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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1881
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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[185]

No. 12.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Amtmanns Magd.

Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)
18.

Nach kurzer Zeit kam er wieder herunter und schritt durch die Hausflur nach dem Ausgange. Er hatte den Anzug gewechselt und das von Sturm und Regen zerzauste, volle Haar geglättet; er sah stattlich, fast feierlich aus.

„Meiner Treu, wirklich beinahe wie ein Hochzeiter!“ rief Frau Griebel von der Küche her. „Aber der Garten trieft noch, und in der nächsten Minute wird das schöne, flotte Röckchen da gerade so naß sein, wie vorhin Ihr Reiserock, Herr Markus. Und da soll ich wohl nun auch mit meinem Eßzeuge durch alle die Pfützen und Tümpel nach dem Gartenhäuschen schwimmen?“

Er sagte ihr, daß er um acht Uhr droben in seinem Zimmer zu essen wünsche, bis dahin aber im Pavillon durchaus nicht gestört sein wolle – durch Niemand, auch durch die „fürsorglichste aller Pflegemütter“ nicht. Damit verließ er eiligst das Haus, als gelte es, eine Versäumniß auszugleichen.

Im Pavillonstübchen schlug ihm noch die ganze eingeschlossene Nachmittagsschwüle entgegen. Er schüttelte mit ernstem Lächeln den Kopf, als er die Altanthür zurücklehnte, um die erfrischte Luft einströmen zu lassen. … Vor kaum zwei Stunden war er da hinabgestiegen – nur bis an die Gehölzecke und dann wieder zurück hatte er gehen wollen, keinen Schritt weiter! … Was für ein erbärmliches Ding ist doch der Menschenwille dem Verhängniß gegenüber, wenn es einer Entwickelung zuschreitet! Nun ja, es hatte immerhin Noth und Mühe genug mit ihm gehabt, bis er begriffen. Es hatte ihn gleichsam packen und vor sich herstoßen müssen; es hatte ihn in den Wald gejagt, wo sich das Räthsel in lieblichster Weise lösen sollte. Vor einer dunklen Thür hatte er gestanden und sich störrisch darauf capricirt, sie mit dem Kopfe einzustoßen; sein Bischen Phantasie hatte sich sogar bis unter die Zigeuner verirrt, aber über das greifbar Naheliegende war sein blöder Blick ahnungslos hinweggestreift. Er trug allerdings nicht allein die Schuld – für sämmtliche Bewohner des Hirschwinkels war die auf dem Felde Hantirende zweifellos Amtmanns neue Magd gewesen; sie Alle hatten seinen Wahn veranlaßt, und der Einzige, der den wahren Sachverhalt gewußt, der Amtmann, er war erst recht beflissen gewesen, den Irrthum zu bestärken – er hatte die aufopferungsvolle Nichte im Arbeitskittel einfach verleugnet, der alte Komödiant, der!

Nun hatte sich Alles gewandelt. Die dräuende Gewitterwand am Himmel hatte sich in eitel Segen und Wohlgefallen aufgelöst, und die dunkle Thür war weit, weit aufgethan, er aber ging wieder, wie vor zwei Stunden, in unbeschreiblicher Spannung auf und ab. … So beklemmend still, wie vor dem Gewitter, war es draußen nicht mehr. Alles, was Leben und Odem hatte, regte sich mit neugestärkter Kraft, und die reine, gekühlte Luft trug jeden Laut scharf herüber. Im Vogelnest unter dem Pavillondache schrie die gelbschnäbelige Jugend ungeberdig nach den emsig hin- und herfliegenden Alten; vor dem Fenster tanzte eine Mückenwolke, und die weißen Schmetterlinge waren auch wieder da und gaukelten wie Schneeflocken über dem Felde.

Dort um die Gehölzecke konnte es ja auch jeden Augenblick weiß dahergeflattert kommen – es sollte und mußte sogar, wenn es ihm nicht gehen sollte, wie Einem, der freventlich einen günstigen Moment hat vorübergehen lassen, um Alles auf eine Glückskarte zu setzen. … Wenn er sich nun in seinen Voraussetzungen betrogen hatte? Wenn sie sein Lebewohl im Grafenholze ernst und stolz als das letzte ansah und seinen Lebensweg nie wieder kreuzte? – Das Blut schoß ihm stürmisch nach dem Kopfe, und im nächsten Augenblicke stand er draußen auf dem Altan – ach nein, nicht eine einzige Stufe brauchte er hinabzusteigen.

Er schützte seine Augen mit der bebenden Hand gegen die eben hervorbrechende rothgoldene Abendsonne und sah angestrengt nach dem fernen Unterholze – hinter dem Gezitter der Nadelzweige regte es sich und kam stetig vorwärts, und es waren nicht wieder die blauen, vom Basthütchen wehenden Bänder, die er heute Nachmittag im heftigen Unmuthe verwünscht hatte, nein, weiß und plump und unschön, wie nur ein grobes, einen Menschenkopf verhüllendes Tuch aussehen kann, hob es sich über die letzten zwerghaften Fichten. – Ein wilder, kaum zu unterdrückender Jubelschrei drängte sich ihm auf die Lippen, und das Herz hämmerte ihm zum Zerspringen in der Brust.

Er trat schleunigst in das Pavillonstübchen zurück, und sie bog drüben um die Ecke. Die weiten, weißen Hemdärmel flogen ein wenig auf im Zugwinde, der dort vorüberstrich, und es war, als fasse er auch ihre schlanke Gestalt an und mache ihren Gang unsicher. Sie war in ihrem schäbigen Arbeitsrocke; die breite, blaue Leinenschürze stand in steifgestärkten Falten um die Taille, und die Linien der Büste verschwanden unter dem unförmlichen, dickfaltigen, auf dem Rücken geknüpften Busentuche. Das „Scheuleder“ war aber noch nie so tief in’s Gesicht gezogen gewesen wie heute.

So kam sie daher, ängstlich, wie verscheucht, und einen Augenblick schien es, als vergehe ihr aller Muth beim Erblicken des [186] Pavillons mit seiner offenen Thür und die Neigung, eiligst den Rückzug anzutreten, gewinne die Oberhand. Das war ein kritischer Moment, der dem Mann im Häuschen auf der Mauer den Herzschlag stocken machte, aber er ging vorüber; die „Samariter-Barmherzigkeit“ siegte und trieb das Mädchen Schritt um Schritt weiter.

Er mußte an den Morgen denken, wo sie so unbefangen desselben Weges gekommen war. Da hatte sich die einsam daherwandelnde Erscheinung aus der Morgensonnenbeleuchtung wie aus goldigem Grunde abgehoben – jetzt troff das Abendlicht wie dunkelglühender Purpur auf die regengetränkten Fluren nieder – recht so! In Gluthen mußte es untergehen, das Sehnen und Bangen, das Ringen und Kämpfen, das mit jenem Morgen angefangen. Damals hatten sein Uebermuth, sein ungezähmtes Freiheitsgefühl mit dem Mädchenstolz und -Trotz auf dem Kriegsfuß gestanden, und heute war er der Besiegte, aber auch heute – lief ihm das scheue Wild in’s Garn.

Tief in die Divanecke gedrückt, regte er sich nicht und hielt unbewußt den Athem an. Ihm war, als hänge in diesem Moment sein ganzes Lebensglück an einem dünnen Faden – ein Vogel, der plötzlich aus dem Dickicht seitwärts schwirrte, eine über den Weg huschende Feldmaus, ein Geräusch vom Gutshause her konnten die geängstigte Mädchenseele emporschrecken machen und das Wild auf Nimmerwiederkehr verscheuchen. … Je näher sie kam, desto heftiger schlugen seine Pulse. Mit fast flehendem Ausdruck sah sie nach der offenen Thür herauf und hoffte jedenfalls auf irgend eine entgegenkommende Hülfe – ah, um keinen Preis streckte er ihr auch nur die Fingerspitzen entgegen. Er wollte die ganze Süßigkeit der Situation auskosten – sie mußte von selbst, aus eigenem innersten Antriebe bis dicht unter seine Augen kommen.

Nun sah er sie nicht mehr – sie ging unter dem Häuschen hin. Er hörte, wie sich die rauhen Kornhalme drunten im Vorüberstreifen an den Falten ihres wollenen Kleides rieben: ein etwas schwerfälliger, zögernder Tritt erschütterte leise das schwanke Treppchen – dann stand sie plötzlich oben und lehnte sich wie athemlos und erschöpft an das Altangeländer.

Er sprang auf und trat zu ihr.

„Ich halte Wort,“ murmelte sie, fast in sich hinein. Sie blickte unter einem nervösen Zucken der Lider seitwärts auf das Kornfeld hinab, und ihre Hand ließ das Altangeländer nicht los.

„Ich wußte es,“ sagte er.

Jetzt sah sie mit einem schmerzlich zürnenden Blick zu ihm auf. „Ja, Sie waren Ihrer Sache gewiß, nach den Erfahrungen, die Sie mit dem Gouvernantenthum gemacht haben,“ entgegnete sie bitter und zog das weiße Tuch wie zum Schutz gegen ihn und die ganze Außenwelt noch tiefer um das Gesicht. Ihr Ton und diese Bewegung belehrten ihn, daß er noch weit vom Ziele sei.

„Ich wußte, daß mein lieber Heilgehülfe es nicht über das Herz bringt, einen Mitmenschen hülflos leiden zu lassen,“ sagte er zurückhaltend und stellte sich seitwärts hinter die Schwelle des Stübchens, um die Angekommene eintreten zu lassen. Sie ging auch sofort an ihm vorüber nach dem Tische, wo sie das Verbandzeug aus ihrem Körbchen nahm.

Er vermied es, sie anzusehen, während er neben sie trat – nur die größte Ruhe und Beherrschung seinerseits konnte ihr die Fassung zurückgeben, nach der sie sichtlich rang. Er sah, wie jede Fiber an ihr bebte, wie ihre Hände sich erfolglos abmühten, die aus einander fallenden Verband-Utensilien zu ordnen. „Wie ungeschickt!“ murmelte sie und fuhr mit der Rechten nach der Stirn. „Ich weiß nicht – die Luft hier beklemmt mich – was für ein jammervolles Geschöpf bin ich doch!“

Sie löste mit fiebernder Hast die Tuchzipfel unter dem Kinn und schob die Hülle nach dem Nacken zurück, um freier aufathmen zu können, und nun griff sie, ohne aufzusehen, nach seiner verbundenen Hand.

„Die Qual wird bald ein Ende haben,“ sagte er in Tönen, die beruhigen sollten, sie erstickten aber halb in seiner eigenen inneren Bewegung. Sie schwieg und begann die Leinenbinde abzuwickeln.

„Nun, das wenigstens ist mir erspart geblieben. Sie haben sich nicht auf’s Neue verletzt,“ sagte sie und hob die Stirn. „Die Wunde heilt sehr gut. Sie werden kaum eine sichtbare Narbe behalten.“

„Wie schade! Ich würde mich zeitlebens über das Erinnerungszeichen gefreut haben, wie der Student über eine kräftige Quart in seinem Gesicht. Und damit soll wohl nun auch gesagt sein, daß die chirurgische Behandlung nicht mehr nöthig ist?“

„Die meine wenigstens nicht,“ versetzte sie, während sie einen frischen Leinenstreifen mit flinken Händen aufrollte. „Was noch geschehen muß, das kann Frau Griebel ganz gut besorgen.“

„Ah, Sie sind sehr gütig. Nun denn, ich muß mich bescheiden, wenn ich auch nicht gerade gewillt bin, die brave Griebel zu meinem Heilgehülfen zu ernennen. … Vielleicht darf ich mir auf dem Vorwerk weitere Verhaltungsmaßregeln holen –“

„Das würde ein vergeblicher Weg sein,“ fiel sie ein, ohne von ihrer Beschäftigung aufzusehen. Dann trat sie von ihm weg – ihre Aufgabe war erfüllt.

In fliegender Eile raffte sie ihr Verbandzeug zusammen und schob es in ihr Körbchen. Ehe er sich dessen versah, war sie an ihm vorüber zur Thür hinausgehuscht, wie ein befreiter Vogel, der das Weite sucht. Erst draußen auf dem Altan, den Fuß bereits auf die zweite Stufe setzend, wandte sie sich noch einmal zurück: „Ist es nun genug der Selbstverleugnung?“ fragte sie, und verhaltener Jammer, mit bitterem Trotz gemischt, brach aus diesen Tönen. „Trüge jedes Samariterwerk einen solch schmerzenden Stachel der Demüthigung in sich, dann –“

„Warum quälen Sie sich und mich mit dieser kleinen Bosheit, die Ihnen nicht einmal aus dem Herzen kommt?“ unterbrach er sie – er hatte nach seinem Hut gegriffen und stand bereits neben ihr. „Nun ja, ich habe auf meinem Recht bestanden – wer will mir das verargen? – und Sie erfüllten einfach Ihr gegebenes Wort. Ist das so schlimm? Dafür begleite ich Sie jetzt ritterlich – nein, protestiren Sie nur nicht! Sie wissen wahrscheinlich gar nicht, daß der Hirschwinkel von Zigeunern wimmelt.“

„Ach so, die könnten mich ja mitnehmen und auf dem Seile tanzen lassen,“ wandte sie sich mit einem halben Lächeln nach ihm um, der hinter ihr das Treppchen herabstieg.

„Wahrhaftig, wenn auch nicht auf dem Seile, so doch unter dem Leinendach eines Wagens; zwischen alten Hexengesichtern und wilder, junger Zigeunerbrut habe ich Sie heute schon gesehen. Doch das erzähle ich Ihnen später einmal, das heißt,“ verbesserte er sich schleunigst, „das heißt, wenn einmal die Gnadensonne in der Mansarde über mich armen Burschen aufgehen sollte! – Dazu ist bis jetzt freilich noch wenig Aussicht vorhanden, und da ich weiß, daß in vielleicht kaum einer halben Stunde mit dem weißen Kopftuch und dem Arbeitscostüm da auch Amtmanns Magd für immer verschwinden wird, so werde ich diesen kurzen Moment ausnutzen, so viel ich kann.“

Sie streifte ihn mit einem schnellen Seitenblick – er machte ein sehr ernstes Gesicht, während sich seine Schritte verlangsamten. Die Beiden gingen bereits neben dem Gehölz hin, etwas mehr inmitten des Weges; denn noch glitzerten die langen Nadelbärte der Fichten im Wassergerinnsel, und das vordrängende Dickicht war beperlt mit Millionen rollender Tropfen. All dieses Gefunkel aber und die regenbestäubten Aehrenspitzen des Kornfeldes, jede kleine spiegelnde Lache am Wege, fingen die rothe Gluth des Abendlichtes auf – versöhnend, nach dem Gewitteraufruhr, schienen Himmel und Erde, Sonnenfeuer und Wasser in einander zu schmelzen.

„Was glauben Sie, daß der junge Franz nach seiner Wiederherstellung beginnen wird?“ fragte der Gutsherr, ohne jede weitere Einleitung. „Nach Californien kehrt er doch keinenfalls zurück?“

Sie schüttelte heftig den Kopf.

„,Lieber Steine klopfen an einer Thüringer Chaussee!’ hat er mir in der ersten Stunde des Wiedersehens gesagt.“ Ein tiefer Seufzer hob ihre Brust. „Sie wissen selbst am besten, in welchem Zustande der ,Goldjunge’ des alten Mannes auf dem Vorwerk seine Heimath wieder betreten hat. Wie er mir sagte, haben Sie ihn barmherzig vom Wege aufgenommen und die erste Nacht im Gutshause verpflegt. … Scham und Jammer haben ihn freilich dort nicht gelitten – er hat lieber einsam im Walde sterben und vermodern wollen, als fremder Barmherzigkeit anheimzufallen – das begreife ich, das begreife ich nur zu gut,“ unterbrach sie sich leidenschaftlich und preßte die Hände auf die Brust. – „Er hat Recht gehabt. Ein einsames Sterben ist nicht halb so bitter, wie unter dem fortgesetzten Druck demüthigender Wohlthaten leben zu müssen.“

Sie verstummte für einige Secunden. Mit schmerzhaft zusammengezogenen Brauen, die Unterlippe hart zwischen die Zähne [187] geklemmt, starrte sie in den glühenden Himmel hinein, und der Mann an ihrer Seite unterbrach dieses zürnende Schweigen mit keiner Silbe.

„Er hat sich so durch den Wald und weiter geschleppt,“ fuhr sie Nach einem tiefen, beklommenen Athemholen fort, „bis er mir am Thore des Vorwerks in die Arme getaumelt ist –“

„Und Sie haben es möglich gemacht, den Erschöpften fortzubringen?“

„Die Angst hat mir die Kraft gegeben – er mußte aus den Augen seiner Eltern. Die alte Frau wäre bei seinem herzbrechenden Anblicke gestorben.“

„Es ist ein weiter Weg bis ins Forstwärterhaus –“

„An jenem Morgen schien er mir endlos. Aber dann fand ich auch den kräftigsten Beistand. Der Forstwärter, der treue Mensch, ist Otto’s Spiel- und Jugendgefährte gewesen; er weinte und lachte in einem Athem bei dem traurigen Wiedersehen. Wenige Stunden später lag der Heimgekommene bereits im Delirium –“

„Und lärmte in seinen Fieberphantasien, daß der Wald widerhallte,“ ergänzte der Gutsherr mit bedeckter Stimme. „Und die Leute, die das tolle Gelächter draußen hörten, haben gemeint, es seien Zechbrüder in der Eckstube mit den verhüllten Fenstern. … Ja, ich weiß es, und um ein hartes, böses, rachsüchtiges Wort, mit welchem man tief in ein edles Herz hineingeschnitten hat, vergessen zu machen, dazu reicht ein Mannesleben voll anbetender Liebe wohl kaum aus.“

Sie wandte wie erschrocken das Gesicht von ihm weg, und es schien fast, als überlege sie, ob sie sich nicht doch lieber einen Weg durch das triefende Dickicht da seitwärts bahnen solle.

Ihrem Begleiter mochte diese unwillkürliche Fluchtgeberde wohl entgehen; denn er fragte in diesem Augenblicke so ruhig, als sei er nicht mit einem einzigen Gedanken von dem Gesprächsthema abgeirrt gewesen:

„Welchem Berufe hat der nachherige Goldsucher ursprünglich angehört?“

„Er ist Oekonom,“ versetzte sie und wich, nunmehr weitergehend, den Fichtenzweigen aus, die sich tropfenschwer über den Weg hereinreckten. „Früher hat er Aussicht gehabt, einst der Nachfolger seines Vaters auf der Domäne Gelsungen zu werden – damit ist es selbstverständlich längst aus und vorbei. Und jetzt, nachdem er draußen so furchtbar Schiffbruch gelitten hat, sind seine Lebensansprüche auch sehr bescheiden geworden. Einen einfachen Wirkungskreis, der ihm sein sicheres Brod giebt es auch bei härtester Arbeit im abgelegensten Erdenwinkel – und das Zusammenleben mit seiner alten Mutter, weiter gehen seine sehnsüchtigen Wünsche nicht.“

„Dann könnte er ja im Hirschwinkel bleiben.“

Sie blieb abermals stehen und sah ihn mit freudigem Ausdrucke an. „Würden Sie ihm das Vorwerk in Pacht geben?“

Er blickte zur Seite und zuckte die Achseln. „Darüber steht mir die Verfügung nicht mehr zu.“

„,Nicht mehr zu‘?“ wiederholte sie die letzten Worte tonlos und mechanisch, in athemloser Bestürzung – sie war ganz blaß geworden. „Haben Sie den Hirschwinkel verkauft?“

„Was denken Sie? Ich sollte meine Perle verkaufen, die mir Glückspilz unverdientermaßen in den Schooß gefallen ist? Nein, eher gäbe ich das Etablissement Markus unter den Hammer! Die Sache ist die, daß das Vorwerk schon seit länger als einem Jahre nicht mehr zum Gute gehört.“

„Und Sie hätten wirklich kein Verfügungsrecht mehr darüber? Und die unglücklichen alten Leute sollen abermals um das Dach über ihrem Haupte kämpfen und sorgen müssen?“ rief sie in halber Verzweiflung und ließ wie niedergeschmettert den Kopf auf die Brust sinken. „Wie grausam! Gerade jetzt diese Enthüllung, wo Sie der armen Kranken den Riß zum Neubau auf das Bett gelegt haben! Durften Sie das ohne Vorwissen des jetzigen Eigenthümers?“

„Ich habe die Genehmigung der Besitzerin vorausgesetzt.“

„,Der Besitzerin’? – Einer Dame gehört das Vorwerk?“ Sie sah erstaunt, aber auch ermuthigter auf. „Und Sie sagten vorhin selbst, daß Otto Franz im Hirschwinkel bleiben könne – da wird die neue Besitzerin jedenfalls auch verpachten?“ –

Er zog die Schultern empor und sah ihr lächelnd in das angstvoll gespannte Gesicht.

„Das weiß ich nicht – da müssen Sie Fräulein Agnes Franz fragen.“

Sie stand wie versteinert und ließ es willenlos, wie geistesabwesend, geschehen, daß er ihre beiden Hände ergriff und einen Moment festhielt. Er erzählte ihr, wie er durch Zufall den letzten Willen seiner Tante gefunden habe, und zog schließlich das Notizbuch der verstorbenen Frau Oberforstmeisterin aus der Brusttasche, um den Beweis zu erbringen.

Thränen der Rührung flossen über ihr Gesicht beim Ueberfliegen der Schriftzüge, aber sie nahm das dargebotene Buch nicht in die Hand; sie schob es vielmehr sanft von sich.

„Das ist ja kein rechtskräftiges Testament, mein Herr,“ sagte sie, ihre tiefe Bewegung niederkämpfend, fest und entschieden. „Niemand in der ganzen Welt würde darauf hin der in Aussicht genommenen Erbin auch nur den Schein eines Anspruchs zugestehen.“

„,Niemand’?“ wiederholte er. „Ei, was hat Ihnen denn die arme Welt gethan, daß Sie meinen, sie sei voll Spitzbuben? Möglich, daß es Leute genug giebt, denen der letzte Wille eines der Ihrigen nichts gilt, wenn nicht so und so viele Tintenkleckse von fremder Hand darunter stehen – meinetwegen mögen sie sich dabei sogar vollkommen auf dem sogenannten Rechtsboden befinden – aber so wie ich denke, ist das Anrufen des Gesetzes in einem solchen Falle eine absolute Veruntreuung. Nein, nein, schütteln Sie nur nicht den Kopf über mich, als käme ich aus irgend einem verklungenen, sagenhaften Lande mit meinen Rechtsbegriffen! Mögen sie immerhin ein wenig schwerfällig sein, wie das ganze Rüstzeug meiner geistigen Beschaffenheit – Sie haben ja selbst erfahren, wie ungelenk ich im Auffassen der Menschen und Dinge bin, wie ich in lächerlicher Vertrauensseligkeit brav und bieder das Seltsamste wochenlang als baare Münze genommen habe – ich sage, den obersten, unfehlbaren Richter, das Gewissen, haben sie doch für sich.“

Sie war bei seiner Anspielung auf die Rolle des Dupirten, in der sie ihn wider Willen hatte belassen müssen, tief erröthend und raschen Schrittes weiter gegangen, und er war an ihrer Seite geblieben. Die Gehölzecke lag hinter ihnen, und der Vorwerksgarten kam in Sicht.

„Angenehm war mir der Fund im Arbeitsbeutel meiner seligen Tante allerdings insofern nicht, als er mich mit der fatalen Amtmannsnichte in persönliche Berührung bringen mußte,“ fuhr er nach einem sekundenlangen Schweigen fort, und der liebenswürdige Humor, der sein Gesicht so verschönen konnte, brach förmlich leuchtend durch. „Ich betäubte aber sündhafter Weise mein Pflichtgefühl und machte mir es selber plausibel, daß ja auch mein Sachwalter die Sache ganz gut abwickeln könne, wenn ich den Hirschwinkel wieder im Rücken haben würde. Nun trat aber plötzlich auch ein Amtmannssohn in meinen Gesichtskreis, und dadurch wurde die Angelegenheit schwieriger. Ich sah mich gezwungen, die Verhältnisse auf dem Vorwerke näher zu erforschen, wenn ich das Richtige thun wollte. Ich mußte mich fragen, weshalb die Testatorin ein Mädchen als Vormünderin und Versorgerin für die beiden Alten einsetzte, während sie die natürlichste Stütze, einen Sohn, hatten.“

„Ich verstehe die liebe, treue alte Freundin vollkommen,“ entgegnete das an seiner Seite schreitende Mädchen bewegt. „Otto war stets gutmüthig und nachgiebig bis zur Schwachheit. Seinem herrischen Vater gegenüber hatte er weder Muth noch Willen, genau wie seine arme Mutter. Aber nun, wo ihm das Leben so bittere Lehren gegeben hat, wo er weiß, wie weh der Hunger thut, und daß er nur durch Sparsamkeit, durch Energie der bewußten Verschwendungsmanie gegenüber den Lebensabend seiner Eltern sorglos machen kann, nun –“

„So meinen Sie, ich solle die letztwillige Verfügung in diesem Buche zu seinen Gunsten corrigiren?“

Sie schwieg einen Moment und hob die schönen, schimmernden Augen voll unaussprechlicher Dankbarkeit zu ihm empor. „Nun denn, ja!“ antwortete sie fest, „wenn es nicht ein Unrecht meinerseits ist, Sie in dieser unerhörten Großmuth zu bestärken.“

Er lachte und stieß das Gartenthürchen auf, vor welchem sie eben ankamen. „So darf ich Sie also nicht auffordern, nunmehr Ihren eigenen Grund und Boden zu betreten, wie ich vorhatte – Sie haben sich Ihres Rechtes begeben –“

„Mit tausend Freuden!“ rief sie eintretend und wandte sich [188] nach ihm zurück. „Ich brauche Nichts – und das weiß ich“ – sie faltete die Hände inbrünstig über der Brust – „wohin ich auch gehen mag, hier wird mir die Heimath bleiben, hierher darf ich kommen, wenn ich auch einmal das süße Gefühl des ,Zuhaussseins’ kosten will.“

„Ich sollte meinen, diese Berechtigung hätten Sie sich schwer genug errungen. Aber wissen Sie denn nicht, daß der echte, rechte Mann und Hausherr es nicht duldet, wenn sein Weib ein zweites Heim neben dem seinen geltend macht?“

Sie trat von ihm weg mit einem bösen, bitteren Ausdrucke in ihrem erblaßten Gesichte. „Das sind Verhältnisse, die weitab von meinem Lebenswege liegen,“ entgegnete sie finster. „Mir wird nie ein Mann vorzuschreiben haben, was ich thun oder lassen soll. Glauben Sie, ich könnte auch nur einen Bissen Brod von dem Tische eines Mannes essen, der in seinem Innern fortwährend mit dem Verdachte kämpfte, nicht die Liebe, sondern das Verlangen nach einer begehrenswerthen äußern Lebensstellung habe mich in seine Arme getrieben? Nein, dagegen ist das selbstverdiente Brod der Gouvernante ein süßes, ein hoch ehrenhaftes. Und ich werde es essen, so lange mir Leben und Schaffenskraft verbleiben.“

„Agnes!“ – – Er hatte ihre beiden Hände ergriffen; er hielt sie trotz alles Sträubens fest und zog sie an sich. „Wollen Sie denn wirklich den übermüthigen Burschen so grausam züchtigen, der, von einem Wahne, einem oberflächlichen Vorurtheile ausgehend, selbst nicht gewußt hat, was er verübt?“

Ein schelmisches Lächeln zuckte um seinen Mund.

„Soll ich hier, in diesem verregneten Garten, Ihnen zu Füßen sinken und um Verzeihung bitten? Soll ich das Bischen Geld, um deswillen Sie den bösen, eingebildeten Menschen nicht wollen, in die Spree werfen? Ich will Alles thun. Ich will das verlästerte Gouvernantenthum zeitlebens auf den Schild heben und Lanzen für seine Ehre und Respectabilität brechen, wo ich kann! Ich will zu dem Heim für alternde Erzieherinnen bis an mein Ende beisteuern, so viel in meiner Macht steht - Alles zur Verbüßung meiner Schuld – Agnes!“ – seine Stimme nahm wieder einen ernsten, innigen Klang an – „Sie wissen wohl gar nicht, daß Sie geben, und nicht ich? Sie sprachen vorhin von der begehrungswerthen äußeren Lebensstellung – wer sagt denn, daß ich Ihnen eine solche zu bieten habe? Mir rollt weder aristokratisches Blut in den Adern, noch habe ich irgend einen öffentlichen oder gar geheimen Commerzienrathtitel mit meiner Person herumzuschleppen. Mein guter braver Vater ist mit dem Ränzel auf dem Rücken als Handwerksbursch die Welt wohl auf, wohl ab gewandert – ich bin ein Arbeitersohn und habe als junges Blut von der Pike auf dienen, das heißt an Ambos und Schraubstock stehen müssen, so gut, wie alle mir jetzt untergebenen Arbeiter auch. Und heute noch, wenn es gilt, Neues zu erproben, könnte es geschehen, daß ich mit berußtem Gesicht in das Zimmer meiner Frau träte – sehen Sie, ich bin bester, weit besser als Sie – mir nimmt Niemand die Ueberzeugung, daß sie, die feingebildete Gouvernante, in einem solchen Falle nicht zurückschrecken, sondern weit eher die Spuren des Handwerks ehren würde – habe ich Recht, Agnes?“

Sie hatte den Kopf tief auf die Brust gesenkt – kein antwortender Laut kam ihr über die Lippen, aber helle Tropfen fielen von ihren Wimpern.

„Ich sollte eigentlich gar kein Wort mehr verlieren, sondern einfach nehmen, was mein ist,“ fuhr er fort. „Fragt etwa der Vogelsteller seinen kleinen Gefangenen um die Erlaubniß, ihn behalten zu dürfen? Und mein waren Sie in dem Augenblick, wo Sie vorhin freiwillig mein Gebiet betraten. Ich sage Ihnen in Ihr liebes, geliebtes Gesicht hinein, nicht die Samariterpflicht, nicht die Gewissenhaftigkeit, die ein gegebenes Wort streng erfüllt, hat Sie Ihren Mädchenstolz, Ihr gekränktes Ehrgefühl überwinden lassen – es war derselbe unwiderstehliche Zug, der mich rettungslos gepackt und förmlich an Ihre Fersen gekettet hat – wir gehören eben zusammen bis in alle Ewigkeit. – Nun, Agnes, böse Unversöhnliche, wollen Sie noch weiter kämpfen?“

„Wie kann ich denn, wenn Sie mir eine Waffe um die andere aus der Hand winden?“ murmelte sie und verbarg ihr Gesicht an seiner Brust.

Sie standen nicht weit von der Lindenlaube, und es war so feierlich still im ganzen Garten und unter der grünen Wölbung dort, daß man die immer noch vereinzelt niedersinkenden Wassertropfen auf der Steinplatte des Tisches klingen hörte, und in diese Stille hinein fiel auch nicht ein einziges Wort mehr zwischen den beiden Menschen, die sich innig umschlungen hielten.

Später gingen sie Hand in Hand den Weg entlang, der durch das Himbeergebüsch in den Hof führte. Sie kamen auch an dem Kräuterbeet vorüber, wo das junge Mädchen beim ersten Besuch des Gutsherrn auf dem Vorwerk erschrocken oder vielmehr „neidisch“, wie er behauptete, die langen Aermel über die entblößten Arme gezogen hatte.

„War es nicht doch ein wenig Franz’scher Stolz, der Dir in Deinem Arbeitscostüm die Begegnung mit Fremden peinvoll machte, und Dich bewog, die Maske als Magd festzuhalten?“ fragte er.

„Nein, gewiß nicht! Im Anfang amüsirte mich der Irrthum, und ich that deshalb nichts, ihn aufzuklären; später aber hielt ich ihn geflissentlich fest im Gefühl tiefen Gekränktseins, in bitterem Trotz und Groll – Du solltest die verachtete Gouvernante nie kennen lernen. … Ich hatte übrigens auch Befehl, das Visir nicht zu öffnen. Der Onkel war außer sich bei dem Gedanken, der neue Gutsherr könne in der Arbeiterin auf dem Felde die Nichte des Amtmanns wittern; er nahm mir das Wort ab, auf meiner Hut sein zu wollen, bis – der ,Gutsherr’ abgereist sein würde. – Er ist darin nun einmal schwach, der alte Mann –“

„Häßlich undankbar, willst Du sagen,“ zürnte er. „Und die Lehre dafür kann ich ihm nicht ersparen,“ setzte er, in sich hinein murmelnd, hinzu. Dabei schritt er über den Hof, während Agnes von seiner Seite weg, unter den Fenstern des Wohnhauses hinhuschte, um droben im Mansardenstübchen die Kleider zu wechseln.

(Schluß folgt.)




Wilhelm Taubert.

Am 23. März dieses Jahres vollendet einer der beliebtesten und verdienstvollsten Tonsetzer Deutschlands sein siebenzigstes Lebensjahr, ein Componist, dessen eigenartigste Schöpfungen, seine „Kinderlieder“ sich nicht nur in den Concertsälen Deutschlands, sondern in allen deutschen Familien, auch jenseits des Meeres eine bleibende Stätte errungen haben – Wilhelm Taubert.

Die Quelle dieser „Kinderlieder“, von denen einige, wie das überall gesungene „Schlaf’ in guter Ruh’!“ längst zu Volksliedern geworden sind, ist ein reiches, reines Gemüth, ein kindlicher Frohsinn. Ein Humor, der unter Thränen lächelt, eine entzückende Schalkhaftigkeit, hier Wärme und Tiefe der Empfindung, zumal in den Wiegenliedern und in dem Ausdruck mütterlicher Freude, dort die überraschende Fassung mancher Vorwürfe, die scheinbar der musikalischen Form widerstreben – das sind die Kennzeichen dieser Schöpfungen. Die Lieder gleichen einem Strauße von frischen, duftigen Haideblumen, in deren Kelchen die Thautropfen glitzern, und in der überreichen Zahl ist auch nicht eines, das an gemachte Blumen erinnerte. Sie wirken so herzerfreuend und ursprünglich, weil ihr Schöpfer selbst eine ursprüngliche Natur ist, die nur sich selbst zu geben braucht, um ihrer Wirkung gewiß zu sein; außerdem hebt sie die Kunst der feinsten Arbeit, namentlich in der Clavierbegleitung, weit über die Sphäre der Alltäglichkeit hinaus. Bedeutende Sängerinnen haben nicht wenig zur Verbreitung dieser Lieder beigetragen, z. B. Jenny Lind, Johanna Wagner, Luise Köster und jüngst noch Etelka Gerster, welche durch den vollendeten Vortrag des eigens für sie componirten, überaus duftigen und schalkhaft anmuthigen Liedes „Märznacht“ die Hörer elektrisirte.

Schon die Taubert’schen „Kinderlieder“ allein dürften heute, da der Componist seinen Ehrentag feiert, einen flüchtigen Rückblick auf sein Leben rechtfertigen, und so mögen die folgenden Zeilen bei den deutschen Lesern und besonders den Leserinnen nah und fern eine freundliche Aufnahme finden!

In das Jugendalter des Meisters fällt der große, nationale Aufschwung Preußens und Deutschlands, der den Sturz des französischen Eroberers herbeiführte. Inmitten der kriegerischen Scenen jener bewegten Zeit zeigt uns Taubert’s Knabenleben eine [189] Reihe anziehender Genrebilder. Sein Vater, damals Kanzleidiener im Kriegsministerium, war früher Regimentshautboist gewesen; unter verschiedenen musikalischen Instrumenten, die er besaß, befand sich auch eine Piccoloflöte, deren sich der Sohn bemächtigte, und auf welcher er bald kleine Melodien nach dem Gehöre zu blasen lernte; dann ertönte wohl auf den Höfen der Nachbargrundstücke die Flöte des Kleinen oder auch sein hellstimmiger Gesang und lockte die Bewohner an die Fenster, aus denen manches Zuckerwerk zu dem winzigen Spieler herniederfiel. Als der Vater noch der edlen Kunst diente, da hatte er den Knaben nicht selten in die Gartenconcerte mitgenommen, in denen er beschäftigt war, und hier war es, wo der frische Knabe sich durch ein gelegentliches Flötensolo, sowie in der Folge durch einige für Harmoniemusik gesetzte Tänze oder Märsche einen frühzeitigen Beifall gewann; bei der Rückkehr nach Hause pflegte dann wohl das Paar auf einer Bank zu rasten, und der Kleine sah dem guten Vater zu, wie er hier den kärglichen Verdienst abzählte.

Wilhelm Taubert.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Mit dem Beginne seines achten Jahres erhielt Taubert den ersten Clavierunterricht von dem späteren Dirigenten des Domchors, Neithardt, während zugleich die Flöte nicht vernachlässigt wurde und auch das Violinspiel hinzutrat. Einen Wendepunkt in dem Jugendleben des Künstlers aber bildete die Fürsorge, welche fortan der kunstsinnige, auf den Knaben aufmerksam gewordene General von Witzleben der Ausbildung seines Talentes widmete. Der Wohlthäter enthob den unbemittelten Vater der weiteren Sorge für den Unterricht des Sohnes, dessen Lehrmeister nun Ludwig Berger wurde. In einem Alter von vierzehn Jahren ließ sich Taubert zum ersten Male öffentlich mit einem Concert von Dussek und den Variationen seines Lehrers über „Schöne Minka“ hören. Hier passirte es ihm, daß er sich an einer schwierigen Passage den Daumen wund gespielt hatte, sodaß ihm Berger kurz vor Beginn des Concertes die Stelle ändern mußte; aber die neue Passage perlte unter den Fingern des jungen Virtuosen mit derselben Klarheit und Sicherheit dahin, als ob er längst mit ihr vertraut gewesen wäre, und noch oft kam des Lehrmeisters Lob auf diese Begebenheit zurück.

Sechszehn Jahre alt verließ Taubert, der inzwischen auf Witzleben’s Wunsch das Friedrich Wilhelms-Gymnasium mit dem französischen vertauscht hatte, mit dem Zeugniß der Reife die letztere Anstalt, um die Universität zu beziehen, der er drei Jahre angehörte, ohne jedoch der Musik als seinem eigensten Lebensberufe untreu zu werden.

Die theoretischen Studien wurden theils unter Berger’s, theils unter Bernhard Klein’s Leitung mit Eifer fortgesetzt, und wiederholtes öffentliches Auftreten erwarb ihm im Laufe der Jahre neben Berger den Ruf des ausgezeichnetsten Claviervirtuosen Berlins. Namentlich war es die Ausführung der Clavierconcerte von Beethoven und Mozart in den Möser’schen Soiréen, die ihm diese Anerkennung verschaffte. Und hier ist die Gelegenheit, Taubert’s Eigenart in Spiel und Vortrag zu würdigen.

[190] Während die Technik der neuesten Zeit es zum Theil auf größte Fingerfertigkeit und die Entfaltung der großen Kraft absieht, stellt sich uns in Taubert, dem Altmeister des Clavierspiels, eine durchaus auf die Feinfühligkeit des Vortrags und das seelenvolle Herausheben der Melodie gerichtete Individualität dar. Die Saiten singen unter seinen Fingen, und das Ausdrucksvolle seines Anschlages läßt jede Erinnerung an das Stoffliche der Tastatur verschwinden Diese Eigenschaften machen ihn zu einem der vorzüglichsten Interpreten Mozarts, während der Ernst der Auffassung neben der gesangreichen Behandlung des unter seinen Händen sich durchgeistigenden Instrumentes ihn befähigt, auch den markigen Rhythmen eines Beethoven vollauf gerecht zu werden. Unvergleichlich aber entfaltet sich die Anmuth und zauberische Innerlichkeit seines Spieles im freien Phantasiren, dessen er Meister ist, wie selten Einer. Wer ihn in gesellschaftlichem Kreise oder in öffentlichem Concert als Improvisator gehört, sei es, daß er bekannte Themen zu Grunde legt oder sich dem lebendigen Strome eigener, melodischer Erfindung überläßt, wird in gleicher Weise gestaunt haben über die außerordentliche Modulationsfähigkeit seines Anschlages wie über die Formvollendung, die, was der Augenblick geboren, als ein reifes, lange durchdachtes Kunstwerk erscheinen läßt.

Die erste Anerkennung außerhalb Berlins gewann Taubert im Winter 1827 bis 1828 durch seinen ersten, selbstständigen künstlerischen Ausflug nach Frankfurt an der Oder. Im Jahre 1830, in welches die ersten Veröffentlichungen seiner bis dahin zu größerer Reife gediehenen Compositionen fallen, lernte er den Sänger Eduard Devrient kennen, der ihn dem General-Intendanten Grafen Redem für die Leitung der Hofconcerte am Piano empfahl; er erhielt diese ehrenvolle Stellung, die er seit 1831 bis auf den heutigen Tag bekleidet. Die Aufführung der ersten Symphonie (C-dur) Taubert’s in den Soiréen Möser’s fand in dem gleichen Jahre statt, während bereits im folgenden die einactige komische Oper „Die Kirmes“, deren Text Devrient gedichtet hatte, auf der Bühne des Schauspielhauses zur Darstellung gelangte.

Kunstreisen nach Leipzig und Dresden folgten, welche dem Clavierspieler sowohl wie dem Componisten ungetheilten Beifall eintrugen. Hier brachte Taubert sein erstes Clavierconcert in E-dur zu Gehör, das durch seine ungemeine Frische wie durch den Glanz der Passagen und Fioritunen hervorragt, während die große Sonate C-moll durch ihren Ernst, die Minnelieder durch die Innigkeit der Empfindung sich auszeichnen. Im September 1834 fand die Aufführung der dreiactigen romantischen Oper „Der Zigeuner“ im Berliner Opernhause statt. Taubert dirigirte selbst, zum ersten Male in seinem Leben, und zwar mit einer Sicherheit und einem Geschick, die um so mehr überraschten, als ihm nur die Leitung der Generalprobe nach vielen Schwierigkeiten gestattet worden war. Von dieser Zeit an beginnen seine intimeren Beziehungen zu Felix Mendelssohn, der dem nachstrebenden Kunstgenossen sein volles Interesse schenkte.

Am 30. November desselben Jahres vermählte sich Taubert mit Wilhelmine Schechner aus München, der jüngeren Schwester der hochgefeierten und unvergeßlichen Sängerin Nanette Schechner. Eine 1836 unternommene Reise nach England, Schottland, Holland und dem Rhein wirkte so anregend auf den Componisten, daß sie eine Reihe seiner weltlichsten Schöpfungen, wie das vielgespielte erste Trio in F-dur, die Phantasie über schottische Nationalmelodien und das verbreitetste seiner Clavierstücke, die Campanella, zur Folge hatte. 1839 ernannte ihn die königliche Akademie der Künste zu Berlin zu ihrem ordentlichen Mitgliede.

Nach der Rückkehr von einem längeren, von großem Erfolge begleiteten Ausflug nach München beschäftigte ihn ein Werk dankbarer Pietät – die ebenso mühsame wie gewissenhafte Herausgabe des künstlerischen Nachlasses seines Lehrers Berger – während mit den vierziger Jahren die Veröffentlichung der „Kinderlieder“ anhebt. Neben ihnen hat Taubert eine Fülle ein- und mehrstimmiger Gesänge ernsterer Natur geschaffen, unter denen sich viele echte Perlen der Tondichtung befinden und die den melodischen Born seiner Begabung als unversiechlich erscheinen lassen

Im Juni 1841 wurde Taubert mit der interimistischen Leitung der königlichen Oper in Berlin betraut, und er zeigte in der Direction ein so großes Geschick, daß er schon im folgenden Jahre zum Musikdirector der königlichen Oper und Capelle ernannt wurde. In dieser neuen Stellung war Taubert auf das Eifrigste bemüht, die seitdem zu so großer Berühmtheit gelangten Symphonie-Soireen der königlichen Capelle, deren bedenkender Ertrag dem „Orchester-Wittwen- und Waisenpensionsfonds“ zufließt, in’s Leben zu rufen. Während er im ersten Jahre die Leitung mit dem Capellmeister Henning, im zweiten mit Mendelssohn theilte, führte er sie von da an mit aller Hingebung und mit außerordentlichem Erfolge selbstständig bis aus diesen Tag fort. Von vornherein erkannte Taubert die Bedeutung, welche den Concerten des vorzüglichsten Orchesters der Hauptstadt zu geben war. Ohne den hervorragenderen Schöpfungen der Gegenwart den Einlaß zu weigern verlegte er, ein treuer Hüter und Pfleger der wahren Schönheit, den Schwerpunkt jener Musikabende in die makellose und mit liebevollster Sorgsamkeit vorbereitete Aufführung der classischen Meisterwerke. So wurden die Symphonie-Soireen der königlichen Capelle zu einer Pflanzstätte des geläuterten Geschmackes, zu einem segensreichen Bildungsinstitut, gleichsam zu einem weihevollen Museum des Klanges, in welchem die Tongemälde der Altmeister allwinterlich zu einer künstlerischen Wiedergeburt versammelt werden, die bei dem Eifer aller Mitwirkenden, bei den vorzüglichen Kräften des an Virtuosen ersten Ranges reichen Orchesters, auch die höchsten Ansprüche nicht unbefriedigt läßt.

Wie Vorzügliches auch Taubert als Operndirigent geleistet haben mag, der Glanzpunkt seiner Thätigkeit liegt in seiner Wirksamkeit als Leiter der Symphonien. Das Feuer, mit dem er die vollen Tongewalten des Orchesters zu entfesseln, die Besonnenheit, mit der er sie zu dämpfen weiß, machen ihn zu einem der berufensten Dirigenten unter den Mitlebenden.

In das Jahr 1843 fällt die im Austrage des Königs Friedrich Wilhelm’s des Vierten von Taubert übernommene Composition der Frauenchöre zur „Medea“ des Euripides, eine Arbeit, die fast unüberwindliche Schwierigkeiten bot und deren Besiegung von Mendelssohn, welcher die Textworte des griechischen Dichters für uncomponirbar erklärt hatte, mit aufrichtigem Beifall begrüßt wurde. Die Musik zur „Medea“ gehört zu dem Edelsten und Stilvollsten, was Taubert geschaffen, und ist ein Zeugniß seiner gründlichen Bildung.

Nachdem der Künstler im Jahre 1845 zum königlichen Capellmeister ernannt worden und die umfangreiche Musik zu Tieck’s „Blaubart“, sowie mehrere Symphonien componirt hatte, unternahm er 1846 eine Reise nach Wien, welche ihm reiche Anerkennung als Componist, Pianist und Dirigent gewann.

In den fünfziger Jahren wendete sich Taubert dem dramatischen Gebiete mit neuem Eifer zu. Das Jahr 1855 sah ihn wieder in München, wo seine Musik zu dem von Dingelstedt bearbeiteten Drama Shakespeare’s „Der Sturm“ zur Aufführung gelangte. Diese Sturmmusik gehört zu den phantasievollsten und zugleich eigenartigsten Werken des Meisters, und es ist merkwürdig, daß ein kleines, aus kaum dreißig Tacten bestehendes, zur Sturmmusik gehöriges Liebeslied die am meisten verbreitete Orchestercomposition Taubert’s geworden ist, jene wenigen, vom Streichquartett pizzicato auszuführenden Tacte haben ihren Weg ebenso in die Concertsäle von Paris und London, wie über den Ocean gefunden und eine große Reihe von Nachahmungen hervorgerufen

Zu allgemeiner Ueberraschung entwickelte eine völlig neue Seite der Begabung des Componisten die 1857 zur Aufführung vorbereitete Oper „Macbeth“, welche unter den dramatischen Arbeiten des Autors am häufigsten die Darstellung auf der Bühne erleben sollte. War man bisher gewohnt gewesen, die Taubert’sche Muse besonders auf dem Gebiete des Anmuthtigen und einer innigen Melodik heimisch zu sehen, und galt eine keusche, allem Gemeinen und Trivialen abgeneigte Grazie als der eigentümliche Ausdruck seiner Individualität, so schlug er hier machtvollere Töne an, die ihn auch in der Sphäre des tragisch Erschütternden unerwartete Lorbeeren pflücken ließen. Der Aufbau der Finale im ersten, zweiten und dritten Acte ist von echt dramatischer Wirkung, und der vierte Aufzug, die Wahnsinnsscene der Lady, ist so ergreifend behandelt, daß, nach dem Ausspruche namhafter Kritiker, nur Wenige unter den Zeitgenossen einem gleichen Vorwurf mit gleicher Kunst gerecht zu werden vermocht hätten. Die Einwände aber, daß sich der Stoff der Dichtung des großen Briten der musikalischen Fassung gänzlich entziehe, wurden durch den glänzenden Erfolg des Werkes ebenso glänzend widerlegt.

Im Jahre 1869 ward Taubert die Auszeichnung zu Theil, unter Entbindung vom Operndienste, zum Obercapellmeister ernannt zu werden und mit alleiniger Leitung der Hofconcerte und der Symphonie-Soiréen in der bisherigen Weise betraut zu bleiben.

[191] Nachdem er 1867 bereits das Vierteljahrhundert-Jubiläum seiner Dienstzeit als Capellmeister begangen und in demselben Jahre das fünfundzwanzigjährige Bestehen der Symphonie-Concerte durch seine trefflichen fünfundzwanzig Orchestervariationen über ein Originalthema gefeiert hat, ist es ihm vergönnt, in diesem Jahre nunmehr auch dem Gedenktage seiner fünfzigjährigen Wirksamkeit als Leiter der Hofconcerte entgegenzusehen.

Seit dem Jahre 1875 bekleidet Taubert die Stellung eines Vorsitzenden der musikalischen Section des Senats der Akademie der Künste, welcher er überdies als Lehrer der Composition angehört. Für das Jahr 1880 bis 1881 hat ihn die Akademie zu ihrem Vicepräsidenten erwählt, ein Amt, das vor ihm noch kein Musiker verwaltet hat.

Unter den Werken Taubert’s, die seit 1869 entstanden, ist neben vielen neuen Compositionen für Clavier und zahlreichen Lieder- und andern Schöpfungen besonders die Musik zu dem Drama „Phädra“ des Prinzen Georg, vor Allem aber des Meisters reifste und gediegenste Schöpfung, seine Oper „Cesario“, zu erwähnen, welche am 13. November 1874 ihre erste Aufführung erlebte. Der Text, den der Sohn des Componisten verfaßt hat, ist frei nach dem Shakespeare’schen Stücke „Was ihr wollt“ gedichtet.

In diesem Werke strömt der Quell der melodischen Erfindung Taubert’s noch einmal in voller, jugendlicher Kraft, und die Fehler des Werkes sind nicht die der Armuth, sondern die des Reichthums. Festhaltend an den geschlossenen Formen der classischen Oper, die er mit neuem, warmblütigem Leben durchdringt, hat der Meister hier eine Tondichtung geschaffen, welche ebenso durch die feinsinnige Charakteristik der Träger der Handlung, wie durch die Innigkeit und Leidenschaftlichkeit der Empfindung einen bleibenden Werth beanspruchen darf. Träumerische Anmuth der Liebesweisen, verbunden mit einer zauberischen Melancholie der Sehnsucht, liebenswürdiger Humor und anmuthige Heiterkeit wechseln in den Melodieen mit einander, und das mit reifster Kunst behandelte Orchester wird mit seinen vielfachen, seinen Wendungen gleichsam zu einem geistvoll erläuternden Mitspieler auf der Bühne. Die Finale des ersten und dritten Actes sind von hinreißender Wirkung.

So blickt der verehrte Meister auf ein langes, an Erfolgen reiches Leben zurück. Zweihundert im Druck erschienene Werke verschiedener Gattung sind das Denkmal seines echt künstlerischen Strebens. Wem das Spiel der Töne so heiliger Ernst gewesen, wie ihm, der hat nicht umsonst gelebt und gestrebt.




Drei Großthaten der Humanität.
Ein Blick in die Technik der heutigen Chirurgie.

Im Laufe der Zeit vollziehen sich Aenderungen nicht allein in Bezug auf die gegenseitige Rangstellung der Völker und der einzelnen Menschen, sondern auch in Bezug auf die Theile und Zweige der Wissenschaft. Stand z. B. im Mittelalter, ja bis in’s vorige Jahrhundert hinein die Theologie noch überall an der Spitze der Wissenschaften, so nimmt sie heute nur höchstens noch in den Vorlesungsverzeichnissen der Hochschulen diesen Rang ein, in Wirklichkeit aber stehen die Naturwissenschaften, obwohl ihr wissenschaftliches Dasein erst zwei Jahrhunderte zurückreicht, gegenwärtig an erster Stelle, gleichwie im achtzehnten die Philosophie und die schönen Wissenschaften.

In Folge solchen Wechsels der Werthschätzung galt in der Arzneiwissenschaft noch vor hundert, ja vor siebenzig Jahren die Chirurgie als der inneren Medicin nicht ebenbürtig, und auch die Vertreter der letzteren dünkten sich über die Wundärzte weit erhaben. Hatte doch der Freiburger Professor Mederer noch gegen Emde des vorigen Jahrhunderts einen Studentencrawall, bei dem er fast in Lebensgefahr gerathen, hervorgerufen einfach deshalb, weil er in seinen Vorlesungen die Gleichwerthigkeit der Chirurgie und inneren Medicin verteidigte und für deren Vereinigung sprach. Heute verkündet der oberste Reichsbeamte vom Bundesrathstische aus:

„Unsere Chirurgie hat seit 2000 Jahren glänzende Fortschritte gemacht; die eigentliche Wissenschaft in Bezug auf die inneren Verhältnisse des Körpers, in die das menschliche Auge nicht hineinsehen kann, hat keine gemacht – wir stehen noch denselben Räthseln gegenüber, wie früher.“

Ein derartiges Zeugniß für die Ueberlegenheit der Chirurgie, deren Vertreter noch im sechszehnten Jahrhundert durch Papst- und Kaisergesetz für „unehrlich“ erklärt wurden, wäre bis vor achtzig Jahren wahrscheinlich belacht und verketzert worden – heute müssen Alle dessen Berechtigung im Großen und Ganzen zugestehen: die Letzte ist nunmehr zur Ersten geworden.

Aber auch in anderer Richtung hat sich ein Wechsel vollzogen. In den verflossenen Jahrhunderten waren Lehre und Praxis der Chirurgie noch ganz und gar volksthümlich: war doch sogar die Sprache der Chirurgie seit dem sechszehnten Jahrhundert fast in allen Ländern die des Volkes, im Gegensatze zur inneren Medicin, die überall in der gravitätischen lateinischen Toga einherstolzirte und dadurch vom Volke sich abschloß. Heute scheint die letztere ganz „populär“ zu werden – und als Hygiene hat sie, wie Pettenkofer in diesem Blatte (vergleiche Jahrgang 1878, Nr. 20) darthat, sogar die Pflicht, es zu werden –, wogegen die emporgekommene Chirurgie sich sozusagen aristokratisch gebärdet, das heißt sich der Kenntniß des Volkes entzieht.

Läßt die Chirurgie sich nun auch in der That nicht popularisiren, so lassen sich doch wenigstens die großartigen Leistungen und Errungenschaften, welche sie in unserem Jahrhundert zu verzeichnen hat, dem Verständnisse des Volkes nahe legen; denn es handelt sich in ihr nicht, wie in der inneren Medicin, um allzu häufig wechselnde Theorien und augenblicklich gepriesene Richtungen der Behandlung, sondern hauptsächlich um bleibende wirkliche Fortschritte, die Jedermann begreifen kann.

Diese nun sind neuerdings wesentlich englisch-amerikanischen und deutschen Ursprungs; die Franzosen, denen man früher ganz besonders chirurgische Befähigung zuschrieb, blieben dagegen, wie sie selbst zum Theil zugestehen, seit Jahrzehnten in der Chirurgie zurück. Zu Grundpfeilern dieser Fortschritte, welche vorzugsweise seit dem dritten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts zu Tage treten, sind drei Erfindungen geworden, welche man in Wahrheit als Großthaten der Humanität preisen darf. Diese drei Großthaten haben die Thätigkeit des Chirurgen so wesentlich umgestaltet, daß es uns heute fast mythisch klingt, wenn der berühmte Operateur Dieffenbach noch vor dreißig Jahren schrieb: „Es bebt der fühlende Mensch wohl bei dem Gedanken zusammen, das Messer in eines Menschen Fleisch einzusenken, und das mit kaltem Blute, das Messer hin und her zu bewegen, noch tiefer zu schneiden, mitten unter dem Angstruf des zu Verstümmelnden und dabei zu denken und zu fühlen! Die operative Chirurgie ist ein blutiger Kampf mit der Krankheit um das Leben, ein Kampf auf Leben und Tod.“

Tritt man heute in einen Operationssaal, so sieht man diese geist- und nervenerschütternden Bilder gottlob! nicht mehr: der Angstruf des zu Verstümmelnden ist verstummt; der Blutregen hat aufgehört und auch die Aussichten beim späteren Kampfe um das Leben mit dem Tode sind ganz wesentlich günstigere geworden.

Die drei Erfindungen, welche das zuwege gebracht, sind: die Anästhesirung (Gefühlsberaubung), die künstliche Blutsparung und der antiseptische (fäulnißverhütende) Verband. Mittel und Ausführung der ersteren sind bekannt, nicht so die Geschichte derselben und die Schicksale ihrer Entdecker.

So lange es chirurgische Operationen giebt, war es das Bestreben der Aerzte, Eingriffe mit dem Messer schmerzlos zu vollbringen. Die Chinesen gaben den zu operirenden Kranken Mandragora, die betäubende Alraunwurzel, und auch im Mittelalter ließen europäische Wundärzte Abkochungen aus dieser und Opium, Schierling, Huflattig, Epheu und Essig mittelst eines Schwammes einathmen. Später gab man innerlich Opium allein in großen Gaben, ohne jedoch den Zweck völlig zu erreichen. Im Anfange dieses Jahrhunderts aber entdeckte der große, aus dem Stande der Barbiere, der früher gar manchen berühmten Mann erzeugte, hervorgegangene englische Chemiker Humphry Davy die betäubende Wirkung des Lustgases, und damit begann die Verwirklichung jener uralten Bestrebungen. Vorerst mußten freilich noch mehrere Jahrzehnte vergehen, ehe die Entdeckung fruchtbar ward.

[192] Man sollte glauben, daß die Geschichte einer nur wenige Jahrzehnte hinter uns liegenden, so anfallenden und alsbald auch allgemein bekannt gewordenen Erfindung, wie die Anästhesirung ist, von Anfang an über allem Zweifel stehen müßte. Und doch ist dem nicht so, sondern es schwankten lange Zeit die Angaben über ihren Urheber, wie wenn sie in dunklen Zeiten gemacht worden wäre. Es verhielt sich damit folgendermaßen.

Anfangs der vierziger Jahre wohnte – nach den erneuerten Forschungen Jules Rochard's – der amerikanische Zahnarzt Horace Wells aus Hartford, Connecticut, einer Vorlesung über Chemie bei, in der ein Zuhörer durch Einathmung von Lustgas vorübergehend bewußt- und empfindungslos gemacht worden war. Da kam ihm sofort der Gedanke, ob man das Mittel nicht beim Zahnausziehen nutzbar machen könnte? Gedacht, gethan! Nach Hause gekommen, athmete er das Gas ein und ließ sich während der Narkose einen Zahn ausnehmen. Und als er, ohne Schmerz empfunden zu haben, erwacht war, rief er, sofort die ganze Tragweite der Entdeckung erfassend, begeistert aus:

„Eine neue Aera in der Chirurgie! Ich habe bei der Operation nicht mehr, als bei einem Nadelstiche gefühlt.“

Das war im Jahre 1844. Auch mit Aethereinathmung stellte er 1845 Proben an, setzte aber die Wirkung derselben der des Stickstoffoxydulgases nach. Beide Versuche theilte er dann, ohne sich nur die Feststellung seiner Priorität zu kümmern, dem Bostoner Zahnarzt William Morton und dem Chemiker Charles Jackson daselbst mit. Diese nun eigneten sich Wells' Entdeckung an, verwandten aber ausschließlich Aether. Durch sie wurde die Methode bekannt, und sie ernteten deshalb den Ruhm jener das größte Aufsehen erregenden Erfindung, der betrogene Wells aber fühlte sich über dieses Mißgeschick dermaßen unglücklich , daß er sich am 21. Januar 1847 die Pulsadern öffnete und gleichzeitig Aether einathmete, also unter Zuhülfenahme seiner eigenen Entdeckung sich den Tod gab.

Doch auch die beiden Usurpatoren ereilte die Nemesis. Morton konnte trotz wiederholter, auch nach Paris deswegen unternommener Reisen nicht zur Anerkennung seiner Erfinderschaft gelangen und endete als ein Trunkenbold in New-York im Elend. Jackson aber, der das Mittel geschäftlich ausbeuten wollte, erreichte sein Ziel nicht, und ward in Folge des Fehlschlagens seiner Hoffnungen unheilbar wahnsinnig. Noch vor einigen Jahren vegetirte er in einer Irrenanstalt bei New-York.

Die erste größere Operation unter Aethernarkose – Wells leitete diese letztere – machte im August 1846 Dr. Mary in Boston. Im October folgten Operationen der Doctoren Warren, Hayward und Bigelow, und zwar handelte es sich bei diesen schon um langwierige Entfernung großer Geschwülste. Der Ruf der Entdeckung verbreitete sich sofort nach Europa; denn schon am 17. December operirten Boot und zwei Tage später der berühmte Chirurg Liston in London unter Zuhülfenahme der Aethernarkose. In Paris erklärten sich zu Gunsten der Narkotisirung die bedeutendsten Chirurgen, darunter selbst Velpeun, der noch 1838 in der Akademie eine Aufhebung des Schmerzes als ein Unding bezeichnet hatte. In Deutschland war es der Berliner Operateur Dieffenbach, welcher die Aetherisirung zuerst anwendete. Im Jahre 1848 aber setzte der 1870 verstorbene Edinburger Chirurg und Geburtshelfer Simpson das Chloroform an Stelle des Aethers. Er ward baronisirt und erhielt ein Standbild nach seinem Tode. Und Wells, der Erfinder der Methode? Jede schmerzlos vollzogene Operation bildet eine neue Ehrensäule seines Ruhms.

Mehr noch als der Schmerz ward von jeher der Blutverlust bei Operationen gefürchtet, und diesen Verlust zu mindern oder zu verhüten, bemühte sich das Erfindergenie der Chirurgen von Anbeginn. Aufstreuen von zusammenziehenden, „blutstillenden“ Pulvern, Umschnüren der Glieder, um die Adern zu verschließen, festes Verbinden der Wunden, Ueberfahren der blutenden Gefäße und Wundflächen mit glühendem Eisen, ja Schnittführung mit weißglühenden Messern, Zusammendrehen und Unterbindung der durchschnittenen Schlagadern, die schon den großen Aerzten und Chirurgen der römischen Kaiserzeit bekannt war, aber erst durch den königlichen Leibbarbier Ambroise Paré im sechzehnten Jahrhundert dauernd zur Geltung gebracht ward – das waren die Mittel, welche im Laufe der Zeiten zu dem genannten Zwecke benutzt wurden. Besonders das letztgenannte Verfahren erfüllte diesen auch in hohem Grade. Aber trotzdem ging noch, selbst bei größter Gewandtheit und sicherstem anatomischem Wissen des Chirurgen, während vieler, besonders während langwieriger Operationen mehr Blut verloren, als der Zustand des Kranken und das Kräftebedürfniß bei der nachfolgenden Heilung wünschenswert erscheinen ließen.

Da überraschte im Jahre 1873 der berühmte Kieler Chirurg Friedrich Esmarch die ärztliche Welt mit einem wahren Ei des Columbus, mit der Methode der sogenannten Blutsparung. Seitdem werden die Operationen nicht mehr blos schmerzlos, sondern auch eine große Zahl der früher blutigsten Eingriffe fast ohne jeden Blutverlust ausgeführt. Auch haben seitdem, was fast wichtiger ist, eine größere Anzahl Aerzte, die vorher aus Mangel an Herrschaft über die Blutung dies nicht vermochten, sich an schwere Operationen gewagt, die sonst als eine Art Monopol der bedeutenden Chirurgen galten.

Bei Operationen geht nicht allein aus den verhältnißmäßig wenigen großen und größeren Adern, welche durchschnitten werden. sondern auch aus unzähligen kleineren und kleinsten im Fleisch und den anderen Geweben bekanntlich viel Blut verloren. Außerdem enthält der durch das Messer des Chirurgen zu entfernende Theil eine größere oder geringere Blutmenge. Beide Verluste nun verhütet das Esmarch'sche Verfahren. Nehmen wir ein Beispiel zur Erläuterung!

Es soll ein Arm nahe der Schulter entfernt werden. Um den unterhalb der Operationsstelle in diesem enthaltenen Blutantheil zu „sparen“, umwickelt man, an den Fingern beginnend und bis über den Ort, wo das Glied abgesetzt wird, hinaus fortfahrend, dieses mit einer starken Gummibinde. Durch letztere wird alles in dem Arme befindliche Blut in den Körper zurückgedrängt; der erstere wird blutleer gemacht. Darnach umschnürt man mit einem starken Kautschukschlauche die Schulter und befestigt die Enden dieses an einander. Ist dies geschehen, so nimmt man die Binde wieder ab. Wird nun dicht unterhalb des Schlauches das Fleisch durchschnitten und der Knochen dann abgesägt, so kann vom Körper her, weil jener die Adern durch Druck verschlossen hält, kein Blut mehr ausfließen und die Operation kann auf diese Weise ohne jeden Blutverlust vor sich gehen. In dem entfernten Arm aber ist nur ein Minimum von Blut enthalten.

Der Nutzen dieser Blutsparung springt sofort in die Augen. wird doch mit jedem „gesparten“ Tropfen Blutes eine Summe von Lebenskraft erhalten, die der Heilung sicher zugute kommt. Das Verfahren aber ist, wie ersichtlich, so einfach, daß man sich wahrhaft wundert, daß es nicht schon längst erfunden worden; gerade das Einfache jedoch muß vom Blicke des Genius erfaßt werden, wenn es nutzbar werden soll – das ist eine alte Erfahrung. Dazu bedarf das Genie aber noch des Untergrundes einer Zeit, die ihm die besonderen Hülfsmittel – im vorliegenden Falle das Kautschuk – zur Verfügung stellt.

Die dritte Gefahr, welche durch operative Eingriffe erwächst, ist die Vergiftung der gesammten Säftemasse von der Wunde her in Folge von Zersetzung ihrer Absonderungen. Diese Gefahr war von jeher, besonders in Spitälern, noch größer, als die durch Schmerz und Blutung hervorgerufene. Und auch sie ward, ganz neuerdings wenigstens, bis zu einem früher ungeahnten Grade bezwungen.

Ungefähr um dieselbe Zeit nämlich, als Esmarch seine glänzende Entdeckung bekannt machte, wurde durch den englischen Chirurgen Joseph Lister eine neue Methode der Wundbehandlung, die sogenannte antiseptische, das heißt fäulniß- oder zersetzungverhütende, veröffentlicht, die seitdem zwar in der jeweiligen Ausführung, nicht aber ihrem Wesen nach mehrfach verändert wurde. Das letztere besteht darin, daß sie die Wunden gegen die zersetzende Einwirkung der Luft schützt, das heißt die in derselben vorhandenen zersetzenden Substanzen, als welche man heute die Keime niederer mikroskopischer Pilze betrachtet, von denselben fern hält und tödtet. Dieser Zweck wird folgendermaßen erreicht.

Nachdem vor Beginn der Operation nicht allein alle Instrumente, Schwämme etc., sondern auch die Umgebung der zu operirenden Stelle und die Hände des Operateurs, wie die seiner Gehülfen, sorgfältig durch Abwaschung mittelst einer starken Lösung von Carbolsäure in Wasser gereinigt worden sind, wird die Operation selbst, von Anfang bis zu Ende, unter beständiger Besprengung der Wundfläche (durch den sogenannten Spray-Apparat) mittelst zu Nebel zerstäubten Carbolsäurewassers ausgeführt. Die Fäden zur Unterbindung der [193] Adern und zur Naht der Wunde – man nimmt dazu Darmsaiten, sogenannten Katgut – müssen bis zur Verwendung in Carbolöl aufbewahrt sein. Auch der erste Verband wird nur aus Stoffen hergestellt, welche mit Carbolsäure durchtränkt sind, und mit der größten Sorgfalt der Art angelegt, daß er, so viel immer möglich, die Luft abhält. Statt Carbolsäure wird von einem Theile der Chirurgen Thymol, Salicylsäure etc. zur Desinfektion, das heißt zur Zerstörung jener als Ursache der Wundkrankheiten geltenden Pilzkeime verwendet. Jeder in der Folge nöthige Verbandwechsel wird unter denselben strengen Vorsichtsmaßregeln und mit den gleichen Verbandstoffen ausgeführt und der Operirte in möglichst reiner Luft gebettet.

Während vorher die Heilung bedeutender Wunden nicht leicht ohne langwierige Eiterung vor sich ging, ist bei dem Lister’schen Verfahren die sofortige Verwachsung der Wundränder ohne Eiterung, die sogenannte erste Vereinigung der Wunden, heutzutage die Regel. Und das gilt selbst unter so ungünstigen Verhältnissen, wie sie beispielsweise der letzte russisch-türkische Krieg mit sich brachte. Durch die Abkürzung der Heilungsdauer und Verhütung der Eiterung kommen dann aber noch die „Verwundetengeißeln“, welche so zahlreiche Opfer forderten, die Wundkrankheiten, besonders Eiter- und Wundjauchevergiftung und diphtheritische Ansteckung des ganzen Organismus von der Wunde aus, in Wegfall. Durch die Beseitigung dieser Gefahren ist es dahin gekommen, daß nicht mehr die Hälfte, ja nicht einmal mehr der vierte Theil der früheren Todesfälle nach Verwundung und Operationen heute, sich ereignet.

Jede der drei genannten Entdeckungen würde einzeln der Chirurgie unserer Zeit ohne Frage die Ueberlegenheit über die frühere für alle Folge sichern, alle drei aber in Verein drücken ihr den Stempel einer hohen Vollendung auf. Was vor vierzig Jahren noch die Kühnsten nicht zu hoffen wagten, was sie, hätte man ihnen die Erreichung eines solchen Zieles versprochen, ohne Zweifel als das Hirngespinnst eines Irren belacht haben würden: daß man jemals schmerzlos und blutlos operiren und die meisten noch so großen Wunden eiterlos werde heilen können, das ist heute erreicht. –

Trotz aller großen Fortschritte, welche die neueste Zeit gebracht hat, darf man nicht dem so leicht anfänglich sich geltend machenden Enthusiasmus das ruhige Urtheil opfern; denn operirt werden zu müssen kann man heute so wenig wie früher als ein gleichgültiges Ereigniß für den Kranken bezeichnen, wohl aber darf man es preisen, daß der Chirurg mit Aussicht auf Erfolg heute auch noch Solche zu operiren wagt und heilen kann, für die früher nur sichere Aussicht auf qualvolles Sterben vorhanden war. Und die drei Erfindungen, welche das ermöglichten, sind gewiß „Großthaten der Humanität“: nehmen sie doch so viel Schlimmem, aber zufolge des Ganges der menschlichen Dinge Nothwendigem die damit früher verbundenen Schrecken und ein gut Theil seiner Gefahren. – „Die gute alte Zeit!“ – kein Chirurg und kein Verwundeter wird sie zurückwünschen. – Die Chirurgie hat große und dauernde Fortschritte gemacht; sie giebt nicht so viel gute und immer gut gemeinte Rathschläge, wie die innere Medicin, aber sie handelt gut.

Dr. J. Herm. Baas.






Die Mutter ist todt.[1]

Wie vor der Königin am Trau-Altar
Die Fürstenfraun in Huldigung sich neigen,
Gehüllt in Demantschleier wunderbar,
So naht der Tag – die letzten Sterne bleichen.

5
Ein Teppich breitet sich; die Farben heben

Aus Purpurroth und azurblauem Licht
Sich rasch empor, um wechselvoll zu schweben
Wie Strahlenbündel, die ein Prisma bricht.
Ich staune nicht – was soll mir Morgenroth?

10
Die Mutter ist todt!


Die Nacht war lang; feucht ist der gelbe Sand;
In Nubiens Felsgestein fiel manche Thräne;
Die Flinte hält mechanisch meine Hand –
Sie lauert nicht auf Schakal und Hyäne.

15
Des Südens Kreuz ging auf, und viele Sterne;

Sie nahten, schwanden wie ein Traumgebild,
Indeß die Sehnsucht irrt in weite Ferne
Und sucht das Mutteraug’, so treu lind mild –
Der Stern erlosch, der alles Licht mir bot:

20
Die Mutter ist todt!


Es schweift mein Blick zurück in alte Zeit:
Wie Vieles, was ich fand, hab’ ich verloren!
Ich sucht’ ein treues Herz, doch keine Maid
Hielt mir den Treuschwur, den sie mir geschworen.

25
Vereinsamt mußt ich meine Kraft erproben;

Unglück und Noth war mir der beste Freund.
Wenn in der Noth die Freunde mir zerstoben.
Bei Gott! ich habe nie darum geweint.
Was liegt mir an Enttäuschung, Unglück, Noth?

30
Die Mutter ist todt!
Dr. Friedrich Mook.



  1. Das obige stimmungsvolle Gedicht entnehmen wir dem handschriftlichen Nachlasse des in Folge seines tragischen Todes in den Fluthen des Jordan unlängst so häufig genannten und so viel beklagten Afrikareisenden Dr. Friedrich Mook. Unsern Lesern dürfte die Mittheilung nicht unwillkommen sein, daß die Gedichte des talentvollen jungen Gelehrten und Poeten demnächst unter dem Titel „Lieder aus der Fremde“ im Buchhandel erscheinen werden.
    D. Red.





Sterbende Päpste.

Die meisten Päpste, die im Laufe der Jahrhunderte auf dem Stuhl des heiligen Petrus ihres Amtes walteten, hatten eine eigenthümliche Furcht vor dem Tode; das Rauschen des Todesengels ließ sie verzagen, und die Furcht, von der Herrlichkeit dieser Welt lassen zu müssen, nur in das unbekannte Land einzuziehen, aus dessen Bezirk kein Wanderer wiederkehrt, raubt ihnen zuweilen Ruhe und Besinnung. Die Päpste auf dem Sterbelager – das ist ein Anblick, in dem eine vernichtende Kritik irdischer Größe liegt. Und wie erklärt sich in den Statthaltern Christi diese Todesfurcht? War es die Furcht vor dem ewigen Richter zu erscheinen, welche das Sterben der Päpste zu einem so oft unwürdigen Acte machte? Oder war es die Sorge um das verlassene „Reich des Herrn“, die ihre letzten Stunden mit bangen Zweifeln verdüsterte? Nein, die Scrupel eines feinfühligen Gewissens haben selten zu den charakteristischen Eigenschaften der „Stellvertreter Gottes“ gehört, die Ungewißheit über das Schicksal der Kirche drückte nur edlere Naturen auf dem Stühle des heiligen Petrus.

Die Mehrzahl der kirchlichen Herrscher, mit denen Rom die Welt beschenkte, huldigte dem egoistischen Grundsätze: „nach uns die Sündfluth!“ und ließ sich durch die Zukunft weder im Leben noch im Sterben beeinflussen. Die Ursache der Furcht der Päpste vor dem Tode ist in den besonderen Umständen zu suchen, die sich in fast regelmäßiger Wiederkehr mit dem Eintritte ihrer Sterbestunde geltend zu machen pflegten. Die mächtigsten und gewaltigsten unter ihnen starben elend und verlassen; mit ihrem brechenden Auge war auch ihr Ansehen gebrochen; kein Mensch, weder Nepote noch Diener, kümmerte sich um den sterbenden Kirchenfürsten, dem von seiner ganzen Machtfülle nicht einmal eine dienstbare Hand geblieben war, die seiner lechzenden Zunge den letzten Trunk gespendet hätte.

Wenn der Papst in den letzten Zügen lag, waren stets im vatikanischen Paläste alle Bande der Disciplin und Ordnung gesprengt. Die Schaar der Höflinge wußte, daß ihnen nur noch wenige Stunden, ja vielleicht Minuten der Herrlichkeit übrig blieben; [194] es galt die Zeit auszunutzen. Ein allgemeines Plündern begann; Geld, Papiere, Kostbarkeiten wurden geraubt, Cassen gesprengt; was nicht niet- und nagelfest war, verfiel der Habsucht und Raubbegier, während der sterbende Papst allein und verlassen in einem verschlossenen Gemache verschmachtete. Diese Sitte kennt jeder Papst, und das erklärt sein Bangen vor den letzten Augenblicken. Und diese Sitte hat sich bis in unsere Zeit hinein erhalten; noch der Vorgänger des neunten Pius, Gregor der Sechszehnte, war ihr bemitleidenswerthes Opfer. Massimo d’Azeglio erzählt in seinen Denkwürdigkeiten über die Umstände, welche den Tod dieses so mächtigen Papstes begleiteten, Folgendes: „Ein armer Arbeiter im vaticanischen Garten, welcher wußte, daß der Papst im Sterben liege, wollte denselben zum letzten Male sehen; er fand die geheime Stiege offen und stieg hinauf. Er klopft an eine Thür … Niemand antwortet; er tritt in das Zimmer; Niemand befindet sich darin. Er geht in das anstoßende Zimmer … Wieder Niemand. Nun öffnet er die dritte Pforte und – befindet sich im Sterbegemache des Papstes. Ein Berg von Polstern liegt auf dem Bette, allein der Papst hat sich offenbar im Todeskampfe zu sehr nach einer Seite geneigt, und so liegt er da, mit dem Kopfe außerhalb des Bettes, im Freien schwebend. Der arme Arbeiter beeilt sich, den Papst in seine gehörige Lage zu bringen. Nachdem er ihn in das Bett gelegt, ruft er ihn, betastet ihn … er war bereits kalt. Nun sinkt er weinend in’s Knie und betet das de profundis für den todten Papst. In diesem Momente tritt ein Angehöriger des Papstes, der seinen Raub wohl schon in Sicherheit gebracht hat, in das Zimmer; er ist erstaunt den Gärtner zu sehen, schreit, bedroht ihn mit dem Tode, wenn er je ein Wort von dem was er gesehen erzählen sollte, und wirft ihn hinaus. Allein der Gärtner hat gesprochen …“

Das Schicksal Gregor’s des Sechszehnten in seinen letzten Stunden ist in der Geschichte des Papstthums nicht das schlimmste; zahlreiche seiner Vorgänger fanden noch unter grausigeren Umständen ihren Tod, und mitunter ist das Schauspiel, das ein sterbender Papst gewährt, so ergreifend, daß es beinahe mit den Verbrechen seines Lebens versöhnen könnte. Allein häufig ist dieses Schauspiel bei seiner tragischen Größe geradezu widerlich durch das gottlose, ja unmenschliche Benehmen des Todescandidaten. Namentlich die simonistischen Päpste, welche dem blanken Golde nahezu den Charakter der Heiligkeit verliehen, gewähren diesen Eindruck auf dem Sterbebette. Ist es nicht empörend, wenn Innocenz der Vierte, der im Jahre 1254 starb, seinen weinenden Nepoten zuruft: „Quid plangitis, miseri? Nonne vos omnes divites relinquo?“ (Was weinet Ihr, Elende? Lasse ich Euch nicht Alle reich zurück?)

Ueberaus beängstigende Todesstunden hatte jener Papst, mit dessen Namen für alle Zeiten das Ende des glorreichen Hauses Hohenstaufen verknüpft ist. Der Tod, die Ermordung Conradin’s bildete das größte Ereigniß in dem Leben dieses Papstes, und trotz der Mühe, die sich seine Umgebung gab, vermochte er die Erinnerung daran im Sterben nicht los zu werden. Clemens der Vierte starb mit dem Namen Conradin’s auf den Lippen. „Die erschütternde Gestalt des schuldlosen Enkels Friedrich’s des Zweiten auf dem Schaffote zu Neapel,“ schreibt Gregorovius in seiner Geschichte der Stadt Rom, „wie er die Hände zum Himmel rang und dann betend niederkniete, um den Todesstreich zu empfangen, stand am Lager des sterbenden Papstes …“ Er verwünschte sich laut und leidenschaftlich ob des unschuldig vergossenen Blutes und jammerte, daß er dasselbe vor Gott nicht werde rechtfertigen können. Die Vision des letzten Hohenstaufen rüttelte ihn in Fieberschauern auf: er dachte nicht an den Tod, sondern blos an das traurige Opfer seiner Politik in Neapel. Man versuchte ihn zu beruhigen und erklärte, nicht er, sondern Karl von Anjou habe Conradin getödtet. Allein das beruhigte ihn nicht. „Ihr sprecht mich wohl frei von jeder Schuld,“ stöhnte er, „allein mein Gewissen verurtheilt mich.“ Und wieder begann er unzusammenhängend heftig und leidenschaftlich sich anzuklagen ob des Frevels, den er duldete; er empfand tiefe Reue über seine That – gleichzeitig mit den Gebeten für das Seelenheil des verstorbenen Papstes wurden solche für den ermordeten Hohenstaufen angeordnet. –

Bonifacius der Achte, der gewaltigste Papst des Mittelalters, endete durch Selbstmord. Sein Vorgänger, Cölestin der Fünfte, bekanntlich der einzige Oberhirte, der freiwillig die Tiara niederlegte, hatte dieses Ende seines Gegners und Nachfolgers vorausgesagt: „Intrabit ut vulpes; regnabit ut leo; morietur ut canis," (er wird sein Amt beginnen wie ein Wolf; er wird regieren wie ein Löwe; er wird sterben wie ein Hund) lautete die Prophezeiung des Eremiten im Papstgewande, und in Bezug auf das Sterben behielt Cölestin Recht. Wahnsinn mit Tobsuchtsanfällen verdüsterte die letzten Tage Bonifacius’ des Achten, den man eines Tages in seinem Palaste zu Anagni mit zerschmettertem Haupte leblos fand. In einem Tobsuchtsanfalle war er mit dem Kopfe so heftig gegen die Wand gerannt, daß sein Haupt förmlich zerschmettert wurde. Vor seinem Tode hatte jedoch Bonifacius dafür gesorgt, daß sein Vorgänger ihn nicht überlebe. Man fand den abgedankten Cölestin ermordet in seiner Zelle. Ein Nagel wurde ihm in den Kopf geschlagen, und die Fama nannte Bonifacius als den Besteller des Mordes.

Cölestin ist nicht der einzige Papst, der eines gewaltsamen Todes durch Mörderhand starb; die Geschichte überliefert uns eine ganz beträchtliche Anzahl von Mordthaten an Päpsten. Der gewöhnliche Hergang ist: ein Papst ermordet den Andern, sei es durch seine Helfershelfer, sei es mit eigner Hand. Dem zweiten Clemens kredenzte Benedict der Neunte, das Kind auf dem Stuhle des heiligen Petrus, am 9. October 1047 den Giftbecher. Benedict selbst, der, als Knabe mit der Tiara geschmückt, in Bezug auf Schlechtigkeit und Unwürdigkeit der Gesinnung blos von Alexander Borgia erreicht wurde, fand gleichfalls einen gewaltsamen Tod: er wurde in seinem Bette erwürgt. „Kindischer als Caligula, lasterhaft wie Heliogabalus“, so charakterisirt ein hervorragender deutscher Historiker die Persönlichkeit Benedict’s des Neunten, allein diese Schilderung scheint schmeichelhaft, verglichen mit der, die seine Zeitgenossen von ihm entwarfen. Ein Autor bemerkt zu der Meldung von der Erdrosselung Benedict’s nichts anderes als die Worte: Pridie oportebat (es hätte früher geschehen sollen).

Ob Alexander der Sechste aus dem Hause Borgia der Zahl der ermordeten Päpste beizuzählen ist, ist historisch nicht festgestellt. Allgemein ist die Ansicht verbreitet, daß dieser verabscheuungswürdigste aller Päpste durch Gift gestorben sei. Man glaubt, wie Gregorovius treffend bemerkt, hier an einen Mord, weil das Gefühl sich gegen die Annahme sträubt, ein Scheusal wie Alexander Borgia sei natürlichen Todes gestorben.

Verbürgt ist, daß Alexander einen grausamen Tod gefunden. Von seiner Umgebung entweder verlassen oder mißhandelt, rang er lange mit dem Tode; bis zur Unkenntlichkeit hatte ihn die Krankheit verunstaltet, und Entsetzen und Ekel ergriff Diejenigen, die den todten Papst, der im Leben zu den schönsten Männern zählte, sahen. Es ist historisch, daß seine Leiche von Einzelnen, die sie besichtigten, angespieen wurde.

Auch der Vorgänger Alexander Borgia’s, Innocenz der Achte (1492 gestorben), nahm ein gräuliches Ende: er verhungerte buchstäblich. Wochenlang konnte er keine Nahrung zu sich nehmen, da sein Magen nicht im Stande war, dieselbe zu verdauen. Er lebte von Milch, allein auch diese vermochte er nicht dauernd zu genießen. Da verordneten die Aerzte ihm – Frauenmilch, und die Chronik ruft aus: „Der Papst an der Brust einer Amme!“ Auch diese Medicin wirkte nicht. Seine Heiligkeit wurde stets schwächer, allein mit der Abnahme der Lebenskraft steigerte sich die Lebenslust. Innocenz der Achte wollte nicht sterben, und gab seinem Arzte, einem Hebräer, den Auftrag, ihn zu retten. Der Arzt beschloß als letztes Mittel die Transfusion zu versuchen; anfänglich sträubte sich der Papst; schließlich willigte er ein. Drei zehnjährige Knaben sollten mit ihrem Blute den siechen Oberhirten verjüngen. Jeder derselben erhielt einen Ducaten für sein Blut, doch die Freude am Golde war eine kurze, denn alle drei Knaben starben als Opfer des Experimentes.

Die sogenannten humanistischen Päpste, deren Verdienste um die Wissenschaft unbestritten sind, spielen theilweise eine eigenthümliche Rolle auf dem Sterbebette. Großsprecherisch und unnatürlich wie im Leben, sind sie auch im Sterben. Auf dem Kothurn, den sie aus dem Schutte des Alterthums hervorgegraben, versuchen sie in’s Jenseits zu schreiten, und auf dem Sterbelager halten sie akademische Reden an ihr Cardinalscollegium. So berichtet der Biograph Nicolaus’ des Fünften, Manetti, daß der Papst auf dem Todtenbette eine hochtrabende Ansprache an die Cardinäle hielt, in welcher er seine Verdienste mit viel Selbstbewußtsein hervorhob. Einige Stunden sprach er, bis er ganz ermattet mit den Worten [195] schloß. Wenig Böses habe ich verschuldet, aber viel Gutes getan“

Auch Eugen der Vierte hielt vor seinem Tode eine längere Ansprache, allein wesentlich anderen Charakters: er begriff die Bedeutung des Sterbens und rief wehmütig: „Besser wäre es für mein Seelenheil gewesen, ich wäre Klosterbruder geblieben, statt Papst zu werden.“

Allein die Geschichte der Päpste hat nicht blos düstere oder farcenhafte Sterbelager aufzuweisen; beim Eintritte einzelner katholischer Oberhirten waltete eine der Größe und Erhabenheit des Momentes entsprechende Scenerie vor, und die Seltenheit dieser päpstlichen Sterbelager läßt dieselben nur noch stärker und sympathischer hervortreten. Wahrhaft große Männer – und deren hatte die katholische Kirche an ihrer Spitze – verleugnen im Tode nicht die Bedeutung, die sie im Leben besaßen, und die Geschichte ihres Endes gemahnt uns oft wie der Schluß eines effectvollen Epos.

Manches päpstliche Grab ragt mächtig und gewaltig hervor, eine Denksäule für Denjenigen, den es birgt. Allein bezeichnend ist es, daß die Gräber, beziehungsweise Sterbelager von Päpsten, die erhaben und erhebend zugleich sind, fern von Rom sich befinden. Die ewige Stadt corrumpirte, wie sie corrumpirt war, die Päpste; der Schmerz, den Vatican mit seiner Pracht und seinen Schätzen verlassen zu müssen, war stets zu irdisch, als daß er die Erhabenheit des Sterbens unbefangen und unbeeinflußt hätte zum Ausdrucke – kommen lassen. Das großartigste Sterbelager, das die Geschichte der römischen Kirche kennt, stand in einem elenden Gemache zu Salerno: der gewaltigste Papst, einer der größten Menschen aller Zeiten, Gregor der Siebente, lag darauf, in würdevoller Ruhe dem Tode, den er, der Gewaltige, selbst nicht meistern konnte, entgegensehend. Nur Wenige waren ihm in der Verbannung treu geblieben, und er, der des Kaisers Majestät als Büßer gesehen hatte, vor dem das glänzende Licht der Krone des heiligen deutschen Reiches zu einem trüben Irrlichte herabgesunken war, verlebte seine letzten Stunden in einer ärmlichen Hütte, fast einsam. Allein das Unglück vermochte ihn nicht zu beugen er behielt seine Würde und Gelassenheit, die bei ihm jeder komödienhaften Zuthat bar war, und nahm als Papst von der Welt, die er mit den Spuren seines Erdenwallens für tausend Jahre bedeckt hatte, Abschied. „Dilexi justitian et odi iniquitatem, propterea morior in exilio“ (Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und die Unbilligkeit gehaßt; darum sterbe ich in der Verbannung ) waren die letzten Worte, die der sterbende Papst am 25. Mai 1085 im Todeskampf lispelte.

Doch selbst weniger bedenkende Päpste, als jener Gregor, wußten sich im Sterben die Würde zu bewahren, ja manchmal eine Würde, die sie im Leben nie besessen. Am hervorragendsten in dieser Richtung scheint das Sterbelager Urban’s des Fünften, das im Jahre 1370 in dem weiten Palaste zu Avignon aufgeschlagen war. Urban der Fünfte wollte nicht zugeben, daß der apostolische Palast, wie es das Ceremoniel vorschrieb, während der Krankheit des Papstes unzugänglich war; er befahl alle Thore des Palastes zu öffnen und der Bevölkerung ungehindert den Zutritt bis an das Sterbelager selbst zu gestatten. Er wollte unter den Augen von zahlreichen Menschen den Todeskampf kämpfen, „damit die Welt sehe, wie nichtig die erhabenste Größe dieser Erde“. Der Befehl des Papstes wurde erfüllt; ganz Avignon war Zeuge der letzten Stunden Urban’s, und besser als durch die symbolische Handlung, welche in dem Verbrennen eines Häufleins Stroh bei der Papstkrönung besteht, wurde der Bevölkerung von Avignon das Wort verständlich gemacht: „Sic transit gloria mundi – so geht der Ruhm der Welt dahin.“

Emil Frischauer.




Vorzeitliche und moderne soziale Probleme.

Uebervölkerung und Auswanderung.
Von Felix Dahn.

Versteht man unter der „socialen Frage“ die schroffe Ungleichheit der Vermögens- und damit der Lebensverhältnisse, welche durch Vererbung, Verschuldung, Verdienst und Zufall im Kampfe um das Dasein die Einen zum Ueberfluß erhöhen, die Andern bis an und bis in das Verderben stoßen so muß man leider für alle Völker und Zeiten die „sociale Frage“ für unlösbar erklären; denn diese durch Natur- und Geistesanlage gegebene, durch unberechenbare Einflüsse gesteigerte Ungleichheit und ihre traurigen Folgen sind, wie alle Geschichte lehrt, nicht aus der Welt zu schaffen: keine politische Verfassung, keine gesellschaftliche, wirthschaftliche Einrichtung kann sie beseitigen. In der naiven Zeit der Vorcultur ist die Sclaverei der erste rohe Versuch, jenes Problem zu lösen: erträglicher in Zuständen, in welchen Herr und Knecht ungefähr auf gleicher Unbildungsstufe stehen, immer unerträglicher werdend, je schroffer der Unterschied der Cultur wird, wenn in raffinirter Sclaverei der Sclave gebildeter ist als der Herr. Das Römerthum ist zuerst wirthschaftlich untergegangen, dann erst politisch-militärisch. Das Mittelalter ist ebenfalls zuerst wirtschaftlich untergegangen an seinem getheilten unfreien Grundbesitz der Bauern und seiner gebundenen Gewerbezünftigkeit. Vielleicht geht auch die moderne Cultur zuerst wirthschaftlich unter an ihrem Proletariat und Allem, was damit zusammenhängt; denn unlösbar ist die „sociale Frage“, und jeder Versuch, sie zu lösen, reißt, wie es scheint, mit der Wirthschaft auch Gesellschaft und Staat in das Verderben.

Wie dem auch sei – eine krankhafte Erscheinung ist, unter anderen Symptomen tiefer Schäden, die Auswanderung, die massenhafte, welche auch heute noch jährlich viele Zehntausende aus Deutschland nach anderen Erdtheilen führt. Sie ist rätselhaft, denn in den politischen und socialen Zuständen unseres Reiches können, mag man die Abneigung gegen den Waffendienst, den Steuerdruck, das Darniederliegen der Geschäfte und die Wirkungen der Lehren der Socialdemokratie noch so hoch anschlagen, ausreichende Gründe für diese Flucht nicht gefunden werden, wie sie etwa in dem Zeitraum von 1815 bis 1848, 1850 bis 1870 allerdings vorlagen. Auch von Uebervölkerung des deutschen Reiches kann keine Rede sein: eine relative Uebervölkerung findet sich nur in großen Städten, und zwar eine sehr schädliche in Ursache und Wirkung; denn die Ursache ist nur zu oft der Drang der ländlichen Arbeiter beider Geschlechter aus der „Langeweile“ des Ackerbaues nach den „Genüssen“ der Großstadt, und die Wirkung ist die Belastung der Großstädte mit dem Unterhalt einer häufig genug arbeitsunwilligen nicht selten aber auch arbeitsunfähigen Menge.

Gerade die ländliche Bevölkerung ist es nun bekanntlich, welche, neben der Ueberwanderung in die Großstadt, ein sehr erhebliches Contingent zu der Auswanderung aus Europa stellt, sodaß Uebervölkerung des flachen Landes im deutschen Reiche durchaus nicht zu verspüren, vielmehr hier Mangel an Arbeitskräften zu beklagen ist. Die Summe von Kraft, welche seit anderthalb Jahrhunderten durch Auswanderung dem deutschen Volke unwiederbringlich verloren ging und von Jahr zu Jahr noch verloren geht, ist ganz enorm. Es wäre eine dringendere Aufgabe der deutschen Politik, als gar manche, welche seit 1871 in Angriff genommen wurde, durch Colonisation im großen Stil dafür zu sorgen, daß in Zukunft wenigstens diese Tausende von deutschen Arbeitern uns erhalten, nicht, wie bisher, verloren gegeben, in Concurrenten, ja oft Feinde der deutschen Heimath verwandelt werden.

Diese Gedanken über moderne Auswanderung entbehren durchaus nicht des Zusammenhangs mit den Studien welche mein Beruf und meine Vorliebe mir seit Jahrzehnten am nächsten legen: mit der Erforschung deutscher Urzeit und der – sogenannten – „Völkerwanderung“. Und wie mich jene Bewegungen der Vorzeit zum Vergleich mit – scheinbar – ähnlichen Erscheinungen der Gegenwart oft veranlaßt haben, so hat sich vielleicht schon mancher Leser dieser der Jetztzeit zugewendeten Blätter die Frage gestellt, ob jene „Völkerwanderung“ mit unserer modernen Auswanderung in Vergleich gebracht werden könne?

Einen weiteren Anlaß zur Erörterung dieser Frage gab das diesen Zeilen beigegeben Bild von Meister Johannes Gehrts, der

[196]

Germanenzug. Originalzeichnung von Johannes Gehrts.

wie kaum je ein anderer Maler vor und neben ihm in die Wahrheit germanischen Alterthums eingedrungen ist.

Ich habe andern Orts ausgeführt, daß jene sogenannte Völkerwanderung richtiger als Völkerausbreitung bezeichnet würde, und mit unserer modernen Auswanderung hat sie fast gar nichts gemein; sie unterscheidet sich vor Allem darin, daß nicht Einzelne oder einzelne Familien, sondern wirklich ganze Völker, staatlich organisirt, sich in Bewegung setzten, während der Wanderung das ganze Staatsleben (mit Gericht, etc.) fortführend, wie es in den verlassenen Heimathsitzen bestand – und zweitens darin, daß fast immer Uebervölkerung, Bedürfniß nach ausgedehnteren, dann auch ergiebigeren und mehr gesicherten Wohnsitzen die treibende Ursache, der Ausbreitung und Sitzveränderung war. Auf die Gründe, welche diese Uebervölkerung, dieses Bedürfniß nach geräumigerem [197] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt.


Wohnsitz erzeugten, soll hier nicht näher eingegangen werden; sie lagen in dem Uebergang vom nomadenhaften Leben der Hirten und Jäger mit nur im Vorüberziehen nebenher betriebenem Ackerbau zu seßhafter Agrikultur als der Grundlage des wirthschaftlichen Lebens, mit Viehzucht und Jagd als Wirtschaftszweigen zweiten Ranges. Zum Theil lagen sie auch darin, daß die Macht des römischen Weltreichs dem bisher ungehemmten Wandern nach West und Süd an Rhein und Donau Schranken entgegen stellte, welche ein halbes Jahrtausend fast den halbnackt fechtenden, in zahllose kleine Völkerschaften zersplitterten Germanen undurchbrechbar blieben. Selbstverständlich ernährt heute das damals von ihnen besetzte Mittel- und Ost-Europa unvergleichlich mehr Menschen, als zu jener Zeit Nahrung begehrten, aber das damalige Germanien war von Sumpf und Urwald bedeckt, und der damalige [198] Ackerbau, ja die ganze damalige Volkswirtschaft noch in sehr einfachen Anfängen begriffene zwar nahmen die Germanen manche Vorteile der benachbarten römischen Cultur an, aber das geschah langsam, stückhaft, in unzulänglicher Weise, und Alle zogen es vor, statt mühevolleren Ackerbau als bisher zu treiben, durch Kampf und gewaltsame Ausbreitung neue, breitere, bessere und mehr geschützte Wohnsitze zu gewinnen.

Es waren nicht Schaaren bewaffneter Abenteurer, nicht nur Fürsten mit ihrer Gefolgschaften, nicht blos Heere von Kriegern, sondern wirklich ganze Völker, welche mit Weib und Kind, mit den noch nicht und den nicht mehr waffenfähigen Freien, Freigelassenen, mit Knechten und Mägden, mit deren Heerden – dem wichtigsten Theil des Nationalvermögens – und mit der übrigen Fahrhabe einher gezogen kamen.

Das hat der Künstler, der überhaupt, wie gesagt, eine auf gründlichstem Stadium ruhende Kenntniß germanischer Vorzeit überall bewährt, klar zur Anschauung gebracht.

Wir sehen den Zug der Wagen, welche bei der Rast zu einer Art Lager, „Wagenburg“, in einander geschoben werden; auf diesen Wagen leben während der Wanderung die Weiber mit Handarbeit, zumal Spinnen, beschäftigt, dann die Kinder, die marschunfähigen Greise, Kranke, Wunde; die Wagen waren mit Thierhäuten oder Leinwand, nicht ohne Schmuck bunter Zeichnungen, überspannt und glichen daher beweglichen Zelten; Rinder zogen sie. Die Giebelstangen der Wagen waren bei deren Kreuzung mit Büscheln geschmückt oder liefen in Gestalt von Pferdehäuptern aus und trugen Laub oder auch die Häupter geopferter Rosse.

Die Schafheerden folgen dem langsamen, schwerfälligen Zug, von gewaltigen Hunden umbellt. Die Knechte tragen Waffen, Geräth, Jagdbeute. Halbwüchsige Jünglinge und Mädchen reiten auf den Zugthieren, wenig bekleidet, wie denn die keusche unbefangene Sitte des Naturvolks auch an der geringen Verhüllung der Frau keinen Anstoß nahm. Die junge wehrfreudige Mannschaft tummelt ihre Rosse neben den Zug der Wagen, die Speere im Spiel in die Luft werfend und wieder fangend. Der König aber oder Graf stattlich geschmückt mit dem Adlerhelm, dem Schild, der Brünne, den Armringen, mit dem Kurzschwert und der Streitaxt im Gürtel, reitet voran, sinnend Ziel und Zukunft seines Volkes erwägend. Diese Wanderer, die entlang den hohen Bergen ziehen, mögen die Markomannen sein, die späteren Baiern, einrückend in das Land zwischen Donau und Alpen: denn als Sueben kennzeichnet sie die Haartracht. Auch Langobarden könnten es sein, die über die Alpen nach Italien ziehen.




Feuerliesl.

Erzählung von Karl Weiß.
(Fortsetzung.)
3.

Der Morgen graute eben, ein klarer, kühler Frühlingsmorgen und sein fahler Schimmer blickte in das niedrige Stübchen unter dem Dache des Himmelbauerhofes. Drin schlief und träumte das einzige Kind des Bauers, die Feuerliesl. Was sie träumte? Recht wirres, ungereimtes, wohl auch närrisches Zeug, in das sich alle Menschen und Dinge verwoben, die sie liebte oder haßte. Nur von Einem träumte sie nicht, hatte sie noch nie geträumt. von ihrem Bräutigam, den Bachschneider-Loisl. Weshalb nur gerade von Diesem nicht? Seit Kathrein war sie mit ihm versprochen, und zu Peter und Pauli sollte die Hochzeit sein; der Vater und Veronika sprachen tagsüber oft genug von ihm; sie sah ihn auch häufig – vielleicht ein wenig zu häufig – dennoch verwob sich seine Gestalt niemals in ihre Träume. Sie war überdies dem leidlich hübschen, gutmüthigen Burschen ganz gut und ließ sich seine guttäppische Art, ihr seine Neigung zu bekunden, lachend und nicht ungern gefallen. Warum nur träumte sie nie von ihm? Das beschäftigte sie ernstlich.

Auch jetzt, da der hereinlugende Morgen sie aus dem Schlummer weckte, fragte sie sich: warum nur nicht von ihm? Sie sprang aus dem Bette, wusch und kämmte sich, legte dann eilends die schlichten Alltagskleider an und gedachte dabei unausgesetzt des eben unterbrochenen Traums. Der war auch seltsam genug gewesen. Kein Geringerer als der Gottvater leibhaftig war ihr erschienen – das lohnte doch. Aber vom Bachschneider-Loisl hatte er nicht mit ihr gesprochen; von dem war wieder gar nicht die Rede gewesen.

Sie ging hinunter, um nach den Mägden zu sehen, die schlaftrunken an ihre Morgenarbeit schlichen; auch der alten Veronika, die schon seit einer Stunde im Hause rumorte und schaffte, mußte sie zur Hand sein.

Die Sonne kam über den Bösenbergen herauf, und die Knechte sammelten sich im Hofe um den Bauer, der Jedem sein Geschäft für den Tag anwies. Allmählich zogen sie, die Pfeife im Munde, nach einander mit einem lauten oder stillen, heiteren oder mürrischen „B’hüt Gott, Bauer!“ aus dem Hofe hinaus auf’s Feld, oder in den Wald, oder zur Bösenbachmühle hinab, je nach der erhaltenen Weisung. Nur Einer blieb ruhig zuwartend noch zurück. Er hatte eine Soldatenmütze auf das schwarze Kraushaar gedrückt und hielt, der Einzige, keine Pfeife im Munde.

Jetzt fiel der Blick des Bauers auf ihn. „Ah so, Du wart’st no,“ sagte der Himmelbauer und sog eifrig an seiner Pfeife. „Auf Di hätt’ i bei’m Haarl vergess’n – kannst derweil mit nauf geh’n in’s Pendlwaldl un ’s Kleinholz abräumen helfen. Der rothe Peter ist schon vorauf; sag’ ihm nur, daß i Di nachschick’. – So, jetzt b’hüt Gott!“

„B’hüt Gott!“ erwiderte der jüngste Knecht des Himmelbauerhofes, machte militärisch Kehrt und schritt zum Thore hinaus. Der Himmelbauer sah ihm nach. Da kam seine Tochter aus dem Hause und wollte zur Milchkammer hinüber.

„Wer ist denn Der?“ fragte sie den Vater und wies mit dem Kopfe nach dem Hofthore hin, durch das der junge Knecht eben entschwand.

„Kennst’n denn nimmer?“ meinte der Bauer und wandte sich ab, um nach dem Stalle zu sehen, „’s is ja der Teichbauer-Toni.“

„Der Teichbauer-Toni!“ Liesl faßte unwillkürlich nach ihren langen Zöpfen, an deren Ende noch immer, wie in der Kinderzeit, zwei mächtige feuerrothe Maschen prangten. „Der Teichbauer-Toni!“ wiederholte sie sinnend, „is der wieder z’ruck? Und was hat er denn woll’n?“

„Dalkerte Frag!“ brummte der Bauer. „Er is eing’standen als Knecht statt’n Hiesl“ Damit verschwand er in der Stallthür.

Liesl stand noch eine Weile allein im Hofe und spielte nachdenklich mit den rothen Maschen, die sie in den Händen hielt. Dann eilte sie in’s Haus zurück.

„Veronika!“ rief sie schier athemlos, „Veronika!“

Die Alte zankte eben mit einer Magd.

„Was is?“ fragte sie, mürrisch ihr Schelten unterbrechend.

„I hab’s, Veronika – i hab’s. Der schwarze Soldat aus mein’ Traum, den i Euch verzählt hab’ … der Teichbauer-Toni war’s und ka Anderer.“

Gegen Abend kam der Bachschneider-Loisl, um seine Braut heimzusuchen, fand sie aber nicht. Auch den Himmelbauer fand er nicht, nur die Veronika war daheim und schaute sich schier die Augen aus nach dem „Wetterdirndl“, der Liesl. Endlich gab sie das Suchen auf und setzte sich zu Loisl auf die Thürbank, um ihm die Wartezeit zu verkürzen, bis die Dirn’ wieder heimkäme.

„Wo die wieder herumsteigt!“ murrte sie und wischte mit der Schürze erst fein säuberlich die Bank ab, ehe sie sich zu Loisl setzte, der ungeduldig an der Quasten seiner silberbeschlagenen Pfeife zupfte. „Mußt halt amal mit aner Alten verlieb nehmen,“ lachte sie, wobei ihr schrumpfliges Gesicht noch faltiger als sonst erschien. Loisl schwieg eine Weile; dann meinte er:

„’S wird si bald finster mach’n; es sollt do ausg’schaut werd’n nach der Liesl.“

Die Alle guckte wieder die Straße hinab.

„Wo ’s nur alle Zwei so lang stecken?“ sagte sie. „Der Bauer kommt a net ham.“

[199] „Wo is er denn hingangen?

„In’s Pendlwaldl, nachschau’n, wie sich der neue Knecht anstellt.“

„Habt’s ein’ neuen Knecht?“

„Ja, statt’n Hiesl. Kennst ’n ah … den Teichbauer-Toni.“

Der Bachschneider-Loisl blies eine dicke Wolke aus seiner Pfeife. „Is der wieder da?“ fragte er dann gedehnt.

„Seit gestern auf d’ Nacht.“

„Und bei Euch in Dienst?“

„Seit heut in der Fruh.“

Wieder hüllte sich der junge Bauer in eine Rauchwolke.

Die alte Frau hustete.

„Wie Du wieder dampfst!“ brummte sie und wehrte ärgerlich dem Rauche. Der Bachschneider-Loisl schien sie nicht zu hören. Er paffte weiter und sagte dann langsam:

„Und – d’ Feuerliesl, was sagt denn die zu dem neuen Knecht?“

„Meinst leicht z’weg’n den Nam’, den er ihr aufbracht hat? Geh, das san Kinderg’schichten; sie denkt nimmer d’ran. Der Toni is recht zum bedauern, daß er in Dienst geh’n muß. Wär’ wohl a lieber a Bauer wie Du, als a armer Knecht.“

„Glaub’s wohl!“ lachte Loisl plump und betrachtete wohlgefällig die schwere silberne Kette, die an seiner Weste baumelte.

„’S kann halt net Jeder a Bauer sein,“ meinte er dann.

„Und wann Dir Dei Vater selig statt’n Bachschneiderhof nur Schuld’n z’ruckg’lass’n hätt’, wärst Du halt a Kauer,“ erwiderte die Alte ungeduldig, stand auf und ging in’s Haus.

Als sie zurückkam, war die Bank leer, der Loisl verschwunden.

Sie schüttelte den Kopf.

„Der eifert a mit an Jed’n,“ brummte sie, lugte noch einmal nach allen Richtungen scharf aus und ging dann wieder in’s Haus zurück, um mit den Mägden zu zanken.

Der junge Bauer schritt unterdessen den schmalen Weg hinan, der dem Bösenbachufer entlang zum Pendlwalde führt. Wollte er dem Himmelbauer begegnen? Oder der Liest? Oder dem Toni? Er hatte die Richtung eingeschlagen, ohne recht zu wissen weshalb. Der Weg führt zuerst sachte bergan, dann eine Weile eben fort und zuletzt, immer dem hurtig herabschießenden Bache entgegen, ziemlich steil über Steine und Geröll in den hochgelegenen Wald hinauf. Dort am Saume des Gehölzes begegnete Loisl dem Himmelbauer, der vom Pendlwalde in’s Dorf niederstieg.

„No, wo steigst denn Du heut no hin?“ fragte dieser erstaunt, als ihn der Gruß Loisl’s aus seinen Gedanken aufscheuchte.

„I – i will a Bissel ausschau’n, wie d’ Witterung morg’n wird,“ erwiderte Loisl stockend und wollte weiter steigen.

Der Alte aber hielt ihn zurück. „Was is denn?“ fragte er überrascht, „kommst heut gar net zu uns?“

„War schon bei Euch,“ war die lakonische Antwort.

„Aha! Habt’s Euch g’stritten, Du und d’ Liesl?“

„O na. D’ Liest is gar net daham.“

„Net daham? Und wo wär’s denn nachher?“

„I waß net. Bist ja Du der Vater,“ erwiderte der junge Bauer trocken und schritt weiter.

Der Himmelbauer sah ihm verdutzt nach und schüttelte mißmuthig den grauen Kopf.

„He! Du, Loisl!“ rief er dem rasch Hinansteigenden nach. „Schaust beim Hamgeh’n no amal ’nein bei uns?“

Der junge Bauer hörte ihn aber nicht mehr oder wollte ihn nicht hören; er hatte eben die Höhe erreicht und trat in den Schatten des dichteren Waldes.

Der Himmelbauer wartete noch eine Weile vergeblich auf Antwort; dann brummte er ärgerlich: „Lauf zu, Grasteufel!“ und setzte langsam den Abstieg in’s Dorf fort.

Der Bachschneider-Loisl verfolgte unterdessen, weit ausschreitend, den stillen Waldweg. Der Abend war vollends hereingebrochen und hatte das Dunkel des Waldes schier undurchdringlich gemacht. Nur aus der Ferne schimmerte dem einsamen Wanderer ein Heller Punkt entgegen; das war die Lichtung, die den tiefer gelegenen Gemeindewald vom Gipfel der Anhöhe, dem Pendlwalde, trennte. Nach einer Weile kamen dein Loisl schwere Tritte entgegen; der rothe Peter kehrte mit zwei anderen Knechten des Himmelbauers von der Arbeit heim. Loisl hielt sie an – der Teichbauer-Toni war nicht unter ihnen. Der junge Bauer wollte fragen, wo der Toni geblieben sei, aber ehe er sich noch recht zu der Frage entschlossen hatte, waren die Leute, welche sich nach der schweren Arbeit des Tages heimsehnten, längst seinen Blicken entschwunden.

So schritt er denn weiter. Der helle Punkt vor ihm kam immer näher und näher, ward immer größer und größer; nun sah Loisl auch schon die Lichtung vor sich liegen, wo nur hier und dort ein paar vereinzelte Stämme Wache standen und die dürren Aeste wie drohend in den Abendhimmel streckten.

Aus dem Bösenbachthale, über das sich leichte wogende Nebelschleier gelagert hatten, lugte die Kirchthurmspitze des Dorfes herauf. Einige verstreute Gehöfte waren drunten noch sichtbar, drüben die Mühle, die zum Himmelbauerhof gehörte, und am obern Ende des Dorfes der Teichbauerhof.

Loisl sah eine Weile gleichgültigen Blickes in sein Heimaththal hinab; dann schaute er um sich. Lehnte dort an der alten Fichte, die durch ein „Marterl“[1] weithin kenntlich war, nicht der Teichbauer-Toni? Gewiß, er war’s. Die Axt neben ihm und die Soldatenmütze, die er, wie ein Betender in der Kirche, abgenommen hatte, verriethen ihn.

Der Bachschneider-Loisl trat, die Fichte fest im Auge behaltend, vorsichtig in den schützenden Schatten des Waldes zurück; da rührte sich etwas wenige Schritte von ihm entfernt. Er sah hin – die Himmelbauer Liesl saß auf einem Baumstrunk und blickte, gleich dem Toni drüben, nachdenklich in das Thal hinab. Sie hatte den Kopf in die Hand gestützt und schien weder den Toni noch den Loisl zu bemerken. Was wollte sie hier?

„Z’weg’n der Aussicht wird’s net auffa kraxelt (gestiegen) sein,“ dachte Loisl und blieb unschlüssig stehen.

Jetzt setzte der Toni drüben hastig die Mütze auf, warf die Axt über und schritt auf den Waldweg zu. Loisl hatte stehen bleiben und die Begegnung der Beiden belauschen wollen, aber nun überlegte er’s in aller Hast. Der Toni sollte ihn und die Liesl hier beisammen finden – das schien ihm nun besser. Hastig trat er aus dem Schatten hervor und rief die Liesl an. Die Dirne erschrak heftig und sah ihn groß an.

„Du bist’s,“ sagte sie dann gedehnt und stand langsam auf.

„Hast leicht wem Andern d’rwart’?“ meinte er lauernd, indeß er neben ihr her dem Walde zuschritt.

„Wem denn?“ fragte sie abweisend zurück.

Er schwieg. Da kam auch schon der Teichbauer-Toni, der eiliger ausschritt, an ihnen vorüber. Ihr schoß das Blut in die Wangen, als sie einen Augenblick stille stand, um den Toni vorbei zu lassen, der Beide mit einem flüchtigen Blick streifte und mit ruhigem Gruße weiterging. Ehe sie den Gruß noch erwidern konnte, rief ihr Begleiter schon laut:

„Schau, meiner Seel’, das is ja der Teichbauer-Toni. No, kennst mi wohl nimmer? I bin der Bachschneider-Loisl.“

Das klang so freundlich, daß Toni überrascht stehen blieb und sich zurück wandte.

„Grüß Gott, no amal!“ sagte er warm und streckte dem jungen Bauer herzlich die Hand entgegen. Dieser ließ seine Hand langsam in der Tasche verschwinden und sagte plötzlich hochmüthig:

„Scho recht! Schau nur, daß D’ jetzt ham kommst, Toni! Der Himmelbauer wird scho wild sein z’weg’n Dein’ langen Ausbleiben. Jetzt B’hüt Gott!“

Auch der Teichbauer-Toni ließ seine Hand langsam sinken, aber sie hatte sich zur Faust geballt. Er trat hart an Loisl heran – da fiel sein Blick auf das einsame Teichbauerhaus unten im Thale, aus dessen Fenster ein Licht empor schimmerte. Die alte gramgebeugte Mutter, die dort kümmerlich hauste, die hülflosen Brüder, für die er ja sorgen mußte, standen mit einmal vor seiner Seele.

Er sah dem Hochmüthigen ernst in die Augen, so fest und ernst, daß dieser unwillkürlich einen Schritt zurücktrat; dann wandte er sich schweigend ab und schritt langsam seines Weges, bald in den Schatten des Waldes untertauchend.

Auf dem Heimwege wechselten Liesl und ihr Bräutigam kein Wort, und als sie vor dem Himmelbauerhofe angelangt waren, streckte ihr Loisl die Hand zum Abschiede entgegen. „Schlaf g’sund!“ sagte er. Sie fuhr wie aus einem Traume auf, sah erst ihn, dann seine ausgestreckte Hand mit großen Augen schier feindselig an und ging dann langsam, ohne seinen Gruß zu erwidern, in’s Haus.

Loisl stand eine Weile sprachlos vor der schallend in’s Schloß fallenden Thür und glotzte der Dirne verdutzt nach. Dann ballte er die vergeblich ausgestreckte Hand zur Faust, murmelte einen Fluch zwischen den Zähnen und verschwand endlich langsam im Dunkel der Nacht.

[200]
4.

Liesl hatte sich behutsam in ihre Dachkammer geschlichen, nicht weil sie dem Vater oder Veronika zu begegnen fürchtete – sie lief ja gar oft in Wald und Feld umher, ohne daheim Rechenschaft über ihr Ausbleiben ablegen zu müssen, aber sie wollte allein sein. In ihrer Kammer war es warm und dumpfig, sie öffnete das Fenster und ließ die feuchte kühle Abendluft hereindringen. Dann löste sie langsam die breiten rothen Maschen von den langen Zöpfen und ließ diese nachdenklich durch die Finger gleiten. Ueber den Bösenbergen kam der Mond herauf, und sein weißes mattes Licht spiegelte sich in den dunklen Augen der Dirne, die gar seltsam funkelten und leuchteten. Waren es Thränen, die da glitzerten? Liesl’s jugendfrische Züge sprachen nicht von Schmerz. Um die festgeschlossenen Lippen zuckte vielmehr ein trotziges, herausforderndes Lächeln, das dem nichts Gutes bedeuten mochte, dem es galt. Aber der feuchte Glanz des Blickes, das Zittern der dunklen Wimpern widersprach gar eindringlich diesem Trotze, und der stürmisch wogende Busen schien die Fessel des engen Mieders schier sprengen zu wollen.

– Liesl! Wem gilt dieses Pochen deines jungen Herzens? Wem gelten die Thränen, die deinen trotzigen, klaren Blick sänftigen und umschleiern? Liesl! Arme Liesl! Blick nicht so starr die Dorfstraße hinauf! Der dort vom Teichbauerhause langsam herabwandelt, der schlanke Bursch mit den krausen schwarzen Haaren und der leichten Soldatenmütze daraus – der Teichbauer-Toni, was gilt er dir, was darf er dir gelten? Er, der arme Löhner, dir – der Braut? Du hast Ja gesagt zur Werbung eines ehrlichen Mannes, hast ihm vor dem Pfarrer und vor dem Vater die Hand zum Gelöbnisse gereicht, und wie lang dauert’s noch, so bist du sein Weib und kein Engel im Himmel macht dich frei, so frei, daß der Blick, mit dem du jetzt den einsamen Burschen da unten auf der Straße schier verschlingst, keine Sünde wär – und keine Schande! Liesl! Liesl! Ja, drück nur die Hände auf’s Mieder, versuche es nur, dem störrischen Ding da drinnen Ruhe zu gebieten, preß nur die Lippen noch fester zusammen, so fest, daß alles Blut aus ihnen entweicht – es steigt Dir nur um so wilder zu Kopf und Herz.

Blick hinunter! Schau, der Toni denkt ja gar nicht an dich; er wandelt still, Schritt für Schritt, im Mondschein und wirft keinen Blick, keinen einzigen, zu Dir herauf, die wohl möchte, daß er heraufsähe, und es doch wieder fürchtet. Wer weiß, woran er so verbissen denkt! Vielleicht an ein Brautpaar, das ihn heute Abend, dort oben an der Waldlichtung verhöhnt hat, verhöhnt, weil er jetzt arm ist und in Dienst hat gehen müssen, verhöhnt, weil er seine alte Mutter und seine jungen hülflosen Geschwister mit seinem sauer erworbenen Knechtlohne vor Hunger und Elend schützen muß! Vielleicht denkt er, daß die Braut gerade so schlecht und herzlos ist, wie ihr Bräutigam, weil sie kein einziges Wort für ihn hatte und keines gegen den protzigen Bauer neben ihr, dem sie sich versprochen hat, und der bald kommen wird, sie in sein reiches, stolzes Haus zu holen.

Jetzt steht der Toni dem Hause und dir gegenüber still, aber noch immer haftet sein Blick am Boden – er sieht dich nicht. Langsam geht er auf die Thür zu – noch ein Schritt und du kannst ihn von deinem Fenster aus nicht mehr erspähen …

Liesl! Was treibst du?! – Lege dich, wie sonst, still auf dein Lager, das dich so verlockend anlächelt und dir flüsternd von den süßen Träumen erzählt, mit denen es dich so oft beglückte! Undankbare, du hast kein Ohr für seine Sprache. Du öffnest die Thür … stürmst die Treppe hinab … wohin? Ist’s dein Schicksal, das dich ruft?

Liesl! Arme Liesl!! – –

In dem dunkeln Gange stößt der heimkehrende Toni auf einen weichen Arm, der seine Schritte hemmt.

„Wer is?“ fragt er.

„Bst! Sei stad!“ antwortet es aus dem Dunkel heraus, und eine heiße Hand erfaßt die seine. „Komm!“ flüstert es weiter, und er fühlt sich durch den Gang fortgezogen bis zu der Thür, die nach dem Hofe führt. Er will reden, will fragen, aber dieselbe weiche Stimme bittet flehentlich:

„Sei stad! Sonst weckst die Veronika, die neben in der Kammer schlaft.“

Die Stimme klingt ihm bekannt, und doch weiß er nicht, wem sie gehört. Schweigend gehorcht er und folgt seiner Führerin in den Hof, der noch halb im Dunkel liegt; denn der Mond steht noch tief und wirft den Schatten des Hauses scharf begrenzt über den Raum. Nur drüben in den erblindeten Stallfenstern spiegelt er sich matt.

„Liesl, Du bist’s?“

Der Teichbauer-Toni zieht überrascht seine Hand zurück.

„Schrei nit so! Sonst weckst die Leut’,“ flüstert Liesl ängstlich und fügt dann noch leiser hinzu. „I … i hab’ mit Dir red’n woll’n, weil … weil i Dir was sagen muß.“

„Du mir?“

„Ja, i Dir.“

„So red’!“

Wie ernst, ja rauh Toni’s Stimme klingt! Es schnürt der armen Dirne, die ganz verschüchtert und beklommen vor ihm steht, schier die Kehle zusammen. Am liebsten lief sie davon, aber nun muß sie ja wohl sprechen – und so spricht sie denn. Erst langsam und stockend, dann immer rascher und hastiger stottert sie hervor, was ihr durch Kopf und Herz zieht: daß sie keinen Theil habe an der hochmüthigen Rohheit des Bachschneider-Loisl, daß sie vor Scham habe kein Wort hervorbringen können, daß sie den Loisl, der ihr bislang nur „so gleich“ gewesen sei, nunmehr hasse und verabscheue, daß … ja daß … !

Dieses Letzte will nicht über ihre bebenden Lippen, aber die Hand, die sie dem Toni reicht, ist heiß und zittert so heftig, daß er sie in seine beiden Hände einschließen und darin festhalten muß, damit sie ihm nicht entschlüpfe. Sie schweigt, und er antwortet nicht, aber ihre Blicke begegnen sich, und Liesl könnte die Antwort in seinen Augen lesen, wenn sie überhaupt etwas sähe. Doch sie sieht nichts; wie ein Schleier liegt es über ihr; sie hört nichts; das stürmische Pochen ihres Herzens, das ihr die Besinnung rauben will, übertönt jeden Laut – mit einem jähen Ruck liegt sie an Toni’s Brust, umklammert seinen Kopf mit beiden Händen und drückt einen glühenden, schier wilden Kuß auf seine Lippen. Dann wieder ein Ruck – und sie ist verschwunden.

Der Teichbauer-Toni steht lange still, wie betäubt, ohne sich zu rühren. Dann fährt er jählings an Wangen und Augen, als wollte er prüfen, ob es kein Traum gewesen ist, was er erlebt hat. Nein, es war kein Traum. Er lächelt, nickt mit dem Kopfe dem Monde zu, der unvermerkt über das Hausdach geklommen ist und Alles mit angesehen hat – dann sucht er schwankend seine Schlafstätte auf.

Droben aber, in der Dachkammer, liegt Liesl fiebernd auf ihrem Bette und wacht mit geschlossenen Augen.




5.

Am Bachschneiderhof ging Alles seinen gewohnten ruhigen Gang, obwohl der Bauer den ganzen Morgen über nicht sichtbar wurde, sondern trotz aller Tageshelle in seinem Bette lag und schlief. Er war erst tief in der Nacht heimgekommen und obendrein nicht ganz gerade, wie der Roß-Jackl, pfiffig blinzelnd, den anderen Knechten aus einander setzte. Nebenan standen die Mägde beim Scheuern und schwatzten dazu.

„Wird scho klein beigeb’n, wann erst die Bäuerin auf’n Hof kommt,“ meinte Rosl, eine von den Hofdirnen.

„D’ Feuerliesl?“ spottete eine andere. „Na, die wird schon a saubere Bäuerin abgeb’n. So a Wildling mit Zöpferln und Mascherln wie a Stadtfräul’n!“

„Und wie ’s hupft und wie ’s d’ Augen verdraht – a schöne Bäuerin!“ fiel eine Dritte ein, und Alle schüttelten sich vor Lachen.

„Vor der krieg’ i mein Leb’n kan Respect!“ pflichtete die vierschrötige Kuhdirn bei und stemmte die rothen Arme herausfordernd in die breiten Hüften.

Da fiel ein Schatten zwischen die schwätzenden und lachenden Mägde.

„Ist Euer Bauer daheim?“ fragte eine helle Stimme.

„Der schlaft no,“ antwortete Rosl über die Achsel hin, ohne sich umzusehen, und plauderte weiter.

„So weckt’s ihn und sagt’s ihm, daß i mit ihm red’n will!“

Das klang so energisch und so sicher, daß Rosl sich überrascht umwandte und auch die übrigen Mägde unwillkürlich die Köpfe hoben, um sich den ‚raschen‘ (schneidigen) Besuch anzusehen. Hei, wie erschraken sie, als sie sahen, daß keine Geringere denn [201] die künftige Bäuerin selber, die Feuerliesl, vor ihnen stand! Sie starrten dem überraschenden Besuche verdutzt in’s Gesicht, doch vor Verblüffung rührte sich Keine vom Platze.

Die Himmelbauer-Liesl stand eine Weile ruhig zuwartend da; endlich fragte sie ungeduldig. „Wo is denn die Cilli?“

Die Wirthschafterin, nach der sie fragte, kam eben von der Wäschkammer herübergetrippelt.

„Jessas, d’Himmelbauer-Liesl!“ rief sie näherkommend und schlug in die Hände. „Ja, is das aber was Seltsam’s!“

„Grüß’ Gott, Cilli! I möcht mit’n Bauern red’n; i hab' ihm was Nothwendig’s zum sag’n.“

Die Alte schien verlegen.

„Der Bauer - ja, der Bauer -“ stotterte sie, „’s is so a Sach’. Er is a wen’g unpaß, aber wann er hört, wer ihm die seltsame Ehr’ erweist, da wird er, man i, glei g’sund werd’n. G’schwind sag’ i’s ihm.“ Und damit trippelte die Alte dem Hause zu.

Die Mägde hatten sich, sobald sie der Alten ansichtig wurden, zurückgezogen doch nicht ohne einander allerlei Bemerkungen über den merkwürdigen Besuch zuzuflüstern der ihnen völlig „aus der Weis“ schien.

So blieb Liesl allein zurück. Sie sah sich in dem Hofe um, in den sie nach der Leute Meinung bald als Bäuerin einziehen sollte. Als Bäuerin! Sie mußte jenes Sonntags aus der Kinderzeit gedenken, an welchem der Bachschneider-Loisl sich für sie mit dem Toni gebalgt und die Veronika sie von den drei Teichen heimgezerrt hatte. Damals hatte sie trotzig erklärt, keine Bäuerin werden zu wollen – und heute? Was führte sie heute hierher?

Der junge Bauer sah recht blaß aus, als er jetzt eilfertig aus der Thür trat und auf sie zuschritt, das Haar ungeordnet, die Miene erschlafft und die Augen von dem hellen Sonnenlichte geblendet. Verlegen streckte er ihr die Hand entgegen und stotterte einen Willkommengruß.

Reflexionen.
Nach dem Oelgemälde von C. Arnold.


Liesl stand aufrecht vor ihm und schien fast größer als er, so unsicher war seine Haltung.

„Kommst leicht z’wegen gestern?“ fragte Loisl und lachte laut, wie Verlegene pflegen. Sie sah ihn an. „Lach’ nit!“ sagte sie, „’s is a ernste Sach’, was i mit Dir red’n muß.“

Loisl ließ die noch immer ausgestreckte Hand sinken. Er sah der Dirne überrascht in die Augen und sagte leise. „Setz’ Di nieder oder komm in d’ Stub’n nein!“

„Schön Dank,“ erwiderte sie, „i bleib lieber da steh’n.“

Dann glättete sie die Falten ihrer Schürze, holte tief Athem und sagte:

„Loisl – i kann Di nit heirathen.“

Der junge Bauer riß die Augen auf und starrte seine Braut sprachlos an. Auch Liesl sprach nicht weiter. Jetzt, da das entscheidende Wort gefallen war, verließ sie plötzlich der Muth, mit dem sie es gesprochen hatte, gesprochen im Vollgefühle ihrer Liebe, die ihr das einzige Recht auf der Welt schien. Fühlte sie nun mit Eins das Unrecht, das sie damit den Anderen zufügte: ihrem Verlobten – ihrem Vater?! Heftiges Zittern überfiel sie, und weinend drückte sie die Hände vor die Augen.

Da geschah ein Wunder. Nicht mehr Loisl stand vor ihr, sondern Toni, der schlanke kraushaarige Toni; der sah sie mit seinen lieben, klaren Augen so zärtlich an, daß ihr das Herz stille stehen wollte. Er breitete die Arme aus und rief: Liesl! – Sie wollte auf ihn zu fliegen, wollte sich an seiner schützenden Brust bergen und ihm zurufen: Du, nur Du allein bist’s, den i gern hab’, Dir allein nur folg’ i auf der weiten Welt …! - Da öffnete sie die Augen, und das Wunderbild zerstob – Loisl stand wieder vor ihr. Er war es, der ihren Namen gerufen hatte.

„Liesl!“ wiederholte er jetzt, „das kann Dei ernstliche Mahnung net sein. Geh’, Du weißt gar net, was D’ sagst.“

„I waß, was i sag,“ entgegnete sie, „I kann Di net heirath’n.“

Der Bauer trat einen Schritt zurück.

„Z’weg'n ein’ Andern!“ rief er wild und ballte die Faust.

Das ernüchterte Liesl völlig.

„Ja, z’weg’n ein’ Andern!“ erwiderte sie hart, und ihre dunklen Augen blitzten herausfordernd. „Und wann Du’s wissen willst: Z’wege dem Toni, der mei Schatz is und den i so lieb hab’, daß Ihr mir eher ’s Herz selber herausreißen könnt’, als die Lieb’ daraus zu mein’ Toni.“

Hochaufgerichtet stand sie da, die Hände auf’s Herz gedrückt, als müsse sie die süße Liebe, die sie darin verwahrte, gegen die ganze feindliche Welt vertheidigen.

„Und jetzt b’hüt Gott, Loisl!“ schloß sie nach einer Weile und wandte sich dem Thore zu. Aber sie ging noch nicht. Einer plötzlichen Mitleidsregung folgend legte sie die Hand auf Loisl’s Schultern und sagte sanft. „Sei g’scheidt, Loisl! Schau, wir Zwei hätten ja do nit z’samm g’paßt. Da, gieb’ mir jetzt d’ Hand! d’ Lieb’ fragt halt amal nach kan Verlöbniß.“

Und damit ging sie. –00

„Den Bauern müssen’s gestern aber ordentli zugedeckt hab’n,“ dachte der Roß-Jackl, als er von der Schwemme heimgeritten kam und den Bauer an derselben Stelle stehen sah, an welcher ihn Liesl eben verlassen hatte. „Der sieht ja aus, als ob er für a ganze Wochen g’nug kriegt hätt’.“ Und lustig pfeifend führte er die Pferde in den Stall. –00

Der Liesl wartete daheim noch eine schwere Aufgabe; sie mußte den Vater von dem entscheidenden Schritte verständigen, den sie gethan hatte. Ohne Zagen ging sie auch daran. Der Himmelbauer stand eben in der Stube und blickte durch das geöffnete Fenster zur Hügelhöhe empor, die der Pendlwald krönt. Wen suchte sein Auge dort oben? Woran dachte er? Es war sonst nicht [202] seine Weise, untertags müßig in der Stube zu stehen. Was beschäftigte ihn?

Liesl ging auf ihn zu und sagte ihm gerade heraus, wie es ihre Art war, von wo sie komme und was sie gethan habe. Zu ihrem freudigen Erstaunen war der Vater weniger aufgebracht, als sie erwartet hatte. Er schalt sie zwar, weil sie den Schritt vorschnell und ohne seine Einwilligung gethan hatte, allein er nahm das Geschehene doch hin, ohne darüber sonderlich erzürnt zu sein.

„Wir hätten ewig net zu einand’ g’paßt,“ sagte Liesl und sah ihm treuherzig in die Augen.

Der Himmelbauer schwieg eine Weile, dann meinte er: „So hat’s do was Ernstlich’s geben zwischen Euch?“

„Ja, Vater, i – i hab’ an Andern gern.“

„An Andern?!“

„Ja, Vater. Und so gern, so närrisch gern, daß i den kriegen muß, oder ...“

„Oder? He he! Was wär’ denn das wieder für a neue Red’? An Andern! Und das so g’schwind, wie ’s D’ an Krug leerst und wieder anfüllst! Geh, Du dumm’s Dirndl! Du weißt ja selber net, was D’ willst.“

„I man’, Vater, jetzt waß i’s.“ Sie schmiegte sich zärtlich an ihn, ergriff seine Hand und drückte sie an ihr Herz. „G’spürst Du ’s schlag’n, Vater?“ fragte sie. Dann hing sie sich an seinen Hals und küßte ihn trotz seiner verdrießlichen Abwehr.

„Er is zwar nur a armer Bub’ – er!“ flüsterte sie, „aber ...“

„So! Das a no!“ grämelte der Alte. „A armer Bub, dem mei Hof und mei Dirn’ g’rad recht wär’n – ’so zum Mitnehmen!“

„Seid’s Ihr net der reiche Himmelbauer,“ redete Liesl drein, „der sein’ anziges Kind dem Mann geb’n kann, der ’s glückli macht? Und ward’s Ihr nit selber a armer Knecht, wie Ihr d’ Mutter selig g’heirath’ habt’s, die do a das anzige Kind vom Himmelbauerhof war, grad als wie i?“

Der Himmelbauer zuckte bei diesen Worten zusammen.

„Red’ net davon!“ sagte er barsch und wandte sein Gesicht ab. „Das g’hört net daher.“

„Das g’hört doch daher,“ meinte Liesl. „O, die Veronika hat mir’s oft g’nug verzählt, wie selig Ihr mit der Mutter ward’s und die Mutter mit Euch, weil Ihr Euch gern g’habt habt’s, und weil nur die wahre, die echte Lieb’ die Menschen glücklich und herzensgut mach’n kann.“

Der Himmelbauer schwieg und sah wieder zu der Hügelhöhe empor, von welcher die Tannenwipfel des Pendlwaldes herabgrüßten. Dann sagte er milder: „Und wer is denn der ,Andere‘, der Di so völli närrisch g’macht hat?“

Liesl trat zu ihm in’s Fenster und wollte eben den Namen des Geliebten aussprechen; da bog dieser selbst, den Waldweg herabhastend, in die Dorfstraße ein. Sein jüngster Bruder, der Sepp, sprang athemlos hinter ihm her.

„Verzeiht’s, Bauer,“ keuchte der Toni, „daß i von der Arbeit wegg’laufen bin, aber d’Mutter liegt z’Haus – sie is von der Himmelsleiterwand ’runter g’stürzt...“

„ .. und is todt,“ heulte der kleine Sepp im Weiterlaufen dazwischen. „Und der Pfarrer is kommen und der Bader .... aber sie is todt - sie is todt.“

Und fort waren die Beiden.

Der Himmelbauer stand wie betäubt. Er war bleich geworden bis in die Lippen und murmelte tonlos: „Todt! ... todt! ...“

Er streckte die Hände tastend nach seiner Tochter aus, aber auch diese war verschwunden – dort flog sie um die Ecke der Dorfstraße, dem Teichbauerhause zu.

Der Himmelbauer war allein. Er starrte stier vor sich hin, wischte die schweren Schweißperlen von der Stirn und wiederholte dabei sein tonloses: „Todt! ... todt! ...“

Die Veronika kam herein und erzählte ihm, daß die Teichbäuerin am Morgen auf die Himmelsleiterwand gestiegen sei, um Kräuter zu suchen für einen Brustthee, weil ihr in der Nacht gar so schwer und ängstlich gewesen war. Oben war sie dann wahrscheinlich ausgeglitten und tief hinab in den Bösengraben gestürzt, aus dem die Leute sie erst vor einer Stunde todt herausgebracht hatten. Nun liege sie im Teichbäuerhause auf ihrem Bette, und der Toni sei schier wahnsinnig vor Schmerz. Es sei ein Anblick zum Erbarmen, fügte sie hinzu – und schluchzte laut auf.

Der Himmelbauer antwortete nichts; er hörte sie wohl kaum.

Nach einer Weile verließ er langsam die Stube, trat vor das Haus und schritt sachte die Straße hinab, scheinbar ziellos.

So kam er an das Teichbauerhaus. Er biß sich in die Lippen, krampfte die Hände zusammen und ging weiter, hastig, fast als ob er fliehe. Dann – seltsam! – kehrte er wieder um und ging denselben Weg zurück, langsam und mit Widerstreben, wie gegen seinen Willen, aber auch wie von einer stärkeren Hand getrieben. So kam er wieder an das Teichbauerhaus, und wieder wollte er daran vorübergehen, aber er vermochte es nicht – noch wenige Schritte und schon stand er mitten in der Stube, und vor ihm lag, auf ihr ärmliches Lager hingestreckt, die todte Teichbäuerin. Die Arme um ihren Hals geschlungen, das Gesicht an ihrem kalten, stillen Herzen, kniete Toni an ihrem Bette; die jüngeren Brüder standen mit bestürzten Gesichtern umher und wagten kaum zu athmen.

Der Himmelbauer wandte sich schaudernd ab, als er die bleichen finsteren Züge der Teichbäuerin erblickte, deren Ernst der Tod nicht gemildert hatte; da rührte es sich in der dunklen Ecke zu Häupten des Bettes; einem Schatten gleich glitt Liesl daraus hervor, beugte sich über die Todte und drückte einen Kuß auf ihre blassen Lippen.

„Mutter von mein’ Toni!“ sagte sie bebend, „i schwör Dir’s in Dein’ letzten Schlaf, daß i treu bei Dein’ Toni ausharr’n und ihn lieb hab’n will, so lieb – daß Du uns segnen wirst, dort dröb’n im Himmel.“

Toni hob mühselig den Kopf und blickte dankbar in die feuchten Augen Liesl’s. „Vergelt’s Dir Gott, Liesl!“ flüsterte er; ihre Hände fanden sich in einem innigen Drucke, und sein Kopf fiel wieder kraftlos auf die Leiche der Mutter herab. Der Himmelbauer hatte Alles gesehen und gehört.

„Jessas und Maria, Liesl!“ schrie er auf.

Die Dirne erhob sich langsam, und Toni’s Hand festhaltend sagte sie: „Ja, Vater, i hab’ dem Toni Lieb’ und Treu zug’schwor’n an der Leich’ von seiner armen Mutter. Der Toni is der, von dem i Euch heut g’sagt hab’ …“

„Liesl!“ wiederholte der Himmelbauer und wollte auf sie zutreten, aber der Anblick der Todten hemmte seinen Fuß. „Komm’ jetzt z’Haus!!“ sagte erbebend, sich abwendend. – „Komm’!–“




6.

Als der Himmelbauer aus dem Todtenhause wieder in’s Freie trat, athmete er tief auf. Dann schritt er heimwärts, doch vor dem Thore seines Hofes zögerte er einzutreten, schlug sich vor die Stirn und ging hastig, das Dorf auf einem Feldwege umkreisend, auf den Bachschneiderhof zu. Er trat in denselben ein und verweilte dort fast eine Stunde. Als er, von Loisl bis auf die Straße begleitet, wieder heraustrat, war seine Miene erhellt, sein Gang wieder sicher geworden. Mit einem fast fröhlichen „B’hüt Gott!“ verabschiedete er sich und ging nun langsam und würdevoll, wie es sonst stets seine Art war, mitten durch’s Dorf nach Hause.

Wer ihm begegnete, Jung und Alt, grüßte respektvoll; nun wußte er, wie der unheilvollen Verirrung seiner Tochter zu begegnen war. Der Toni mußte fort, weit und auf lange Zeit, mochte es kosten was es wollte. Inzwischen mußte Liesl Bäuerin auf dem Bachschneiderhofe geworden sein und die Narrheit mit dem Toni längst vergessen haben, wenn dieser in’s Dorf zurückkehren sollte. „Und wenn einst –“ sagte er zu sich selbst. Er fuhr sich mit der Hand über die heiße Stirn – die Märzsonne brannte ja recht empfindlich herab.

„Ah bah!“ fuhr er fort, „bis zu diesem Einst is wohl no lange, recht lange hin, und dann is ja immer no Zeit, Alles aufz’klär’n und alt Unrecht wieder gut z’ mach’n. Für den Toni will ja sorgen und ihn g’wiß net vergessen, wenn einst –“ dieses unselige „Einst“ wollte ihm heute durchaus nicht aus dem Kopfe – die Märzsonne stach aber auch wirklich ganz unerträglich.

Den ganzen Tag über kam Liesl nicht heim; der Himmelbauer schien es gar nicht zu bemerken. Eine ängstliche Frage der alten Veronika beantwortete er nur mit einem Achselzucken und meinte dann gleichgültig: „Wird scho hamkommen.“

Gegen Abend kam sie auch wirklich heim, blaß, abgehärmt, zum Tode ermüdet, und doch mit dem feuchtverklärten Blicke der Glücklichen. Sie wollte ungesehen und unbemerkt in ihre Dachkammer [203] schlüpfen, aber im Vorhause traf sie auf den Vater, der auf sie gewartet zu haben schien. Er nahm sie, ohne ein Wort zu sprechen bei der Hand und führte sie in die Stube. Dort schloß er vorsichtig die Thür hinter sich und sagte dann langsam. „I muß a Wörtl mit Dir red’n Liesl.“

„Ja, Vater.“

Der Himmelbauer räusperte sich, sog an seiner Pfeife, schob sein Sammetkäppchen vom linken Ohr auf’s rechte und dann wieder zurück, paffte eine tüchtige Rauchwolke vor sich hin und sagte plötzlich. „Du Liesl, i hab mit’n Loisl g’red’t. Der arme Dalk der barmt mir do. – G’than hat er Dir eigentli nix.“

Liesl erwiderte müde. „A abg’machte Sach’, Vater. Z’was no d’rüber red’n?“

Der Bauer hustete geräuschvoll und meinte. „No, abg’macht is wohl nur Euer Verlöbniß; das Andere –“

„Abg’macht, Vater!“ wiederholte Liesl und setzte dann matt hinzu: „Schad’ um jed’s Wört’l, wenn Ihr da d’rüber mit mir habt’s red’n woll’n.“

„No, Du bist hübsch kurz anbunden heut.“

„Müd’ bin i, Vater – und schlafen möcht’ i.“

Der Bauer sah sie von der Seite an und schwieg. Nach einer Pause begann er von Neuem: „A recht’s Elend bei so nothige (arme) Leut!“

Wieder fuhr sein Blick hastig über die scheinbar theilnahmlos vor ihm stehende Tochter hin. Da diese nicht antwortete, fuhr er fort: „’S größte Elend is do d’Armuth. Jed’s bissel Z’widrigkeit is für die armen Leut’ glei a Unglück, weil sie si net helfen können.“

Liesl rührte sich noch immer nicht. Hörte sie, was der Vater sprach? Sie hatte die Hände gefaltet und blickte zu Boden.

Die alte Veronika kam in die Stube und sah die Beiden so still und ernst neben einander stehen.

„Da setzt’s was,“ dachte sie und drückte sich kopfschüttelnd hinaus. Vater und Tochter blieben wieder allein in der Stube zurück. Der Bauer ging zum Fenster und sagte. „Schau’, dort kommt der Loisl. ’S is do a grundgute Seel’, daß er Dir nix nachtragt und wieder kommt.“

Liesl fuhr auf. „Der Loisl? Was sucht denn der no bei uns?“

„Dumme Frag’!“ lachte der Vater, ohne sich umzusehen. „Was halt so a verliebter Kater sucht!“

„I geh’ ’nauf,“ sagte die Tochter hastig und eilte zur Thür. „Sagt’s ihm, Vater –“

Der Bauer wandte sich zurück. „Du bleibst,“ herrschte er.

Der ungewohnte Ton verfehlte seine Wirkung nicht. Liesl ließ die Thürklinke, die sie schon ergriffen hatte, wieder los und sah erschreckt zum Vater auf. Dieser war hart an sie herangetreten und sagte, seinen Zorn mit Mühe bemeisternd:

„Du bist mit’n Loisl versprochen und wirst Bachschneiderin – dös sag’ i Dir, i, der Himmelbauer. Und daß i in der Sach’ kan G’spaß versteh’, wirst jetzt endli amal g’merkt hab’n. – So, jetzt gehst ’naus und’n Loisl entgeg’n und giebst ihm freundli d’Hand – hast mi verstand’n? – Glotz mi net an, als ob’s D’ net Deutsch verständ’st, und schlag’ Dir die narrischen Gedanken aus’n Kopf, sonst – sonst schlag’ i Dir’s heraus – und das könnt’ am End’ a wen’g unsanft ausfall’n. – So, g’red’t hab’ i; daß Du Dir’s a merkst, dafür werd’ i schon sorg’n.“

Liesl war es, als ob ein Blitzstrahl plötzlich neben ihr niedergefahren wäre. Sie war so voll ihres Gefühles für Toni, daß sie an den Vater und gar an Loisl längst nicht mehr gedacht hatte. Lebte sie doch, seit ihr Mund Toni’s Lippen berührt hatte, nur in einer Traumwelt, aus der selbst die Schauer des Todes, die sie an der Leiche der Teichbäuerin so furchtbar nahe umweht hatten, sie nicht zu erwecken vermochten. Er war ihr ja in dem Todtenhause nahe gewesen, und sie hatte sich auch dort glücklich und froh gefühlt. Das war nicht Fühllosigkeit gegen den unsäglichen Jammer um sie her; das war nur Liebe, die unbewußt jede andere Empfindung selbstsüchtig erstickende Liebe.

Von einer Wunderblume des fernen Ostens erzählt die Sage, daß ihre Blüthe sich mit einem hellen, weithin tönenden Glockenklange erschließe. Solch eine Wunderblume war Liesl’s Herz, und der Glockenton, mit dem es sich jählings erschlossen hatte, zitterte durch ihre Seele so mächtig nach, daß ihr klares Auge blind, ihr kluger Sinn stumpf geworden war für die rauhe Mahnung des Alltagslebens um sie her.

Der ernste, drohende Ton des Vaters erweckte sie jetzt, und plötzlich sah und fühlte sie die schwere Wetterwolke, die an ihrem jungen Liebeshimmel emporstieg. Doch mit der Erkenntniß der Gefahr war auch der Muth, sie zu bekämpfen, erwacht. Liesl richtete sich hoch auf, sah dem Vater fest in’s drohende Auge und erwiderte mit zuckender Lippen „Dem Toni g’hört mei Herz. Ihr wißt’s eh, Vater, i hab Euch’s g’sagt. Und Bachschneiderin werd’ i mei Lebtag net!“

„Mach mi net verruckt, Liesl!“ schrie der Himmelbauer, dem die Zornader an der Stirn schwoll. „Du gehst jetzt dem Loisl freundli entgegen, oder –“ Er hob drohend die schwere Hand.

Liesl ließ die Arme schlaff herabsinken. „Schlagt’s zu Vater!“ sagte sie ruhig. „I geh do net ’naus.“

Er schlug nicht zu. Hatte ihn ihre Ruhe überzeugt, daß es auf diesem Wege nicht möglich sei ihren Starrsinn zu brechen? Oder hatte er ein wirksameres Mittel sie zu zwingen gefunden? Sich von ihr abwendend, sagte er mit erzwungener Ruhe: „Geh ’nauf in Dei Kammer. I red allein mit’n Loisl.“

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.


Gesinde und Sclaven in China.[2] Jede wohlhabende chinesische Familie hält sich zahlreiche Dienstboten. Das männliche Gesinde besteht gewöhnlich aus einem Thürsteher, zwei oder drei Lakaien, drei oder vier Sänftenträgern und einigen Leuten, die das Haus rein und sauber zu halten haben. Die Aufnahme der männlichen Dienstboten erfolgt jeden Monat oder jedes halbe Jahr und der denselben zu zahlende Lohn beträgt in unserem Gelde, abgesehen von Wohnung und Verpflegung, zwischen zwölf und zwanzig Mark für den Monat; mancher Dienstgeber giebt seinem Gesinde auch die Kleidung, sowie eine kleine Summe zum Ankauf von Tabak und andern Genußartikeln. Von dem dienstthuenden Gesinde verlangt man Zeugnisse über dessen Befähigung und gute Aufführung - also ganz wie bei uns. An minder angesehene Familien verdingen sich Köche, Lakaien und landwirtschaftliche Arbeiter auf mindestens zwölf Monate, und zwar mittelst der früher auch in manchen Gegenden Europas üblich gewesenen öffentlichen Gesindemärkte, die auf Anordnung der Localbehörden an geeigneten Orten abgehalten werden.

Eine andere Kategorie von Dienstboten sind in China die Sclaven, die durch Kauf erworben werden und das persönliche Eigenthum des Familienoberhauptes bilden. Die weiblichen Sclaven sind sehr zahlreich; männliche kommen viel seltener vor. Reiche Leute besitzen oft nicht weniger als zwanzig bis dreißig Sclaven; selbst Bürger, die nichts weniger als wohlhabend sind, halten es für nötig, sich mit einigen Sclaven zu versehen. Die für Sclaven zu zahlenden Preise schwanken je nach deren Alter, Gesundheit, Stärke und äußerer Erscheinung von zweihundert bis vierhundert Mark. In unruhigen Zeiten - bei Kriegen und Revolutionen - pflegen arme Eltern, wenn es ihnen sehr schlecht geht, ihre Kinder zu außerordentlich niedrigen Preisen als Sclaven zu verkaufen, wie denn John Henry Gray, der seit mehr als dreißig Jahren in China lebt, in Canton viele Eltern gekannt hat, die ihre Töchter zu zwanzig Mark ausgeboten. Auch Spieler. die ihr Vermögen am grünen Tische einbüßten, sehen sich, um Geld zu bekommen, oft veranlaßt, ihre Kinder zu verkaufen.

Den An- und Verkauf von Sclaven vermittelt gewöhnlich ein Sclavenhändler, der in der Regel ein alter Mann ist, aber auch alte Weiber widmen sich nicht selten diesem Berufe. Diese Leute halten häufig „Waare auf Lager“, und bietet man ihnen einen Sclaven an, so nehmen sie ihn zur Probe auf einen Monat zu sich. Sollte er im Schlafe sprechen oder sich als schwach erweisen, so lehnen sie ihn ab oder zahlen nur einen geringen Preis für ihn. Diese Probe ist notwendig, weil der Händler, der einen Sclaven weiter verkaufen will, für dessen Brauchbarkeit garantiren muß. Der Sclave darf vor Allem keinerlei Anzeichen der unter den Chinesen sehr verbreiteten Aussätzigkeit aufweisen, und um sich vor diesem Fehler zu sichern, läßt der Kaufliebhaber den Sclaven, den er kaufen will, vom Händler in ein finsteres Zimmer bringen, wo ein blaues Licht erzeugt wird; nimmt bei dessen Schein das Gesicht des Sclaven eine grüne Farbe an, so ist er von allen Symptomen der Aussätzigkeit frei, erscheint die Gesichtsfarbe aber rötlich, so setzt man voraus, daß das Blut inficirt ist.

Die Sclaverei ist in China nicht nur lebenslänglich, sondern auch erblich. Die Sclaven haben keine elterliche Autorität über ihre Kinder, doch ist es ihren Urenkeln, wenn dieselben die Mittel dazu besitzen, gestattet, sich die Freiheit zu erkaufen. Die männlichen Sclaven heißen [204] „Nu“, die Sclavinnen „Pi“, und alle Sclaven werden als Familienmitglieder betrachtet. In früheren Zeilen nahmen sie sogar die Familiennamen ihrer Herren an diese Sitte ist aber längst abgekommen. Obgleich Familienmitglieder, werden die Sclaven nicht als Mitglieder des Gemeinwesens anerkannt und infolge dessen können sie z. B. bei Gericht keine Klage anhängig machen. Kurz, sie haben keine Bürgerrechte und sind der Habsucht, dem Hasse und den gemeinen Begierden ihrer Herren ausgesetzt. Es kommt zuweilen vor, daß der Besitzer einer Sclavin diese heirathet, aber die Ehe wird der Sclavin in solchen Fällen nicht von ihrem Herrn, sondern von dessen Gattin angetragen, und es ist nichts Seltenes, daß eine kinderlose Frau ihren Mann auffordert, eine Sclavin zur zweiten Frau zu nehmen. Diese Sitte erinnert an die biblische Episode von Sarah, die Abraham bewog, Hagar zu ehelichen.

Die Hauptbeschäftigung der Sclavinnen besteht in der Bedienung der Frauen und Töchter ihres Herrn. Die chinesischen Sclavinnen sind vortreffliche Kammerzofen und daher in der Kunst des Frisirens und Schminkens sehr geschickt. Hat eine Dame so kleine Füße, daß ihr das Gehen schwer fällt, so läßt sie sich von einer Sclavin auf dem Rücken tragen, und es ist erstaunlich, welch große Entfernungen die Sclavinnen mit solchen Lasten im Schaukeltrab zurücklegen können. Als Kindermädchen sind sie in der Regel sehr sorgsam und liebevoll.

Die Familienhäupter haben ihre Sclaven ebenso vollständig in ihrer Gewalt, wie ihre Kinder, und daher rührt es, daß sie nicht zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie durch übermäßige Mißhandlung den Tod ihrer Sclaven herbeiführen. Im Allgemeinen jedoch werden die Sclaven und Sclavinnen in den besseren Häusern sehr rücksichtsvoll behandelt. Leider läßt sich dies nicht auch von den Sclavinnen sagen, die von ärmeren Leuten rücksichtslos als „Mädchen für Alles“ verwendet werden. Daher suchen namentlich die Sclavinnen nicht selten das Weite. Sofort nach einem solchen Durchbrennen pflegt der um seine Sclaven gekommene Besitzer den Weg der Oeffentlichkeit zur Wiedererlangung seines Eigenthums zu beschreiten, da es nun aber in China außer der amtlichen „Pekinger Zeitung“, genau genommen, keine öffentlichen chinesischen Blätter giebt, bedient man sich zu Bekanntmachungen der Placate. Die das Entweichen eines Sclaven anzeigenden Ausrufe enthalten eine eingehende Schilderung des Aeußeren des Betreffenden und die Angabe der Belohnung, die dem Zustandebringer zugesichert wird. Auch werden oft Ausrufer in den Straßen der Städte umhergesandt, um den Steckbrief und die Höhe der Belohnung schreiend und einen Gongong (beckenartiges Instrument aus Metall) schlagend zur allgemeinen Kenntniß zu bringen.

Der Gongong hängt an einer Stange, die auf den Schultern des Ausrufers und eines Gehülfen ruht. An dem Instrumente flattert eine kleine Papierfahne, auf welcher die Einzelheiten des Falles mit deutlicher Schrift verzeichnet sind. Die Herrinnen entflohener Sclavinnen pflegen ein der Flüchtigen gehöriges Kleid an einen Handmühlstein zu binden und diesen zu drehen, wobei sie den Namen der Sclavin laut nennen. Sollte diese Zauberei, wie begreiflich, nicht zu dem erwünschten Ergebniß führen - das heißt die Flüchtige wiederbringen - so begiebt sich die Herrin in einen Tempel des Gottes Sin-Fung („Anführer der Armee“), fleht um seine Hülfe und bindet an ein Bein des Pferdes, auf dem der Götze reitet, ein Stück Bindfaden, um anzudeuten, daß die Sclavin eingefangen werden möge.

Ein schöner Zug im chinesischen Familienleben ist es, daß in fast allen besseren Häusern die Herren mit ihren Dienern und Sclaven, die Damen mit ihren Dienerinnen und Sclavinnen auf vertrautem Fuße stehen. Das Gesinde ertheilt daher nicht selten Rathschläge und Winke hinsichtlich des Wohles der Familie, und sehr häufig wird es zur Besprechung der wichtigsten Angelegenheiten beigezogen.

L. Katscher.




Man hüte sich vor einer Vergiftung mit verfälschtem Stern-Anis![3] Neuerdings kommt eine Waare in den Handel, die neben den echten Früchten von Illicium anisatum die schädlichen von Illicium religiosum, dem „heiligen Stern-Anis“, enthält.

Der letztgenannte Baum hat seinen Namen vermuthlich daher, weil die Rinde desselben dazu benutzt wird, in den Tempeln Japans Wohlgerüche zu verbreiten. Man füllt die gepulverte Substanz in Röhren, die in Grade eingetheilt sind, und läßt sie darin verglimmen. Nach der Menge, die von der Binde des heiligen Baumes nach und nach verbrennt, wird dann von den Wächtern des Tempels die Zeit bestimmt. Die gefüllten Röhren bilden hiernach eine höchst eigentümliche Uhr. Um das Heiligthum herum aber prangt der Baum als Zierpflanze, und er schmückt auch die Gräber der Heimgegangenen. In Japan ist es schon seit langer Zeit bekannt, daß die Blätter von Illicium religiosum giftig sind, und die Früchte desselben sind früher nicht in den Handel gebracht worden.

Da die Letzteren indessen eine große Aehnlichkeit mit dem echten Stern-Anis haben und zu einem geringeren Preise jetzt angeboten werden, so hat man schließlich der Versuchung nicht widerstehen können, sie als Fälschungsmittel zu benutzen, unbekümmert darum, ob sie dem menschlichen Organismus auch zuträglich find. Die ersten Folgen dieser gewissenlosen Handlung zeigten sich im vorigen Jahre in dem holländischen Orte Leeuwarden, wo Vergiftungen mit einer derartig verfälschten Waare vorkamen. Nun erzählt man, daß augenblicklich ein großer Posten von Früchten des heiligen Stern-Anisbaumes in London lagern soll und zu einem mäßigen Preise in den Handel gebracht werde. Man darf mit Sicherheit annehmen, daß von diesem auch ein Theil nach Deutschland gelangt.

Ich halte es daher für meine Pflicht, das Publicum auf diesen wichtigen Umstand aufmerksam zu machen. Der Stern-Anis findet sowohl als Gewürz wie als Medicament eine vielfältige Anwendung, und es kann daher manches Unheil durch den Verkauf der giftigen Waare entstehen.

In Deutschland hat sich vorzugsweise der bekannte Toxikologe Th. Husemann in Göttingen mit Ermittelungen über die Giftigkeit der Früchte von Illicium religiosum beschäftigt, und hat darüber sowohl im vorigen Jahre, wie auch im Beginn dieses Jahres sehr beachtenswerthe Thatsachen veröffentlicht. Der genannte Gelehrte theilte mir kürzlich mit, daß er in nächster Zeit neue Versuche über die giftige Wirkung der Früchte vom heiligen Stern-Anis anstellen werde, da ihm hinreichendes Material gefälschter Waare zu Gebote stehe.

Tüchtige Pharmakognosten wie die meisten unserer deutschen Apotheker, sind allerdings leicht im Stande, bei einiger Aufmerksamkeit sich vor Ankauf der giftigen Waare zu schützen, anders sieht es dagegen mit manchen Detaildroguisten die nicht Apotheker gewesen sind, und mit den Kaufleuten aus. Von diesen kann man unmöglich die Kenntniß verlangen, die einander sehr ähnlichen Früchte der beiden Illicumarten auf den ersten Blick zu unterscheiden, zumal, wenn der Händler völlig arglos seine Waare, die sich bisher stets als unschuldig erwiesen hat, einkauft.

Daher will ich hier einige Merkmale anführen an welchen auch das größere Publicum die falschen Früchte zu erkennen vermag. Die symmetrisch sternförmig geordneten Fruchtblätter des falschen Stern-Anises, an deren Enden sich ein aufwärts gebogener Schnabel befindet, sind meist weit geöffnet, und man sieht in dem Fruchtgehäuse deutlich die hellbraungelben Samen liegen. Die Fruchtblätter des echten Stern-Anises sind dagegen nur wenig geöffnet oder ganz geschlossen, und die Samen desselben haben eine kastanienbraune Farbe.

Findet man nun solche verdächtige Früchte in der eingekauften Waare, so kann man sich noch durch den folgenden Versuch die Gewißheit verschaffen, daß man es mit giftigem Stern-Anis zu thun hat. Man stoßt das Fruchtgehäuse in einem Mörser zu Pulver und prüft den Geruch. Der unechte Stern-Anis läßt nämlich in diesem Zustande einen deutlichen Geruch nach Kampher und Terpentin erkennen, während der echte den bekannten süß aromatischen besitzt. Der Geschmack des ersteren ist außerdem anfangs scharf und dann bitter. Von weiteren Unterscheidungsmerkmalen will ich hier nicht reden, da ich nur die Absicht hatte, den Consumenten ein Mittel an die Hand zu geben, sich vor einer etwaigen Vergiftung zu schützen.

Dr. Julius Erdmann.




Die Gerte unterm Spiegel. Dramatische Scene zu Abbildung „Reflexionen“ (Seite 201). Fritz spricht zu Caro. „Weißt Du, Caro, warum diese Gerte unter dem Spiegel liegt? Du weißt es gewiß; denn warum ziehst Du den Schwanz so ein und winselst schon? Siehst Du, Caro, so geht’s, wenn man nicht artig ist. Es war so schön, wie ich Ella’s neue Puppe auf Dir reiten ließ, aber weil Du plötzlich nach der Fliege schnapptest und den Sprung machtest, da fiel die arme Puppe herab – und nun liegt sie da und hat den Hals gebrochen. Und ich habe sie ja gar nicht anrühren sollen. Ach, Caro, wie wird es uns ergehen! Komm, Caro, wir wollen die Gerte liegen lassen – wir kriegen sie ja doch!“ (Beide betrübt ab.)




Kleiner Briefkasten.

L. v. M. in Kairo. Das nächste Quartal (Nr. 14) werden wir mit einer gehaltvollen Erzählung unseres allbeliebten Levin Schücking eröffnen. Hermann Lingg’s Novelle – die erste Prosa-Erzählung, die der berühmte Dichter überhaupt veröffentlicht – wird dann bald nachfolgen.

Ein Sammler. Die Liszt-Medaille (vergleiche „ Gartenlaube“ Nr. 7) ist in Bronze, Silber und Gold zu civilen Preisen käuflich und vorläufig beim Medailleur selbst: Signore Herm. Wittig, scultore, Roma Palazzo Venezia (Italien) zu haben.

B. A. in Augsburg. Von den Söhnen des vor einigen Monaten verstorbenen thüringischen Dichters Ludwig Storch hat nur einer den Vater überlebt, der Ingenieur Ernst Storch in Orsowa an der rumänischen Grenze.

Dr. Sch. in H. Sie haben Recht! Das architektonische Motiv zu dem vorzüglichen Bilde von Ed. Schulz-Briesen. (Nr. 5 unseres Blattes) ist dem Hofe des Rathhauses zu Rothenburg ob der Tauber entnommen. Den Lesern der „Gartenlaube“ haben wir bereits im Jahrg. 1868, Nr. 47 diese interessante und besuchenswerthe Stadt in dem reich illustrirten Artikel „Ein Kleinod aus deutscher Vergangenheit“ vorgeführt.



Nicht zu übersehen!

Mit nächster Nummer schließt das erste Quartal dieses Jahrgangs. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.


Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahres aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig). Auch wird bei derartigen verspäteten Bestellungen die Nachlieferung der bereits erschienenen Nummern eine unsichere.

Die Verlagshandlung.

  1. Bild aus der Leidensgeschichte Jesu.
  2. Dieser Artikel ist dem zweiten Capitel der „Bilder aus dem chinesischen Leben“, die der Verfasser demnächst erscheinen lassen wird ( E. F. Winter'sche Verlagshandlung in Leipzig), entnommen worden.
    D. Red.
  3. Um Nachdruck wird gebeten.