Ein Bauernhaus der rothen Erde und ein Schloß am Schwabenmeer

Textdaten
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Autor: Elise von Hohenhausen
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Titel: Ein Bauernhaus der rothen Erde und ein Schloß am Schwabenmeer
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aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 682–687
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein Bauernhaus der rothen Erde und ein Schloß am Schwabenmeer.

Von E. v. Hohenhausen.

Es war im Jahre 1830 und einige Jahre vielleicht mehr, als ein großer und stattlich aussehender Mann in einem grünen mit schwarzen Schnüren (Brandenburgs genannt) besetzten Rock, ein leichtes spanisches Rohr in der Hand, aus einem der Thore der alten Stadt Münster schritt und einer nordwestwärts führenden sandigen Landstraße folgte. Er schritt rasch und elastisch dahin; alle Augen hafteten auf der fremden Erscheinung, die so ritterlich und mannhaft, ganz wie ein Musterbild eines adligen Waidmanns und trotz des grauen Haars und des kleinen schneeweißen Knebelbartes so jugendlich kräftig aussah.

Eine Stunde weit mochte der stattliche Wandrer gegangen sein, nur demüthige Landleute, beladene Botenfrauen, Viehtreiber [683] waren ihm begegnet und auch nur eine spärliche Zahl. Die sonnig, sandige Ebene lag menschenleer vor ihm, hin und wieder erhob sich darin ein kleines Gehölz, neben dem ein niedriges Haus wie ein banger Vogel sich versteckte in Wallhecken und Buschwerk. Er zog ein Blatt Papier aus der Brusttasche, auf welchem eine kleine kunstlose Zeichnung eine Art Situationsplan angab. Die zur Erläuterung dazwischen geschriebenen Worte waren von klarer, feiner weiblicher Hand. Nachdem er noch einmal prüfend umhergeschaut und die Gegend mit der Zeichnung verglichen hatte, schritt der Fremde rasch entschlossen links vom Wege ab, stieg über einen Schlagbaum, verfolgte einen schmalen Fußpfad, der durch ein Kornfeld führte, erreichte ein schattiges Gehölz und blieb wiederum spähend und lauschend einige Minuten stehen.

Da entdeckte er ein weißes Kleid wie eine Blume im Grünen sich ihm entgegen bewegen, ein Freudenton erreichte sein Ohr und zwei weiche Hände legten sich in die seinigen, ein erglühendes Antlitz barg sich an seiner lautklopfenden Brust.

Der alte ritterliche Herr war ein Bräutigam! Die Braut, die ihm bis in das schattige Gehölz entgegengeeilt, war seiner vollkommen würdig und dazu wenigstens dreißig Jahr jünger als er. Man konnte nichts Edleres sehen als diese große, schlanke, in jeder Bewegung anmuthige Gestalt. Das Haupt, von glattem braunem Haar geziert, trug sie ein wenig nach vorn gebeugt, wie ein Schwan, an den auch die edle geschwungene Linie des Nackens erinnerte. Die Züge waren scharf geschnitten, namentlich die Nase, deren feste Biegung auf Charakterstärke schließen ließ.

Nach der ersten zärtlichen Begrüßung zeigte die Dame mehr ängstliche Zurückhaltung, als sich für die Braut eines so ehrwürdigen, wenn auch noch jugendlichen Greises ziemte. Es war eine heimliche Zusammenkunft, daher die Scheu in dem Benehmen der Braut. Durch Briefe verlobt, war das Paar noch keineswegs der gütlichen Einwilligung der Mutter gewiß. Sie sollte durch den persönlichen Besuch des würdigen Bräutigams jetzt erst errungen werden.

Zaghaft schritt das Paar ab in eine Eichen-Allee, an deren Ende jenes westphälische Haus aus rothem Ziegelstein lag; es war Rüschhaus, der bescheidene Wittwensitz der edlen Freifrau von Droste-Hülshoff, die mit zwei Töchtern dort in tiefster Zurückgezogenheit nicht weit von dem großen, stolzen Familiensitz Hülshoff wohnte, welchen ihr Sohn als Erbherr bezogen hatte. Die älteste Tochter Jenny war, obwohl noch sehr schön, schon über fünfunddreißig Jahr und hatte als Stiftsdame eine sichere und geachtete Zukunft vor sich. Deshalb wollte die Mutter nicht zugeben, daß sie dieselbe aufgebe, um sich einem fremden Manne in weiter Ferne antrauen zu lassen.

Als das Haus in Sicht war, das nur von der Hofseite einem Bauernhaus ähnlich sah, von der Gartenseite aber einen vornehmen Anbau wie ein Jagdschlößchen mit zierlichem Giebel erhalten hatte, eilte die heimlich Verlobte voraus, um die strenge Mutter auf den Besuch vorzubereiten. Der ritterliche Wandrer aber, der schwäbische Freiherr Joseph von Laßberg, der berühmte Kronenwächter der Krone deutscher Dichtung, des unschätzbaren Manuscript-Schatzes, des ältesten Nibelungen-Codex, um dessen Besitz er viel beneidet und weit berühmt wurde, der allverehrte „Meister Sepp von Eppishausen“, wußte in später Zeit höchst ergötzlich zu erzählen, welche bange Viertelstunde er „gleich einem Malviventen, einem Contrabandisten, einem Verdammten“ in einem westphälischen Bauernhöfe versteckt gewesen war.

Er durfte endlich eintreten und der Mutter seiner Braut selbst schildern, wie er vor Jahresfrist bezaubert worden war, als Letztere auf der Rückreise aus Italien mit zwei gelehrten Oheimen die Kunstschätze seines Schlosses besichtigt hatte. Ihr scharfer Verstand und ihr richtiges Urtheil waren im Bunde mit ihrer edlen Schönheit und echt weiblichen Anmuth vollkommen geeignet, einen so sehr durch Frauengunst verwöhnten Mann noch einmal zu jugendlicher Gluth anzufachen.

Mutter und Schwester, die Gegnerinnen dieses allerdings ungewöhnlichen Bündnisses, das durch Briefwechsel der Betheiligten sich befestigt hatte, wurden nun bald durch die persönliche Liebenswürdigkeit des Freiers überwunden. Namentlich wendete sich die Schwester mit raschem Verständniß seiner vielseitigen Bildung und Begabung zu; sie selbst war eine so bevorzugte Natur, daß sie einem solchen Kenner geistiger Schätze das größte Interesse einflößen mußte, denn diese Schwester der künftigen Frau von Laßberg war Niemand anders als die berühmte deutsche Dichterin Annette von Droste. Sie war jedoch damals noch lange nicht als solche anerkannt und galt sogar in der eigenen Familie mehr für wunderlich als bewundernswerth. Auch ihr Aeußeres trug dazu bei, ihr diese Geltung zu erhalten; neben der scheuen Schwester war dasselbe nicht vortheilhaft. Die kleine zierliche Gestalt vom feinsten Knochengerüst war gebeugt und neigte zum Fettwerden. Der Kopf mit hoher Stirn war zu groß für den kleinen Körper, sogar die schönen großen Augen entstellten eigentlich ihr Gesicht, weil sie sehr hervortraten und übersichtig waren, wie man sie in Westphalen den Sehern des zweiten Gesichts zuschreibt. Die Nase hatte zwar einen feinen edlen Schnitt, aber doch die schiefe Richtung, die den Zügen den Ausdruck der Klugheit verleiht und bei dummen Leuten für häßlich gilt. Nur Mund und Zähne, Hände und Füße waren von wirklich tadelloser Form. Eine große Schönheit besaß sie aber in ihrem prachtvollen Blondhaar, das wie ein goldener Mantel, einer Lorelei würdig, sie umwallte, wenn sie es aus den Flechten löste. Aber auch das gereichte ihr nicht zur Zierde, weil sie es nicht vortheilhaft zu tragen verstand, wie sie überhaupt kein Geschick besaß sich durch den Anzug zu verschönern. Die ernste Muse war keine heitere Grazie! Es fehlte ihr ebenso an Neigung wie an Befähigung für die große Welt. Das Einsiedlerleben in dem westphälischen Bauernhause und später in dem schwäbischen Schloß war ganz ihre eigene Wahl und genügte ihrer poetischen Natur vollkommen.

Bevor wir mit ihr und dem neuvermählten Paar nach Meersburg übersiedeln, müssen wir uns noch rechtfertigen, weshalb wir Rüschhaus, den Wittwensitz einer Edelfrau, ein westphälisches Bauernhaus genannt haben. Es ist nämlich nach dem aus der Urväter Zeiten stammenden und treu bewahrten Plane eines solchen erbaut worden, mit seiner breiten Tenne, einer Art Halle oder Scheune, die mit festgestampftem Lehm gepflastert und so hoch ist, daß ein wohlgeladener Heuwagen hineingebracht werden kann. Sie dient als Vorzimmer, Wohnstube und Küche; zu beiden Seiten liegen die Ställe. Pferde und Kühe schauen durch ihre Krippen mit patriarchalischem Gesichtsausdruck den Bewohnern zu und erhalten ihre Fütterung in bequemster Weise vom Wohnraume aus. Ueber den Ställen liegen die Schlafkammern und neben dem niedrigen Heerd, über dem stets der rußige Wasserkessel hängt, befindet sich die kleine Putzstube, deren runde, in Blei gefaßte Fenster die Aussicht in ein Blumengärtchen, von dichten Hecken umkränzt, haben. Hohe Bäume stehen Schildwacht auf dem Hofe, der von Gräben voll blauer Vergißmeinnicht umgeben ist. Genau wie Tacitus die Bauernhöfe Germaniens schildert, findet man sie noch jetzt in Westphalen.

Wie schon erwähnt worden, hatte Rüschhaus an seiner Langseite einen Anbau erhalten, der dem Bauernhaus das Ansehen eines Herrenhauses gab. Ein Domherr ans Münster hatte es sich zum Jagdschlößchen eingerichtet und dabei die Bauernwirthschaft in ihrem alten Recht gelassen. Eine breite steinerne Freitreppe führte aus einem Garten mit französisch zugeschnittenen Taxushecken und plumpen Steinfiguren in einen hübschen Salon, hinter dessen Tapetenwänden der geistliche Herr eine richtige Kapelle ausführen ließ, um bequem darin seine pflichtmäßige Messe trotz des Jagdvergnügens abhalten zu können.

Durch Erbschaft und Kauf war Rüschhaus mit seinen ansehnlichen Ländereien an die Familie des Freiherrn von Droste-Hülshoff gekommen, der einen erblichen Wittwensitz dort gründete.

Wenden wir uns jetzt der Meersburg und ihrem Burgherrn zu.

Joseph von Laßberg gehörte einem aus Ober-Oesterreich stammenden Geschlechte an, das zuletzt im Hofdienst des Fürsten von Fürstenberg stand. Geboren 1770 zu Donaueschingen, in einer Klosterschule daselbst erzogen, studirte er in Freiburg im Breisgau die Forstwissenschaften und wurde schon in seinem dreiundzwanzigsten Jahre als Oberforstmeister zu Heiligenberg angestellt, wo er sich den ersten häuslichen Heerd gründete. In dieser Stellung erweiterte sich seine Wirksamkeit in bedeutsamer Weise. Das Ländchen verlor seinen regierenden Fürsten durch den Tod und bekam einen minderjährigen Herrn, für den die verwittwete Mutter, eine geborene Fürstin Thurn und Taxis, die Regentschaft führte. Die schöne und geistreiche Frau schenkte dem ritterlichen Gelehrten sehr bald ihr ganzes Vertrauen. Er wurde Landesoberforstmeister, Geheimer Rath und endlich nach dem Tode seiner [684] ersten Frau auch sogar der angetraute Gemahl der Fürstin, mit der er auf dem schönen Schlosse Heiligenberg in tiefster Zurückgezogenheit lebte. Er besuchte auch mit ihr Wien zur Zeit des Congresses und erlebte dort den Glücksfall, die ältesten und vollständigsten jener Codices des Nibelungenliedes kaufen zu können, welche einst J. J. Bodmer auf dem Schlosse Hohen-Ems entdeckt hatte. Es waren jene Tage, die das Erwachen des geschichtlichen Sinnes, der Begeisterung für die deutsche Vorzeit und das Zerfallen der alten Verhältnisse begünstigten. Ueberall waren Klöster aufgehoben, Archive zerstreut, Schätze des Alterthums verzettelt, und waren nun die werthvollsten Documente als herrenloses Gut für geringe Summen zu erstehen. Die Sammler und Geschichtsforscher fanden ihren Eifer meistens glänzend belohnt. So gründete Joseph von Laßberg sein Privatmuseum von seltenen Manuscripten, Büchern und Kunstschätzen, das er in seinem Schlosse Eppishausen ausstellte, wohin er mit der Fürstin zog, als deren Sohn, Fürst Egon, die Regierung des mittlerweile mediatisirten Fürstenthums selbst übernahm.

Im Jahre 1822 starb die Fürstin, und mehr als zehn Jahre später holte sich Joseph von Laßberg, ein angehender Sechziger, seine dritte Gemahlin, die Freiin von Droste-Hülshoff, aus Westphalen, wie wir oben weitläufiger erzählt haben. In Eppishausen blieb er nur noch kurze Zeit mit derselben, er hatte die alte in prachtvoller Umgebung am Bodensee gelegene Meersburg erstanden, die einstige Residenzburg der Fürstbischöfe von Constanz. Er siedelte sich mit seiner Familie und allen seinen reichen wissenschaftlichen und archäologischen Schätzen in dem uralten, merkwürdigen Bau an. Eine große feuerfeste Halle, deren Gewölbe von mächtigen Pfeilern getragen war, faßte kaum die reichhaltige Büchersammlung. In einem besonderen Schrein, mit schweren eisernen Ketten angeschlossen, lag der Hauptschatz derselben, der alte Nibelungen-Codex, nur auserwählten Gästen wurde er in die Hand gegeben, losgekettet wurde er niemals. Es war dies bekanntlich eine mittelalterliche Sitte, Bücherschätze zu bewahren. Die andern seltenen Druckwerke auf Pergament oder altem Ochsenkopfpapier, darunter so manche Perle ältester deutscher Dichtung, hütete der Burgherr ebenfalls wie seine Augäpfel, aber er erwarb sich sehr bald den Ruhm, seine Schätze und Forschungsquellen für alle durchreisende Gelehrte offen zu halten und noch mit seinem eigenen reichen Wissen dieselben zu fördern. Die alte Meersburg wurde bald eine Art Herberge der Gelehrten, insbesondere der Forscher, welche der Wissenschaft deutscher Cultur, Kunst und Literatur sich widmen wollten.


Rüschhaus.


Wohl wenige namhafte Männer von gelehrtem Ruf in diesen germanistischen Studien mag es geben, die nicht wenigstens einmal in dieser gastlichen Herberge eingekehrt sind. Die meisten kamen oftmals und wurden stets Freunde und Verehrer des originellen Burgherrn, der eigentlich selbst die interessanteste Merkwürdigkeit seines Museums war. Die beiden Grimm, Uhland, Görres, Wessenberg, Schwab, Pertz, Frommann, Pfeiffer, Schott, Reinhold Köstlin u. A. – Männer vom Rhein, aus Schwaben, Franken, der Schweiz, Oesterreich – alle kosteten den Willkommbecher, den ihnen der alte Ritter und Meister der Wissenschaft aus seinen: mit gutem Meersburger gefüllten Keller darbot. Das rege Leben, welches dadurch auf der alten Burg entstand, lockte auch andere Gäste herbei, und die herrliche Schloßterrasse, wo die Freifrau aus Westphalen die köstlichsten Blumen zog, war fast nie leer. Der Blick über den blauen See, an dessen jenseitigem Ufer die dunklen Thürme von Constanz sich wie eine schwarze Silhouette abzeichneten und die Alpen wie, eine weiße Perlenkette über die andern Berge hinzogen, war unvergleichlich schön, namentlich bei Sonnenuntergang, wenn der gluthrothe Ball wie Johannis blutiges Haupt auf einer blauen Krystallschale lag und so lange sichtbar blieb von der Höhe der Schloßterrasse, wie dies niemals in der Ebene der Fall sein kann.

Es ist zu bedauern, daß Joseph von Laßberg nicht einen Theil seiner unermüdlichen Thätigkeit in der wissenschaftlichen Forschung seinem eigenen uralten Schlosse zugewendet hat. Er allein hätte noch nachweisen können, welche seltsame Schicksale dieser historischmerkwürdige Bau im Laufe so vieler Jahrhunderte erfahren hatte. Alle die Namen, deren Erinnerung dem Schlosse angehört, alle Ereignisse, deren Schauplatz darin war, hätten eine interessante Chronik im Styl des Meisters Sepp ausmachen können. Ein Thurm und das Kronwerk aus König Dagobert’s Zeit ragt unzerstörbar über das andere Gemäuer empor und birgt eine ganze Sagenwelt voll Schauerpoesie. Die Tage Conradin’s, vor seiner Römerfahrt, verflossen in der Meersburg und haben noch manche Spuren darin zurückgelassen. Die Bischöfe von Kostnitz (Constanz) ließen hier geheime Gänge durch die Felsen hauen, und der seltsame gelehrte und galante Cardinal Marcus Sitticus von Hohen-Ems[WS 1], Fürstbischof von Constanz und Erzbischof von Salzburg, hauste in der Meersburg mit seinem Lebensroman.

[685] Leider hat Laßberg’s schriftstellerische Thätigkeit sich diesen ihm so nahe liegenden Gegenständen nicht gewidmet, dieselbe beschränkt sich nur auf die Herausgabe einiger mittelhochdeutscher Dichtungen, namentlich des in fünf Bänden seit 1820 erschienenen Liedersaales, in welchem auch ein Abdruck seiner berühmten Nibelungenhandschrift sich vorfindet. Außerdem bestimmte er kleinere Arbeiten von Zeit zu Zeit zur Veröffentlichung, um sie seinen Freunden zu schenken; das größere Publicum damaliger Zeit hielt er wohl mit Recht für nicht gebildet genug, um seine Arbeiten würdigen zu können.

Joseph von Laßberg.

„Ich denke ir erkennet daran den guten willen des meister Sepp, wie ir mich nennet,“ schrieb er in einer seiner Vorreden in seinem eigenthümlichen Styl und seiner altdeutschen Schriftweise, „ich sizze jetzt auf der aeltesten Burg Teutschlands und singe mit dem Truchsassen Ulrich von Singenberg:

‚Sonst heiße ich wirt und rite heim etc.‘“

Die Briefe des alten Herrn sahen seltsam genug aus in dieser Orthographie und mit gothischen Buchstaben, die er so schön zu schreiben verstand, daß sie wie gedruckt aussahen. Fast alle Besucher der Meersburg haben solche Handschriften von ihm aufzuweisen, denn er gab ihnen gern Geleitsbriefe mit an seine zahlreichen berühmten Freunde, die auf der Heimreise besucht werden konnten. Er liebte es, die Gastfreundschaft im wahrsten Sinne des Wortes auszuüben. Aber auch sie, wie Alles, was ihn umgab, mußte mit in seine Huldigung des Mittelalters eingehen, vom ersten Empfang bis zum Scheiden. Ein Burgwart, der jeden Abend die Zugbrücke aufzog und dann mit einem Kettenhund mit Stachelhalsband im Bogenpförtchen erschien, kündete den Ankommenden mit einem Hornstoß an, und der Willkommbecher stand für Jeden bereit. Gäste, die der Burgherr auszeichnen wollte, erlebten noch eine besondere Freude. Schon nach der ersten Viertelstunde der Bekanntschaft schleppte der alte Herr dicke Folianten herbei und suchte nach den „Ahnen oder Vorfahren“ des Besuchs, was stets Aller Wohlgefallen erregte, selbst der bürgerlichen Gäste, denn er wußte immer etwas ausfindig zu machen, was dem Selbstgefühl schmeichelte. Sehr oft bewies er den Leuten, daß sie eigentlich von adliger Herkunft wären und irgend ein Urahn den Adel nur abgelegt hätte, oder er erzählte ihnen Heldenthaten eines Namensvetters aus seinen Chroniken, aber stets ganz ehrlich, ohne Ironie, obwohl er einen derben Spaß auch zuweilen sich erlaubte. Wer sich dann auf der Meersburg wohl gefühlt hatte in einem der köstlichen Thurmzimmer mit prächtiger Aussicht und romantischer Schauerlichkeit ausgestattet – es führten Wendeltreppen bis ins Burgverließ hinab, und gar mancher muthwillige Gast machte sich das gefährliche Vergnügen, mit seiner flackernden Wachskerze in diese ewige Nacht mit ihrem eisigen Athem, von kaltem Gestein ausgehaucht, hinabzusteigen – der war gleichsam ein Hausfreund geworden und konnte auf Empfehlungsbriefe, Unterstützung und Annehmlichkeit bei der Rückreise rechnen. Jeder Gast bekam auch einen Rufnamen, der ihn der Schloßsippe gleichsam einreihte.

Seine Gattin, das einst so hoch über dem Alltagsleben schwanenhaft schwebende Stiftsfräulein aus Westphalen, war eine sehr praktische Hauswirthin geworden und sorgte für gute Pflege [686] auf der Meersburg, die Vorzöge der schwäbischen Küche herrschten an ihrer Tafel, nirgends gab es bessere Nudeln, duftendere Braten und Kuchen als dort. Die liebenswürdige Burgfrau fand sich leicht in allen Interessen und romantischen Eigenheiten ihres Eheherrn zurecht, sie scheute keine Mühe, um ihnen allen gerecht zu werden, und ward niemals ungeduldig, wenn die Gäste unablässig in das dunkle Burgthor einzogen und alle ihre Zimmer nach historischen Merkwürdigkeiten durchforschten, ihrer Küche aber stets mit vielem Appetit zusprachen. Meister Sepp liebte sein junges Gemahl dafür auch mit dankbarer Verehrung, und als ihm nun gar noch in seinem hohen Greisenalter die Freude wurde, Vater eines Zwillingspaares reizender Mädchen zu werden, da kannte sein Glück keine Grenzen. Aus allen Gauen flogen ihm die Gratulationen zu, sein Freund Uhland schrieb in Anspielung aus die rittersmäßigen Namen der beiden Mägdlein:

Hildegard und Hildegund,
Gesegnet seyd vom Dichtermund!

Durch die Geburt der Enkel wurde auch die alte Freifrau aus Rüschhaus nach der Meersburg gelockt, sie söhnte sich dort vollkommen aus mit der spätem Heirath ihrer Tochter, da sie so sehr zum Glück derselben ausgeschlagen war. Mit der Mutter zog nun auch die jüngere Tochter Annette von Droste in die alte Ritterburg ein, die eine so günstige Stätte für die Entfaltung ihrer Poesie werden sollte. Die großartige Schönheit der Natur spiegelte sich in ihrer klaren Dichterseele, und sie besaß wie keine andere die Göttergabe auszumalen, was sie sah und fühlte.

Wenn der Sturm den See durchwühlte und sie einsam auf dem Altan des hohen Schlosses mit flatterndem Blondhaar über dem Abgrund lehnte, gestaltete sie die herrlichsten Bilder, und wenn die Abendsonne die weißen Rosen der Alpen in rothe verwandelte, erblühte ein ganzer Blumenflor von Poesie unter ihrer schreibenden Hand! Aber inmitten aller Pracht der neuen Heimath gedachte sie der lieben alten, sehnte sie sich nach dem kleinen Rüschhaus, das in der westphälischen Haide demüthig verborgen lag und doch auch von Abendroth umglüht, von Nachtigallen umsungen und von Heckenrosen umduftet war. Die Lieder der Erinnerung und Treue, die sie von der Ritterburg nach dem Bauernhaus sendete, sind eigentlich die ältesten Perlen ihrer Dichtung.

Die schweren Nebel des norddeutschen Heimathlandes zwangen die Dichterin bei stets dort zunehmender Kränklichkeit, sich auf immer längere Zeit von demselben zu entfernen und die klare nervenstärkende Luft auf der hochgelegenen Meersburg zu athmen, die ihr eine zweite Heimath unter der Pflege ihrer edlen Schwester wurde. Mit dem ritterlichen Schwager gestaltete sich das Verhältniß zwar höflich von seiner Seite, aber doch weniger freundlich, als anfangs erwartet werden konnte. Es brach mancher kleine Krieg zwischen den beiden in Wissenschaft geharnischten Geistern aus, der indessen zur Belebung der in spätern Jahren mehr und mehr vereinsamten Meersburg in unterhaltender Weise beitrug. Es bildeten sich in der Nähe und Ferne Parteien um die Streitenden, und Meister Sepp hatte oft nicht übel Lust, einen neuen Sängerkrieg auf seiner Burg beginnen zu lassen. Ein Troubadour, würdig eines solchen, erschien einst auf dem alten Schlosse mit Lockenhaar und Sammetbarett, geschmückt mit der Blüthe jugendlicher Männerschönheit. Es war Levin Schücking, ein gelehrter Dichter, den sich beide Theile gerufen hatten; Laßberg, um eine kundige Hand zum Ordnen seiner bibliographischen Schätze zu haben, seine poetische Schwägerin, um in dem jungen Manne, dem sie mit mütterlicher Liebe zugethan war, eine gleichgestimmte Seele zu besitzen und eine Pflicht der Dankbarkeit an ihm zu üben, ihn aus schwierigen peinlichen Verhältnissen zu erlösen, in die er durch die damalige Zerstückelung und engherzige Verwaltung deutscher Lande gerathen war.

Es hat ein so selten schönes und rührendes Verhältniß zwischen Levin Schücking und Annette von Droste bestanden, daß es nothwendig näher erörtert werden muß. Die aufmerksamen Leser der herrlichen Gedichtsammlung, welche bei Cotta unlängst in zweiter Auflage unter Annettens Namen erschienen ist, werden sich erinnern, daß darin ein tiefgefühlter Seelengruß an die Manen von Katharina Schücking gerichtet ist. Das war die erste westfälische Dichterin, die Mutter Levin’s, die ihm ihren poetischen Geist in reichem Maße vererbt hat. Sie war in jeder Hinsicht eine ausgezeichnete Persönlichkeit voll Schönheit, Anmuth und hoher Weiblichkeit. Eine einsame Blume der Haide des damals noch so culturfernen Münsterlandes, konnte sie nicht zu allgemeiner Anerkennung gelangen und begnügte sich mit ihren Geistesblüthen in echt weiblicher Bescheidenheit nur ihre nächste Umgebung zu erfreuen. Auf Annettens kindliches Gemüth machte diese Erscheinung jedoch einen mächtig ergreifenden Eindruck und sie hat oft behauptet, daß sie in ihr gewissermaßen die Muse verehren müsse, die ihr die Himmelsfackel der Poesie angezündet habe. Das geistvolle, selten begabte Kind fesselte auch das Interesse der jungen Frau, und als sie ihren erstgeborenen Sohn von sich lassen mußte, gab sie ihm eine Empfehlung an das seitdem herangewachsene Freifräulein von Droste-Hülshoff mit auf den Weg. Er besuchte sie als Münsterscher Gymnasiast auf dem väterlichen Rittergute Hülshoff und blieb in schüchterner Entfernung vor der Dame stehen, die ihrerseits nicht recht wußte, wie sie die Dankbarkeit für die Mutter dem verwöhnten, in sehr reichen Verhältnissen lebenden Söhnchen bethätigen sollte. Sie beschränkte sich auf ein paar Beweise von höflicher Theilnahme und verlor ihn alsbald aus den Augen. Levin machte es nicht besser, er absolvirte das Gymnasium bei seinen guten Anlagen sehr rasch und zog als lustiger Student gen Heidelberg und München. Die reichen Wechsel aus dem Vaterhause ließen ihn vergessen, daß es ein Brodstudium gebe, er studirte statt dessen mehr die schönen Künste, die Literatur der Meistersänger und Troubadoure wurde schon damals sein Steckenpferd.

Da blieben plötzlich die Wechsel aus, denn im Vaterhaus war ein Wechsel eingetreten!

Schücking der Vater stammte aus einer sehr angesehenen und gelehrten Familie, drei Generationen aufwärts waren schon Schriftsteller; sein Großvater hatte eine Abhandlung über Polen Friedrich dem Großen gewidmet und dafür ein Antwortschreiben von demselben in so höflichem Stil erhalten, wie heutzutage wohl keine Widmung mehr beantwortet wird.

Die Stelle eines hannöverischen Amtmanns, welche Schücking der Vater bekleidete, gehört jetzt der Vergangenheit an, sie war beinahe von derselben Bedeutung wie die eines französischen Präfecten. Die Macht und das Ansehen dieser Beamten waren so groß, daß sie fast einen ähnlichen Einfluß wie kleine Fürsten auf die Gegenden ausübten, in denen sie ihren Wohnsitz hatten. Eine gebildete Amtmannsfamilie civilisirte auf Generationen hinaus die Umgegend. Schücking und seine reizende poetische Gattin Katharina wohnten in einer der ödesten Gegenden des Herzogthums Aremberg, in welchem Hannover die oberhoheitlichen Rechte der Anstellung von Beamten ausübte. In dem fürstbischöflichen Schlosse Clemenswerth hatte Schücking als Amtmann eine stattliche Dienstwohnung. Es ging hoch her unter dem regierenden Herrn Amtmann, die benachbarten adligen Gutsbesitzer genossen die Gastlichkeit des Schlosses Clemenswerth und freuten sich des gebildeten Umgangs; sie behandelten den Amtmann ganz wie ihres Gleichen, was für die damalige Zeit eine Seltenheit war, sie hielten seine Kinder über die Taufe, wodurch unser Dichter den westphälischen Adelsnamen „Levin“ empfangen hat, sie spielten, tranken und jagten mit ihm und er hielt sich Livreediener, Pferde und Weinkeller, um ihnen nicht nachzustehen. Dabei übersetzte er den Seneca und trieb belletristische Studien mit seiner Katharina. So lange diese ihm zur Seite stand, blieb der Haushalt im Gleichgewicht, trotz des großen Aufwandes; aber sie starb und schon bei ihrem Begräbniß konnte man bemerken, daß von nun an keine sorgende Hand mehr die Bilanz halten würde. Der Aufwand des Hauses nahm zu nach ihrem Ableben, das durch den baldigen Einzug einer Stiefmutter den Kindern noch schmerzlicher gemacht wurde. Ein völliger Bankerott brach aus, der Amtmann verlor Stelle und Vermögen, der Sohn mußte seine Studien unterbrechen und womöglich auch noch den Vater ernähren.

Ein so jäher Wechsel des Geschicks rief natürlich die allgemeinste Theilnahme wach, auch Annette von Droste erinnerte sich des Sohnes ihrer tief betrauerten poetischen Freundin und berathschlagte mit ihm über die Gestaltung seiner Zukunft. Ein paar Monate eisernen Fleißes genügten dem jungen Manne, um nachzuholen, was er auf der Universität am Fachstudium durch gelehrte Allotria versäumt hatte, er meldete sich zum juristischen Examen bei den Behörden in Münster, da er in Hannover nicht Dienste suchen mochte, wo sein Vater, obwohl allerdings nicht ohne Veranlassung, sehr rücksichtslos verabschiedet worden war. Aber siehe da, er galt in Preußen als Ausländer und wurde nicht zugelassen zum Dienstexamen. Da erhielt er den [687] Rettungsruf nach der Meersburg zu kommen, und dieser Ruf war es, welcher zugleich der deutschen Literatur einen ihrer besten Namen rettete, denn Schücking’s Muse wäre unzweifelhaft erstickt unter den Actenstößen des preussischen Justizdienstes.

Auf dem schwäbischen Schlüsse entfaltete sie sich unter dem Einfluß seiner dichterischen Beschützerin in desto rascheren Erfolgen. Es entstand ein wahrer Weltgesang zwischen Levin und Annette. Es ist schwer zu entscheiden, wer Sieger blieb oder vielmehr wessen Einfluß die Oberhand behielt. Unleugbar hat Schücking viel zur Klärung und bestimmtern Gestaltung der Droste’schen Poesie beigetragen. Man vergleiche nur ihre letzten Erzeugnisse mit den ersten, bei deren Entstehung sie ihm noch fern stand. Das geistige Zusammenleben war zwischen Beiden so innig, daß der Roman „Eine dunkle That“ von Levin Schücking eigentlich ein gemeinsames Erzeugniß ist.

Die Uebereinstimmung der Geister sprach sich seltsamerweise auch in einer ausfallenden Aehnlichkeit der Körperlichkeit aus. Levin hätte sehr gut für einen Sohn der Dichterin gelten können, obwohl er nur vierzehn Jahre jünger war als sie. Seine blauen, glänzenden Augen glichen den ihrigen, wie ja auch Freiligrath von ihn, sang:

„Mein Freund Levin mit den Gespensteraugen ...“

seine feine Nase zeigte dieselbe geniale schiefe Richtung wie die ihrige, und seines Mundes Lächeln war genau derselbe Kampf zwischen Ernst und Scherz, der ihre Lippen reizend umschwebte, wenn sie lächelte, eigentlich immer gegen ihren Willen – nie gezwungen, nur der holden Naturgewalt wahrer Heiterkeit und anmuthiger Spottlust nachgebend! Selbst die zarte Gliederung von Händen und Füßen, das schwächliche Knochengerüst war beiden poetisch-nervösen Naturen eigen, nur trug Levin’s Schädel braunes Haar, während Annette das echte Gold der rothen Erde Westphalens als Hauptschmuck besaß. Eins ihrer schönsten Gedichte schildert das innige Band, das sie mit ihrem Schützling verknüpfte, es befindet sich in der mehrerwähnten Sammlung Seite 105:

„Kein Wort, und wär’ es scharf wie Schwerterklingen,
Soll trennen, was in tausend Fäden Eins!“

Es kam freilich auch oft zum Kampfe zwischen den beiden engverbundenen Geistern; ihr starrer aristokratischer Sinn, der in der Praxis so schön gemildert wurde durch die Humanität ihres edlen Herzens, gerieth in der Theorie sehr oft in Streit mit seinem demokratischen Bewußtsein, dem ewigen Ideal der Jugend. Einem solchen Kampfe verdankt dies Gedicht seinen Ursprung; es beweist, wie schnell stets die Versöhnung darauf folgte.

Das bewegte Dichterleben auf dem schwäbischen Schloß wurde durch Schücking’s Abreise im Jahre 1842 unterbrochen, er trat in die Dienste eines kleinen Fürsten, später in die einer großen Zeitung und verband sich mit seiner schönen talentvollen und leider so früh verstorbenen Gattin, Louise von Gall. Mit ihr zog er dann noch einmal nach der gastlichen Dichterherberge, der Meersburg, um sich den mütterlichen Segen seiner Muse zu holen.

Am 24. Mai 1848 endete ein Herzschlag das Leben von Deutschlands größter Dichterin; sie ruht auf dem kleinen Todtenhof von Meersburg, ein Grab in heimathlicher Erde unter westphälischen Eichen und Nachtigallen wurde ihr nicht zu Theil, aber ein poetischer Immortellenkranz, wie ihn E. Rittershaus in seinem herrlichen Gedicht jüngst dargebracht, ersetzt es ihren Namen. Der gelehrte Ritter Joseph von Laßberg hat seine wappenverzierte Grabcapelle neben ihrem schlichten Rasenplätzchen und unweit der Stätte, wo auch Mesmer, der berühmte Begründer der Lehre vom thierischen Magnetismus, ruht, gefunden, während sein Gemahl im Familiengrab in Westphalen ruht. Die verwaiste Meersburg steht unter dem milden Scepter, dem Lilienstengel, der beiden Zwillingsjungfrauen Hildegard und Hildegund, in denen der poetische Geist und das humane Herz ihrer Tante fortleben.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Marcus Psittiscus von Hohen-Ems