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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1884
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[765]

No. 47.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Das Urbild des Fidelio.

Erzählung von Ernst Pasqué.

Die Herrschaft des Schreckens, der Paris und Frankreich im Jahre 1793 verfallen war, die sich in Robespierre verkörpert fand und allerorten Ströme Blutes fließen ließ, mußte eine Gegenbewegung zur Folge haben. Im Westen, Süden und Norden empörte sich das Volk gegen seine Bedrücker, die Männer der Revolution, die ihm Freiheit und Gleichheit versprochen und dennoch sein Blut verlangten. Toulon und Marseille, Lyon und Bordeaux erhoben sich, wie die Vendée, die Bretagne und die Normandie, und der Wohlfahrtsausschuß sandte seine Heere und Generale, seine Henker mit der Guillotine nach allen Richtungen aus, die Aufrührer zu vernichten. Fréron und Barras ließen in Toulon die Guillotine ihre Blutarbeit verrichten, Tallien in Bordeaux, Robert Lindet in Caen, doch am schrecklichsten wüthete Carrier in dem unglücklichen Nantes.

Schon 1792 hatte sich die Vendée erhoben; dreihunderttausend Aufständige unter dem See-Officier Charette und dem Wildmeister Stofflet, mit dem Fuhrmann Cathelineau als Hauptcommandant, kämpften mit Glück gegen die Republikaner. Nach dem 31. Mai des Jahres 1793 mußten sie, durch mancherlei Unfälle gezwungen, der Uebermacht weichen. Achtzigtausend Vendéer, Männer, Weiber, Kinder, verließen ihre von den Schreckensmännern bedrohte Heimath und suchten einen Rettungsweg durch die Bretagne zu gewinnen. Doch von den „höllischen Colonnen“ des Generals Turreau verfolgt, wurden sie bei Le Mans, dann bei Savenay überfallen und entweder vernichtet oder zu Gefangenen gemacht. Nur wenigen Tausenden gelang es, wieder die Vendée zu erreichen. In Le Mans waren die Gefängnisse mit den Unglücklichen vollgepfropft, auch Tours hatte ihrer eine große Anzahl aufnehmen müssen, und gefesselt, in langen Zügen oder auf Karren, wurden sie von diesen Orten nach Nantes geschleppt, um zu Hunderten, ohne Verhör und Urtheil, füsilirt oder in den Fluthen der Loire ertränkt zu werden, da die Guillotine dem Blutmenschen Carrier viel zu langsam arbeitete.

So hatte denn auch die Hauptstadt der sonnigen Touraine, das alte Tours, die „Segnungen der Revolution“ in Form ihrer Schrecken kennen gelernt, wenn auch nicht in gleich furchtbarer Weise wie Nantes. Die Pariser Machthaber „beglückten“ die Stadt und deren zu Sansculotten und Jacobinern gewordenen Bewohner vorerst mit einem Revolutionstribunal, und als Vorsitzenden der fünf Richter, die, wie überall in der Provinz, ohne Geschworene verurtheilten, sandte es ihnen einen jungen, etwa dreißigjährigen ehemaligen Parlamentsadvocaten mit Namen Jean Niclas Bouilly. Derselbe war in Coudraye bei Tours geboren, in letzterer Stadt erzogen worden, kannte also den Ort, der von allen der Republik feindlichen Elementen gereinigt werden sollte, genau, hatte sich auch bereits als echter Republikaner bewährt, indem er früher gezeigte royalistische Gesinnungen in einer die revolutionären Machthaber befriedigenden Weise verleugnete. Bouilly war zugleich dramatischer Dichter und hatte als solcher mehrere Opern geschrieben, von denen eine von Gretry, dem beliebtesten Componisten jener Epoche, in Musik gesetzt worden war.

Mit seiner jungen Gattin, einer Tochter Gretry’s, war Bouilly in Tours eingezogen und hatte seine richterlichen Functionen, denen es an dramatischer Belebung nicht fehlen sollte, angetreten. Er bewohnte einen Theil des ehemaligen erzbischöflichen Palastes, in dem das Revolutionstribunal tagte, während die Gefängnisse sich in den noch erhaltenen Theilen der Abtei St. Martin befanden. Diese alte Abtei- und Domkirche mit ihren zwei massigen Thürmen, die noch von Karl dem Großen herrühren sollten und deshalb seinen Namen trugen, war schon in den Religionskriegen von den Calvinisten verwüstet worden, und die Sansculotten hatten das Zerstörungswerk wieder aufgenommen und, soweit es ihre Kräfte erlaubten, auch vollendet. Mit ihr fiel das in der Nähe liegende alte Hôtel des Grafen Semblancay, die herrliche Abtei des Marmoutiers und zahlreiche andere kirchliche Gebäude und Sitze der Adligen. Die Ueberreste der Abtei St. Martin bildeten mit ihren beiden gewaltigen und unzerstörbaren Thürmen der noch in ihren starken Umfassungsmauern erhaltenen Kirche einen großen mehr oder minder verwüsteten Gebäudecomplex, der, von hohen festen Mauern umgeben, sich zu einem sicheren Gefängnisse für die vielen Gefangenen, Männer, Weiber und Kinder, die bei Le Mans und Savenay in die Hände der Republikaner gefallen waren, wohl eignete.

Anfänglich verfuhr der neue Richter so milde, als ihm dies nur möglich werden konnte, denn er war im Grunde ein gemäßigter, kein blutdürstiger Republikaner. Doch bald folgte ihm zu seiner Unterstützung die Guillotine mit einer Abtheilung der sogenannten „Marat-Compagnie“, Sansculotten der entsetzlichsten Sorte. Zugleich wurde dem neuen Richter von Tours von dem Wohlfahrtsausschuß die sehr deutliche Weisung ertheilt, nicht so lau wie bisher zu verfahren, und damit er die beste Gelegenheit habe, seine republikanischen Gesinnungen zu bethätigen, übertrugen die Pariser Machthaber ihm das noch weit wichtigere Amt eines öffentlichen Anklägers. Nun mußte Bouilly voran auf dem blutigen Wege, wollte er nicht selbst sein Haupt der Guillotine [766] verfallen sehen. Von den Henkern der Marat-Compagnie, welche die Wächter der Stadt geworden waren und deren Thore besetzt hielten, brauchte ihn nur Einer dem entsetzlichen Carrier zu denunciren, und sein Kopf mußte fallen. So arbeitete denn von nun an auch in Tours die Guillotine mit ungeschwächter Kraft.

Die Gefängnisse in der ehemaligen Abtei St. Martin leerten sich rasch. Täglich fuhren Karren, mit geknebelten Gefangenen, Gesunden, Kranken und Verwundeten hochauf beladen, nach der Hauptschlachtbank Nantes ab, während nur die aus der Stadt und deren nächster Umgegend herstammenden Gefangenen in Tours selbst abgeurtheilt und gerichtet wurden. Doch brachte man auch wieder neue Unglückliche ein, welche die Marat-Compagnie, im Verein mit den einheimischen Sansculotten und Jacobinern, in der Umgegend als Flüchtlinge aufgegriffen, oder ohne irgend einen nennenswerthen Anlaß aus ihren Wohnungen gerissen hatte.

So zog denn eines Tages nach einem solchen Ausfluge die mit Piken bewaffnete Horde unter lärmendem Jubel in Tours ein, einen Gefangenen mit sich führend, den sie als einen seltenen und wichtigen Fang betrachten durfte. In den Grotten der Savonnière, wenige Stunden von Tours am südlichen Ufer des Cher gelegen, hatte man ihn, doch nur durch den Verrath eines Elenden, überfallen können, und welch ein Triumph war dies für die sansculottischen Bluthunde! Denn der Gefangene war kein Anderer, als der junge Graf René von Semblancay, einer der Anführer der aufrührerischen Vendéer, dessen altadeliger Familiensitz in Tours vor wenigen Monaten durch die fanatische Bande geplündert und durch Feuer zerstört worden war. Den Grafen selbst hatte man weder damals, noch später greifen können; es war ihm gelungen, sich mit seiner jungen Gemahlin Blanche, einer geborenen Gräfin von Plessis-Amblay, noch rechtzeitig aus der Stadt zu flüchten. Nach der Katastrophe, welche bei Le Mans über die Seinigen hereingebrochen, hatte er in den düsteren Höhlen der Savonnière, wohl von irgend einem alten treuen Diener mit dem Nöthigen versorgt, eine scheinbar sichere Zuflucht gefunden. Doch nun war er, trotz aller Vorsicht, seinem Schicksale nicht entgangen.

Der Zug der Sansculotten mit der seltenen Beute glich einem Freudenfeste. Von allen Seiten eilten die Männer herbei, die den Gefangenen nur zu rasch wieder erkannten und ihn mit fanatischem Jubel begrüßten, mit Verwünschungen und Beschimpfungen überhäuften, ihn, der, wie einst sein Vater, den Bewohnern von Tours nur Gutes gethan hatte. Mitleidig und bang schauten die Weiber auf den Unglücklichen, der hocherhobenen Hauptes dem traurigen Schicksale, das seiner erbarmungslos harrte, entgegenging; sie erinnerten sich dessen wohl, was die armen Seidenweber der Stadt dem Grafen zu verdanken gehabt hatten, wußten aber auch, welch schreckliches Schicksal die Undankbaren dem edlen Manne bereiten würden.

Als der Zug bei der Wohnung des öffentlichen Anklägers angelangt war, der Gefangene, endlich von der fanatischen Menge befreit, vor seinem Richter stand, da erbleichte Bouilly sichtlich und fühlte sich bis in sein Inneres erschüttert. War doch eine Besitzung des Grafen, der Flecken Coudraye mit seinem stattlichen, nun auch in Trümmern liegenden Schlosse die Stätte seiner Geburt! Hatte er doch als Knabe mit dem jungen Grafen René, der in seinem Alter stand, gespielt, später mit ihm die Wälder durchstreift und eine schwärmerische Jugendfreundschaft für das Leben mit ihm geschlossen! Dann hatten sie sich trennen müssen; Bouilly war nach Orleans auf die Universität, dann nach Paris gezogen – er hatte den Grafen René von Semblancay aus dem Gesicht verloren, ihn im Laufe der wildbewegten Zeit wohl gar vergessen, und nun stand Jener plötzlich vor ihm als sein Gefangener, den er, der Jugendfreund, anzuklagen, zu richten hatte, dessen Loos kein anderes sein konnte, als der Tod durch die Guillotine.

Graf René blickte dem Genossen seiner Knaben- und Jünglingsjahre mit einer ruhigen, ernsten Hoheit in’s Auge, keine Furcht empfand er, nur Mitleid mit dem Manne, den er einstens Freund genannt, und der nun in seinen Augen so tief, bis zu einem Werkzeuge des blutigen Schreckens herabgesunken war. Er schien der Richter, Bouilly der Angeklagte zu sein. Endlich wurde dieser sich doch seiner Stellung, hauptsächlich aber seiner augenblicklichen gefährlichen Lage bewußt, und sich an seine sansculottische Umgebung wendend, deren Blicke bereits Staunen und Mißtrauen kündeten, sprach er mit der starren Ruhe des Richters:

„Bürger Pujol, bringe den Gefangenen in die Abtei, wo er am sichersten aufgehoben sein wird. Gleich morgen soll sein Proceß beginnen und ihm das Urtheil gesprochen werden. Ihr aber, Citoyens und Sansculotten von Tours, habt Euch durch Euren Eifer um das Vaterland verdient gemacht.“

Ein alter Mann mit der Carmagnole, der weiten Aermeljacke der Revolutionsmänner, angethan, eine schmutzigrothe Freiheitsmütze auf dem fast kahlen Haupte und um den Leib einen Ledergurt mit einem gewaltigen Bund Schlüssel der verschiedensten Größen und Formen, bemächtigte sich des Gefangenen und führte ihn hinweg. Mehrere mit Piken bewaffnete Sansculotten, abstoßende Gestalten, die Wächter des Gefängnisses, folgten ihnen, während die Uebrigen, nunmehr durch das Thun des Richters befriedigt, durch seine Worte sich geschmeichelt fühlend, mit frechem Lärmen das Local verließen.

Nach einem kurzen Gange durch die Gassen betrat der alte Pujol mit dem Grafen und seinen Wächtern den weiten Hof der Abtei, in dem in wüstem Durcheinander Karren mit halbverfaultem Stroh standen, die zu dem Gefangenentransport nach Nantes gedient hatten. Auf die ehemalige Kirche schritt er zu, und durch eine kleine, doch schwere Pforte hieß er mit mürrischen Worten den Gefangenen eintreten, worauf sich der Einlaß mit einem knarrenden Geräusch, das in der Oede der weiten Kirche unheimlich widerhallte, hinter dem Grafen schloß. Es war ein entsetzlicher Anblick, der diesem beim Betreten seines nunmehrigen Gefängnisses wurde und seinen Fuß auf der Schwelle bannte. Von der Kirche standen nur noch die Umfassungsmauern, die massigen Säulen mit ihren schweren romanischen Capitälen, die jedoch nur noch einen Theil der Gewölbe trugen. Der größte Theil derselben war mitsammt dem Dach zerstört, und durch die gewaltige Lücke blickte der klare blaue Himmel der Touraine nieder auf die Gräuel, welche Frevlerhand an dem altehrwürdigen Gotteshause begangen. Das Innere der Kirche bot ein entsetzliches, ekelerregendes Bild der Verwüstung und Entheiligung, hatte es doch noch bis vor kurzer Zeit Hunderten von Gefangenen, Männern, Frauen und Kindern, Kranken und Verwundeten als Aufenthalt dienen müssen, bis sie nach Nantes abgeführt worden waren, um dort Erlösung von ihren Qualen durch den Tod zu finden. Auf Schutthaufen, halbverfaultem Stroh, auf den Steinplatten des Bodens, in den zertrümmerten Kirchenbänken und Chorstühlen hatten die Armen tagelang gehaust, nur von etwas Brod und faulendem Wasser lebend, das ihre grausamen Wächter ihnen höhnend vorgesetzt.

Heute war dieser so tief entweihte Kirchenraum leer, und trotz seines eklen, ruinenhaften Zustandes mußte man ihn als ein sicheres Gefängniß betrachten. Die noch vorhandenen Pforten, theilweise mit schweren Balken und riesigen Eisenklammern fest verwahrt, hatten starke Schlösser, und die immer noch mit ihren Eisengittern versehenen Fensterhöhlen befanden sich hoch über dem Boden, sie gingen noch dazu auf den fest umgrenzten Hof hinaus, der Tag und Nacht von fanatischen Patrioten streng bewacht wurde. Ein Entkommen, ohne Hülfe von außen, war unmöglich, dies mußte Graf René sich sagen, im Falle seine Gedanken solche Wege wandeln sollten. Doch über Anderes, als sein eigenes Schicksal, hatte er in diesem Augenblick nachzusinnen.

An seine junge Gemahlin Blanche, die er mehr als das eigene Leben liebte, wie eine Heilige anbetete, mußte er denken, von der er plötzlich weggerissen worden war, ohne ihr nur noch einen Abschiedsgruß gesagt zu haben, deren ungewisse, gefährliche Lage ihm weit mehr Weh und Bangen bereitete, als seine eigene. Kurz vor Beginn der Revolution hatte er sie heimgeführt, um bald als Flüchtling das Haus seiner Väter mit ihr zu verlassen, um sich dann von ihr zu trennen und mit Tausenden Gleichgesinnter in den Krieg für Thron und Altar, für Gott und seinen König zu ziehen. Gräfin Blanche, ebenso muthig wie schön, wollte ihrem Gemahl in diesen Kampf folgen, um Gefahren und Entbehrungen mit dem Geliebten zu theilen. Doch diesem Vorhaben widersetzte sich Graf René. Er brachte die Geliebte in der Nähe von Tours bei einem alten erprobten Diener unter, und als des Kampfes unglückliches Ende genaht, flüchtete er sich zu ihr und barg sich in ihrer Nähe. Nun war er doch gewaltsam von ihrer Seite gerissen worden; was nach seiner Gefangennahme aus ihr, der Heißgeliebten geworden, das wußte er nicht, und dies verursachte dem starken und edlen Manne größere Qualen, als er sie je um sich selber hätte erdulden können.

[767] In seiner palastartigen Wohnung war Bouilly, der öffentliche Ankläger der Schreckensherrschaft, von Gedanken eigener Art gepeinigt worden. Es drängte ihn, sich und sein Thun vor den Augen des ehemaligen royalistischen Freundes zu rechtfertigen und diesem – wenn es geschehen könne, ohne ihn, den Beamten der Republik, zu verdächtigen – zu dienen. Als nach Entfernung der letzten Sansculotten sich die Ruhe in seiner Umgebung wieder eingestellt hatte, raffte Bouilly sich zu dem Entschluß auf, den Gefangenen in seinem Gefängnisse aufzusuchen, um der Form nach ein erstes Verhör mit ihm anzustellen, im Grunde aber nur, um mit ihm in dem eben angedeuteten Sinne zu reden.

Im Hofe der ehemaligen Abtei fand der öffentliche Ankläger die Wächter und den alten Pujol, welche beim Weine den gemachten guten Fang feierten, scherzten und lachten und ihr „ça ira“ sangen. Pujol, früher ein armer Seidenweber, war beim Beginn der Revolution als Gefangenwärter in den Dienst der Republik getreten, deren Schreckensmänner ihm später das blutige Amt eines Nachrichters aufzwangen, welches von dem alten Manne fast willenlos ausgeführt wurde. Bouilly winkte ihn zu sich heran und befahl ihm den Kirchenraum aufzuschließen, dann hieß er den Alten sich während des Verhöres des Gefangenen entfernen und draußen seiner weiteren Befehle harren.

Nur wenige Schritte und er befand sich dem Grafen gegenüber. Wiederum blickten beide stumm einander an. Graf René zeigte keinerlei Ueberraschung, er fand das Erscheinen des Beamten der Republik in diesem Augenblick wohl natürlich und erwartete dessen Fragen. Bouilly mußte diese Gedanken errathen, denn seine ernste Miene nahm einen Ausdruck der Theilnahme an, und endlich sprach er nicht ohne Bewegung und dabei sichtlich bemüht, den Ton seiner Stimme zu dämpfen:

„Ich bin nicht gekommen als Ihr Richter, Herr Graf – nur die Erinnerung an vergangene Zeiten hat mich zu Ihnen geführt – um Sie zu fragen, was ich jetzt noch für Sie thun kann.“

Graf René hatte während dieser Worte wie sinnend vor sich nieder geblickt; ohne seine Stellung zu verändern oder das Auge zu erheben, entgegnete er nach einer Pause langsam und mit einem Achselzucken: „Sie werden für mich thun, was Sie in Ihrer Stellung thun müssen: mich auf die Guillotine senden.“

„Ich kann Ihren Proceß in die Länge ziehen, die Untersuchung verwickeln, verzögern und so Ihre Verurtheilung hinausschieben,“ tönte es zögernd und zagend von den Lippen des Richters, als ob er Furcht hätte, durch solche gefährliche Worte in der Trümmerstätte ein verrätherisches Echo zu wecken.

„Wozu?“ entgegnete der Graf. „Muß ich sterben, so ist es besser, es geschieht rasch, als nach einem langen Zögern, das meine Pein nur vermehren könnte.“

„Haben Sie denn keine Sorge um Ihre Familie – keinen Auftrag an dieselbe?“ fragte Bouilly nach einer Pause weiter.

Jetzt fuhr der Graf empor. Einen Augenblick lang schaute er dem Andern erregt und forschend in das Antlitz, dann ließ er das Haupt langsam wieder sinken und entgegnete fast tonlos, doch bestimmt: „Wohl hätte ich einen solchen, doch von Ihnen will ich ihn nicht ausgeführt wissen.“

„Reden Sie, Graf René!“ rief Bouilly hastig und sich vergessend, „ich werde Ihren Wünschen gewissenhaft nachkommen, ich schwöre es Ihnen –“

„Lästern Sie nicht,“ unterbrach der Andere ihn unwillig. „Für den Diener der blutbefleckten Revolution giebt es keinen Gott, keinen Eid mehr.“

Diese Worte riefen eine Wandlung in Bouilly hervor, sein Selbstgefühl empörte sich dagegen. Jäh hob er den Kopf, und während sein Auge nunmehr den Grafen anblitzte, sprach er mit einer Stimme, deren Klang er nicht zu mäßigen vermochte, die immer stärker die weiten öden Kirchenhallen durchtönte:

„Die Ziele der Revolution, der ich diene, sind gewaltige, weltbeglückende, und Männer, groß und edel in ihrem Denken und Empfinden, begeisterten sich für sie, Männer, die durch Geburt und Rang, Wissen und Talente zu den besten Bürgern Frankreichs gezählt werden dürfen, in deren Reihen zu stehen und zu kämpfen keine Schande ist. Sind heute die Mittel, jene Ziele zu erreichen, auch nicht immer zu vertheidigen, zum Theil sogar verwerflich, so wird sich ganz gewiß und schon bald eine Wandlung vollziehen und die Wahrheit glänzend aus diesem Chaos von Trümmern und Blut hervorgehen. Schlagen Sie an Ihre eigene Brust, Herr Graf, und fragen Sie sich, ob Ihre Partei sich frei von Blutschuld bekennen darf, ob sie mit uns nicht gerade so verfahren würde, wie wir mit ihr, wäre sie die Herrin Frankreichs und nicht die einige untheilbare Republik?“

„Robespierre und die Guillotine wollen Sie wohl sagen,“ warf der Graf nach dieser pathetischen Rede mit geringschätzendem Lächeln ein. Da ertönte plötzlich am Eingang die Stimme Pujol’s, der fast überlaut rief:

„Bürger Ankläger, die Sansculotten und Jacobiner draußen im Hofe vernehmen Deine gewaltige Stimme, sie kommen näher, um die Rede zu hören, in der Du die Feinde der Republik niederdonnerst.“

Bouilly schrak erbleichend zusammen. Er hatte sich wirklich vergessen und wurde sich plötzlich der vollen Gefährlichkeit seiner Lage bewußt. Sich, so gut es gehen wollte, beherrschend, sprach er zu dem alten Manne:

„Ich werde das Verhör morgen fortsetzen, bringe den Gefangenen einstweilen in eine der Capellen oder in die Sacristei.“

Hierauf verließ er, ohne den Grafen nur noch einmal anzuschauen, den Kirchenraum.

Der alte Pujol folgte dem Davongehenden mit seinen Blicken; als das Pförtchen sich hinter ihm geschlossen hatte, kehrte er sich dem Grafen zu und redete diesen in seiner mürrischen Weise an:

„Die Sacristei ist sicherer, als die wenigen noch tauglichen Capellen, wenn auch nicht viel besser als diese. Doch lange werdet Ihr wohl nicht drinnen bleiben, denn das Tribunal macht rasche Arbeit, dann müßt Ihr auf meinen Karren. Einstweilen – kommt!“

„Du bist also der Henker,“ sprach Graf René, hinter dem alten Manne dreinschreitend, der ihn über die Trümmer, zwischen den Schutthaufen hindurch nach dem Hintergrund der Kirche und dem Seitenschiff führte, wo die Sacristei lag. „Doch nicht immer triebst Du ein solches Gewerbe, denn auch Dich erkenne ich wieder.“

„Was wißt Ihr von mir,“ brummte Pujol noch finsterer als bisher, „und wie es gekommen ist, daß ich geworden, was ich bin? Hab mein Amt nicht gesucht, es ward mir bestimmt und ein Sträuben hätte nichts genützt. Ich lasse das Messer nur fallen. Andere führen meine Hand und tragen die Verantwortung dafür, nicht ich! Und dann – wer weiß, wozu es noch gut ist!“

„Armer alter Mann!“ sprach unwillkürlich der Graf mit einem Seufzer des Mitleids vor sich hin.

„Wer weiß, wozu es gut ist! sage ich Euch nochmals,“ fuhr der Andere rauh auf. „Und gut war es, daß ich der Henker bin und keiner der Anderen es war. Ich habe keinem Verurtheilten das Ende erschwert, vielen von ihnen einen letzten Dienst erwiesen. Deshalb stelle ich Euch dieselbe Frage, wie vorhin er, der Euch richten wird, es gethan hat. Habt Ihr einen Auftrag an irgend Jemand, so redet, ich richte ihn aus, ich verspreche es Euch – ohne Eid, an den Ihr doch nicht glauben würdet, wenn ich ihn schwüre.“

„Ich glaube an Dein Wort, trotzdem Du der Henker bist,“ sprach Graf René, plötzlich stehen bleibend und den Alten mit tief ernstem Blick anschauend. „Ich habe Dich gekannt, als Du noch ein ehrlicher Seidenweber warst und für die Meinigen arbeitetest. An den Pujol von damals will ich denken und Dir auch heute noch vertrauen. Höre!“

„Schweigt jetzt!“ rief der Andere ihm mit leisem keuchenden Ton und wie in wildzorniger Erregung zu. „Schweigt und folgt mir an einen Ort, wo nur ich Euch hören kann.“

Mit Mühe hatten sie das Chor erreicht, nun bog Pujol nach der linken Seite ab, und beide betraten bald den Raum der ehemaligen Sacristei. Hier sah es etwas besser oder doch nicht ganz so abscheulich aus wie in den öden Kirchenhallen. Der Raum enthielt unter Anderem mehrere breite Schrankbänke, welche zum Aufbewahren der gewöhnlichen Priestergewänder gedient hatten und sich in noch gutem Zustand befanden, somit als eine annehmbare Ruhestatt für die Nacht gelten konnten. Kleine Fenster, mit Eisengittern wohl verwahrt, doch in gewöhnlicher Höhe angebracht, gestatteten durch das Chaos der in dieser fernsten Ecke des Hofes zusammengepferchten Karren hindurch einen Blick auf das große Straßenthor, in dessen Nähe die Sansculotten Wache hielten. In diesem Raume angelangt, sagte der alte Mann, ohne dabei sein mürrisches Wesen abzulegen, nur: „Nun redet!“

(Fortsetzung folgt.)

[768]
Die österreichisch-deutschen Alpen.
in Wort und Bild.

Das Hohe ist der Menschheit Zier,
Und zu den Höhen geht ihr Streben. –
Nur auf den Höhen wuchert ihr
Die frische Kraft zu neuem Leben.
Es ist ganz gleich, zu welcher Höhe
Du dringst: ob Dich willkommen heißt
Von einem Berg die Himmelsnähe,
Ob die von einem Menschengeist.
Doch grüßen beide Dich zugleich,
So ist kein Mensch wie Du so reich.

Ja, das Hohe ist der Menschheit Zier! Das spricht sich sogar in den einfachen Gestalten aus, an denen unsere Blicke im beistehenden Bilde vorübergehen. Das Mädchen, das sich ihres Straußes von Alpenblumen freut, die in der reinsten Gottesluft gediehen und gepflückt sind, der Mann, dessen Jauchzen das Thal begrüßt, treten uns in ihnen nicht Kraftmenschen entgegen, bei deren Anblick auf ihrer schwindelnden Höhe wir uns selbst mit emporgehoben fühlen? Es ist nur ein Blick in unsere Hochgebirgswelt, den uns die einfache Vignette gewährt, und doch ist unsere Stimmung aus der Gewohnheit alltäglicher Flachlandsumgebung durch ihn herausgerissen, der eine Blick erweckt in uns die Sehnsucht nach den Herrlichkeiten der Alpenwelt, die unser Vaterland uns in so großer Fülle und unerschöpflicher Auswahl bietet.

Wer in den Alpen das erste Thal, den ersten Berg erreicht hat, wird der nicht weiter wandern?

Und wem in einem Alpenbuch das erste Blatt Aug und Herz festgehalten, wird der nicht weiter blättern?

Vor mir liegen drei Prachtbände. Der eine enthält: „Wanderungen im Bayerischen Gebirg und Salzkammergut, geschildert von Herman von Schmid und Karl Stieler, und illustrirt von G. Cloß, W. Diez, A. Gabl, R. Püttner, A. von Ramberg, K. Raupp, L. Ritter, J. G. Steffan, F. Voltz, J. Watter und J. Wopfner mit 36 Voll- und 153 Textbildern.

Der andere Prachtband enthält: „Wanderungen durch Tirol und Vorarlberg, geschildert von Ludwig von Hörmann, Herman von Schmid, Ludwig Steub, Karl von Seyffertitz, Ignaz Zingerle, und illustrirt von F. Defregger, A. Gabl, A. Obermüllner, F. von Pausinger, R. Püttner, Math. Schmid, G. Seelos, J. Wopfner u. A.“ Das Verzeichniß der Illustrationen umfängt 48 Voll- und 162 Textbilder.

Der dritte Band endlich enthält: „Wanderungen durch Steiermark und Kärnten, geschildert von P. K. Rosegger, A. von Rauschenfels und Fritz Pichler, illustrirt von R. Püttner, F. von Pausinger, Math. Schmid, Joseph und Ludwig Willroider, J. Wopfner u. A.“ mit 44 Voll- und 168 Textbildern.

Schon die Aufstellung dieser Namen und Zahlen wird unseren Lesern andeuten, daß das Werk, welches wir vor uns haben, zu gut ist für die nur zum Zeitvertreib in einem Bilderbuche blätternde Neugierde. Jetzt, nachdem wir die Männer kennen, die uns zu Führern dienen auf den weiten Bergfahrten, die wir jeden Augenblick im Geiste unternehmen können, werden wir auch den rechten Maßstab für die Würdigung dieser Doppelgabe deutscher Autoren- und Künstlerleistung wählen.

Gehen wir zuerst nach Tirol! – Am Eingange der „Wanderungen“ grüßt dasselbe Vignettenbild wie hier unsere Leser, dahinter führt Herman von Schmid uns in das Unter-Innthal und Richard Püttner eröffnet auf steilem Bergstieg uns die Aussicht nach Kufstein. Wir blättern weiter und finden auf den nächsten Seiten kleine Ansichten vom Hechtsee, Vorderthiersee und Hintersteinersee dem Texte eingestreut, und als Schluß des ersten Capitels („Kufstein“) thront im Bilde das Felsenschloß Mariastein hoch über seinem Dorf und Thal. Und nun lesen wir. Es währt nicht lange, so geht uns ein Licht über das eigenthümliche Wesen dieser Art illustrirter Darstellung und über den Geist des Werkes auf: denn während wir lesen, sehen wir zugleich im Bilde das Geschilderte, und während wir uns über Beides freuen und dem Autor lebhaft zustimmen, wenn er uns hinweist auf „ein Stück verborgenen Paradieses, wo man den Gedanken an’s Hüttenbauen nicht leicht von der Hand und vom Herzen weisen kann“, führt er uns in die Vergangenheit des Lebens zurück, das

[769]

Mühlsturzhörner. Von Gustav Cloß.
Aus dem Werke: „Wanderungen im bayerischen Gebirge und Salzkammergut“.

[770] da einst geherrscht und gehaust, und läßt geliebte und gefürchtete Gestalten der Geschichte durch die Thäler und Burgen vor uns wandeln. Aber zum Schluß kommt er doch mit uns zur Gegenwart zurück und zum schönsten Anblick des Gebirgs am klaren Sommerabend und schildert uns das Alpenglühen von der goldenen und purpurnen Farbenpracht bis zum Verduften in Blau und Grau und weißen Nebel.

Und in ähnlicher Weise fesselt uns Abschnitt um Abschnitt, Bild um Bild durch das ganze Buch.

Wir blättern weiter und kommen zum ersten Vollbild: das Kaisergebirg, im Holzschnitt von A. Cloß nach einer Zeichnung Richard Püttner’s. Es ist ein Stück Bergwelt, wie es deren viele in den Alpen giebt: Waldthal, Gebirgsbach, wildes Gehölze und zum Himmel aufragende Felsencoulissen mit verschwimmendem Hintergrunde, aber wie fesselt uns der Anblick! Unwillkürlich drängt sich uns die Frage auf: wie ist’s möglich, ein Bild von solcher Wirkung mit den einfachen Hülfsmitteln des Stifts und Stichels auf dem Buxbaumstocke zu vollenden? Wir denken an den Anfang dieser Kunst zurück, an die ersten unbeholfenen Leistungen der „Formschneidekunst“ im 15. Jahrhundert, wo es ein großer Fortschritt war, den Umrissen der dargestellten Gegenstände die ersten Schattenstriche hinzuzufügen und endlich sogar sich bis zu Kreuzlagen zur Vertiefung der Schatten hinanzuwagen. Und nun diese technische Meisterschaft, in die sich der Holzzeichner, Holzschneider und Drucker theilen und welche bewirkt, daß wir nach recht innigem und sinnigem Anschauen nicht selten bei einem solchen Bilde die Farben der Natur herausfühlen – oder hinein. Es treibt uns, auch in anderen landschaftlichen Darstellungen, von der düstersten, wildesten Natur bis zu der sonnenklaren Welschtirols, diese Wahrnehmung zu suchen, und da wir nicht nur bei den Voll-, sondern auch bei vielen Textbildern dieser Wirkung überall begegnen, wo der Gegenstand uns besonders anregt, so dürfen wir uns wohl zu der Ueberzeugung bekennen, daß in diesem Werke die Illustrationskunst eine noch vor wenigen Jahrzehnten nicht geahnte Stufe der Leistungsfähigkeit erreicht habe.

Daß wir mit dem Land auch die Leute, die es bewohnen, in diesem Buche kennen lernen sollen, dafür sorgt ein treffliches Künstler-Kleeblatt: Franz Defregger, Alois Gabl und Mathias Schmid, die alle drei sich S. 195 uns im Bildniß vorstellen. Meisterwerke der Genre- und Historienmalerei, welche die größten Ausstellungen schmückten, sind gerade gut genug, um diesem Werke den sitten- und volksgeschichtlichen Bilderschmuck zu verleihen. Da sehen wir Defregger’s „Ringer“ und „Zitherspieler“, den „Aufbruch der Jäger“ und „Jägers Heimkehr“ und vor Allem das liebliche „Tischgebet“ voll heiterster Kindergesichter, weil der kleinste Bub’ trotz aller Mühe der Großmutter die Händchen zum Beten nicht zusammenfalten will.

Mathias Schmid läßt uns den schauerlichen Gang der „Schmuggler“ sehen und den anmuthigsten „Heimgarten“ belauschen, er zeigt uns die Frauengestalten vom Bregenzerwald und von Montafun, aber auch des „Enzianwurzelgräbers“ beschwerliches, der „Karrenzieher“ hartes Loos, und neben seinen wohlgemuthen „Montafuner Krautschneider“ stellt Alois Gabl den „Imster Vogelhändler“ mit seiner hochaufgethürmten zwitschernden Traglast. Er läßt uns in des Tirolervolks Geschichte blicken, in das Sturmjahr von Anno Neun mit seinem „Haspinger“, wie er den Aufstand predigt, und in die Gegenwart mit einem Genrebild, das die traurigste Geschichte verräth und geißelt: „Der unterbrochene Tanz“ ist die Ueberschrift, der Inhalt aber die Anklage gegen die geistliche Uebergewalt über das arme Volk, das seine Freudenlust oft vor den Gestrengen verstecken muß. Dieses Bild predigt auch, aber nur die bittere Wahrheit, daß eine solche Volkszucht die Heuchelei groß ziehen muß. Das Licht der Bildung veredelt auch die Volksfreuden. Aber wo die Finsterniß gepflegt wird, muß freilich Schiller’s doppelsinniger Ausspruch noch lange gelten: „Die Nacht weicht langsam aus den Thälern.“

Auf der Alm verlangen schließlich auch diejenigen Geschöpfe Beachtung, welchen die Alm Lebensbedingung ist, und dafür hat Franz von Pausinger gesorgt in Almenscenen, Viehmärkten und dem Bilde vom „Schafesalzen“, das uns den Kampf der Schafheerde um das ihnen zum Lecken ausgestreute Salz lebendig zur Anschauung bringt. Und da die fünf Autoren mit ganzem Herzen an ihre Arbeit gegangen und mit der Eigenart ihrer Darstellungsweise ihrem Gegenstand möglichst gerecht zu werden gestrebt, so bleibt uns nichts übrig, als anzuerkennen, daß die leitenden Geister dieses Werks ihre Aufgabe nach jeder Richtung gelöst haben, und scheiden von dem einen Buche, um freudig das andere aufzuschlagen.

Die „Wanderungen im bayerischen Gebirge und Salzkammergut“ sind „dem deutschgesinnten Fürsten, dem hohen Schützer der Kunst, dem begeisterten Verehrer der Bergwelt, König Ludwig von Bayern“, von den Herausgebern gewidmet. Auch hier rufen am Eingang „die Berge“ uns zu:

„Ob dir Leid ob Wonne fluthe durch das heiße Menschenherz,
Blick auf uns, und mit den Augen steigt die Seele himmelwärts!“

und ebenso begegnen wir in diesem Buche auf jeder Seite derselben eifrigen, sinnigen, kunst- und kenntnißreichen Behandlungsweise des unerschöpflichen Gegenstandes, wie wir sie bereits anerkannt haben. Allerdings tritt ein Unterschied zwischen den beiden Hochgebirgstheilen uns entgegen, aber der liegt in der verschiedenen Natur von Land und Leuten. Das bayerische Gebirg besitzt größere Mannigfaltigkeit, es steigt aus der Ebene erst empor, und darum kann H. von Schmid uns ein Capitel „Vor den Bergen“ erzählen, in welchem schon die Ansichten und Bilder vom Ammersee, von Oberammergau, vom Starnbergersee und seinen Herrlichkeiten (Schloßberg, Possenhofen, Ammerland, Bernried etc.), von Benedictbeuren, vom Kochelsee, vom Isarthal und Tölz, Mangfall und Innthal uns auch durch anmuthige Schönheit fesseln, während die Berge selbst, vom Wetterstein und Zugspitz bis zum Watzmann und Untersberg, an wilder Großartigkeit nicht Mangel haben.

Denselben Unterschied zeigt die Bevölkerung. Im bayerischen Hochgebirgsgebiet, das auch schwäbisches Volk umfaßt, ist das junge Leben heller und freudiger, ja poesie- und gesangreicher, als in Tirol. Denn trotz der dunklen Geschichten, die unser Buch von Wildschützen und Räubern, Schmugglern und Haberfeldtreibern in Wort und Bild enthält, haben Diez, Raupp, Watter und Gabl Stoffs genug zu Bildern aus dem Arbeits-, Glaubens-, Sitten- und Vergnügungsleben des Volks gefunden, die eine besondere Zierde des Werkes sind. Auch die Thierbilder von Friedrich Voltz sind ein unentbehrlicher Schmuck desselben. Selbstverständlich fiel auch hier der Löwenantheil der Leistungen den Landschaftern, wie Gustav Cloß, Ritter, Steffan, Wopfner, Püttner etc. zu, wiederum gerechter Weise Holzschneider und Drucker nicht zu vergessen!

Wir müßten den uns hier zugewiesenen Raum überschreiten, wollten wir auch auf den dritten der Bände „Wanderungen durch Steiermark und Kärnten“, welcher das Gesammtgebiet der „Deutschen Alpen“ erst vollständig macht, näher eingehen. Nur soviel sei gesagt, daß dieser Band, in welchem Fritz Pichler, A. von Rauschenfels und der unseren Lesern wohlbekannte P. K. Rosegger die Führung übernommen, in seiner künstlerischen Ausschmückung sich in jeder Beziehung würdig an die beiden anderen anschließt – und zwar auch in Beziehung auf besondere Eigenthümlichkeiten und Vorzüge, welche sowohl Land als Leute bieten und durch deren Hervorhebung die volle Ebenbürtigkeit dieser dritten Wanderung mit den beiden ersten ja erst dargethan wird. Welchen Reichthum für Bild und Wort entwickelt vor unserem Blicke „die grüne Steiermark“ von den Höhen des Semmerings bis hinab zum Thal der Mur! Da giebt es ein steierisches Paradies und eine untersteierische Schweiz, da ruft eine Ueberschrift „Das herrliche Aussee“ aus und „Hoch vom Dachstein!“ eine andere. Und wer die Bilderreihe durchblättert von der Weinzettelwand der Semmeringbahn in Steiermark bis zur Wolfsburg und zu der Straße in St. Leonhard im Kärntnerländel, der kommt in wahrhaftige Verlegenheit, wenn er sich gestehen soll, wo er am liebsten und längsten weilen möchte. So ergeht es schon Dem, der nur in dem Buche liest, und wie gar Dem, der selbst in diesen Landen wandert!

Von den zahlreichen Kunstblättern, welche diese drei Bände enthalten, führen wir dem Leser zwei Meisterstücke vor Augen: „Die Mühlsturzhörner“, von G. Cloß, und „Hallstadt“, von Richard Püttner. Die „Mühlsturzhörner“ gehören zu den oberbayerischen Bergriesen. Wenn man sich das Berchtesgadener Land wie eine Festung mit mächtiger Bergumwallung vorstellt, so bilden unsere „Mühlsturzhörner“ in Verbindung mit dem Stadelhorn und dem Lattengebirg die westliche Umwallung. Oestlich steht der Watzmann als Hochburg des Landes. Ewig genährt brausen die Bäche aus den Schluchten hervor und in die Thäler hinab, während die Felskolosse in unnahbarer Einsamkeit thronen. Die Illustration ist in der technischen Ausführung und in der perspektivischen Wirkung in hohem Grade gelungen.

Dasselbe gilt von Püttner’s „Hallstadt“, das uns K. Stieler schildert als den Ort, dem der Hallstädter See sein eigenthümliches Gepräge giebt. „Es ist ein Ort,“ sagt er, „am Fuß des Salzbergs gelegen, an den die Häuser nestartig sich anschmiegen, während die Fluth fast ihren Fuß bespült. Nicht neben einander, sondern über einander scheinen sie erbaut, es giebt keine Straßen, sondern nur steile Gangsteige hier, kein Wagen rollt mit lautem Hufgedröhn, sondern nur das Schiff landet aus den rauschenden Wellen.“ In Hallstadt leben Katholiken und Protestanten so friedlich zusammen, wie die Thürme ihrer beiden Kirchen zu einem Himmel anfragen. „Die Kirchfahrt auf dem Hallstädter See an einem luftig blauen Sonntagsmorgen, wenn Hunderte von kleinen Kähnen über die Fluth hingleiten und das Glockengeläute zwischen den Felsenwänden verhallt – das ist ein ebenso tief poetisches wie charakteristisches Merkmal dieser Gegend.“ Aber auch das Unglück hat hier eine Heimstätte, denn „nicht selten begegnet man mißgebildeten Menschen, bei deren Anblick uns unwillkürlich die alten Räthsel bedrängen, warum die Natur hier so reich verschwendet und dort so arm macht, warum sie Schönheit und Elend oft so nahe an einander rückt. Darauf giebt auch der goldene Glockenton, der bezaubernd über den See hinfluthet, keine harmonische Antwort – wir mögen Berg und Thal ergründen auf unseren Wanderungen, aber den Geheimnissen des Schicksals führt kein Wandern näher.“

Wenn wir zum Schlusse noch einmal den Eindruck prüfen, welchen diese „Wanderungen“ im Ganzen auf uns ausgeübt, so bleibt uns noch eine bis jetzt verschwiegene Anerkennung auszusprechen übrig. Bekanntlich ist der Gedanke solcher Heimathverherrlichung nicht neu, der alte Matthäus Merian (1593 in Basel geboren) hat ihn zuerst ausgeführt, er hat mancherlei Nachahmer gefunden, welche Lithographie und Stahlstich zu ihren „malerischen“ und „romantischen“ Werken benutzten, aber erst der Holzschnitt in seiner heutigen Vollendung machte die wahre Textillustration und damit ein nationales Werk wie das vorliegende möglich, über welches sogar eine französische Stimme der Gegenwart das Urtheil spricht: auch wer nicht Deutsch verstehe, müsse in jedem dieser Prachtbände ein Album der Kunst bewundern.

Endlich ist dieses Werk nicht blos für die Glücklichen bestimmt, welche alljährlich ihre Reiselust in den Hochgebirgen befriedigen und des Geschauten und Erlebten nun in der Erinnerung sich erfreuen können, auch der Mann, dem so Großes nicht vergönnt ist, der aber gern ein gutes Buch sein eigen nennt, kann bei der billigen Lieferungsweise desselben seines Besitzes froh werden und im Kreise seiner Lieben all die herrlichen Reisen Band um Band am Familientisch in den langen Winterabenden durchschwärmen. Fr. Hofmann.     


[771]

Die Theilung der Erde.

Zeitgemäße Betrachtungen und Erinnerungen.

Wie in dem großen Zeitalter der Entdeckungen, so rüsten sich in unseren Tagen die Völker Europas zu großen Eroberungszügen, um gewaltige Länderstrecken der Cultur zu erschließen und der kaukasischen Rasse endgültig zu unterwerfen. Die drei mächtigsten Culturnationen der Gegenwart sind heute in der That in Colonialunternehmungen verwickelt. England sucht mit aller Kraft seinen alten unermeßlichen Besitz jenseit der Oceane zu festigen, und seine Kriegsschiffe beeilen sich, an den verschiedensten, noch „freien“ Punkten der Welt die Flagge Albions aufzuhissen und das Protectorat der Königin von England und Kaiserin von Indien zu verkünden. Auch das in Colonialunternehmungen sonst so unglückliche Frankreich führt in Asien einen kostspieligen Krieg mit den Trägern des Drachenbanners und opfert Millionen, um am Senegal, Niger, Ogowe und Congo seinen Einfluß zu stärken. Selbst Deutschland, welches bis dahin bei der „Theilung der Erde“ die Rolle des träumenden „Poeten“ in der bekannten Schiller’schen Dichtung gespielt hatte, will diesmal nicht leer ausgehen und verlangt seinen berechtigten Antheil an dem „dunklen Welttheil“, dem neuesten Zankapfel der seefahrenden Völker.

Und wie einst zwischen den Portugiesen und Spaniern, so entbrennt heute zwischen den Regierungen Europas der Streit um jene „herrenlosen Länder“, und aus dem Actenstaub werden vergilbte Pergamente hervorgeholt, mit welchen der Eine dem Anderen seinen neuen Besitz streitig machen möchte. Man prüft diese Urkunden und zuckt mitleidig die Achseln über jene verjährten Rechte. Nach ihnen wäre freilich die Welt längst vergeben, während thatsächlich noch weite Länderstrecken brach liegen, unberührt von dem Pfluge der Cultur. Dieser Unklarheit sollte rasch ein Ende bereitet werden, und in diesem Sinne lud Deutschland die betheiligten Mächte zu einer Conferenz ein, um über das Recht der Besitzergreifung überseeischer Länder eine Verständigung zu erzielen und die gegenseitigen Besitzverhältnisse Afrikas in einer Weise zu regeln, die den Interessen des gesammten europäischen Handels Rechnung tragen würde. Daß Deutschland damit die Lösung einer der wichtigsten Fragen des Völkerrechts angebahnt hat, unterliegt keinem Zweifel, und wir brauchen nur an einige, vielleicht vergessene Vorkommnisse und Zustände früherer Zeit zu erinnern, um die Tragweite der gegenwärtigen Bestrebungen richtig beurtheilen zu können.

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Als bald nach der Entdeckung Amerikas die beiden kühnsten und glücklichsten Entdeckervölker, die Spanier und Portugiesen, in eifersüchtigem Streite an einander geriethen, zog Papst Alexander VI. 1493 die berüchtigte Demarcationslinie von Norden nach Süden, welche 100 Stunden westlich von den Azoren alle westlichen Entdeckungen den Spaniern, alle östlichen den Portugiesen zusprach. Die blinden Heiden dieser Gegenden, an deren Dasein zu glauben noch vor Kurzem als Ketzerei durch päpstlichen Bann verpönt war, sollten nunmehr vereint werden unter die Obhut der Kirche. – Portugal segelte nach Osten, Spanien nach Westen. Aber trotz der entgegengesetzten Richtung begegneten sich beide, und es lag in diesem Ereignisse eine große, lehrreiche Ironie der Geschichte über die Anmaßung, die Welt zu vertheilen. Die päpstliche Linie ist zwar bald der Nichtbeachtung verfallen, aber die päpstliche Machtvollkommenheit, die Völker und Länder zu verschenken, blieb einige Zeit anerkannt, während die Völker der neuen Welt als durchaus rechtlos galten.

Die Herrschaft der Christen über die nichtchristlichen, namentlich außereuropäischen Länder, über Völker, welche man als „Wilde“ bezeichnete, obwohl sie wie die Eingeborenen von Mexico und Peru gebildeter und gesitteter waren, als die spanischen Eroberer, wurde als grundsätzlich feststehend betrachtet, und der Papst benahm sich dauernd als die oberste Macht, der es zustehe, die Erde nach Belieben zu vertheilen.

Eine lehrreiche Urkunde solcher Rechtsanschauung hat der spanische Geschichtschreiber Herrera in der Proclamation aufbewahrt, mit welcher Hojeda 1510 in Südamerika Länder in Besitz nahm, und die, da sie nicht ohne Beihülfe von spanischen Theologen und Hofpredigern abgefaßt war, den Indianern auch einige kräftige Heilslehren beibringen sollte. Diese Proclamation lautet in gedrängtem Auszuge:

„Ich, Alonso de Hojeda, Feldherr des Allermächtigsten Königs von Castilien und Leon, thue Euch hiermit kund und zu wissen: Gott, unser Herr, schuf Himmel und Erde, einen Mann und ein Weib, von denen wir, und auch Ihr und alle Menschen abstammen. Ueber alle diese Menschen und die ganze Welt hat Gott die Oberherrschaft dem Sanct Peter oder Papst gegeben. Einer dieser Päpste schenkte als Herr der Welt alle Festländer und Inseln dem Könige von Castilien und Leon, was Ihr, wenn Ihr wollt, in Schriften nachsehen könnt. (! –) Da nun unser Großmächtigster König Herr von allen Ländern ist, so haben sie ihm gehuldigt und gehorchen den frommen Männern, welche sie in unserem heiligen Glauben unterrichten. Und auch Ihr seid verpflichtet, das Alles zu thun. Daher befehle ich Euch, die christliche Kirche als Eure Herrin, und den Papst und den König als Herren aller Inseln und Festländer zu verehren, – und den frommen Vätern zu gehorchen, die Euch dies Alles noch erklären und darüber predigen werden.

Wenn Ihr aber das nicht thut, so werde ich Euch mit Gottes Hülfe bekriegen, Euch mit Gewalt unter das Joch bringen, Euch, Eure Weiber und Kinder als Sclaven verkaufen, Euch überhaupt alles Uebel anthun.“

Diese freundliche Proclamation hat überall als Muster gedient, und waren keine Eingeborenen da, so genügte es, dieselbe nur abzulesen, wenn auch kein anderes Publicum zugegen war, als Affen und Papageien.

Mit solcher Begründung hatten die orthodoxesten Völker, Spanier und Portugiesen, die grausamsten Vernichtungskriege gegen die Eingeborenen der neuen Welt geführt. Erst mit dem 16. Jahrhundert begann der Sieg der weltlichen Macht über das internationale Richteramt des Papstes, das bald alle Wirkung und Bedeutung verlor. England, Holland, selbst das „allerchristlichste“ Frankreich mißachteten die Demarcationslinie und sandten ihre Schiffe aus, auf den vom Papst vergebenen Gebieten Entdeckungen und Eroberungen zu machen. Die päpstliche Schenkung galt höchstens als Bestätigung des Prioritätsrechts der Entdeckung; – größer aber als dieses Recht war das der Occupation, der Besitznahme durch Eroberung oder Vertrag, und noch höher als dieses galt endlich das Recht durch erste Cultivirung, gleichsam die ausschließliche „Specificirung“ zum Eigenthum.

Dieses letzterwähnte Recht hatte England schon 1790 gegen Spanien in einem Streite über den Nutkasund geltend gemacht. Spanien hatte nämlich den Besitz desselben aus der Zeit Jacob’s I. von England für sich in Anspruch genommen, ohne irgend welche Besitzhandlung nachweisen zu können, – dagegen machte indeß England geltend, daß der bloße Besitz nicht genüge und daß man nur durch „Specification“, das heißt durch Niederlassung und Cultivirung, Eigenthumsrechte erwerben könne.

Diesem Streitfalle entspricht der gegenwärtige Streit zwischen der Regierung der Capcolonie und dem Bremer Handelsherrn Lüderitz über die Bucht von Angra Pequena und das Namaqualand. Die Capregierung will diese Gebiete bereits früher annectirt haben, aber sie hatte in keinem Fall dafür gesorgt, daß die hier angesiedelten Europäer auch Schutz gegen Belästigungen durch die Eingeborenen fanden. Die capländischen Beamten sind bei den ersten Anzeichen von Unruhen eiligst davongelaufen, und die Regierung selbst hat neuerdings erklärt, daß sie „zur Zeit“ nicht im Stande sei, in dem ganzen Gebiete Hoheitsrechte auszuüben. Dieser Zustand muß natürlich zur Feststellung von Bestimmungen führen, welche Vorbedingungen seitens eines Staates zu erfüllen sind, um die Erwerbungen einer Colonie rechtskräftig zu machen.

Bis jetzt hat sich eine bestimmte Praxis noch nicht herausgebildet, und man kann nur soviel als allgemein gültigen Grundsatz annehmen, daß der bloße Beschluß irgend einer Regierung, ein fremdes Gebiet zu annectiren, nicht ohne Weiteres eine solche Annexion für das europäische Staats- und Völkerrecht zu einer rechtsgültig vollzogenen Thatsache macht. Andererseits ist aber auch noch nicht entschieden, welches Maß von Freiheit der Verfügung [772] über sich und ihr Land den Eingeborenen selbst zuzugestehen und zu sichern ist. Bisher haben die Besitz ergreifenden Europäer nur die Formalität eines Vertrages mit den Eingeborenen für nöthig gehalten. Das hat auch noch Brazza am Ogowe und Congo gethan, als er „mit französischen Flaggen bei den Häuptlingen hausiren ging“.

Mochte diese Formalität thatsächlich auch nur eine Täuschung der unwissenden „Wilden“ sein, mochte die Einschmuggelung des französischen Protectorats noch so bedenklich erscheinen, so war doch immer die äußere Form eines Vertrags gewahrt. Auch andere gewaltsame Annexionen wurden, um den Schein des Rechts zu wahren, in der Weise erklärt, daß ein Kriegszustand zwischen den Parteien durch einen Friedensvertrag zum Abschluß gebracht worden sei, der die Annexion des Landes oder dessen Unterstellung unter den Schutz des Siegers anerkannt hat. Alle diese Vorgänge sind indeß noch sehr häufig unklar, und es bleibt wünschenswerth, daß die vielbesprochene Congoconferenz auch hierüber Bestimmungen treffen werde, die des Geistes unserer Zeit würdig sind.

Also eine internationale Conferenz zur Regelung colonialer, maritimer Angelegenheiten in – Berlin! in der viel verspotteten Sandbüchse des heiligen Römischen Reichs! Welche wunderbare Wandlung in der staatlichen Machtstellung Preußens, Deutschlands – in der kurzen, flüchtigen Zeit von kaum einem Jahrhundert!

Am Strande.0 Nach dem Oelgemälde von W. Kray.
Photographie im Verlage von Fr. Hanfstängl in München.

Erinnern wir uns nur, daß der jugendliche Alexander von Humboldt, wenige Tage nachdem er im März 1792 als stimmberechtigter Assessor in das Bergwerks- und Hüttendepartement zu Berlin eingetreten war, dem Freunde und Freiberger Studiengenossen Karl Freiesleben in heiterem Spott geschrieben: „Ich gehe auf fünf bis sechs Tage nach Linum, wo die große Torfstecherei! – nach Zehdenik, wo ein hoher Ofen! – und nach Rheinsberg, wo ich Auftrag habe einen Fayenceofen zu untersuchen! – Das sind – – bergmännische Beschäftigungen!! – Ich bleibe gewiß nicht lange in Berlin, da Berlin ebenso der Sitz eines Admiralitäts-, als eines Bergcollegiums sein könnte.“ Ein Admiralitäts-, ein Bergwerkscollegium in Berlin schien also damals eine Chimäre, an die man nur mit Scherz und Spott denken konnte.

Aehnlich scherzte auch noch später H. W. Dove. In seiner Ansprache bei dem Feste des fünfundzwanzigjährigen Bestehens der Berliner Geographischen Gesellschaft (1853) sagte er: „Es war ein kühner Gedanke, in Berlin eine geographische Gesellschaft zu gründen. Wenn man im Hafen von Liverpool über den Wald von Masten blickt, wenn man die riesigen Dampfschiffe sieht, die wie eine fliegende Brücke die neue Welt mit der alten verbinden, so mag man wohl meinen, hier, wo die Fäden eines die ganze Erde umspannenden Netzes der Verbindung zusammenlaufen, möge die Stelle sein, einen solchen Verein zu gründen. Aber ein Blick auf die bescheidene Aepfelflotte, welche am Fuße des königlichen Schlosses in Berlin vor Anker liegt, ermuthigte wenig zu einem solchen Unternehmen.“

Wir können an diese Scherze mit heiterer Befriedigung erinnern.

Seitdem Dove jenes Wort gesprochen, waren kaum zwanzig Jahre verflossen und ein noch kühnerer Gedanke hat im April 1873 in demselben Berlin „Die afrikanische Gesellschaft“ in’s Leben gerufen, die in wissenschaftlichem, idealem Streben keine geringere Aufgabe hatte, als die Erforschung des unzugänglichen äquatorialen Binnenlandes von Afrika. Wie groß die Zahl deutscher Männer gewesen, die sich der Lösung dieser Aufgabe unterzogen haben, wie Ruhmvolles mit Aufopferung an Gut und edlen Menschenleben geleistet worden, das alles lebt im Bewußtsein der Zeitgenossen und braucht nicht hier gesagt zu werden. „Quer durch Afrika“, „Im Herzen von Afrika“ sind stolze Titel deutscher Werke, die wie schmetternde Fanfaren ihre Entdeckungs- und Erforschungszüge verkünden.

Dasselbe Berlin, das Humboldt einst so arg verspottet, ist seit geraumen Jahren der Sitz eines Ober-Bergamtes, von dem die reichsten, einträglichsten Berg-, Hütten- und Salinenwerke

[773]

Hallstadt. Von Richard Püttner. Aus dem Werke: „Wanderungen im bayerischen Gebirge und Salzkammergut“.

[774] Deutschlands ressortiren. In demselben Berlin endlich ist auch der Sitz eines Admiralitätscollegiums, eines Marineministeriums, dessen eisengepanzerte Schiffe deutscher Habe, deutschem Recht, deutscher Ehre in allen Meeren und Zonen Schutz, Respect und Geltung verschaffen und nicht minder auch der wissenschaftlichen erdkundlichen Disciplin aus allen Ländern und Meeren hochschätzenswerthe Beiträge zuführen.

Es währte lange, bis dies so gekommen war, und noch 1865 klagte Peschel in der Vorrede zu seiner Geschichte der Erdkunde: „Wer die Geschichte der Erdkunde zur Hand nimmt, um darin die Ehren des deutschen Volkes verzeichnet zu finden, der wird gemischten Eindrücken entgegen gehen. Er wird gewahren, daß er einer Nation angehöre, die überreich an Zierden und arm an Thaten ist. Wo hohe Aufgaben nur durch die Kräfte eines Staates gelöst werden können, zeigt unsere Geschichte nichts als eine Reihe versäumter Gelegenheiten; wo es aber dem Einzelnen möglich war, ohne öffentlichen Beistand der Wissenschaft große Dienste zu leisten, oder wo fremde Nationen thatenlustig nach Werkzeugen suchten, da haben sich stets Deutsche herbeigedrängt, und die Zahl der Unserigen, die in die Gefahr gingen und in ihr unterlagen, ist bis auf die Gegenwart ruhmwürdig groß gewesen. Was hätten andere Nationen geleistet, wenn sie über eine ähnliche Fülle geistiger Kräfte zu verfügen gehabt hätten! Wenn wir dennoch bei der Vertheilung der wissenschaftlichen Verdienste nicht hinter anderen Völkern zurückstehen, so müssen wir unsere Vertreter um so höher feiern, weil sie soviel erringen konnten, obgleich sie Deutsche waren!“

Schon das folgende Jahr 1866 gab indeß nachhaltigen Aufschwung zu dem großen, lange geträumten Ziele einer deutschen, nationalen Marine. Wir erhielten Eine Flagge, die preußische Flotte wurde zur deutschen Flotte, der norddeutsche Reichstag begann das Schöpfungswerk, und mit der Entstehung des deutschen Kaiserreichs trat auch die deutsche Flotte in ein neues Stadium der Entwickelung.

Was sie seitdem für die Wissenschaft geleistet, gehört mehr in die Geschichte der Geographie, als in unser specielles Thema, aber mit der erhöhten Machtstellung Deutschlands wuchs auch der Beruf und die Pflicht. Die Schutzmacht der Heimathsküsten mußte auch Schutzmacht werden des Verkehrs in allen Meeren und allen Ländern.

Ermuthigt durch die großen Siege an den Grenzen des Vaterlandes traten die Deutschen in den überseeischen Ländern mit größerem Selbstbewußtsein auf. Der Schweiß der deutschen Forscher, die Mühen der deutschen Kaufleute sollten nunmehr Früchte tragen, und wenn wir auch spät auf dem Felde der Colonialbestrebungen erschienen sind, so spät sind wir doch nicht gekommen, um leer wie der „Poet“ in der Schiller’schen Dichtung auszugehen. Noch in letzter Stunde geschah die große Wendung, und stolz weht die deutsche Flagge auf fremden Meeren und Küsten als Wahrzeichen eines sicheren Schutzes für alle Angehörigen der deutschen Nation, und Deutschland hat endlich den ihm gebührenden Sitz eingenommen im Rathe der seefahrenden Völker. J. Loewenberg.      


Brausejahre.

Bilder aus Weimars Blüthezeit.0 Von A. v. d. Elbe.
(Fortsetzung.)
31.
Christel von Laßberg’s Tagebuch.

Im December 1778. Erich will wiederkommen; er will das Weihnachtsfest mit uns verleben, wie in den vorigen Jahren. Welch eine Zeit steht mir bevor! Was soll ich ihm entgegnen, wenn er seine Werbung erneuert, wenn mein Vater davon Kenntniß erhält? Ich werde Erich’s trauriges Gesicht sehen, er wird an meiner Güte, meiner Aufrichtigkeit zweifeln – o, wie soll ich mich retten? Wie soll ich ausweichen, ohne Schmerz zu bereiten, ohne den wahren Zustand meines Herzens zu verrathen?


Er ist mit meinem Bruder Max angekommen. Vater war zur Post gegangen und brachte sie, so heiter gelaunt wie selten, gleich in’s Wohnzimmer. Erich eilte auf mich zu; ich vermochte es nicht, ihm einen Schritt entgegen zu gehen. Es schien mir, er wolle die Arme ausbreiten, mich zu umfangen, ich aber wich zurück und reichte ihm die Hand. Und doch, als ich ihn ansah, wie gut gefiel er mir! Das offene, frische Gesicht, das blonde, gelockte Haar, die stattliche, schlanke Gestalt, als ob ich seine Schwester wäre, wallte ihm mein Herz entgegen, und ich hätte ihn ebenso gern umarmt wie Bruder Max. Er aber meint es nicht so, das sehe, das fühle ich aus jedem Blick und Wort!


Die Beiden durcheilen die Stadt, Besuche zu machen; es geht in unserem Hause jetzt fröhlicher zu als sonst. Täglich kommen Gäste und Einladungen von allen Seiten. Ich muß mich putzen, muß mitgehen, tanzen, lächeln und immer und immer Erich’s Entgegenkommen zurückweisen, obwohl ich doch weiß, es hilft nichts, er will endlich ein Ja auf seine Frage.

Und Er, mein hoher Gebieter, dem ich jetzt oft nahen darf, ihm – ach, das fürchte ich – ihm bin ich nichts, als das Veilchen am Wege, das sein Fuß achtlos zertritt! Aber sind Liebe, Bewunderung, Anbetung keine starken, selbstständigen Empfindungen? Was ist gegen diesen jauchzenden Lebensodem meiner Brust, der mich so viele Jahre lang schon erhält, das schwächliche Gefühl mühsam abgezogener Gegenliebe? Halb Eitelkeit und halb Dankbarkeit. Und so manches Herz mag sich damit begnügen?

Nein, ich kann diese Alltagskost nicht nehmen, nicht geben! Goethe behandelt mich wie alle anderen Mädchen; er tanzt fast an jedem Ballabend mit mir, sagt mir hier und da auch etwas Gutes, Artiges; mehr empfangen die Anderen auch nicht.


Gestern Abend, als wir vom Schlosse heimkehrten, nahm Vetter Erich so entschieden meinen Arm, Vater und Max folgten so langsam, daß ich mit Zittern fühlte: jetzt schlägt die große Prüfungsstunde!

„Christel,“ sagte er weich, „endlich mußt Du mir näher angehören. Meine scheue Taube, flieg mir nicht wieder davon. Sieh, geduldig wartete ich auf Deinen Wunsch Jahr und Tag. Jetzt hoffe ich auf Dein Jawort, jetzt halte ich’s nicht länger aus. Deines Vaters Segen habe ich; was zaudern wir? Die Welt hält uns längst für einig, und warum wollen wir unser Glück, unser wonniges Zusammensein, nicht noch reizvoller genießen? O Christel, sage ja, sei endlich mein!“

So etwa sprach der gute Vetter; armer, lieber Erich! Ich habe Dir wohl recht unzusammenhängend geantwortet? Es ist auch gleichviel, was ich sagte.

Wir waren nah am Hause und traten ein. Tante Barbara kam uns mit Licht entgegen; dann standen wir plötzlich alle in der Wohnstube. Vater nahm meine und Erich’s Hand, fügte sie in einander und sprach feierlich:

„So gesegne denn Gott Euren Bund, meine Kinder! Mir erfüllt sich ein großer Wunsch. Du, liebe Tochter, verschönst mir die letzten Tage eines vielgetrübten Lebens! Mit Zuversicht lege ich Dich in die Arme dieses tugendhaften Jünglings, an dessen Seite Dir ein glückliches Loos beschieden sein wird. Ein Leben, geheiligt durch das Gebet Eures Vaters!“

Er war so beredt, so gerührt, wie ich ihn nie zuvor gesehen.

Wir umarmten uns Alle unter einander, oder vielmehr, sie umarmten Alle mich.

Ich war starr, wie früher so oft, und weiß nicht, wie ich mit Barbara in meine Kammer gekommen bin. Die gute Alte kleidete mich aus, wie sie es jeden Abend thut, und sprach vielerlei zu mir; ich hörte nur Ton und Worte, den Sinn begriff ich nicht; in derselben Starre brachte ich die halbe Nacht zu, während der anderen Hälfte saß ich aufrecht und weinte. O, was soll aus mir werden?

[775] Ertragen kann ich’s nicht so, ich muß einen Versuch zu meiner Rettung wagen und mit meinem Vater sprechen. Gefaßt bin ich auf seinen fürchterlichsten Zorn, ja, wenn er will, kann er mich tödten.


Ich ging zu ihm in sein selten betretenes Zimmer.

Er kam mir liebreich entgegen. „Mein Kind ist bleich,“ sagte er und faßte mich am Kinn. „Frisch auf und munter, kleine Grafenbraut! Die ganze Stadt wird Dich beneiden, bist auch neidenswerth! Ist ein Staatsjunge, Dein Erich, mir fast lieber als mein eigner Sohn. Aller Verdruß und Grimm, den ich im Leben zu schlucken gekriegt, wird jetzt wett gemacht!“

„Vater – Vater!“ stammelte ich.

„Was soll das Gejammer?“

„O, ich bitte Dich aus Herzensgrund!“

„Na – bring mir keinen Unsinn vor!“

„Vater, höre, rette mich! Ich liebe Erich nicht, ja ich schaudere vor einer Ehe mit ihm, ich könnte ebenso gut Bruder Max heirathen!“

„Flausen, Hirngespinste! Warst immer ein absonderliches Ding! Jetzt aber, Fräulein Narrethei, ist’s Zeit, die Schrullen und Romangeschichten abzuthun, sonst geht daran dreier Menschen Lebensglück zu Grunde.“

Er sprach sehr ernst, aber nicht so zornig wie sonst. Ich sagte ihm noch einmal recht eindringlich, daß ich in Verzweiflung über meinen Brautstand sei; ich bat ihn, mich nicht zu vermählen, mich bei sich zu behalten.

Erst fuhr er mich an: ob ich einen Andern liebe?

Ich erbebte und sprach in einem von der Herzensangst eingegebenen Wortstrom dagegen. Er warf sich dann plötzlich – wie ein Baum, der gefällt wird – auf einen Stuhl am Tisch, nahm den Kopf in die Hände und stöhnte laut. „Es ist zu viel,“ murmelte er, „zwingen – zwingen kann ich sie nicht! Geh, schick Erich fort, aber dann ist von Freude in meinem Leben nicht mehr die Rede.“

Das ergriff mich furchtbar; ich sah sein Leben von Enttäuschungen und Kummer klar vor mir; es war mir jetzt gleichviel, was aus mir werde, wenn nur aus seinen öden Pfad noch ein Sonnenstrahl fiel! Ich warf mich vor ihm auf die Kniee, umfaßte ihn und bat, er möge getrost sein, ich wolle seinen Willen thun.

So nehme ich also mein Leid und eine traurige Lebenslüge auf mich!


Er ist jetzt mit Max in seine Garnison zurückgekehrt und unsere Hochzeit ist auf den Herbst angesetzt, so habe ich also noch länger als ein halbes Jahr Frist. Was kann sich in der Zeit alles zutragen! Diese Spanne Zeit will ich leben, frei sein, ihn sehen! Vielleicht findet sich doch noch ein Entrinnen!

Im Februar 1779. Die ganze Stadt ist in Aufregung, ein glückliches Ereigniß bewegt alle Gemüther, die Frau Herzogin Luise hat eine Prinzessin geboren. Sie soll sehr schwach sein und der Herzog sehr ärgerlich, da er ganz fest auf einen Erbprinzen gerechnet hatte.

Gesellige Lustbarkeiten gab es in letzter Zeit weniger, ich als Braut hätte mich auch ausschließen dürfen. Aber wie dann ihn sehen, ihn, der trotz allem meiner Seele Entzücken ist und bleibt? So habe ich mitgemacht, was sich mir bot.

O, dieser Herrliche, wie hoch steht er über allen anderen Männern! Wie viele bewundernde Augen blicken zu ihm empor; wie unbeirrt, wie herrschend schreitet er durch die Menge! Nur wenn ich ihn nie gesehen hätte, könnte ich Erich lieben.


Er arbeitet jetzt mit Bertuch, den herzoglichen Hofgärtnern und vielen Gehülfen, um einen Park am Ufer der Ilm anzulegen. Dahin richten sich nun die Schritte aller Spaziergänger. Jeder will das rüstige Schaffen und Werden beobachten; Viele aber wollen auch, wie ich – ihn sehen, das fühle, das weiß ich! Und köstlich ist’s, wie er leuchtenden Blicks in freier blauer Frühlingsluft dasteht, anordnet, den Eindruck beschreibt, den das Fertige machen wird, selbst zum Grabscheit greift, Gesträuche beschneidet und ganz Leben und Feuer ist für die Sache, der er sich hingiebt. Er adelt alles, was er angreift; mir erscheint jetzt Wege ziehen und Bäume pflanzen wie eine neue Art Poesie.


Ich lebe im dämmernden Schwindel so hin, bin jeden Abend in Verzweiflung über den vergangenen Tag, der mich dem Herbste näher führt. Vater spricht oft von unserer Hochzeit; Tante Barbara schafft viel Leinenzeug herbei, Erich schreibt von Liebe und Sehnsucht, und ich – o, was soll ich bei alledem, das mich fremd ansieht, fremd, verwirrend und trostlos!

Juni. Karoline von Ilten ist mir in letzter Zeit Freundin geworden, sie leidet ja ihren Liebesschmerz wie ich. Prinz Constantin ist jetzt, um von der Geliebten entfernt zu werden, auf Reisen geschickt, die, wie man meint, Jahre dauern können. Das arme Linchen ist untröstlich, und doch wie glücklich kann sie sein, da nur die Ungunst der Verhältnisse sie trennte. Sie sagte mir, daß Goethe voll Theilnahme für sie sei und sie oft herzlich tröste, obgleich er auch von ihrer Heirath mit dem Prinzen abgerathen habe. So weiß sie es selbst nicht, soll sie ihm gut oder böse sein; seine Gewalt über alle Gemüther, seine Herrlichkeit erkennt sie an, und wir sprechen oft über ihn.

Juli. Es wird eine neue Aufführung geplant, ein Stück ist es, das er vor zwei Jahren gedichtet hat. Viele Personen kommen darin vor, und ich bin auch zur Mitwirkung aufgefordert.

Ich sagte zu; nur dies noch! Ihn täglich in den Proben sehen, ihn declamiren, anordnen hören, nein, ich kann nicht darauf verzichten! Vater runzelte die Stirn und sagte: „Wenn Erich nur zufrieden ist, daß Du die Narrenspossen mitmachst?“

Ich nahm die Verantwortung auf mich. Unsere Hochzeit ist aus den 25. August festgesetzt, am 23. kommt Erich. Am 22. soll zur Rückkehr der Herzogin Amalie, die verreist ist, jenes seltsame Stück: „Der Triumph der Empfindsamkeit“, aufgeführt werden. Das ist also mein Letztes!

Nur genießen bis so lange; nur ihn sehen! Nie werde ich es mehr, wenn ich mit Erich in seine Garnison gehe. Hinter dem 25. liegt das ganze Dasein schwarz und öde. Es sind noch zweiunddreißig Tage bis dahin!


Die Proben nehmen ihren Fortgang, jetzt nur noch zwanzig Tage! Oft suche ich mir eine versteckte Ecke, sehe ihn an und präge sein Bild fest in meine Seele.

Großer Gott, nur noch neun Tage, und dann – Tante Barbara tadelt mich, daß ich mich nicht um meine Ausstattung kümmere. Heute sagte sie:

„Christel, wie bist Du jetzt so vergnügungssüchtig!“

Diesen Nachmittag ist Probe bei der Stein; um Alles möchte ich nicht fehlen!


Was habe ich gesehen, erlebt! – O Elend, grausames Elend!

Das Stück war durchprobirt, in den Zimmern ward es warm, man öffnete die Thüren zu der Terrasse; die Gesellschaft zerstreute sich, spazierte draußen auf den neuen Parkwegen, vertheilte sich in den Zimmern.

Ich saß allein im Eckcabinet, wo es dämmerig war, und konnte vom offenen Fenster aus ihn mit Frau von Stein auf der Terrasse hin und her gehen sehen; dann und wann drang ein Wort von ihm zu mir; es war so schön!

Endlich setzten sie sich unter meinem Fenster nieder. Anfänglich wollte ich aufstehen, aber seine Nähe berauschte und bannte mich, daß ich in meine alte Starrheit verfiel und mich nicht rühren konnte. Sein Kopf mit den dunklen Locken ragte etwas über die Bank des offenen Fensters hervor, an dem ich saß; ich hätte sein Haar küssen können, ohne daß er’s merkte; aber ich vermochte kein Glied zu bewegen. Mir war so verschleiert zu Muth von seliger Empfindung, daß selbst seine Rede mich nicht weckte, sie rauschte wie ein süß murmelnder Bach an meinem Ohre dahin.

Dann antwortete Frau von Stein, dabei erholte ich mich, sodaß ich verstand, was er nun sagte, obwohl seine Stimme gedämpft war und einen wunderbar zärtlichen Klang hatte.

„Ich werde müde an den Menschen und habe keine Sprache mehr für sie, wenn ich nicht eine Weile mit Dir bin, lieb Gold; entziehe Dich mir nicht, sonst schließt sich meine Natur wie eine Blume, wenn die Sonne sich wegwendet.“

„Ich darf meine Pflichten als Wirthin nicht vernachlässigen.“

„Hast Du nicht auch Pflichten der Liebe? Du weißt, daß Niemand da ist, der Dich heißer liebt als ich, daß Keiner Dich mehr bedarf.“

[776] Also doch! schrie es in mir, also doch! Sie besitzt sein Herz; ihr gehört er an. O Elend, o Nacht des Jammers!

Ich barg meinen Kopf in den Händen.

Undeutlich nur sah oder empfand ich, daß Jemand sich zu dem Paare da draußen gesellte und daß es aufstand, daß ich allein war.

Nach geraumer Zeit kam Caroline zu mir, sagte, sie habe mich gesucht, die Gesellschaft sei fort, wir müßten aufbrechen.

Wir gingen; ich in einem Wirbel verzweiflungsvoller Empfindungen. Er! – O großer Gott, ich konnte es nicht ausdenken, ohne daß sich mein Geist verwirrte!

Ich glaube, wir hatten einen schönen Abend; Linchen sagte es mir und meinte, ich sei so erregt und seltsam, wir wollten noch spazieren gehen, das werde mir gut thun. Wir gingen. Wohin? Was Caroline plauderte? Ich weiß es nicht.

Plötzlich standen wir am rauschenden Wehr, in der Finsterniß dicht schattender Linden. Vor uns der Fluß mit dem weißen Schaum, der stark herunterfallend plätscherte und brauste. Und dann der Flußgott; ein weißes Menschenbild, aus dem weißen Schaum auftauchend, mit langem dunklen Haar und seinen Zügen. Der warf sich nieder, schwamm, schnellte auf, jauchzte – o, und winkte mir!

Ich komme! schrie es in mir, Du sollst nicht vergebens locken, meine Seele nennt Dich: Herr! gehorcht Dir, ist Dein! Zu Dir, zu Dir in die schäumige Tiefe! Das ist Erlösung, das ist Reinbaden von aller Seelenangst, aller Zukunft, die so dräuend dasteht!

Schweigend ging ich an Linchens Seite nach Hause.

Still, mein Herz; lebt wohl, Ihr Alle – ich folge nur ihm, nur Dir – ich komme!

(Fortsetzung folgt.)

Oscar Pletsch, der Zeichner der Kinderwelt.

Es war im Kriegsjahre 1859, als in der Buchhandlung des Rauhen Hauses in Hamburg ein Buch erschien, dessen reizende Kinderbilder bald Jung und Alt entzückten und dessen Autor sich als Landwehrkanonier vorstellte,

„Der besser mit Kanonen schießt,
Als Reim und Poesie ihm fließt.“

Während in Italien ein wirres Kriegsgetümmel zwischen den Piemontesen und Franzosen auf der einen und den Oesterreichern auf der andern Seite herrschte, hatte sich der Künstler mit emsigem Fleiße und stillem Glücke an die Ausführung und Vollendung seines Buches gemacht, und als der Krieg im Süden so drohende Gestalt annahm, daß auch Preußen rüstete, um im Falle der Noth bereit zu sein, seine Grenzen und Interessen mit den Waffen zu vertheidigen, da hatte er sein Buch glücklich vollendet. Und eben zur rechten Zeit; denn nun mußte auch er mit ausziehen, zwar nicht direct in’s Feld, aber doch fort aus dem behaglichen Neste, das er sich eben erst gebaut, fort von seinem Weibe und fort von der „Knospe, die der Frühling trieb“ – von seinem Kinde.

Der Landwehrkanonier und Künstler war der Maler Oscar Pletsch, sein Buch die heute überall bekannte „Kinderstube“.

Der Lebensgang des Künstlers bietet wenig Außerordentliches. Geboren am 26. März 1830 in Berlin, verlebte er dort, wo sein Vater Zeichenunterricht an der Artillerieschule ertheilte, auch seine erste Jugend. Durch Unterstützung eines wohlwollenden Freundes seiner Familie, des Predigers Seidig, wurde es ihm später möglich, nach Dresden zu gehen, wo er ein Schüler Bendemann’s wurde und sich im Entwerfen historischer Compositionen wie im Portraitfache übte.

Der Aufenthalt in Dresden brachte Pletsch mancherlei geistige Anregungen und wurde für ihn um so bedeutungsvoller, als dort gerade in den vierziger Jahren auf dem Gebiete der Kunst ein reger Wettkampf herrschte, der ihn nothwendig aufforderm mußte, sich der einen oder andern Richtung anzuschließen, und der in der That für seine künftige Schaffensthätigkeit von entscheidendem Einflusse wurde. Er brachte ihm die Erkenntniß, daß eine einseitige Verehrung der schönen Form und des Gedankens ebenso zu Irrthümern führe, wie übertriebene Werthschätzung der Farbe und pedantischen Nachbildung der Natur. Namentlich wurde ihm dies einem Künstler wie Ludwig Richter gegenüber klar, der selbst das Einfachste mit sinnigem Zauber zu umgeben verstand und die wahre Kunst hochzuhalten wußte, ohne sich an die überlieferten Formen zu binden oder andererseits der Natur zu nahe zu treten.

Professor Oscar Pletsch.

Nach Berlin zurückgekehrt zeichnete Pletsch zunächst Illustrationen zu verschiedenen Werken für Erwachsene; seit 1859 wandte er sich jedoch fast ausschließlich der Wiedergabe von Kinderscenen zu. Die lachende Lust, das fröhliche Spiel, die jubelnde Freude der „goldenen Kinderwelt“, all ihre kleinen und großen Sorgen, ihre Neigungen und Abneigungen, ihre Geheimnisse und Schalkhaftigkeiten hatten einen bezaubernden Reiz auf den Künstler ausgeübt von dessen frühester Jugend an. Voll zum Durchbruche kam in ihm die Freude am Kinderleben und die nach dieser Richtung drängende künstlerische Schaffenskraft indeß erst, als er sich selbst ein Heim gegründet hatte und ihm in glücklicher Ehe ein eigenes Kind geschenkt war. Da wurde die Mappe mit den Bildern „für große Leute, klug und alt“ bei Seite geschoben und Alles, was er fortan zeichnete, war der Kinderwelt entnommen und den Kindern gewidmet. Sein Modell war jahrelang sein Kind. Er zeichnete es in der Wiege und auf dem Arme der Mutter, schlafend und wachend, lachend und weinend.

„Und wenn’s die Mutter zu mir bringt,
Und wenn’s die Händchen um mich schlingt,
Wenn’s lächelt und wenn’s jubelnd lacht,
Das ist es, was mich glücklich macht!“

– so sang er selbst bereits in jenem ersten Buche, dem seit 1859 zahlreiche andere gefolgt sind. Sie alle legen in beredter Sprache von seinem Glücke Zeugniß ab und manches derselben, wie z. B. das reizende „Was willst Du werden?“, ferner „Kleines Volk“, „Gute Freundschaft“, „Allerlei Schnik-Schnak“ etc., hat seinen Siegeszug um die Welt angetreten. In Deutschland vollends dürfte es kaum eine kinderreiche Familie geben, in der nicht wenigstens die eine oder andere seiner reizenden Gaben zu finden wäre und die Eltern wie die Kinder aufrichtig erfreut hätte; hat der Künstler es doch verstanden, alles Abstoßende, Unschöne zu vermeiden, und athmen doch alle seine Bilder trotz ihrer Schlichtheit echtes, herzgewinnendes Leben.

Seit dem Jahre 1872 bewohnt Oscar Pletsch in Niederlößnitz bei Dresden ein freundliches Heim. Berlin vermochte ihn nicht mehr zu fesseln. In launiger Weise nahm er von seinen Freunden Abschied in einem Gedichte, in dem es unter Anderem hieß:

„Addio, beste Freunde! Laßt mich zieh’n!
Gönnt mir ein Heim, unkündbar, frei und friedlich.
Zur Weltstadt wurde allerdings Berlin,
Doch – unter uns! – verteufelt ungemüthlich.“

Der Erfolg seiner Werke gab dem Künstler eine gewisse Unabhängigkeit, sodaß er seinem Lebensabend ohne äußere Sorgen entgegensehen darf, wenn es auch eine betrübende Thatsache ist, daß der pecuniäre Gewinn seiner Werke für ihn kein so bedeutender war, wie in weiteren Kreisen angenommen werden mag. Die Gründe hierfür mögen verschiedene sein; sicher ist, daß die geschmacklosen, oft caricaturartigen Buntbilder, wie sie nach englischem Muster in den letzten Jahren das Land überschwemmten, der Verbreitung seiner Werke ungemein geschadet haben und nicht etwa, weil sie die Pletsch’schen Bilder überholt, sondern nur, weil sie den Reiz der Neuheit boten. Heute freilich beginnt dieser Reiz merklich nachzulassen, und man darf wohl erwarten, daß, wie es dringend zu wünschen, mit dem Aufgeben des minderwerthigen Neuen eine Umkehr zum vorhandenen Guten verbunden ist und daß damit dann auch die (zumeist im Verlage von Alphons Dürr in Leipzig erschienenen) Pletsch’schen Bücher wieder die verdiente Würdigung finden werden.

Die „Gartenlaube“ hat ihren Lesern bereits in Jahrgange 1871, Seite 60 die Bekanntschaft des Künstlers vermittelt, ein Jahr vorher (vergleiche Seite 808 und 809) zwei Probe-Illustrationen aus seinem Buche „Auf dem Lande“ gebracht und 1872 Seite 478 auch das oben

[777]

Goldene Kinderwelt.
Ein Albumblatt, für die „Gartenlaube“ gezeichnet von Oscar Pletsch.

[778] erwähnte Abschiedsgedicht von Berlin dargeboten. Heute hat uns Pletsch zu seinem fünfundzwanzigjährigen Künstler-Jubiläum am 24. November dieses Jahres mit einem Blatte aus seiner Mappe erfreut, das zu seinen schönsten Leistungen gehört. Möge es dazu beitragen, den hochverdienten Meister, der bedauerlicher Weise durch ein in Folge seiner angestrengten Thätigkeit eingetretenes Augenübel oft tagelang seiner holden Kunst zu entsagen gezwungen ist, auf’s Neue allen wahren Kunst- und Kinderfreunden in’s Gedächtniß zu rufen und seine Werke noch mehr zu dem zu machen, was sie zu sein verdienen: zu Hausschätzen in jeder deutschen Familie. Denn wer so wie Pletsch von den Besten seiner Zeit gekannt, verehrt und geliebt ist, und wer mit solcher Tiefe und aufopfernden Mühe an der Erziehung und Bildung seines Volkes mitgearbeitet, der hat wahrlich berechtigten Anspruch auf die Dankbarkeit der Nation. D. Th.     


Blätter und Blüthen.

Vermißte und durch die Gartenlaube wieder Aufgefundene.

Wir müssen unsern Lesern gestehen, daß wir nicht selten durch Auffindungen Vermißter überrascht werden, an deren Möglichkeit wir gezweifelt hatten. Ein solcher Fall liegt uns abermals vor. Vor zwei Jahren bat in unserm Bureau ein Herr K. St. um Nachforschung nach Adolf Pertzel, der vor etwa 30 Jahren nach Australien ausgewandert sei und vor 18 Jahren zum letzten Mal an die Seinen geschrieben habe. Erst im August dieses Jahres kam dem Vermißten jene „Gartenlaube“-Nummer von 1882 zu Gesicht, und ein Brief mit dem Postzeichen Sydney meldet, daß er und sein Sohn noch leben und bei dieser Gelegenheit zugleich die Bestellung der „Gartenlaube“ erneuern. Fast schwerer, als den 30 Jahre Vermißten, war es, nun den Anfrager zu ermitteln, der sich endlich in München fand.

Robert Kosmeli (Umschlag der Heft-Ausgabe für Nordamerika, 24. Heft, 1883, Nr. 483), von seiner Schwester, einer Wittwe, in’s siebente Jahr vergeblich gesucht, lebt „z. Z. im National Home for Disabled Volunteer Soldiers zu Milwaukee in Wisconsin“.

Ferdinand Pühringen (Umschlag des 25. Heftes von 1883, Nr. 880) hat, laut Nachricht von seinen Verwandten – darunter sein 87jähriger Vater – direct an diese geschrieben.

Ferdinand C. Motzler (Umschlag desselben Heftes, Nr. 938), als dessen Adresse uns „care of St. Louis Hôtel, Little Rock, Arkansas“ mitgetheilt worden ist.

Der Landbriefträger Hentschel in Kodersdorf schreibt uns. daß sein Sohn Hermann, den wir im Jahrgang 1881 der „Gartenlaube“, S. 136, Nr. 39, suchten, sich reuig, aber gesund und kräftig und in guter Stellung wieder gefunden habe.

Ueber einen andern Gesuchten sind uns zwei Nachrichten zugegangen. Nach der einen soll derselbe Mitbesitzer einer angesehenen Fabrikfirma sein, nach der andern sich wegen Bettelns in Untersuchungshaft befinden. Wir ließen sofort weitere Nachforschungen ergehen.

Wenn Einer den Seinen nicht eher schreiben will, als bis es ihm so wohl ergeht, daß er dies mit Freuden thun kann und nicht mit Seufzen, so wird er leicht erleben, was G. Sch. (vergl. „Gartenlaube“ 1883, Nr. 46) widerfuhr: daß er mit dem Schreiben über 20 Jahre und noch so lange wartet, bis die „Gartenlaube“ ihm das Gewissen rührt. „Die helle Freude leuchtete dem sorgenreichen Mann aus den Augen, als er hörte, daß seine Schwester noch lebe und an ihn denke.“ Aber lange hat’s freilich gedauert, bei dem kurzen Menschenleben, bis die Briefe von Hamburg und Schandau, beide an derselben Elbe, die Geschwister wieder verbunden haben.

Heinrich Curth (Umschlag des 18. Heftes, 1884, Nr. 963) lebt in Cincinnati als Meister oder Werkführer einer Herren-Kleiderfabrik.

Der hessische Pfarrersohn Karl Koch, Pharmaceut (1884, S. 244, Nr. 14) war längere Zeit in Nordamerika, zog dann nach Mittelamerika, wo er zuletzt in Guatemala, mit einer Schottländerin verheirathet, lebte und wahrscheinlich 1877 starb. Seine Witwe ist Besitzerin eines Putzwaarengeschäfts. Diese Nachricht verdanken wir Herrn C. Kahler in Valparaiso.

Friedrich E., Kaufmann (1884, S. 244, Nr. 8) ist als soeben seiner Militärpflicht genügend ermittelt worden.

Der auf dem Heft-Umschlag von Nr. 18, 1884, gesuchte Ed. Hainke theilt für seine Angehörigen, deren genaue Adresse er nicht kennt, uns seine Adresse mit.

Der in Heft 4 dieses Jahres gesuchte Feldmesser Wilh. Schüster wird uns als in Neukirch, Kr. Heinrichswalde, Reg.-Bez. Gumbinnen in Ostpreußen, bei einem Baumeister gefunden gemeldet.

Zu unserer Freude sehr schnell ist der Knabe aufgefunden worden, nach welchem wir in Nr. 43 unseres Blattes einen Aufruf erlassen hatten. Von Helmstedt war der 13½ Jahr alte Flüchtling über Magdeburg nach Hoierswerda in der Oberlausitz und endlich nach Lägerdorf bei Itzehoe im Holsteinischen gelangt, wo Herr Fabrikdirector Schäfer am 1. October ihn bei sich aufnahm und nach dem Aufruf in der „Gartenlaube“ den Eltern Nachricht gab. Dort holte der Vater den Sohn ab.

Fortsetzung der Vermißten-Liste von Nr. 20:

40) Trotz aller Anstrengungen ist es bisher nicht gelungen, den seit 14. September 1882 verschwundenen Kaufmann Wilhelm Terjung aus Mülheim an der Ruhr aufzufinden. Er litt zuweilen an Geistesschwäche. Sollte er noch leben und, wie man annimmt, sich im Ausland aufhalten, so wird gebeten, seine Adresse an die Redaction der „Gartenlaube“ einzusenden. Beschreibung: Alter, 30 Jahre; Statur, mittel; Haare, blond; Augen, blaugrau; Nase und Mund, gewöhnlich; Bart, dunkler Vollbart; besondere Kennzeichen nicht vorhanden.

41) Die Wittwe Helene Juliane Olliof (russisch Helene Martinofna), geboren in Reval im Esthnischen Gouvernement, über 40 Jahre alt, seit 1873 in St. Petersburg wohnhaft gewesen, wird behufs freudiger und wichtiger Mittheilungen gebeten, ihre Adresse an die Redaction der „Gartenlaube einzusenden.

42) Franz August Baldamus, geboren zu Gröbern bei Leipzig, 21. August 1853, Sattler – ging 1871 als Geselle in die Fremde. Die letzte Nachricht kam aus Pest (Ungarn) 1873, in welcher er sagte, daß er wegen seiner Stellung zum Militär wieder nach Deutschland zurückkehren wolle. Er wurde 1873 von der Militärbehörde dreimal öffentlich aufgerufen, aber ohne Erfolg. Die Seinen bitten um Nachricht.

43) Der Seifensieder Friedrich Rath, geboren zu Boppard (Rhein) 1850, ist im Juli 1868 mit einem Paß von Bremen aus in einen andern Welttheil ausgewandert und hat seit dieser Zeit nichts von sich hören lassen. Er wird Familienverhältnisse halber gesucht.

44) Friedrich Otto Götze aus Plagwitz bei Leipzig, Fleischer, 30 Jahre alt, ging vor 13 Jahren in die Fremde, war in Berlin und Ungarn; seine Schwester sucht ihn.

45) Der Seemann Moritz Albrecht, geboren zu Altenburg 1862, ging vor 3½ Jahren mit einem englischen Schiff zur See. Dasselbe soll verschollen sein, doch hoffen die betrübten Eltern noch auf ein Auffinden ihres Sohnes auf diesem Wege.

46) Der Schuhmacher Karl Christian Heinrich Thiele, geboren im Jahre 1826 zu Wittenberg, schrieb im Jahre 1870 zum letzten Mal von Kyritz in der Priegnitz. Auguste Thiele, verehelichte Reinicke, ging im Frühjahr 1871 nach Detroit im Staate Michigan, Nordamerika, mit Familie, gab bis jetzt keine Nachricht. Beide werden von den Geschwistern gesucht.

47) Der Buchbindergehülfe Julius Dubois wird dringend ersucht, von seinem jetzigen Aufenthalt seinem Halbbruder Max Nachricht zu geben, da ihm wichtige Mittheilungen, seine Zukunft betreffend, zu machen sind.

48) Frau Marie Beker, geborne Weidel, aus Dessau, ist seit mehreren Jahren verschwunden. Dieselbe war zuletzt in Nauen bei Berlin Cigarrenmacherin. Sie wird durch ihre alte Mutter an ihre Pflicht gemahnt.

49) Der Schriftsetzer Karl Kegler ist seit längerer Zeit verschollen; seine bekümmerte Frau hofft, daß er vielleicht doch noch lebt, und hat ihre ganze Hoffnung auf diesen Aufruf gesetzt.

50) Waisen gesucht. Ein im amerikanischen Freiheitskrieg gebliebener Friedrich Wilhelm Hoyer aus Kranichfeld in Thüringen hinterließ eine Frau nebst mehreren Kindern, deren Aufenthaltsort unbekannt ist. Den Kindern steht eine kleine Erbschaft bevor.

51) Der Drahtzieher bez. Fabrikarbeiter Max Brinkmann hielt sich Ende 1880 oder Anfang 1881 in Speier auf, und zwar als Kranker im dortigen Krankenhause. Seitdem ist jede Kunde von ihm ausgeblieben. Seine Mutter, krank und elend, sehnt sich sehr nach ihrem Sohne und bittet ihn, zu ihr zurückzukehren oder doch Nachricht zu geben.

52) Eine arme 62jährige Wittwe Motz in Guben in der Lausitz, welche sich und ihre sechs Kinder von ihrer Hände Arbeit ernähren mußte, da ihr Mann arbeitsscheu und leichtsinnig war, und die sich, trotz ihrer blöden Augen und körperlichen Schwäche, noch heute allein durchhelfen muß, möchte gern von ihren vor vier bis sechs Jahren in die Fremde gegangenen Söhnen etwas hören. August Motz, Maurer, Adolf Motz, Vergolder, und Otto Motz, Lackirer, versprachen bei ihrem Weggange, ab und zu eine kleine Unterstützung zu senden. Bis jetzt hat die Mutter noch nicht einmal eine Nachricht erhalten von ihren Söhnen. – „Warum schreibt Ihr Eurer Mutter nicht? Habt Ihr vergessen, daß sie es war, die Euch den ersten Schritt gelehrt?“ So ruft die arme Frau aus.

53) Der Apotheker Th. Pusch aus Marienwerder ist im Juli 1883 nach Berlin gereist und nach mehrtägigem Aufenthalt im Centralhôtel daselbst mit Hinterlassung eines Theils seiner Effecten spurlos verschwunden. Alle in der Vermuthung eines Unglücksfalls angestellten Nachforschungen sind ohne Erfolg geblieben.

54) Seit 7. Mai spurlos verschwunden ist Franz Josef Ludwig Geßner aus Homburg v. d. Höhe. Derselbe ist 29 Jahre alt, von mittlerer Statur, dunkelblond, leidenschaftlicher Jäger, hatte bei seinem Fortgehen eine neue Jagdflinte und an baarem Gelde zwischen 44,000 und 50,000 Mark bei sich, reist ohne Paß. Die unglückliche Ehefrau hat alle deutschen Botschaften und obrigkeitlichen Behörden vergeblich in Bewegung gesetzt, um eine Spur ihres Mannes zu finden. „Meine Haare sind weiß geworden, die schlaflosen Nächte sind schrecklich!“ schreibt uns die Verlassene und bittet Alle dringend, die etwas über den Verbleib ihres Mannes wissen, es sofort uns mitzutheilen.

55) Der Matrose Friedrich Mayer, geboren zu Schnmiedeberg in Schlesien am 19. Januar 1857, ging, nach mancher glücklichen Fahrt, am 3. September 1876 von Stettin aus mit dem Schiffe „Julien Hayn“ zur See. In Bristol verließ die Mannschaft das Schiff, und seitdem hat der sonst stets gewissenhaft den Seinen schreibende Sohn keine Nachricht mehr von sich gegeben.

56) Luigi Ferrario, Kaufmann und Goldarbeiter, im Lombardischen geboren, wird seit 1882 vermißt und von seiner ganzen Familie schmerzlich ersehnt. Er soll sich in England oder Amerika aufhalten. Sein greiser Vater ist sogar erbötig, eine Nachricht, die das Wiederfinden des Vermißten sichert, mit 1000 Franken zu honoriren. Die Adresse des Vaters theilt die „Gartenlaube“ mit.

(Fortsetzung folgt.)

0 [779] Am Strande. (Mit Illustration S. 772.)

„Liebesflamme! sei doch immer gut mit mir!
Lieb’ ich doch das Leben nur aus Lieb’ zu Dir!“

so lautete die Strophe des uralten sicilianischen Wiegenliedes, welches die junge Mutter dem kleinen Liebling soeben gesungen, und sie schaut jezt in die lachenden Kinderaugen und schwelgt in reinstem Mutterglück. Die Liebe verklärt die Menschen, und so erscheint uns auch hier die Sicilianerin anmuthvoller und edler, als es vielleicht in der Wirklichkeit der Fall ist; denn das an den Gestaden des Tyrrhenischen oder des Ionischen Meeres geborene Volk ist ein finster trotziges Geschlecht.

Wie die sturmfrohen Möven von unseren deutschen Waldvögeln sich unterscheiden, so unterscheidet sich dieses von der Binnenlandbevölkerung in Kleidung, Sitten, Bräuchen, im Körper und in seelischen Anschauungen und Empfindungen. Was „Sehnsucht“, „Gemüth“, „Wehmuth“ und „Heimweh“ und all die süßen Siebensachen, die das Herz auch unserer Landmädchen erfüllen, zu bedeuten haben, ist diesen Meeranwohnerinnen, diesen Insulanerinnen fremd. Offen und glatt wie das schlummernde Meer, ohne ein träumerisch Geheimnißvolles, ist ihre Seele, oder wild und leidenschaftlich, rasend und in wilder Raserei zerstörend, wie die Fluth im Sturme.

Das Bild des lächelnden Friedens, das uns an einer Madonna Glück erinnerte, mit einem Schlage verändert sich’s…

Der junge Gatte, der braune Giuseppe, ist draußen mit seiner Barke. Da stürzt die Tramontana sich mit gewaltigem Flügel vom Gebirge her auf die Wasserfläche. Da spritzt und gährt die wuchtige Welle in unbändigem Drange über die Ufer hinaus, der Schaum fliegt in Flocken über die kleine Wohnung an der Düne. Die Möve lauscht und stößt in wilder Lust den weithinschallenden Jagdruf aus.

Die Mutter aber hat den Säugling geborgen, sie läuft mit vom Sturm zerpeitschtem Haar den Wellen entgegen, sie schreit, sie rauft das Haar, sie ruft die Madonna und alle Heiligen an, sie gelobt eine dicke Wachskerze, sie beißt sich in toller Leidenschaft Finger und Lippen blutig.

Ist der Geliebte zurück, so ist auch das alte Idyll wieder da. Der Mann dampft seine Schilfpfeife, und auf der Bank am Herd steht Wein und Brod. Nun wird auch gesungen und oft giebt es einen jungen Burschen, der, der Mandoline oder Guitarre kundig, den Mädchen den heißen Kopf verrückt. Ein solcher wird auch dem am Meer geborenen „Prinzeßlein“, wenn es sechszehn Jahr alt ist, als passendstes Lied singen:

„Nicht wundre dich, daß du so schön,
Bist an dem Meere ja geboren;
Sein Hauch erhielt dich frisch und schön,
Wie eine Ros’ im Grün verloren.

Und wenn die Ros’ im Garten schwand,
Dir blühn sie auch im Winter immer.
Mir lacht dein Mündlein, deine Hand,
Wie weiß’ und rother Rosen Schimmer.“
 Wold. Kaden.


Eine Täuschung. Vor Kurzem machte die Mittheilung eines Erlebnisses, welches der unlängst verstorbene Herzog von Braunschweig einst bei Krantzler in Berlin mit dem damaligen Polizeirath Duncker gehabt haben sollte, die Runde durch die Tagesblätter. Nun ist allerdings bei Krantzler in Berlin eine ähnliche Begegnung, wie die erzählte, zwischen einem Fürsten und dem Polizeirath Duncker vorgekommen; der Fürst war aber keineswegs der Herzog von Braunschweig. Da bei diesem Vorfall, wenn auch nicht als Hauptbetheiligter, kein Geringerer genannt wird, als der damalige Prinz von Preußen, unser Kaiser Wilhelm, so sei uns gestattet, einen anderweitigen Bericht über das Vorkommniß hier so wiederzugeben, wie wir ihn in der von Ernst Keil seiner Zeit herausgegebenen Zeitschrift „Unser Planet“ finden. Dort heißt es im Feuilleton der Nr. 45 des Jahrgangs 1843:

„Es war in Berlin, bei Krantzler unter den Linden, in der fashionablen Conditorei mit den hübschen blassen Ladenmädchen, den geschnürten Lieutenants und langhaarigen Löwen. Seit einigen Tagen kam des Morgens ein hübscher junger Mann, trank stillschweigend seine Tasse und bezahlte dafür regelmäßig einen Ducaten, ohne von dem Mädchen etwas wiederzunehmen. Diese (das Mädchen) war beim ersten Male erfreut, zumal sich’s auswies, daß das Goldstück echt sei. Beim zweiten und dritten Male wurde sie ängstlich und sprach mit ihrem Principal. Dieser erzählte die Geschichte dem Polizeirath Duncker, der sich auch am folgenden Morgen einfand. Bald darauf erschien der junge Mann und Duncker verwickelte ihn in ein Gespräch, konnte aber nichts über die Verhältnisse des Andern erfahren.

Inzwischen wollte der junge Mann bezahlen und zog seine Börse, die von Ducaten strotzte.

‚Sie haben da einen schönen Vorrath,‘ sagte Duncker.

‚Nicht mehr, als ich so im Laufe des Tages ausgebe,‘ antwortete der Fremde.

‚Dürfte ich Sie wohl um ein kleines Geschenk bitten, ich sammle für einen wohlthätigen Zweck und ersuche Sie freundlichst etc.‘

‚O, ja,‘ erwiderte der junge Mann, ‚aber da müssen Sie schon mit in meine Wohnung kommen.‘

Das war es eben, was Duncker wollte. Sie gingen, und der schlaue Polizeirath wollte bemerken, daß der Andere im Gedränge vor den Bilderläden oft stehen blieb, als wolle er entschlüpfen. Aber er verlor ihn nicht aus den Augen. So kamen sie an das Schloß.

‚Ich gehe durch den Schloßhof,‘ sagte der junge Mann.

‚Schön,‘ dachte Duncker, ‚da giebt es viele Wachen.‘

In dem Augenblick trat der Prinz von Preußen (unser Kaiser) durch das Portal.

‚Na, Esterhazy! Wieder zurück?‘ fragte der Prinz.

Duncker war wie vom Blitz getroffen; der Verdächtige war der junge reiche Fürst Esterhazy, der seit einigen Tagen in Berlin weilte. Er suchte davon zu kommen, aber der Fürst rief:

‚Warten Sie! Ich will Ihnen ja Etwas für Ihre Sammlungen geben.‘ Und in seiner Wohnung gab er Duncker 100 Ducaten, die dieser mit verlegener Miene einstrich.“ E. K.     


Das Makart-Wandbouquet. In kurzer Zeit haben die geschmackvollen Makart-Bouquets für Vasen die größte Verbreitung erlangt und sind überall als beliebter Zimmerschmuck zu finden. Die Idee des vor Kurzem heimgegangenen Malers wurde soeben von einem deutschen Kunstgärtner in gelungener Weise auch für die Decoration der Wände benutzt, sodaß wir neben den Makart’schen Vasenbouquets nunmehr auch geschmackvolle Wandbouquets haben, die, zwischen Bildern, Majolica- und Cuivre poli–Tellern und –Schildern aufgehängt, einen wirklich künstlerischen Schmuck unserer Wohnungen bilden. Gern lenken wir die Aufmerksamkeit unserer Leser auf diese Neuheit, denn sie beweist uns, daß auch auf diesem Gebiete das deutsche Kunstgewerbe Vorzügliches zu leisten vermag.

Die untenstehende Abbildung veranschaulicht – soweit es im Buchdruck möglich ist – die Art und Form der neuen Wandbouquets – die zierlichen buschigen Gräser, die abgetönten Farben, das Vornehme des ganzen Arrangements läßt sich natürlich nicht wiedergeben. Der Hintergrund wird durch ein großes, weißgebleichtes Palmblatt in Fächerform gebildet, darauf erheben sich in anmuthiger Anordnung weiße, grüne, graue, braune und schwarze Gräser aller Zonen mit Pfaufedern durchsteckt. Den Schluß bildet ein rundes weißes Palmblatt, über das sich eine zierliche, von buntschillernden Atlasschmetterlingen umspielte Ranke feiner Gräser legt. Die Makart–Wandbouquets sind zusammengesezt und zu haben beim Hoflieferanten J. C. Schmidt, Erfurt, dem Erfinder so mancher geschmackvollen Neuheit auf dem Gebiete der Kunstgärtnerei.


Als Jakob I. auf den Thron kam, wünschten ihm die Bürger Londons, er möge herrschen, so lange Sonne, Mond und Sterne leuchteten. „Nein!“ entgegnete er, „das geht nicht, denn da müßten ja meine Nachkommen bei Kerzenlicht regieren!“ – w.     


Eine musikalische Antiquität. Vor nicht langer Zeit hat man die Concertanzeige gefunden, welche der unternehmende Vater Mozart’s veröffentlichte, als sein berühmter Sohn und dessen Schwester im Jahre 1764 in Frankfurt auftraten. Das interessante Schriftstück hat folgenden Wortlaut: „Meine Tochter, zwölf Jahre alt, mein Sohn, der sieben zählt, werden die Concerte der größten Meister auf einem Klavizin mit und ohne Schweif ausführen, mein Junge auch ein Konzert auf der Violine. Mein Sohn wird die Tasten des Klavizin mit einem Tuche zudecken und auf demselben spielen, als wäre es nicht zugedeckt. Von weitem wie aus der Nähe wird er jeden Ton, jeden Accord errathen, den man ihm auf dem Klavizin oder an einer Glocke oder auf irgend einem Instrumente angeben wird. Zum Schlusse wird er so lange frei phantasieren, als man nur will, und zwar nach Wahl auf der Orgel oder am Klavizin, in allen Tonarten, in den allerschwierigsten, nach Wahl. Sein Orgelspiel ist aber ein ganz anderes als sein Klavizinspiel.“ – Durch eine solche marktschreierische Reclame wurde der größte Musikgenius seiner Zeit in die Oeffentlichkeit eingeführt. M. L.     


[780]

Allerlei Kurzweil.


Bilder-Räthsel.


Auflösung des Scherz-Rebus in Nr. 46: Kleine Ursachen – große Folgen.


Kleiner Briefkasten.

Ed. Kl. in Bremen. Wir haben Ihren Brief, in welchem Sie uns über das „Weißmann’sche Schlagwasser“ um Auskunft ersuchten, an den Ortsgesundheitsrath in Karlsruhe, der bekanntlich mit unermüdlichem Eifer gegen den Geheimmittelschwindel ankämpft, gesandt und hierauf folgende Antwort erhalten:

Verehrl. Redaction der ,Gartenlaube‘ in Leipzig theilen wir auf die Anfrage von 30. v. Monats unter Rückgabe des beigelegten Briefes ergebenst mit, daß die Anpreisungen des Schlagwassers von Roman Weißmann in Vilshofen auf Schwindel beruhen. J. Kirchhöfer in Triest, der bekannte Verbreiter des Geheimmittels ‚Homeriana‘, verschleißt auch das obengenannte Schlagwasser. Indem wir zur näheren Erläuterung der Sache unsere Bekanntmachungen über R. Weißmann und J. Kirchhöfer anschließen, fügen wir bei, daß wir über die in der Broschüre genannten Zeugnißaussteller weitere Nachforschungen pflegen und Ihnen deren Resultat seiner Zeit mittheilen werden.“

Die besagte Bekanntmachung lautet:

Bekanntmachung. Von einem früheren Militärarzt, Roman Weißmann zu Vilshöfen in Bayern, wird ein Mittel gegen Schlagfluß, das sogenannte ‚Schlagwasser‘, in den Zeitungen empfohlen. Wer sich an Weißmann wendet, erhält durch das berüchtigte Geheimmittelgeschäft des Julius Kirchhöfer in Triest, des Verbreiters der Homeriana und anderer medicinischer Schwindeleien, eine mit Santelholz roth gefärbte Arnicatinctur. Ein Fläschchen Tinctur, wie solches in jeder Apotheke zu 1 Mark käuflich ist, kostet ausschließlich der Transportkosten 8 Mark und hat die angepriesenen Wirkungen selbstverständlich nicht. Karlsruhe, den 8. December 1883. Der Ortsgesundheitsrath. Schnetzler. Schumacher.“

L. M. in R. und zahlreiche andere Fragesteller. Der „Humoristische Hausschatz“ ist eine Sammlung der beliebtesten Humoresken Wilhelm Busch’s, des „Classikers unter den lebenden Humoristen“. Sie finden darin sowohl „die fromme Helene“, wie „Herr und Frau Knopp“, „Julchen“ und „Balduin Bählamm“ und alle die anderen prächtigen lustigen Geschichten, denen gegenüber selbst der galligste Schwarzseher seinen Ernst nicht bewahren kann. Die Verlagsbuchhandlung Fr. Bassermann in München verdient alles Lob, daß sie in unserer so ernsten Zeit diese erheiternde und erfrischende Gabe eines gesunden, harmlosen Humors dem Volke zu einem für Jedermann erschwinglichen Preise darbietet.

V. Ar. in Wien, Ein Frankfurter Abonnent, B. B. in N., G. K. in M. und Eine treue Leserin: Ungeeignet.


Inhalt: Das Urbild des Fidelio. Erzählung von Ernst Pasqué. S. 765. – Die österr.-deutschen Alpen in Wort und Bild. Von Fr. Hofmann. Mit Illustration S. 768, 769 und 773. – Die Theilung der Erde. Zeitgemäße Betrachtungen und Erinnerungen. Von J. Loewenberg. S. 771. – Brausejahre. Bilder aus Weimars Blüthezeit. Von A. von der Elbe. (Fortsetzung). S. 774. – Oskar Pletsch, der Zeichner der Kinderwelt. Von D. Th. S. 776. Mit Portrait und Abbildungen S. 776 und 777. – Blätter und Blüthen: Vermißte und durch die „Gartenlaube“ wieder Aufgefundene. S. 778. – Am Strande. S. 779. Mit Illustration S. 772. – Eine Täuschung. S. 779. – Das Makart-Wandbouquet. Mit Abbildung S. 779. – Jakob I. S. 779. – Eine musikalische Antiquität. S. 779. – Allerlei Kurzweil: Bilder-Räthsel. – Auflösung des Scherz-Rebus in Nr. 46. – Kleiner Briefkasten. S. 780.


Wichtig für Eltern und Erzieher!

Im Verlag von Gebrüder Kröner in Stuttgart erscheint:

Universalbibliothek für die Jugend.

Das unter diesem Titel in’s Leben gerufene Unternehmen verfolgt den Zweck, aus dem reichen Schatze der in- und ausländischen Jugendliteratur das Beste in geschmackvoll ausgestatteten Bänden und mit hübschen Bildern geschmückt zu enorm billigen Preisen darzubieten:

von 20 Pf. an bis höchstens 1 Mark 20 Pf. je nach dem Umfang.

Sämmtliche in die „Universalbibliothek für die Jugend“ aufgenommenen Werke sind von bewährten Pädagogen und Jugendschriftstellern ausgewählt oder bearbeitet, und umfassen Erzählungen, Reisebeschreibungen, Märchen, Fabeln etc., zu beliebiger Auswahl für Knaben und Mädchen aller Altersstufen. Bei Durchsicht des nachstehenden Verzeichnisses der bis jetzt erschienenen Bände zeigt in den meisten Fällen schon der Titel, was für die einen und andern sich eignet.

Inhalts-Verzeichniß:

[ Verzeichnis der bis dato erschienenen Bändchen in Tabellenform, derzeit hier nicht dargestellt. ]