen von dreizehn Vertrauensmännern, welche jährlich von allen männlichen Mitgliedern der Commune gewählt werden. Dieselben wohnen in den verschiedenen Dörfern und haben nur als Körperschaft Autorität. Jedes Dorf hat seine eigenen Bücher und regelt selbstständig seine Geschäfte. Am Ende des Jahres werden die Bücher nach Mittel-Amana gebracht und durch die Vertrauensmänner geprüft; in dieser Weise wird der Gewinn oder Verlust der einzelnen Gemeinden festgestellt. Die Aeltesten sind Männer, ausgezeichnet durch Einsicht und makellosen Lebenswandel; sie werden nicht gewählt, sondern nach der Eingebung des Geistes von dem „Werkzeug“ ernannt. Sie berathen sich allabendlich mit den Vormännern über die Anordnung der Arbeit für den folgenden Tag, wie über die zweckmäßigste Verwendung der Arbeitskräfte.

Das schöne Geschlecht erfreut sich bei den Amaniten keiner besonderen Achtung und wird im Allgemeinen als ein zur Fortpflanzung der Gattung zwar nothwendiges, jedoch den Seelenfrieden störendes und der Erreichung höherer geistlicher Vollkommenheit hinderliches Element betrachtet. Gruber warnt die Männer vor der Gesellschaft der Frauen als „einem gefährlichen Magneten und magischen Feuer“. Die Ehe ist erlaubt, wird jedoch den jungen Leuten auf alle mögliche Weise erschwert. Der Hochzeitsfeier selbst gehen so viele innere Erweckungen, kräftige Ermahnungen und endlose Andachtsübungen voraus, daß ein liebendes Paar des Heldenmuthes und der Lammesgeduld eines Amaniten bedarf, um durch die Fegefeuerqualen der Vorbereitung begehrend nach den Freuden des Ehehimmels zu schauen. Die echten Frommen schließen nur dann Heirathen, wenn der Geist durch den Mund eines Werkzeuges ein solches Opfer von ihnen heischt; denn das Cölibat ist nach den Worten des großen Apostels Paulus heiliger und dem Herrn wohlgefälliger als das Leben in der Ehe und ermöglicht die Erreichung höchster geistlicher Vollkommenheit. War ein Mann vor seiner Vermählung in der ersten Classe der Gläubigen, so degradirt er sich durch diesen Act zu einem Mitgliede des dritten Grades. Diese Geringschätzung der Frauen leitet zu deren gänzlicher Ausschließung von allen weltlichen und geistlichen Aemtern und zur vollkommenen Absonderung der Geschlechter bei allen Zusammenkünften; selbst den Knaben und Mädchen ist es verboten, mit einander zu sprechen und zu spielen. Aber die Rechte der Natur sind stärker, als die Gebote des Glaubens, als die Macht der öffentlichen Meinung und tiefgewurzelter Gewohnheit; der junge Amanite hat Augenblicke, wo sein Herz für die Reize einer Schwester besonders empfänglich ist und deren Besitz ihm süßer erscheint, als ein Anrecht auf die Himmelsfreuden eines Gläubigen ersten Grades, und so führt er sich oft trotz des heiligen Paulus ein Weibchen heim.

Die Kleidungsstücke werden nach einem eben so einfachen wie zweckmäßigen Plane vertheilt. Jedem Mitgliede wird eine Summe bestimmt, deren Werth es in Anzügen, Stoffen, Uhren und ähnlichen Artikeln in den entsprechenden Läden erhält. Dieses Maß wird nie überschritten; im Gegentheil ergiebt sich oft für die Sparsamen am Ende des Jahres ein Guthaben, das ihnen für das nächste Jahr angerechnet wird. Auf diese Weise vermochte die Commune während des letzten Krieges zwanzigtausend Dollars zu verschiedenen wohlthätigen Unternehmungen beizusteuern, ohne das Budget der Gemeinde mit einem Cent zu belasten.

Die jungen unverheiratheten Amaniten beiderlei Geschlechts werden von der Aeltesten unter die Familien vertheilt. Die Bibliothek enthält nur die Bibel, die Jahresbücher der Gemeinde, sowie verschiedene Gesang- und Erbauungsbücher. Zeitungen sieht man nur selten in Amana, dessen Bewohner nur ihren eigenen Interessen leben und um so zufriedener und glücklicher sind, je weniger sich die Welt um sie kümmert. Die Gemeinde erhält ihren Zuwachs durch deutsche Einwanderer, denen sie oft die Reise aus dem alten Vaterlande durch Vorstreckung der nothwendigen Mittel möglich macht. Diese neuen Ankömmlinge werden gewöhnlich nach zweijähriger Prüfungszeit, manchmal jedoch auf eine Offenbarung hin sogleich nach ihrer Ankunft, unter die Gläubigen aufgenommen.

Unter Nachbarn und bei Geschäftsfreunden genießen die Amaniten die höchste Achtung. Sie gelten allgemein als tüchtige Farmer, erfolgreiche Viehzüchter und äußerst redliche Geschäftsleute, als etwas sonderbare, aber friedliche und nützliche Bürger. Ihre Felder und Gärten sind im besten Stande; sie haben die schönsten Schafe und das kräftigste und wohlgenährteste Rindvieh weit und breit; die Erzeugnisse ihrer Fabriken werden ihrer Güte und Dauerhaftigkeit halber allenthalben gern gekauft und mit dem besten Preise bezahlt. Die meisten Bewohner Amanas erfreuen sich ausgezeichneter Gesundheit und erreichen ein hohes Alter. Die Männer wie die Frauen sind kräftige Gestalten, etwas langsam und abgemessen in allen Bewegungen. Auf den Gesichtern der Amaniten drücken sich heitere Sorglosigkeit, ungetrübter Gleichmuth und ein Hang zur Selbstbeschaulichkeit, daneben aber auch Gleichgültigkeit gegen ihre Umgebung und Stumpfheit des Gefühls- und Gedankenlebens aus. Die Streitigkeiten der Mitglieder untereinander werden durch die Aeltesten geschlichtet. Der Friede der Colonie wurde noch niemals gestört. Sie bedarf weder der Polizei zum Schutze der Person und des Eigenthums, noch eines Gefängnisses zur Bestrafung der Verbrecher, und ihre Bewohner führen zweifelsohne einen tadellosen Lebenswandel.

In der raschen Entwickelung und der bewundernswerthen Blüthe Amanas und anderer Communisten-Colonien in Amerika liegt die praktische Lösung eines socialen Problems. Die Etablirung eines Gemeinwesens auf communistischer Grundlage erweist sich nur da als möglich, wo eine kleinere Anzahl von Menschen mit geringen Bedürfnissen und beschränkten Anschauungen, derselben Gesellschaftsclasse angehörend und auf ähnlicher Bildungsstufe stehend, ihre Energie auf die Erreichung nahe gelegener und bestimmter Ziele richtet und dabei unter dem Einflusse einer mächtigen religiösen Stimmung die Autorität eines überlegenen Führers anerkennt. Der französische Socialist Cabet und der schottische Menschenfreund Owen suchten ihre philanthropischen Ideen zu verkörpern, indem sie Niederlassungen gründeten, in welchen das Zusammenleben der Mitglieder auf der Grundlage brüderlicher Gleichheit und Freiheit durch Vernunftgesetze geregelt, durch Bildung und Duldsamkeit veredelt und durch Kunst, Wissenschaft und schöne Geselligkeit verklärt werden sollte. Diese Experimente endeten mit dem gänzlichen Ruine der Unternehmer und der Demoralisation der Commune. Nur der geistig träge und religiös beschränkte oder der an seinem Glücke verzweifelnde Mensch vermag seine Freiheit und Selbstständigkeit als Preis für ein friedliches Dasein ohne Sorge, aber auch ohne Streben einzusetzen; das denkende Individuum wird durch das Bedürfniß der Entwickelung seiner Eigenthümlichkeiten und den Trieb, den Fortschritt der Gattung zu fördern, auf weitere und freiere Bahnen hingewiesen.