Die Wahl. Vier Blätter – Einleitung

Ausmarsch der Truppen nach Finchley W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Zweite Abtheilung (1840) von Franz Kottenkamp
Die Wahl. Vier Blätter – Einleitung
Die Wahl. Erstes Blatt – Der Wahlschmaus
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Die Wahl.


Vier Blätter.
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Die Wahl.
(The Election.)




Einleitung.

Eine bestrittene Wahl (a contested election), besonders in Grafschaften, wo eine größere Masse von Stimmberechteten aus den niederen Volksclassen an der Ernennung der Parlamentsglieder Antheil nimmt, war und ist bekanntlich neben der Gelegenheit zur Ausübung politischer Rechte für John Bull auch ein Anlaß zu Festlichkeiten, Lärm und Unfug, und zugleich zu dem unmoralischen Einfluß der höheren Classen durch Bestechung, wodurch es Einer Partei gegenwärtig noch möglich geworden ist, eine bedeutende Minorität in dem Unterhause zu bilden. Zu Hogarth’s Zeiten war jene Bestechung, durch Robert Walpole und die Whigs zuerst systematisch ausgeübt, noch bei weitem scandalöser als jetzt betrieben worden; so blieb es während der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts und bis auf unsere Tage, wo das theilweise Uebergewicht der Mittelclassen jenen Scandal wenigstens [706] verminderte, und wo endlich eine Veränderung in der Volksrepräsentation stattgefunden hat, welche den Erfolg durch Bestechung häufig durchaus nutzlos machen würde. Damals wurde nämlich der Besitz einer Parlamentsstelle oft genug als bloße Handelsspeculation betrachtet, indem der Gewählte sich um die politische Meinung der Committenten nicht sehr zu bekümmern brauchte und seine Stimme an die Regierung für eine Geldsumme, eine Sinekur, ein Amt oder eine Lieferung[1] verkaufte, und alsdann von einem verfaulten Flecken sich wieder wählen lassen konnte, ein Verfahren, welches um so leichter war, da der Minister Walpole eine solche Bestechung der Parlamentsglieder förmlich zum Regierungssystem erhoben hatte. Auch die vorliegenden Blätter Hogarth’s geben hievon Andeutungen.

Wie in der Biographie des Künstlers bereits erwähnt wurde, sind die vorliegenden Blätter zu verschiedenen Zeiten ausgegeben worden. 1755, 1757 und 1758. Ein Jahr vor der Herausgabe des ersten Blattes hatte eine allgemeine Wahl nach Auflösung des Parlamentes stattgefunden, und es ist somit unzweifelhaft, daß der Künstler dieselbe bei diesen seinen Compositionen im Auge hatte. Auch erkennt man einige Anspielungen auf die damaligen Verhältnisse, besonders auf die des Ministers, Herzogs von Newcastle. Die Parteien befanden sich aber während jener Periode in besonderer Stellung, welche sich mit dem Früheren oder Späteren nicht vergleichen läßt. Bei der Wahl von 1754 hatte nämlich keine eigentliche Opposition über Parteigrundsätze, sondern hauptsächlich nur in Hinsicht der Personen und der auswärtigen Politik stattgefunden. Die alten Jacobiten waren durch die Ereignisse von 1719 bis 1745 gänzlich niedergeworfen, und hatten noch keine Stellung eingenommen, welche ihnen bei den bestehenden Verhältnissen eine neue Wirksamkeit als Hochtories übertrug. Die Torypartei, welche dem Hause Hannover sich anschloß, wurde vollkommen verachtet. Alle Männer von Talent, die zu ihr gehört hatten, waren abgefallen, und [707] man bemerkte für den Augenblick kein Symptom ihres Fortbestehens. Die kleine Tory-Fraktion, welche um den Prinzen Friedrich v. Wales sich gesammelt hatte und durch seinen Einfluß zusammengehalten wurde, war nach dem Tode desselben zerstreut. Jeder Staatsmann von Talent suchte ein Amt zu erlangen und nannte sich einen Whig. Allein dieser Anschein allgemeiner Eintracht war nur täuschend. Die ganze Whigpartei war uneins durch die verschiedenen Elemente ihrer Zusammensetzung, um so mehr, da kein gefährlicher Feind im Innern sich vorfand, der ihr Uebergewicht bedrohete und sie deßhalb zum Zusammenhalten nöthigte. Die Einen waren über das durch Walpole allgemein gewordene Bestechungssystem und über die damit zusammenhängende Verderbniß erbittert; die Anderen, mit der Führung der auswärtigen Angelegenheiten unzufrieden, indem die Premierminister aus traditioneller Friedensliebe ihrer Partei sich manche Unbill gefallen ließen, und im Fall endlich das Schwert Englands in die Wagschale geworfen würde, durch die Wahl unfähiger Admirale und Heerführer, die nach Partei-Rücksichten geschah, glänzende Erfolge verhinderten; endlich aber war die Partei der Whigs im Parlamente und selbst in der Regierung durch bittere persönliche Feindschaft und Eifersucht, so wie durch das Bestreben zerrissen, womit Einer den Andern aus dem Amte zu verdrängen suchte. Der Premierminister, Herzog von Newcastle, schwach, furchtsam, eifersüchtig, perfide und unfähig, welcher sich durch die Menge Parlamentssitze, die er nach dem alten System vergeben konnte, einen überwiegenden Einfluß sicherte, wurde von anderen Whigs verabscheut und verachtet, vor Allen aber von seinen Collegen im Ministerium, und von keinem in höherem Grade, wie von Henry Fox, dem damaligen Kriegsminister und dem Vater des berühmten Charles Fox, einem Manne von Ehrgeiz und überlegenem Talent. Dieser suchte dem Herzog von Newcastle immerwährende Chikanen im Parlamente und außerhalb desselben zu machen, ein Verfahren, welches alle Whigs nachahmten, die von dem Herzog nicht persönlich abhingen, und welches um so leichter wurde, da derselbe bei seiner Charakterschwäche sich ebenso scheute, Männer von Einfluß irgendwie zu verletzen, wie sie andererseits zu heben [708] und zu unterstützen. Die fernere Darstellung der damaligen politischen Verhältnisse und Parteikämpfe gehört nicht hieher; das Angeführte war jedoch zum Verständniß des Ganzen nothwendig. Hinsichtlich des ersteren Punktes darf man die hier dargestellte Wahl von 1745 weder mit den früheren (unter der Königin Anna, unter Georg I.) noch auch mit den späteren unter Georg III. und IV., am allerwenigsten aber mit denjenigen vergleichen, welche nach 1830 stattgefunden haben; überhaupt würden die vorliegenden Compositionen Hogarth’s selbst den größeren Kennern englischer Verhältnisse in Deutschland, welche an die scharfen Partei-Unterscheidungen der jetzigen Zeit, und überhaupt der Periode seit Georg’s III. Regierungsantritt, gewöhnt sind, ohne jene Darlegung der Zeitumstände zum Theil unverständlich bleiben, weil eben die Merkmale jener Parteischeidung, welche sogleich in die Augen fallen, auf Hogarth’s Blättern fehlen. Trusler, der bekanntlich Ueberlieferungen von Hogarth aufbewahrt hat, sagt in seinem Commentar: der Candidat auf dem Wahlschmause sei ein Tory unter der Whigfahne. Aus den obenerwähnten Umständen ließe sich dies leicht erklären. Der Oppositions-Candidat kann aber auch ein wirklicher Whig sein, der nur den Ministern sich widersetzen will. – Kurzum, die von Hogarth dargestellte Wahl ist von anderer Art, wie die gegenwärtigen, und es ließen sich auf dieselbe, wie auf so viele andere Wahlen jener Zeiten, die Worte Byron’s aus Don Juan XVI., Stanze 70, anwenden, wovon übrigens die letzten Verse nicht mit derselben Schärfe, wie im Englischen, wieder gegeben werden können:

Lord Henry kümmert sich um Wahlen viel;
Er wühlt in faulen Flecken[2] wie die Ratte.
Doch war die Grafschaftswahl ein theures Spiel,
Weil auch ein Schotte, Graf von Mitgifthatte.
Dort gar nicht war bei allen Wählern kühl.
Sein Sohn, der ehrenwerthe Wurfzustatte.
War von der anderen Partei, das heißt
In so fern, daß er als Rival sich weist.

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Lord Henry was a great electioneerer
Burrowing for boroughs like a rat or rabbit;
But county contests, cost him rather dearer
Because the neighbouring Scotch Earl of Giftgabbit
Had English influence in the selfsame sphere here.
His son honourable Dick Dicedrabbit.
Was member of the „other interest“; meaning
The selfsame interest of a different leaning.

So möchte es auch hier bei Hogarth hergehen; es kömmt nämlich auf dem ersten und letzten Blatte der berühmte Boroughmonger (Krämer mit Parlamentssitzen) und Premierminister nach Walpole, der Herzog von Newcastle, vor, früher ein gewisser Pelham, welcher durch geschickten Ankauf von verfaulten Flecken seinem Hause die politische Wichtigkeit erlangte, die sein Enkel, der gegenwärtige Herzog, bis 1832 besaß, weßhalb sich derselbe auch am heftigsten der Parlamentsreform widersetzte.




  1. Erst in den achtziger Jahren wurden Lieferanten oder Theilnehmer an Lieferungen ausgeschlossen.
  2. Den Namen der faulen Flecken braucht man in Deutschland wohl nicht zu erklären, wo sich noch wohl Jeder der Reform von 1830 bis 1832 erinnert.