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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1875
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[613]

Helene.

Tagebuchblätter aus dem russischen Salonleben.
Woronesch, den 26. September 186–.

Seit zwei Tagen sind wir in Woronesch, und jetzt erst finde ich einen Augenblick der Ruhe und des Alleinseins. In solcher Verwirrung sind diese Tage dahingeschwunden, und so viel ungemüthliche Stunden liegen zwischen dem Morgen unserer Abreise und jetzt – dem trüben, kalten Septembermorgen und dieser stillen Abendstunde, daß es mir fast unglaublich erscheint, nur fünf Tage seien vergangen, seit wir Selo-Lazowoskaja verlassen haben, unser schönes Selo-Lazowoskaja mit seinen weiten Gärten, romantischen Bergabhängen, durch welche sich der Oskol gleich einem Silberbande hinschlängelt, und seinen dichten Wäldern. Nicht ohne einen Anflug von Wehmuth sah ich die weißen Säulen des Portals zwischen den herbstlich gefärbten Bäumen verschwinden und sagte in meinem Herzen dem schönen Landsitze Lebewohl – vielleicht für immer. Hat doch die Pracht seiner Umgebungen oft mein Herz getröstet und erquickt, wenn das Gefühl der Vereinsamung es zu überwältigen drohte. Das sind nun für ein deutsches Herz die unvermeidlichen Empfindungen beim Scheiden, und wenn sie auch nur einem Aufenthalte gelten, dem der kurze Zeitabschnitt eines Sommers in den Erinnerungen unseres Lebens seine Stätte angewiesen hat.

Woronesch, wenn es auch im Entferntesten nicht mit Moskau oder Petersburg verglichen werden kann, ist doch eine Gouvernementshauptstadt, in der man unter Menschen lebt und wo hoffentlich auch dem Geiste einige Anregung und Erfrischung zu Theil wird.

Iwan Alexandrowitsch Branikow war schon mehrere Tage vor uns abgereist, um in Woronesch einige Vorbereitungen zum Empfange seiner Familie zu treffen. Trotzdem herrscht noch in allen Räumen des weitläufigen Hauses die unbeschreiblichste Verwirrung, und an Ordnung ist nirgends zu denken. Zum Theil wird dieser Zustand allerdings dadurch hervorgerufen, daß in Folge eines an ihn gerichteten Ersuchens unser Gebieter seinen großen Saal zu dem officiellen Diner hergeliehen hat, welches morgen in Veranlassung eines hohen Kirchenfestes dem Gouverneur gegeben werden soll. Angenehm ist diese Unruhe aber keineswegs. Man hat mir noch nicht einmal mein Zimmer angewiesen, und mit Mühe nur konnte ich mir ein stilles Plätzchen erobern, um diesen Blättern, meiner einzigen Zuflucht in einsamen Stunden, die Erlebnisse der letzten Tage hinzuzufügen. Habe ich doch, alleinstehend unter so Vielen, keinen Vertrauten außer ihnen. Mögen sie denn einst nach Jahren mir ein Spiegel meines jetzigen bewegten Leben sein oder, wenn ich nie in die deutsche Heimath zurückkehren sollte, ein Vermächtniß an meine Geschwister, ein Andenken an die Schwester, die fern von ihnen im Herzen von Rußland den ernsten Kampf mit dem Leben und dem Schicksale kämpft.

Voll Spannung sehe ich der Ankunft unserer neuen Gouvernante entgegen, welche man täglich erwartet. Sie ist eine Russin. Wie schade, daß es nicht eine Deutsche sein konnte! Jedenfalls werde ich ihr freundlich entgegenkommen und suchen, ein gutes Verhältniß unter uns anzubahnen. Gebietet doch schon die Klugheit, daß die Gouvernante und die Gesellschaftsdame eines Hauses wenigstens keine Gegnerinnen sind.

Für heute bin ich zu müde, um noch ein Wort schreiben zu können.


Den 28. September.

Gestern sind wir ausgefahren, um die Procession des Kirchenfestes zu sehen. Es war der Einzug der Mutter Gottes von Kursk, welche zum Besuche bei uns einkehrte. Ich weiß nicht, ob ich je so viele Menschen durcheinander wogend gesehen habe. Begleitet von dem Geläute sämmtlicher Glocken der Stadt, zog der bunte, glänzende Zug an uns vorüber; der Gouverneur und der Gouvernementsmarschall trugen die Mutter Gottes, ein plumpes Holzbild. Ich war von Musik, Glockenläuten und Volksgeschrei vollkommen betäubt, hatte aber doch die Genugthuung, in dem Gewühle von Tausenden fremder Gesichter wenigstens ein bekanntes zu entdecken. Es war dasjenige des jungen Husarenrittmeisters Constantin Feodorowitsch Adrianoff. Während einiger Wochen des Sommers, da ihn eine Dienstangelegenheit in die Nähe von Selo-Lazowoskaja brachte, war er daselbst ein häufiger Gast und versprach, die angeknüpfte Bekanntschaft in Woronesch fortzusetzen. Sehen wir, ob er Wort halten wird.

Madame Branikow hat heute definitiv ihre Zimmer bezogen, die sich im ersten Stock des alten weitläufig gebauten Hauses befinden, welches der Familie Branikow als Winterresidenz dient. Was Eleganz und Comfort anbetrifft, so läßt die ganze Einrichtung nichts zu wünschen übrig. Es herrscht in den Wohnräumen ein solcher Reichthum an Divans, an Polstern und Teppichen, an Spiegeln, Gemälden und anderen Kunstsachen, daß Alles zusammengenommen sicher den Eindruck von Ueberladung machen würde, wenn nicht eben das Ganze mit ausgezeichnetem Geschmacke arrangirt wäre. Im zweiten Stocke sind die Schlaf- und Toilettenzimmer, das Arbeitszimmer unseres Gebieters Iwan Alexandrowitsch Branikow, das Reich der Kinder, der Gouvernante, der Bonnen und Zofen. In diesen Regionen wird sich, so Gott will, auch endlich ein bescheidener [614] Raum für mich finden. Bisjetzt werden noch verschiedene Gemächer neu tapezirt, und ich sehe mich deshalb provisorisch in irgend einem Winkel untergebracht, in welchem ich mich höchst ungemüthlich fühle.


Den 3. October.

Heute nach dem Frühstücke war ich mit Madame ausgefahren, um verschiedene Besuche und Besorgungen zu machen. Bei unserer Rückkehr, als mein Mädchen kaum Zeit gefunden, mir Hut und Mantel abzunehmen, verkündete sie mir augenblicklich die große Mähr, daß vor einer Stunde die erwartete Gouvernante angekommen sei. Sie selbst habe nur durch eine Thürritze den Zipfel ihres Kleides gesehen, aber Wassili, der ihr aus den Wagen geholfen und sie nach oben geführt, habe gesagt, sie sei häßlich und unfreundlich.

Ich wies Masche mit ihrer entschieden dargelegten Neigung, sogleich meine neue Hausgenossin nach Herzenslust bei mir zu verklatschen, ab, nichtsdestoweniger war meine eigene Neugier stark genug, mich rasch in den Salon zu treiben, der unmittelbar an Zenaïde Petrowna’s Privatzimmer stößt und so groß ist, daß eine ganze Gesellschaft bequem Verstecken darin spielen könnte. Ich bemerkte sogleich die neu Angekommene, welche bereits unserer Gebieterin daselbst gegenüberstand, und auf den ersten Blick fühlte ich Neigung, Wassili Recht zu geben.

Die Gouvernante erschien mir häßlich. Sie ist kaum mittlerer Größe, und zu der hohen, eleganten Gestalt Madame Branikow’s bildete die ihrige einen entschieden unvortheilhaften Contrast. Ein dunkler Teint und sehr unregelmäßige Züge berührten mein Auge nichts weniger als angenehm, aber ich entdeckte zu gleicher Zeit, daß die Fremde prachtvolles schwarzes und sehr geschmackvoll geordnetes Haar und wundervolle Zähne besitzt.

„Kommen Sie!“ rief die Herrin des Hauses mir winkend. „Hier sehen Sie Olga Nikolajewna, unsere Gouvernante. Mademoiselle Helene, meine deutsche Gesellschafterin.“ Sie begleitete ihre Vorstellung mit einer leichten Handbewegung, und in demselben Augenblicke schlug die junge Dame ihre Augen zu mir auf. Sie sind vom intensivsten Blau, aber der erste Blick aus denselben, der rasch wie ein Blitz und prüfend über mich hinflog, übte eine durchaus erkältende Wirkung auf mich aus und hielt das warme „Willkommen“ zurück, welches mir bereits auf der Lippe geschwebt. Wir sagten uns gegenseitig einige höfliche Worte, und obgleich die ganze Vorstellung nur wenige Minuten in Anspruch genommen, schien sie Zenaïde Petrowna bereits zu lange zu dauern, der Falte nach zu urtheilen, welche plötzlich ihre hochgeschwungenen Brauen und ihre weiße Stirn leicht zusammenzog.

„Bitte, Helene,“ sagte sie, „führen Sie Mademoiselle zu Juliette und Alexandra, damit sie sich mit ihnen bekannt macht. Ich bin zu angegriffen, um noch einen Schritt gehen und ein Wort sprechen zu können.“

Wie zur Bestätigung des Gesagten ließ die Dame sich in einen großen weichen Lehnsessel nieder, den ihre bauschende Seidenrobe allerdings vollkommen ausfüllte.

„Eilen Sie, Helene, und kommen Sie bald zurück!“ fügte sie mit einem müden Augenaufschlage hinzu. „Sie können mir noch vor dem Diner die neue Phantasie von Chopin vorspielen.“

Zenaïde Petrowna Branikow liebt es nicht, zu warten, ich entledigte mich also möglichst rasch meines Auftrages und mußte aus demselben Grunde für jetzt darauf verzichten, meine Bekanntschaft mit Olga Nikolajewna weiter auszuspinnen, obgleich mich die Art und Weise tief innerlichst empörte, in der man sie gleichsam den Kindern zuschob, deren Lehrerin und Erzieherin sie künftig sein wird.

Es bedurfte einer wirklichen Anstrengung für mich, die rebellischen Empfindungen, durch solche Reflexionen in mir wachgerufen, wieder niederzukämpfen. Fand Madame in ihrer Ungeduld, die Phantasie zu hören, doch nicht einmal Zeit, sich bei meiner Rückkehr nach dem Verlaufe der ersten Begegnung ihrer Kinder mit der neuen Lehrerin zu erkundigen. Ich setzte mich an den Flügel und – Dank dir, heilige Kunst! Welche zugleich beruhigende, versöhnende und erhebende Kraft liegt doch in der Musik! Bildet sie nicht eine Brücke, um die verschiedensten Charaktere, momentan wenigstens, in gleicher Freude, gleichem Interesse zu verbinden?

Madame Branikow zeigt sich niemals so liebenswürdig, als wenn ich gespielt habe, und ich vergesse niemals so sehr, was mich an ihr verletzt, als wenn wir über Musik plaudern. Es fehlt ihr weder an musikalischem Verständniß noch Geschmack, und ich glaube, sie würde es selbst zu bedeutender Fertigkeit im Vortrage gebracht haben, wenn ihre Trägheit ihr erlaubt hätte, dem Talente, welches sie besitzt, durch Fleiß und Uebung zu Hülfe zu kommen. Bin ich doch überzeugt, daß sie es schon für eine weit bedeutendere Anstrengung ihrerseits hält, einem Musikstücke mit Aufmerksamkeit zu folgen, als für mich, es vorzutragen. Doch still, Helene, keine Spöttereien! Ist deiner Gebieterin vorzuspielen denn nicht deine angenehmste Pflicht? Ja, gewiß – und zwar eine weit angenehmere, als in Deutschland das harte Brod einer Musiklehrerin zu essen, deren Ohr den lieben, langen Tag von den Etuden und falschen Accorden ihrer Schülerinnen zerrissen wird.

Madame sagte mir heute, daß sie versuchen wird, einen Violin- und einen Violoncellspieler zu engagiren, mit denen ich wöchentlich einen Abend gemeinschaftlich musiciren soll. Darauf freue ich mich und denke, es soll recht hübsch werden.


Den 5. October.

Warum wird es mir nur so schwer, mich an ein neues Gesicht zu gewöhnen, mich anzuschließen, wenn ich es doch möchte! Gestern Abend war ich entzückt von Olga Nikolajewna. Sie besitzt eine eminente Unterhaltungsgabe und amüsirte uns so gut beim Thee, indem sie mit sprudelndem Humor ihre Reise-Abenteuer und ihr früheres Leben schilderte, daß Iwan Alexandrowitsch fast nicht aus dem Lachen herauskam und unsere Gebieterin sich so animirt zeigte, wie ich sie noch nie gesehen habe. Heute, da ich beim Lichte des neuen Morgens kühl über ihr Benehmen nachdenke, scheint es mir unweiblich und herzlos. Die Personen, deren Eigenthümlichkeiten und Schwächen sie ohne Schonung durch ihre witzigen Bemerkungen geißelte, sind eben die, mit denen sie bis vor Kurzem unter einem Dache gelebt, Freude und Leid getheilt hat. Das gefällt mir nicht, und ich werde Mühe haben, ihr ohne Zwang heute entgegen zu treten. Es ist und bleibt eine unbequeme Schwäche meines Charakters, daß es mir immer wieder fast unmöglich ist, meine Gedanken über die Menschen ein wenig hinter einer verbindlichen Außenseite zu verbergen. Warum nur kann ich ihr Thun und Treiben nicht gleichgültig und lächelnd ohne scharfe Kritik im Innern an mir vorübergehen lassen? Olga war in ihrer Lebendigkeit fast schön. Ich will mich bemühen, in dem Gedanken, daß sie eine Russin ist, ihr Benehmen von gestern milder zu beurtheilen. Vielleicht lernen wir uns noch verstehen.


Den 8. October.

Gestern machte uns Constantin Feodorowitsch einen Besuch mit seiner Mutter, der Generalin Adrianoff. Es war eine große Aufmerksamkeit, daß die feine, stolze Dame zuerst zu uns kam. Sollte ihr Sohn sie dazu veranlaßt haben? Er erzählte mir wieder von seiner Schwester, die er leidenschaftlich zu lieben scheint. Wie er versichert, ist sie sehr musikalisch und wünscht nach der Rückkehr von ihrer Reise mit mir vierhändig zu spielen. Wie gern erkläre ich mich bereit dazu!

Den 12. October.

Wunderbar! Seit gestern wandle ich in einem Zustande träumenden Nachsinnens umher, in meiner Einbildungskraft die Befestigung eines Bildes suchend, das ich nicht finden kann. Wo im Leben habe ich nur jene dunkeln, brennenden Augen schon einmal gesehen? Unaufhörlich verfolgt mich seit gestern ihr glühender Blick, und wenn ich mir hundertmal wiederholt, es sei eine Täuschung, eine Unmöglichkeit, daß er schon je dem meinigen begegnete, so ertappe ich mich im nächsten Augenblicke wieder auf dem unfruchtbaren Bemühen alle meine Erinnerungen zu durchstöbern nach dem Besitzer der schönsten schwarzen Augen, welche die meinigen noch erblickt haben und welche mir trotz aller Vernunftgründe wunderbar bekannt vorkommen.

Iwan Alexandrowitsch nahm gestern Olga und mich mit in’s Theater, da seine Gemahlin zu träge war, um ihn zu begleiten. Eine herumziehende Truppe gab Vorstellungen, die natürlich nur sehr mittelmäßig ausfielen, zudem ist das Theater klein und schmutzig, aber es war doch einmal wieder ein Theater, und die Musik, welche die Zwischenacte ausfüllte, gewährte durch [615] ihre Vortrefflichkeit einen wirklichen Genuß, so daß ich ihr, wie leicht begreiflich, mein Interesse weit mehr zuwendete, als der Vorstellung selbst.

Den Platz vor dem Dirigentenpulte nahm ein schlanker, junger Mann ein, von dessen Antlitz, da wir in einer Seitenloge saßen, mitunter eine scharf geschnittene Profillinie mir sichtbar ward; im Uebrigen sah ich von seinem Kopfe nur eine etwas regellos zurückgeworfene Masse schwarzen Haares. Es gab trotzdem etwas in der Erscheinung dieses Mannes, das meine Blicke unwillkürlich anzog. Vielleicht war es der Eifer, mit dem er die Töne zu leiten, gleichsam zu beherrschen schien.

Ich saß in mich selber verloren, aufhorchend, als plötzlich – giebt es wohl eine geheimnißvolle, unsichtbare Gewalt, welche die Gedanken zweier Menschen zwingt, einander zu begegnen, ihre Seelen gleichsam, sich zu antworten? – als plötzlich, da die Schlußaccorde des Tonstückes verrauschten, der Capellmeister sich jäh umwandte, und uns sein bleiches, ausdrucksvolles Gesicht voll zukehrte. In dem Moment war es, wo die dunkelglühenden Augen sich zum ersten Male auf mich richteten, wie blitzschnell eine überraschte Frage in ihnen aufleuchtete. Oder sollte das nur eine Täuschung meiner eigenen erregten Phantasie gewesen sein? Sah ich etwa nicht deutlich, wie die schwarzen Brauen sich zusammenzogen, als wolle ihr Besitzer, schärfer sehend, zugleich seine Erinnerungen wecken? Bis in’s innerste Herz erschrocken verbarg ich das Gesicht hinter meinem Fächer und wagte erst später im Laufe des Abends, als das langweilige französische Lustspiel unsere Aufmerksamkeit eben nicht zu sehr fesselte, eine Frage an unsern Gebieter, um mich über die Persönlichkeit des interessanten Musikers zu orientiren.

Ueber Iwan Alexandrowitsch’s Gesicht lief ein breites Lächeln. „Ei, ei, mademoiselle Hélène,“ sagte er und drehte wohlgefällig seinen glänzend gewichsten Schnurrbart, „nehmen Sie sich in Acht! Dieser Regimentscapellmeister ist ein Teufelskerl, der allen Frauenzimmern die Köpfe verdreht. Diverse Ehemänner und Mütter in Woronesch wissen davon ein Lied zu singen, und Madame Adrianoff nicht am wenigsten.“

Selbstverständlich war mir nach der Erwiderung die Lust am Fragen vergangen. Zum zweiten Male erschreckt und in Verlegenheit gesetzt, zog ich mich in den Hintergrund der Loge zurück, aber es erregte mir eine äußerst widerwärtige Empfindung, Olga Nikolajewna zu sehen, wie sie mit ganz unverhülltem Interesse zu dem jungen Musiker hinüberlorgnettirte und dann unserem Gebieter eine Bemerkung zuflüsterte, die einen kaum zu unterdrückenden Ausbruch der Heiterkeit bei ihm hervorrief.

Ob sich ein leidlich freundliches Verhältniß zwischen der Gouvernante und mir entwickeln wird, ist mir überhaupt in den letzten Tagen mehr als zweifelhaft geworden. Es handelte sich endlich um ein paar Zimmer für uns, das eine, im ersten Stock, groß, hell und freundlich decorirt, mit breiten Fenstern nach der Straße, das andere, eine Treppe höher, mit niedriger Decke, schmutzigen, weiß getünchten Wänden und kleinen Scheiben. Ich überließ sofort das Erstere an Olga, da ich zu bemerken glaubte, wie sehr sie dessen Besitz erstrebte, und wartete geduldig, bis man in das zweite eine mäßig hübsche Tapete geklebt hatte. Dann stellte ich meine Toilette mit rosa Umhang hinein, ebenso mein Sopha mit Tisch und Teppich und einen Schirm mit rosafarbigem Bezuge vor mein Bett. Ich hing meine Bilder auf und über der Kommode ein Regal mit meinen hübschesten Büchern, dann Gardinen, und siehe da – es war das wohnlichste kleine Stübchen. Als Olga kam, mich zu besuchen, gerieth sie außer sich vor Erstaunen, fand ihr eigenes Zimmer abscheulich, wollte es nicht mehr sehen und durchaus mit mir tauschen. Natürlich behandelte ich letzteres Verlangen als Scherz, gewann aber in mir doch die Ueberzeugung, daß sich mit einem so launenhaften Wesen nicht leicht werde leben lassen.

Wir haben in dieser Zeit so viele Besuche empfangen und gemacht oder Karten abgegeben, daß mir von all den fremden Namen und Gesichtern ganz wirbelig geworden ist.

Auf übermorgen zum Thee hat Madame Branikow viel Besuch eingeladen, auch die Adrianoff’s. Es soll musicirt werden. Der Violin und Violoncellspieler sind engagirt, und ich übe verschiedene Trios dazu ein, darunter ein großes, sehr schweres von Hummel. Ein wenig ängstigt mich doch der Gedanke an dieses Vorspielen im größeren Kreise.


Den 15. October.

Gestern war unser erster Musikabend. Blamirt habe ich mich wenigstens nicht, und das Zusammenspiel gewährte mir unendliches Vergnügen. Madame Branikow’s schöne Empfangzimmer strahlten im Glanze von Lichtern und Blumen. Ihre Ausschmückung mit Letzteren und vielen immergrünen Gewächsen durch den Gärtner hatte ich selbst geleitet. Es machte mir Freude, und als ich dann vor Ankunft der Gäste durch die prächtig glänzenden Räume ging, erschien mir Alles fast wie ein bunter Traum aus „Tausend und eine Nacht“.

Die Gestalt in bauschender, grauer Seidenrobe, einfach aber doch elegant, die mir aus einem der hohen Spiegel entgegenschaute – war das wirklich ich selbst? Ich, Helene Heimreich, die vor noch nicht allzu viel Jahren als kleines Schulmädchen in der Einsamkeit meiner ländlichen deutschen Heimath durch Wald und Flur gestreift war, ohne eine Ahnung von dem halb orientalischen, märchenhaft üppigen Luxus, inmitten dessen ich mich jetzt, aus meinem Nachsinnen erwachend, wiederfand? Zenaïde Petrowna empfing ihre Gäste in starrend schwerer kaukasischer Seide und mit lächelnder Anmuth. Sie war wirklich schön, da sie endlich einmal ihre Trägheit abstreifte und die kohlschwarzen Augen glänzend ihr bleiches Antlitz belebten.

Nach der glücklichen Beedigung meines ersten Trio war ich eben beschäftigt, den Dienern Befehl zum Serviren von Eis und eingemachten Früchten zu geben, als plötzlich mein Ohr eine Bewegung am Eingange des Salons vernahm. Die Adrianoff’s waren noch nicht gekommen – sollten vielleicht sie es sein, die jetzt eintraten? Ich beeilte mich, zu meiner Gebieterin zurückzukehren, und schloß im nächsten Augenblick wie geblendet die Augen, um sie dann, von Interesse erfüllt, nur um so weiter zu öffnen.

Neben Madame Branikow stand eine junge Dame, wie ich sie von so hinreißender Schönheit noch nicht glaubte gesehen zu haben. Groß und schlank, den in den Formen einer Juno gemeißelte Oberkörper leicht und graziös auf den Hüften wiegend, das anmuthig zurückgebogene Haupt von dem prachtvollsten, goldblonden Haar in Flechten und zwanglos herabfallenden Locken umrahmt, stand sie und lauschte mit liebenswürdigem Lächeln auf die vielen verbindlichen und schönen Dinge, die ihr von allen Seite über ihre Rückkehr gesagt wurden. Die feinen Lippen lächelten, und doch schien es mir, als läge über dem entzückend lieblichen Antlitze neben allem Schmelz und Zauber der ersten Jugendblüthe ein leiser, leiser Hauch von Sentimentalität und in den großen rehbraunen Augen ein kaum bemerkbarer Zug von Melancholie. Ich war in dem Anschauen der reizenden Fremden noch ganz und gar vertieft, und es bedurfte erst der directen Anrede Constantin Feodorowitsch’s, um mich neben ihr sein ungewöhnlich vergnügtes Gesicht erkennen zu lassen.

Mein freudiges Erstaunen schien ihm sichtlich zu gefallen. „Mademoiselle Helene“, sagte er und nahm die Hand der jungen Dame, „endlich heute bringe ich Ihnen meine Schwester Wéra. Sie hat sich wie ein Kind auf diesen Abend und auf die Bekanntschaft mit Ihnen gefreut. Im Geiste sehe ich schon, wie Ihr Beide über Musik plaudern werdet, ohne noch einen Gedanken für irgend etwas Anderes übrig zu behalten.“

Wéra streckte mir aus dem Spitzenärmel ihres duftigen, weißen Kleides die zierlichste, weiche kleine Hand entgegen, die ich noch je in den meinigen gehalten, und sagte mir so viel Liebenswürdiges und Angenehmes, wie sie mich aus den Erzählungen ihres Bruders schon kenne, und wie sie nun durch meine persönliche Bekanntschaft auf manche genußreiche Stunde hoffe, daß ich von diesem Uebermaße an Güte vollständig in Verlegenheit gesetzt wurde.

Sie begleitete mich dann an den Flügel, und in jeder Bewegung, in jedem ihrer Worte erschien sie mir wie die verkörperte Anmuth und Grazie. Ich trug mit Eifer und doppelter Lust meine schwerste Pièce vor, weil ich hoffte, ihren Beifall zu gewinnen, und mehr noch, um dem liebenswürdigen Geschöpfe womöglich Vergnügen dadurch zu bereiten. Letzteres gelang mir auch anscheinend vollkommen. Fräulein Adrianoff spielte auf stürmisches Bitte von allen Seiten ebenfalls mit Geschmack und viel Fertigkeit mehrere Stücke, und sagte mir auch, Madame Branikow habe sie eingeladen, jeden Donnerstag an unserm [616] Musikabende Theil zu nehmen. Wir verabredeten, was wir zum nächsten Male einüben wollten; eine andere junge Dame sang noch mehrere Lieder, und es scheint sich ein großer musikalischer Wetteifer entwickeln zu wollen.

Als ich, so froh gestimmt wie noch nie seit meinem Aufenthalte hier, vom Flügel zurücktrat, begegneten meine Blicke von ungefähr denen Olga Nikolajewna’s, die, wie es schien, Wéra und mich beobachtet hatte. Für einen Augenblick durchzuckte es mich fast, als läge in den blauen auf uns gerichteten Augen der Gouvernante ein böser, falscher Ausdruck, aber schon in der nächsten Minute schämte ich mich meines wunderlichen Mißtrauens, denn das junge Mädchen kam mir freundlich entgegen.

„Fräulein Adrianoff ist sehr schön,“ sagte sie.

Ich stimmte voll Ueberzeugung ihren Worten bei.

„Und,“ fuhr Olga fort, indem ihre Blicke der elastischen Gestalt Wéra’s folgten, wie sie durch den Schwarm der Gäste schritt und hier und da ein an sie gerichtetes Wort freundlich beantwortete, „und ach, sie erscheint mir noch weit mehr beneidenswerth als schön. Sie wissen doch,“ fuhr sie dann hastig zu mir gewendet fort, „daß Fräulein Adrianoff das vornehmste und reichste Mädchen in ganz Woronesch ist?“

„Ich weiß allerdings, daß ihre Familie sehr angesehen ist und ihr Vater eine einflußreiche Stellung einnimmt.“

Olga lachte mit einem versteckten geräuschlosen Lachen, welches ich bereits an ihr kenne. Ihre Blicke richteten sich wieder auf die besprochene junge Dame, die eben geduldig unseres Gebieters sicher nicht allzu feine Schmeicheleien anhörte. „Wenn man Wéra Feodorewna Adrianoff heißt,“ begann sie von Neuem, „so darf man sich schon Mancherlei erlauben, was anderen armen Wesen den Hals brechen würde. Hat man Ihnen denn auch gesagt, Helene, warum Fräulein Adrianoff längere Zeit verreist war?“

Ich sah die Fragende, durch deren Worte und noch mehr durch den Ton, in dem sie gesprochen wurden, ich mich unheimlich berührt fühlte, verwundert an. „Ich denke, sie war zum Besuche bei Verwandten in Petersburg,“ lautete dann meine Antwort.

Die Gouvernante lachte abermals in sich hinein und trat mir einen Schritt näher. „Es hat wenig zu bedeuten, wo sie war, sondern es handelt sich darum, weshalb sie ging,“ sprach sie leise. „Jedermann sagt, daß sie eine Liebschaft mit einem – ja, was weiß ich – mit irgend einem Lehrer hatte. Ihre Excellenz, die Generalin Mutter, kam dahinter und schickte sie Hals über Kopf auf Reisen. Den Liebhaber, nun, den hat sie wahrscheinlich die Treppe hinunter werfen lassen. Man macht bei uns zu Lande sehr wenig Umstände mit dergleichen unbequemen Persönlichkeiten; jedenfalls hat man ihm sofort das Haus verboten.“

Ich sah wie erstarrt die Redende an. Arme Wéra! War das vielleicht die Erklärung Deiner melancholischen Augen, oder hefteten sich Neid und Bosheit verleumderisch an Deine Fersen?

Olga Nikolajewna’s lächelndes Gesicht flößte mir in dem Augenblicke vollständigen Widerwillen ein. Warum wußte doch sie, die kürzere Zeit hier war als ich, so genau von Dingen Bescheid, von denen mir noch Niemand ein Wort anvertraut hatte?

Zu irgend einer Erwiderung nicht aufgelegt, begnügte ich mich mit einem Achselzucken und entfernte mich, um nicht noch mehr von Olga’s zweifelhaften Nachrichten zu profitiren. Mir für den Rest des Abends meine heitere Stimmung zu nehmen, das war ihr freilich vollkommen gelungen.


Den 20. October.

Wie ein schwerer Traum ist es mir, und immer von Zeit zu Zeit denke ich, daß Alles, was ich erlebt, eine Unmöglichkeit ist, daß ich eines Tages aus diesem Zustande von Betäubung wieder erwachen werde; leider aber ist es Wahrheit und nackte Wirklichkeit. Bin ich in der That noch dieselbe Helene, deren kühle, verständige Ruhe stets das Erstaunen ihrer leicht empfänglichen, enthusiastischen Altersgenossinnen hervorrief?

Es war am zweiten Tage nach unserer Soirée; ich las eben Madame Branikow vor, als plötzlich ein Diener kam und mir einen Herrn anmeldete; mir, die ich mir doch nicht bewußt war, Bekanntschaft in Woronesch zu haben. Er präsentirte mir zugleich eine Karte, und nach dem ersten Blicke, den ich auf dieselbe geworfen, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Urplötzlich wußte ich, wem jene schwarzen Augen gehörten, deren durchdringender Blick mich tagelang verfolgt hatte und noch immer mehr oder minder mein Nachdenken reizte. Auf der Karte stand der einfache Name: Alexis Gregorowitsch Hirschfeldt.

Seltsam verschlingen sich die Wege, auf denen Menschen einander wieder begegnen! Als ich behufs meiner Ausbildung in der Musik ein Jahr lang am Conservatorium zu Berlin mich aufhielt, lernte ich dort unter andern jungen Leuten auch flüchtig ein Geschwisterpaar aus Rußland kennen, einen Bruder mit seiner Schwester. Da ich jedoch von den übrigen Conservatoristen und Conservatoristinnen, nur mit meinen Studien beschäftigt, mich fast ganz fern hielt, blieb die Bekanntschaft mit den erwähnten Russen ebenfalls eine durchaus oberflächliche, die sich eigentlich nur auf das Sehen bei den gemeinschaftlichen Gesangübungen und in den Concerten beschränkte. Aufgefallen waren mir beide junge Leute damals allerdings durch ihr fremdländisches Aussehen und der Bruder zumal durch sein geistvolles, energisches Gesicht und seine großen, glänzend schwarzen Augen.

Als ich in gelinder Aufregung wenige Minuten nach Empfang der Anmeldung den Salon betrat, stand er mir gegenüber. Es ist der Regiments-Capellmeister, Herr Hirschfeldt, der neulich im Theater die Musik dirigirte, wie er es auch häufig in den Concerten thut, und außerdem noch Zeit findet, in seiner Kunst zu unterrichten. Seit ich ihn in Berlin gesehen, hat sein Aeußeres sich wunderbar zu voller männlicher Schönheit entwickelt. Das war der erste Eindruck, den ich bei seinem Anblick empfing, und der sich bei längerem Beisammensein immer mehr geltend machte, obgleich seine Züge, freilich vergeistigt und idealisirt, doch unverkennbar einen Anflug seiner semitischen Abstammung tragen. Der Vater des jungen Capellmeisters ist nämlich ein getaufter Jude, der in Charkow eine lithographische Anstalt besitzt. Ich wunderte mich jetzt, daß ich ihn neulich im Theater nicht auf der Stelle wiedererkannt hatte.

(Fortsetzung folgt.)

Satyr im Parke.

Tief im Park, bei alten Bäumen,
Eingerahmt von vollen Rosen,
Die mit duftgeschwellten Träumen
Seinen ew’gen Schlaf umtosen,
Steht der Satyr – manch’ Jahrhundert
Ist vorüber ihm gerauscht,
Den, nachdenklich und verwundert,
Jetzt ein schönes Kind belauscht:

„Frei und edel diese Züge,
Hoch die Stirn und voll Gedanken,
Doch, als ob zu schwer es trüge,
Leise scheint das Haupt zu schwanken;
Wie von süßem Rausch umflossen,
Den gebroch’nen Blick gesenkt –
Ob an Freuden, die genossen,
Ob er an erhoffte denkt?

Lächelt schon der Mund entgegen
Seiner Nymphe Willkommspende,
Während auf verschlung’nen Wegen
Schleicht zur Stelle die Behende?
Oder mußten sie sich trennen –
Fühlt er noch zum Abschiedsgruß
Heiß auf seinen Lippen brennen
Ihren letzten langen Kuß?

Oder täuscht er meinen Glauben,
Hat nach Liebe kein Verlangen,
Und es hält der Saft der Trauben
Den betäubten Sinn umfangen?
Weinlaub kränzet seinen Scheitel,
Und des Zechers feuchter Mund
Lächelt höhnisch: Alles eitel,
Auf dem schwanken Erdenrund.

Mann, selbst noch in Stein gehauen,
Bleibst ein Räthsel allerorten,
Und das Herz der armen Frauen
Sucht umsonst nach Lösungsworten;
Daß beim hohen Liebesfeste
Niemals uns die Furcht beschleicht:
Seine Stunden hat der Beste,
Da er diesem Satyr gleicht.

Aber durch des Kranzes Fülle
Seh’ ein Hörnerpaar ich ragen.
Sollte hier die Menschenhülle
Trügerisch ein Thier nur tragen?
Und ich war schon so beklommen,
Scheute vor den Männern mich –
Einen hätt’ ich ausgenommen,
Einen Einz’gen, sicherlich.“

Albert Traeger.
[617]

Beim Satyr im Parke.
Originalzeichnung von Professor Döpler in Berlin.

[618]
Zwei deutsche Jubelfeste in Weimar.
Von Robert Keil.
1. Das Karl-August-Fest am 3. September 1875.
(Schluß.)

Charakterisiert jener Brief den Herzog nach Wärme des Herzens, Adel der Gesinnung und Festigkeit des Willens, so sind die Notizen, welche Goethe in jenen Jahren über seinen fürstlichen Freund in sein Geheimtagebuch machte, für die Persönlichkeit und Entwickelung des jungen Fürsten noch weit bezeichnender. In den Mittheilungen über Weimar, Goethe und Corona Schröter aus den Tagen der Genieperiode, welche ich soeben unter dem Titel „Vor hundert Jahren“ im Verlage von Veit u. Comp. in Leipzig erscheinen ließ, wird dieses Geheimtagebuch Goethe’s von 1776 bis 1782, wovon bisher nur Bruchstücke und Auszüge bekannt waren, nach zwei aus Riemer’s Nachlaß in meinen Besitz übergegangenen Copien zum ersten Male vollständig veröffentlicht. Es sei mir verstattet, einige wenige, besonders charakteristische Stellen daraus über Karl August – welcher im Tagebuch fast überall mit dem Zeichen des Jupiter: ♃ bezeichnet ist – in chronologischer Ordnung hier folgen zu lassen.

 13. September 1776. Morgens kam ♃, rein und lieb.
 8. Januar 1777. Der Herzog gegen Mittag von einem starken Ritte rein und dumpf und wahr.
 8. October 1777. ♃ wird mir immer näher und näher und Regen und rauher Wind rückt die Schafe zusammen. Regieren!!
 8. Januar 1778. Nachts mit ♃ viel über unsere Zustände.
 31. Juli 1778. Der ♃ ist zusammengefaßt und gut und frisch.
 14. December 1778. Gespräch mit ♃ über Ordnung, Polizey und Gesetze. Verschiedene Vorstellung. Meine darf ich nicht mit Worten ausdrücken, sie wäre leicht mißverstanden und dann gefährlich etc.
 December 1778. Der Herzog immer sich entwickelnd und wenn sich’s bey ihm aufschließt, kracht’s, und das nehmen die Leute übel auf.
 1. Februar 1779. Conseil. Dumme Luft drinn. Fataler Humor von Fr(itsch). ♃ zu viel gesprochen. Mit gessen. Nach Tisch eine Erklärung über zu viel reden fallen lassen, sich vergeben, seine Ausdrücke mäßigen, Sachen in der Hitze zur Sprache bringen, die nicht geredt werden sollten. Auch über die militärischen Macaronis. ♃ steht noch immer an der Form stille. Falsche Anwendung auf seinen Zustand, was man bey andern gut und groß findet.
 23. März 1779. Früh Conseil, mit ♃ allein gessen. Er wird täglich reiner, bestimmter.
 Juni 1779. ♃ ist bald über die große Krise weg und giebt mir schöne Hoffnung, daß er auch auf diesen Fels heraufkommen und eine Weile in der Ebene wandeln wird.
 15. Juni 1779. Vor Tisch viel mit ♃ über sein Wachsen in der Vorstellung der Dinge, sein Interesse an den Sachen und wahrer Erkenntniß.
 Juli 1779. ♃ macht es ein Vergnügen, die Rolle des Pylades zu lernen[1]. Er nimmt sich außerordentlich zusammen und an innerer Kraft, Fassung Ausdauer, Begriff, Resolution fast täglich zu.
 13. Juli 1779. Außer dem Herzog ist Niemand im Werden, die anderen sind fertig wie Drechslerpuppen, wo höchstens noch der Anstrich fehlt.

Soweit das Goethe’sche Tagebuch. Fügen wir zur Vervollständigung des Bildes noch die Urtheile anderer bedeutender Zeitgenossen aus eben diesen Jahren bei. Am 3. November 1777 schrieb Goethe’s Freund Merck, nach seinem Besuche von Goethe und Karl August in Eisenach, an Nicolai: „Das Beste von Allem ist der Herzog, den die Esel zu einem schwachen Menschen gebrandmarkt haben, und der ein eisenfester Charakter ist. Ich würde aus Liebe zu ihm eben das thun, was Goethe thut. – Ich sage Ihnen aufrichtig, der Herzog ist einer der respectabelsten und gescheidtesten Menschen, die ich je gesehen habe, und, überlegen Sie, dabei ein Fürst und ein Mensch von zwanzig Jahren.“ Nach der Reise, welche Karl August und Goethe nach Berlin und Dessau gemacht, schrieb Wieland im Juni 1778: „Alle Lande, wo sie gewesen, sind ihres Ruhmes voll. Im ganzen Ernst, zu Leipzig, zu Dessau, zu Berlin, ist alle Welt von unserm Herzog ganz eingenommen. Das hat Bruder W. (Goethe) wohl hübsch gemacht. – Ich werde je länger, je mehr überzeugt, daß ihn Goethe recht geführt, und daß er am Ende vor Gott und der Welt Ehre von seiner sogenannten Favoritenschaft haben wird.“ Forster endlich, welcher dem Fürsten und dem Dichter auf ihrer Reise nach der Schweiz begegnet war, schilderte in einem Briefe vom 24. October 1779 den Eindruck, den er vom Herzog empfangen: „der Herzog ist ein artiger kleiner Mann, der ziemlich viel weiß, sehr einfach ist und gescheite Fragen thut. Für einen zweiundzwanzigjährigen Herzog, der seit vier Jahren sein eigener Herr ist, fand ich viel mehr in ihm, als ich erwartete.“

So stellt sich Wesen und Charakter des jungen Fürsten während seiner ersten Regierungszeit dar, und diesem Charakter ist Karl August in steter Fortbildung bis zur letzten Lebensstunde treu geblieben. In der Jugend oft hitzig, leidenschaftlich entschieden, feurig und ungestüm, zeigte er auch in späterer Zeit wohl oft genug eine derbe, soldatische, schroffe Weise, doch all dies war nur die rauhe Schale des edelsten Kerns. Karl August war eine groß angelegte, naturwüchsige Persönlichkeit, eine auf das Große gerichtete, edle, geniale und durchaus gesunde Natur in einem abgehärteten, kraftvollen Körper. Mit steter Wißbegierde, mit Empfänglichkeit für alles Große und Schöne im Leben wie in der Wissenschaft, mit lebhaftem Interesse für Alles, wenn es einigermaßen bedeutend war, es mochte nun in ein Fach schlagen, in welches es wollte, besonders aber für die Naturwissenschaften und jeden Fortschritt auf dem Gebiete der Künste vereinte er eine reine, ungetrübte Anschauung der Dinge, gesundes, schlagendes Urtheil und bewundernswerthen Scharfblick; mit festem, entschlossenem Willen und Ausdauer in der Verfolgung des Zieles verband er Raschheit der Ausführung, rastloses kräftiges Schaffen, unermüdliche Thatkraft. Gerad und geradezu, kernig und treu, bethätigte er als Mensch und Fürst die redlichste, menschenfreundlichste Gesinnung und schätzte und ehrte Jeden, auch den Geringsten, wenn er nur in seiner Lebensstellung ehrlich seine Pflicht erfüllte. Einfach, schlicht und anspruchslos, dabei heitern, lebensfrohen Temperaments, mischte er, der wahre Bürgerfreund, sich frei unter das Volk. Mit köstlichem Behagen konnte er die bäuerlichen Kirchweihen besuchen, die Bauernmädels im Tanze schwingen, auf den Schützenfesten mitschießen und den Bänkelsängerliedern vor den blutrothen Bildern der „Mordthaten“ zuhören. Ebenso freigebig als leutselig half er den Menschen, wo er nur konnte, mit Rath und That, und immer war seine Kraft der Förderung des Gemeinwohls zugewandt.

So wirkte er für seine Residenzstadt, in welcher unter seiner und seines Freundes Goethe Leitung die beengenden Mauern und Thore fielen, die Bibliothek aufblühte, Schloß, Theater, Bürgerschule etc. und vor allem der unvergleichlich schöne Park entstanden.

So wirkte er als echter Mann des Fortschritts für sein Land. Was irgend an guten neuen Erfindungen und Einrichtungen in jener Zeit hervortrat, suchte er (laut Goethe’s Zeugniß) „bei sich einheimisch zu machen; manche Abhandlung, manches Gesetz hat er selbst abgefaßt, und zwar meistentheils gut.“ Seine großen Zwecke mit energischem Willen unermüdlich verfolgend, hob er Land- und Forstwirthschaft und Gewerbe, schuf eine durchgreifende Reform der Justiz, der Verwaltung, der Stadtordnungen, der Steuerverfassung, des Medicinalwesens und förderte emsig die allgemeine Volksbildung durch Besserung der Schulen, durch Begründung des Seminars und durch Berufung der bedeutendsten Gelehrten aller Zweige der Wissenschaften nach der Universität Jena. Sie, die thüringische Universität, verdankt ihm, ihm vor Allen, ihre Blüthe; seiner [619] Pflege verdankt sie es, daß sie nicht nur der Hauptherd für die Fortschritte der kritischen Philosophie, sondern überhaupt der Brennpunkt der deutschen Wissenschaft wurde und mehrere Decennien hindurch blieb. Und mit dem ihm eigenthümlichen feinen Verständnisse für den Genius zog er im Bunde mit Goethe die genialen Koryphäen deutschen Geistes, deutscher Kunst nach Weimar. Deutschland

nennt keinen großen Namen,
Den dieses Haus nicht seinen Gast genannt.

Und nicht Gast allein; Karl August wußte sie in Weimar zu fesseln. Sehr treffend sagte Goethe im Tasso:

Ein edler Mensch zieht edle Menschen an
Und weiß sie fest zu halten.

So erfolgte, namentlich auf Goethe’s Betrieb, die Berufung Herder’s, und Karl August war es, der ihn gegen die Anfeindungen von orthodoxer Seite schützte; so erfolgte später die Berufung Schiller’s nach Jena, seine Uebersiedlung nach Weimar, und wieder war es Karl August, der für Schiller’s äußere Stellung nach Kräften Alles zu thun bereit war und sich des Freundschaftsbundes von Schiller und Goethe und ihres gemeinsamen Wirkens freute.

Und über die engen Grenzen seines Landes weit hinaus bethätigte der Herzog seine deutsch-patriotische Gesinnung. Der Gedanke, welcher erst in unseren Tagen zum Heile des Vaterlandes verwirklicht worden, erfüllte ihn schon in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Seine Sehnsucht, seine Hoffnung ging – nach seinen eigenen Worten – dahin, „daß der träge Schlummergeist, der Deutschland seit dem westphälischen Frieden drückte, endlich einmal zerstreut werden könnte – daß der Nationalgeist, von dem leider auch die letzten Spuren täglich mehr zu erlöschen schienen, erweckt werden könnte;“ er betrachtete den deutschen Fürstenbund, mit Preußen an der Spitze, als das Mittel zur Wiedergeburt des Gesammtvaterlandes, „seines beinahe erloschenen Gemeingeistes und seiner tiefgesunkenen Gesammtkraft,“ und wirkte und warb für diese Union mit Feuereifer.

Aber noch traurigere Zeiten sollten für Deutschland kommen und gerade in Karl August’s Lande, bei Jena, die Entscheidungsschlacht geschlagen werden. Durch die Mangelhaftigkeit der Heeresorganisation und die Unfähigkeit der Führer auf preußischer, durch die kluge Benutzung des Terrains, so namentlich des Rauthales, auf französischer Seite ging die Schlacht für Preußen, für Deutschland verloren. Wie anders hätte die Entscheidung fallen können, wenn die preußischen Oberbefehlshaber den weimarischen Herzog, ihn, dem jeder Zugang, jede Schlucht seines Landes genau bekannt war, in jenen verhängnißvollen Tagen nicht mit der Avantgarde nach Ilmenau beordert hätten! Während seine muthige, deutsche Gemahlin im Schlosse zu Weimar dem siegreichen Corsen, dessen zweihundert Kanonen ihr keine Furcht hatte hatten einjagen können, mit Ruhe und Würde Achtung abzwang und dadurch ein Ende der Plünderung ihrer Stadt und Schonung des Landes erlangte, befand sich der tapfere Herzog an der Spitze der preußischen Reiterei und suchte, nordwärts rückend, zu retten, was noch zu retten war. Mußte er dann auch der Nothwendigkeit der Rückkehr, wie des Beitrittes zum Rheinbunde sich fügen – sein deutsches Herz, sein Sinn blieb auch während der übermüthigen französischen Gewaltherrschaft deutsch, ungebeugt und tapfer, so daß Napoleon ihn mit Recht „den widerspenstigsten Fürsten von Europa“ nannte, und als endlich die Stunde der Erlösung geschlagen, rief er das Volk zu den Waffen und focht als russischer General und Befehlshaber eines deutschen Bundescorps selbst mit im glorreichen Befreiungskriege.

Und als der Sieg entschieden war und andere deutsche Fürsten das dem deutschen Volke so feierlich gegebene Wort der Einheit und Freiheit des Vaterlandes schmachvoller Weise uneingelöst ließen, war es Karl August, der schon als souveräner Fürst des Rheinbundes im Jahre 1809 trotz dem harten Drucke der äußeren Verhältnisse seinen altfürstlichen Landen eine verbesserte landständische Verfassung gegeben hatte und nunmehr in dem Grundgesetze vom 5. Mai 1816 seinem vergrößerten und zum Großherzogthume erhobenen Lande die erste constitutionelle Verfassung gab. Er ließ sich durch die Bedenken seines Ministeriums, welches eine solche Umformung der Staatsverhältnisse für gefährlich hielt, nicht abhalten; er, der wahre Freund des Volkes, war freisinniger als sein Ministerium, freisinniger selbst als sein Landtag, welcher aus wundersamer Aengstlichkeit die vom Fürsten wiederholt beantragte Oeffentlichkeit der Sitzungen nicht acceptiren mochte. Jene Verfassung aber, die erste in ganz Deutschland, und die gewährte Preßfreiheit waren der Anfangspunkt des deutschen constitutionellen Lebens.

Und mit welcher Freude sah Karl August den Nationalgeist die jungen Schwingen heben! Zu dem Wartburgfeste 1817 ertheilte er, trotz allerhand Einflüsterungen und Vorstellungen, die förmliche Erlaubniß, veranlaßte die Beherbergung der Burschen in den Bürgerhäusern, räumte ihnen die Wartburg ein, öffnete zum Festmahle die Fischteiche und bewilligte zum Siegesfeuer das Holz aus den Forsten. Er vertheidigte das vielgeschmähte Fest gegen die österreichischen und preußischen Bevollmächtigten. Er begünstigte und schützte die in Jena begründete „Deutsche Burschenschaft“ als die Bewahrerin und Pflegerin des Geistes der deutschen Einheit und Freiheit, des deutschen Nationalbewußtseins. Gern nahm er in Jena den von der Burschenschaft dankbar gebrachten Fackelzug an; freundlich lud er nach der Geburt seines Enkels Karl Alexander (des jetzigen Großherzogs) die Burschenschaft ein, zur Taufhandlung Vertreter zu senden, und als demzufolge am 5. Juli 1818 die ganze jenenser Burschenschaft, fast fünfhundert Mann stark, nach Weimar zog und unter Leitung ihres Generalanführers Heinrich von Gagern „dem verehrten Erhalter der jenaischen Hochschule, dem geliebten Beschützer deutschen Rechts und deutscher Freiheit“ ein solennes Fackelständchen brachte, wurde sie dort im Schloßhofe vom Großherzoge gastfreundlich bewirthet. Auch nach Sand’s verhängnißvoller That, welche von der Reaction zum Vorwande gemißbraucht wurde, suchte Karl August die akademische Freiheit und die Burschenschaft dadurch zu schützen, daß er beim Bundestage durch eine energische Erklärung seines Gesandten die Universitäten überhaupt und insbesondere die jenaische gegen die erhobenen Beschuldigungen rechtfertigte. Vergebens! Er konnte nicht die Schritte der Diplomatie gegen das verhaßte kleine liberale Weimar und dessen Preßfreiheit, nicht die Auflösung der Burschenschaft, nicht die Karlsbader Beschlüsse verhindern, mit denen eine ebenso brutale wie perfide Reaction Knebelung der Presse, Maßregelung der Universitäten und Verfolgung der sogenannten demagogischen Umtriebe beschloß.

Auch in der trübsten Zeit blieb er sich treu, freisinnig, kernig, frei in politischen wie in religiösen Dingen. Noch in seinen letzten Lebenstagen, auf der Reise, welcher er am 1828 aus Liebe zu seinem Urenkel unternommen hatte, äußerte er im Gespräche mit Alexander von Humboldt seine lebendige Theilnahme für alle fernere Entwickelung des Volkslebens und klagte über den einreißenden Pietismus und den Zusammenhang dieser Schwärmerei mit politischen Tendenzen nach Absolutismus und Niederschlagen aller freieren Geistesregungen. „Dazu sind es unwahre Bursche,“ rief er, „die sich dadurch den Fürsten angenehm zu machen glauben, um Stellen und Bänder zu erhalten.“

Kurz darauf, am 14. Juni 1828, schied er in Graditz aus dem Leben. Wie drei Jahre vorher, bei seinem goldenen Jubelfeste am 3. September 1825, das ganze Land, Stadt und Dorf, in Kränzen und Jubel ihn, den wahrhaft geliebten „alten Herrn“, gefeiert hatte, ebenso allgemein und aufrichtig war jetzt die Trauer, der Schmerz und sein Dahinscheiden; hatte doch der Reichste wie der Aermste, der Hochgestellte wie der Geringste den gleichen schweren Verlust erlitten. Im Herzen seines Volkes lebte er fort und lebt dort noch jetzt. Fast in jedem Bürgerhaus, ja in der ärmsten Dorfschenke kann man das Bild des alten Herrn finden, meist den treffliche Kupferstich von Schwerdgeburth, welcher den Herzog am Salon im Parke mit Schirmmütze, in kurzer grüner Pekesche, die Hände auf dem Rücken, die zwei Hunde zur Seite, darstellt. Die Alten, die ihn noch gekannt, erzählen mit Wärme von ihm, von seiner Leutseligkeit, seiner Geradheit und seinem Witze, und die Jungen lauschen andächtig den Erinnerungen der Alten.

Man kann bedauern, daß ihm nicht vergönnte gewesen, an der Spitze der deutschen Nation zu stehen und zu wirken. In der That haben nach dem Wiener Congreß manche unbefriedigte Patrioten ihn als denjenigen Fürsten bezeichnet, der vor allen würdig sei, den deutschen Kaiserthron einzunehmen.

Vielleicht aber hatte auch Goethe Recht, als er zu Eckermann [620] äußerste: „Karl August war eine dämonische Natur, voll unbegrenzter Thatkraft und Unruhe, sodaß sein eigenes Reich ihm zu klein war und das größte ihm zu klein gewesen wäre.“

Doch gerade bei der engen Umgrenzung seines Wirkungskreises, bei der Kleinheit seiner Mittel, müssen uns seine Verdienste um so höher erscheinen: von dem gewaltigen Antriebe, den er und seine genialen Gefährten gegeben, datirt sich der geistige Aufschwung der deutschen Nation und zugleich vom Erlasse seiner Verfassung, von seinem Schutze der freien Presse der Beginn des politischen Lebens des Volkes. So ehrte ihn das deutsche Vaterland am 3. September 1857; so wird ihn dasselbe am 3. September dieses Jahres, der bevorstehenden Säcularfeier seines Regierungsantritts, als des Beginnens seines Wirkens, ehren; so wird er fortwirkend in Wirklichkeit unsterblich bleiben, und allezeit wird es kein wahreres, kein schöneres Wort geben, als dasjenige Goethe’s über seinen Freund und Fürsten:

„Klein ist unter den Fürsten Germaniens freilich der meine,
Kurz und schmal ist sein Land, mäßig nur was er vermag.
Aber so wende nach innen, so wende nach außen die Kräfte
Jeder; da wär’ es ein Fest Deutscher mit Deutschen zu sein.“




Bis zur Schwelle des Pfarramts.
4. Im „Stift“.
1. Ideal oder real?

Etwas näher an den Quellen des Lebens, etwas näher an den Brüsten der Wissenschaft! So fanden wir’s wirklich, als wir nach wohlbestandener Maturitätsprüfung und vierwöchentlichen Ferien im October 1844 in das höhere theologische Seminar in Tübingen, Stift genannt, einzogen. Zwar willkürlich leben konnte man auch hier nicht – war auch kein Schade; die Hausordnung war für die hundertzwanzig Zöglinge, welche die Räume des früheren Augustinerklosters füllten, eine streng geregelte, und manche seltsame und grillenhafte Schnörkel aus früheren Tagen hingen ihr noch an; aber wer Studirens halber in diesen Räumen sich aufhalten wollte, hatte sich schon damals nicht – heute soll die Lebensordnung eine noch viel freiere sein – mit Fug zu beklagen, und wenn man an die Einrichtungen des niederen Seminars, von denen man eben hergekommen war, zurückdachte, so glaubte man die volle Luft der Freiheit einzuathmen. Morgens stand freilich wieder der Aufwärter, im Winter mit seiner großen, unförmlichen Laterne, vor dem Bette, und da galt kein „noch ein Bischen Händeringen, noch ein Bischen Schlaf“, wenn man sich keine Strafnote zuziehen wollte; doch durfte man am Sonntage nach Herzenslust ausschlafen und auch in der Woche hatte Jeder einen Tag frei für dieses wichtige Geschäft, sofern er nur nicht unterließ, vor zwölf Uhr die Repetenstube zu betreten und die obligate Formel herzustammeln: „Herr Repetent, ich bitte um Entschuldigung von wegen der Schlafkammer.“

Kaum war man aufgestanden, so erschien der Bediente, deren je einer für zwei Stuben bestimmt war, bei jedem Einzelnen mit der Anfrage, ob man Etwas bedürfe, und diese Frage wiederholte er mit jedem Stundenschlage an jedem Pulte – eine Selbstherrlichkeit, wie sie im späteren Leben nur Wenigen wieder zu Theil wird. Und von welchem Behagen fühlte man sich umfangen, wenn die trauliche Kaffeemühle rasselte und das Wasser auf dem eigenen Tische brodelte und die Cigarre das engumfriedete Plätzchen in einen süßen Wolkendunst einhüllte!

Freilich war man nicht für sich allein. Es fehlte das eigene Stübchen mit all der Traulichkeit und Heimlichkeit, mit welcher es das Gemüth umfängt. Wir bewohnten zu Sechsen eine Stube; da hatte Jeder sein Pult, seinen Tisch, sein Fenster, das einen Ausblick auf die herrlichste Landschaft, auf Neckar und schwäbische Alb eröffnete. Da spann man sich nun in seiner kleinen Welt so gemüthlich ein, wie man konnte: die ganze Wand füllte man mit Bildern – über mir hatte ich Lessing, Baur, Strauß, Shakespeare hängen – und mit zahllosen Silhouetten der Freunde, und um das kleine Heim ohne Haß vor der Welt zu verschließen, wurde ein grüner Vorhang gezogen, der sich an einer von der Wand nach dem Ende des Pultes gespannten Schnur leicht vor- und zurückschieben ließ. Es war eine der dümmsten Grillen der Stiftsordnung, diesen Vorhang bei Strafe zu verbieten.

Die Ausgangsfreiheit war zwar noch sehr beschränkt, berücksichtigte aber doch die Bedürfnisse einer vorgerückten Altersstufe und genügte mäßigen Ansprüchen, zumal der Scharfsinn Mittel genug fand, ihre Schranken zu erweitern oder auch zu überspringen. Man zeigt mir noch nach zwölf Jahren das Fenster, an dem sich mein Bruder mit Karl Gerok nächtlicher Weile hinuntergelassen hatte, um ein durch die Stiftsglocke unterbrochenes Ballvergnügen in der Stadt fortzusetzen; denn eine so freche Uebertretung der Gesetze von Seiten zukünftiger Prälaten war ein Ereigniß, dessen Erinnerung sich von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzte, zugleich eine Warnungstafel für alle Künftigen vor dem allwissenden Auge der wachsamen Stiftspolizei. Mir fehlten derartige romantische Neigungen, und ich verspürte keinen Kitzel für so gefährliche Abenteuer. Ich bin diesen württembergischen Bildungsanstalten unendlich viel Dank schuldig, aber am dankbarsten bin ich für die Liberalität, mit der man in einer so streng geordneten Anstalt, die außerdem den Zöglingen so große Vortheile gewährte, den Collegienbesuch völlig uncontrolirt ließ. Früher, hieß es, sei ein Aufseher in jedem Hörsaale erschienen, um die abwesenden Stiftler aufzuzeichnen; zu meiner Zeit war dieser Zwang, der mir die Universität zur unerträglichen Last gemacht hätte, bis auf die letzte Spur verschwunden. Für den Trost dessen, „was man schwarz auf weiß besitzt“, hatte ich nur ein schwaches Organ; das Ablesen geschriebener und meistens, ach! schon zum wievielten Male vorgetragener Hefte erschien mir so traurig und langweilig, und das emsige Nachkritzeln von Wort zu Wort machte mich müde und dumm. Dem Privatstudium boten die reichen Bibliotheken besseren Stoff als die Hefte mancher Docenten.

Fielen dann solche Vorlesungen in die außerhalb des Stifts gelegenen Hörsäle der Aula, was in den ersten anderthalb Jahren bei den meisten der Fall war, so konnte man die Grenzen der Freiheit gefahrlos nach Belieben erweitern; man passirte das Stiftsthor, ohne daß der Name von dem dort residirenden Aufseher in sein Buch eingeschrieben wurde, und konnte nun die Schritte von den dunklen und gedrückten Sälen den Bächen des Lebens zuwenden. Wie oft lag ich, während der jüngere Fichte – als philosophischer Schriftsteller nicht ohne Verdienst, aber weniger glücklich als Docent und uns Südländern schon durch seinen norddeutschen Dialect und seine scharfe Stimme schwer zu ertragen – sein „Meine Herren! fassen Sie diesen Gedanken in seiner ganzen Schärfe!“ über die Köpfe der schläfrigen Hörer hinrief, wie oft lag ich auf dem Schloßberge im Waldesschatten oder unter einem blühenden Baume und folgte mit den Augen über ein Blatt von Goethe oder Mörike den eilenden Wolken! Wie oft, wenn Professor Reiff sein uns Allen und vermuthlich auch ihm unverständliches System der Willensbestimmungen mit heulender, oft bis zum Kanzelpathos erhobener Stimme entwickelte, saß ich mit einem Freunde im Garten der „Eifertei“ neben Uhland’s Wohnung oder des Winters in dunkler Spelunke bei Wurst und Bier – und habe es nie bereut. In den beiden letzten Jahren meines Tübinger Aufenthaltes genoß ich als Bibliothekar des Museums, der in Verbindung mit Fr. Vischer die Neuanschaffung der Bücher zu besorgen hatte, eine fast unbeschränkte Ausgangsfreiheit, die ich zu fleißigen Studien auf der mit aller Literatur vortrefflich ausgestatteten Bibliothek benützte.

Auch für die specifischen Genüsse des geselligen Burschenlebens ließ die gestrenge Stiftsordnung Raum, einen reichlichen in den stets freien Sommerabenden, einen allzu spärlichen im Winter, wo sie, an zwei Tagen in kurz gemessenen Stunden gewährt, mit hastiger Gier wie ein Raub davon getragen wurden. Scheffel hat in seinem „Gaudeamus“ mit genialem Geschick dem ungeheuren Idealismus, der im deutschen Glase liegt, einen classischen Ausdruck verliehen. Der Amerikaner [621] trinkt seinen Whiskey stehend aus und geht rasch weiter; der Engländer trinkt nicht weniger, als der Deutsche, aber hinter geschlossenen Jalousien; der Franzose nippt leicht und fein, aber der Deutsche sitzt breit am breiten Tische in urkräftigem Behagen, trinkt, weil im Glase Träume liegen, und singt sein: „Was kümmert mich das heilige römische Reich? weg corpus juris! weg Pandecten! weg mit den theologischen Secten!“ in guter Stunde um so inbrünstiger, als er den Tag über furchtbaren Ernst aus diesen Dingen gemacht hat. Ist es nicht ein Ueberschäumen des Gemüthes, das, für einige Augenblicke losgebunden, frei, sich mit trotzigem Humor über die philisterhafte Wirklichkeit und die Pedanterien der Gesellschaft hinwegsetzt? Luther, der unter den schwersten Kämpfen und Arbeiten sorglos mit seinem Philipp und Amsdorf Wittenbergisch Bier trinkt und sich getröstet, daß derweilen sein Wort läuft und dem Papst an die Krone langt, ist ein echtes Bild deutschen Humors.

Mit starken geselligen Neigungen von der Natur ausgestattet, schloß ich mich an eine der beiden Stiftsgesellschaften an und zwar an das „Nordland“, aus Vorliebe für den naturwüchsigen, derbkräftigen Geist, der in dieser Verbindung vorwaltete, angelockt zugleich durch den Ruf hervorragender Köpfe, welche damals der Verbindung zur Zierde gereichten, unter Anderen eines Wagenmann[WS 1], jetzt Professors in Göttingen, eines Auberlen, des bekannten, früh in Basel verstorbenen Theosophen. Neben einem halben Dutzend von Erzkneipern, die wenig arbeiteten und gleich dem Herrn von Rodenstein ihr „Gerspranz, Reichelsheim und Pfaffenbeerfurt veritranken“, bestand der größte Theil aus tüchtigen Menschen, welche Fleiß in den Studien und strenge Sitten mit Lebenslust und kernigem Humor zu verbinden wußten.

Die Winterabende wurden nach Vorschrift, aber in unbeaufsichtigter Geselligkeit auf den Zimmern zugebracht, eine unerschöpfliche Fundgrube des Humors und der Charakterbildung. Da waren tüchtige, durch verschiedene Prüfungen gesiebte Jünglinge von vier Altersstufen und den verschiedenartigsten Anlagen und Charakteren für den engsten Geistesverkehr nahe aneinander gerückt. Da war der würdige Senior der bald abgehenden Promotion, der nach hergebrachter Sitte mit dem feierlichen Cylinder auf dem Kopfe durch die Stadt ging, neben dem schüchternen, unerfahrenen Füchslein, das im Dämmer der kommenden Herrlichkeiten schwelgte. Da war der eifrige Beckianer, der sich nach der Stunde sehnte, da er im Schooße einer Gemeinde Zeugniß von seinem Herrn ablegen konnte, neben dem Philosophen, der mit dem lieben Gott nicht auf dem besten Fuße stand. Da saß der lächelnde Schalk neben dem gemüthvollen Enthusiasten. Da war der geniale, bizarre Kopf, der einen Monat lang auf der faulen Haut lag und lumpte, um den nächsten Monat im Dienste einer wissenschaftlichen Liebhaberei bis Nachts ein Uhr bei der Lampe zu sitzen, unaufhörlich den stärksten Kaffee schlürfend, neben dem regelrechten geistlosen Nachtbüffler, dem ehrgeizigen Kopf, der von Anfang an berechnete, auf welchem Wege die beste kirchliche Carrière zu machen sei, und darauf alle seine Kräfte spannte. Alle diese Menschen rieben und entzündeten sich aneinander und mußten lernen, sich gegenseitig zu schätzen und zu vertragen. Wie sprühten die Funken des Witzes bei diesen abendlichen Unterhaltungen! Wie schärfte sich das Urtheil und vermehrte sich die Kenntniß der Menschen und Dinge unter diesem Austausche der Meinungen und Erfahrungen!

Gedenk’ ich all’ dieser Dinge, rechne ich dazu den bildenden Umgang mit befreundeten oder verwandten Familien, ohne dessen Pflege mir nicht leicht ein Tag verging, das bewegte und mannigfaltige Leben, das sich aus dem Zusammenwohnen von achthundert Studenten aller Facultäten in einer kleinen Stadt erzeugt, so durften wir wohl unseren Wunsch als über Bitten und Verstehen erfüllt betrachten: näher an des Lebens Quellen.

Aber wie stand es um die Brüste der Wissenschaft, nach denen das Musenkind so sehnsüchtig verlangte? Die Vorzeichen, welche mir an der Schwelle der Universität entgegentraten, verhießen wenig Günstiges. Auf dem Katalog der Vorlesungen stand die Geschichte der griechischen Philosophie von Dr. Eduard Zeller, Privatdocent. Diese Vorlesung war damals schon wegen der Gründlichkeit der Quellenforschung und der durchsichtigen Darstellung als meisterhaft bekannt, wie das später unter dem gleichen Titel im Druck erschienene Werk heute noch zu den glänzendsten Leistungen der deutschen Wissenschaft gezählt wird. Mein ältester Bruder, der schon eine ansehnliche Stellung in der Kirche einnahm, hatte mich vor dem Abgang zur Universität eindringlich gemahnt, doch ja dieses Colleg nicht zu versäumen. Allein was geschah? Als ich auf das Verzeichniß der Vorlesungen, die ich im ersten Semester hören wollte, Zeller’s Geschichte der griechischen Philosophie oben ansetzte, bat mich der Repetent – Schröder hieß er – dieses Fach zu streichen als laut einstimmiger Anschauung des Repetentencollegiums für diese Stufe nicht geeignet, und als ich auf meinem Vorsatz beharrte, verwandelte er die liebevolle Ermahnung in ein kategorisches Verbot, gegen das nur der Recurs an das Stiftsinspectorat offen stand. Ich griff zu diesem letzten Mittel, wurde aber auch da abgewiesen, weil diese Behörde mit der einzigen Ausnahme Baur’s aus Männern der gleichen conservativen Richtung bestand, wie das damalige Repetentencollegium. Ich konnte in diesem Verfahren nur einen Kunstgriff der kirchlichen Reaction sehen, dem glänzenden Vertreter der Theologie, soweit es einigermaßen mit einleuchtenden Gründen sich thun ließ, den Boden unter den Füßen wegzuziehen.

Seit Strauß’s „Leben Jesu“ vom Jahre 1835 war der herrschenden Kirche eine schmähliche Angst in die Glieder gefahren; ein jeder unabhängigen Forschung feindseliger Pietismus fing an sich zu fühlen und fand oben in den leitenden Kreisen des Staats und der Kirche eine Stütze; was früher als unanstößig und unschuldig gegolten hatte, wurde jetzt anrüchig. Die einst in den goldenen Tagen ihrer Studienzeit die Natter der Kritik und des Zweifels fröhlich hatten um ihr Haupt spielen lassen, die sah man jetzt als Bekehrte mit allein den Convertiten eigenem Eifer in das Repetentencollegium oder in’s Vicariat eintreten und bei Vielen durfte man von einem neuen unwürdigen ruere in servitium (in die Knechtschaft stürzen) reden. Was sich nicht beugen wollte, blieb sitzen oder wurde gemaßregelt. Zwar an Baur wagte man sich nicht, so laut auch das Murren frommer Kreise sich vernehmen ließ, daß man einem solchen Heiden die theologische Jugend anvertraue; aber an seinen Schülern und jüngern Mitarbeitern kühlte die Reaction ihr Müthchen. Einen Zeller, dessen Vorlesungen zu den besuchtesten gehörten, der durch seine Apostelgeschichte, seine theologischen Jahrbücher etc. sich als einen Meister in Theologie, wie Philosophie bewiesen hatte, ließ man auf der ewigen Bank der Privatdocenten sitzen, bis er, der Enttäuschungen müde, der undankbaren Heimath und nothgedrungen später auch der Theologie den Rücken kehrte. Einen Schwegler, der durch seine Schrift über den Montanismus und seine Geschichte des nachapostolischen Zeitalters sich den Namen eines Gelehrten von eindringendem Scharfsinn und glänzender Darstellungsgabe erworben hatte, speiste man aus Gnaden mit der Stelle eines Stiftsbibliothekars ab, wo er mit Hülfe der Stiftskost und einiger hundert Gulden ein kümmerliches Dasein fristete.

Das waren die Zeichen der Zeit, unter denen wir unsere Studien antraten. Aber noch ein anderes kam hinzu, das mit noch weit grellerem Lichte zündete. Kaum hatten wir uns einen Monat oder zwei zu den Füßen Friedrich Vischer’s mit jugendlicher Begeisterung niedergelassen, so wurde er durch einen Spruch der Regierung von seinem Katheder auf zwei Jahre entfernt. Er hatte die Inaugurationsrede, mit welcher er den eben gegründeten Lehrstuhl für Aesthetik einzuweihen hatte, mit einer Art feierlichen Schwures geschlossen: unter Anrufung des „Genius mit den Silberschwingen“ schwur er der Orthodoxie Haß, glühenden Haß. Ich saß unter der dichtgedrängten Zuhörermenge und war ganz in mich gekehrt, wie festgewurzelt und versteinert, und merkte erst beim Umschauen, daß Alles in höchster Aufregung den Saal schon verlassen hatte und ich allein zurückgeblieben war. Die Rede wurde zum Ereignisse, welches das ganze Land beschäftigte. Man hatte gut reden von einer ganz unnöthigen, vom Zaune gerissenen Provocation, aber man denke sich einen Augenblick in die Zeitlage hinein: Männer, welche in dem Kampfe Lessing’s gegen Göze mehr als nur ein vorübergehendes Fechterspiel sahen, welche sich an der Welt Schiller’s und Goethe’s genährt hatten, welche zu den Füßen Hegel’s gesessen waren und eine neue Weltanschauung wie ein brennendes Feuer in sich trugen, sahen sich einem Kirchenthume und Dogma [622] gegenüber, das, von der edelsten Bildung der Zeit verurtheilt, im Besitze der Katheder, der Kanzeln, der Regierungssessel war; das erzeugte einen brütenden Haß, eine lodernde Leidenschaft, die sich zur Zeit oder zur Unzeit Luft schaffen mußte, bald in giftigem Spotte, der, wie es eben geht, auch das Heilige nicht verschonte, bald in furchtbar ernstem Ausfalle. In einer andern Zeit wäre man über einen solchen Angriff auf die Kirche von Seiten eines Aesthetikers und Poeten ohne Weiteres weggegangen, aber wie die Dinge standen, mußte die Reaction ihr Opfer haben; alle Sympathien, welche die studirende Jugend dem geistvollen Lehrer entgegenbrachte, nützten nichts. Vischer wurde auf zwei Jahre seiner Lehrtätigkeit enthoben.

Mir war dieser Schlag doppelt empfindlich, weil meine Neigungen mich im ersten Jahre fast ausschließlich auf die Rosenpfade der schönen Literatur führten. Ich versäumte zwar die vorgeschriebenen Studien nicht, welche sich auf Philologie, Geschichte und die Anfänge der Philosophie bezogen, aber mein Lieblingsstudium war Poesie und Kunst. Ich nahm Winckelmann’s Geschichte der alten Kunst zur Hand; ich studirte Hotho’s, des geistvollen Hegelianer’s, „Geschichte der Malerei“, Lessing’s „Laokoon“, Schiller’s ästhetische Abhandlungen, Wilhelm von Humboldt’s reizende Schrift über das Wesen der Epopöe, deren Gesetze er durch eine meisterhafte Zergliederung von Goethe’s „Hermann und Dorothea“ zur Anschauung brachte etc. Das reich ausgestattete Museum bot mir die moderne Literatur in ihrer Vollständigkeit. Besonders Goethe’s Lieder trug ich auf Weg und Steg bei mir; hier hatte ich ein- für allemal gelernt, was lyrische Poesie sei; nach diesem Maßstabe beurtheilte ich hinfort Anderer lyrische Versuche; was von eigenen vorhanden war, zerriß ich und machte keine weiteren mehr. Dagegen vergeudete ich eine schöne Zeit mit dramatischen Aufgaben und verdarb mir zwei volle Ferien durch die Thorheit, mich in ein Zimmer einzuschließen und Dramen zu schreiben.

Unter diesen fast ausschließlichen Beschäftigungen mit Kunst und Poesie arbeitete ich mich in eine einseitig phantastische Lebensanschauung hinein. Mein Ideal war: die poetische Stimmung in mir dauernd zu machen; ich schob daher Alles mit Verachtung oder Gleichgültigkeit an die Seite, was dieselbe stören konnte. Ja, ganze Gebiete des realen Lebens blieben mir fremd; Politik, was die Völker und Länder im Verhältniß zu einander bewegt, Handel, Erwerb, Industrie war mir alles gleichgültig. Ich las absichtlich keine Zeitung – was kümmerte mich auf den Höhen des Ideals der Trotz der Könige, der Zorn der Völker und das verwirrende Geschrei der Parteien? Diese Stimmung war es auch, die mich fast ein Jahr lang zum Vegetarianer machte. Ich hatte in einer der Dichtungen von Percy Shelley die begeisterte Schilderung einer Familie gelesen, deren Glieder grundsätzlich sich des Fleischgenusses enthielten und dadurch nicht blos körperlich blühend, gesund und elastisch, sondern auch frei von Leidenschaften und voll inneren Friedens geworden waren. So wollt’ ich werden: frei von jeder aufregenden Leidenschaft, ein Feind alles Rohen, immer in einer Atmosphäre des inneren Glückes und Friedens, eine Pflanze, die stille wächst und Alles, was an sie herankommt, verarbeitet zur Förderung ihres Lebensprocesses. Darum entschloß ich mich trotz der sonst schon schlechten Stiftskost zum Vegetarianismus. Ich hatte auch, wie alle Schwärmer, die Bestätigung meiner Theorie auf allen Seiten bei der Hand. Ich sprang eine Zeitlang täglich nach Tisch die paar hundert Stufen auf den Schloßberg hinauf und fand zu meiner freudigen Ueberraschung, daß bei dieser Turnübung das Gehen mit jedem Tage leichter und das Athmen unbeschwerlicher vor sich gehe, was ich natürlich nicht der Uebung, sondern der Fleischenthaltung zu gute schrieb. Später führten mich die Belehrungen eines Arztes zur gewohnten Lebensweise zurück.

Auch für den anderen Wahn, für das romantische Schwelgen und Schwärmen, gab es zum Glücke eine Cur, welche sich die Gesundheit der Natur selber vorschrieb und auswählte; es war eine Reise. Der Rhein mit seinen Burgen und Sagen, die Loreley und der Kölner Dom – das waren Zauberklänge für das Ohr des Romantikers. Der Vater erhob Einsprache und fand eine Reise erst als Belohnung für die wohlvollendete Studienzeit berechtigt, aber dem Zureden wohlmeinender Freunde und den dringenden Bitten des Sohnes verwilligte er endlich zwanzig Gulden, denen mein mitleidiges liebenswürdiges Bäschen in Tübingen aus ihrer Casse noch acht Gulden hinzufügte. Mit achtundzwanzig Gulden in der Tasche reiste ich vierzehn Tage lang im Herbste 1845 von Tübingen über Stuttgart, Heilbronn, Heidelberg nach Köln, wo ich drei Tage weilte, vor dem Dome träumte und alle Kirchen nach Gemälden durchstürmte, dann zurück über Mannheim mit der ersten Eisenbahn, die ich sah, nach Straßburg, von da über den Kniebis nach Hause.

O goldene Zeit, da man mit achtundzwanzig Gulden eine vierzehntägige Bildungsreise machen konnte, da die Welt und die eigene Genügsamkeit noch gestattete, mit den Alten zu fühlen: „Der ist den Göttern am nächsten, der die wenigsten Bedürfnisse hat!“

Arm am Beutel war ich heimgekommen, aber um so reicher am Geiste. Von keiner spätern Reise habe ich so reichen Gewinn heimgetragen. Mit der frischen Empfindung einer Jugend, die das Bewundern und Staunen noch nicht verlernt hat, hatte ich mich den Dingen hingegeben, und diese hatten gewirkt. Ich fand mich wie neugeboren. Der romantische Traum war ausgeschlafen, das „Aechzen und Krächzen“ war abgethan. Ich hatte die Städte, die Schiffe, den Verkehr, den Handel, die Beschäftigungen der Menschen, mit Einem Worte: die Welt mit ihren praktischen Interessen und realen Aufgaben gesehen. Ich wandte mich von der Mondscheinseligkeit ab und kehrte mich der Helle des Tages zu. Es war Zeit; denn mit dem zweiten Studienjahre kamen die Fragen, die an den Mann gingen, die ernsten Probleme der Philosophie und Theologie.




Hund und Katz’.
Eine Geschichte aus den bairischen Oberlande.
Von Hermann Schmid.
(Schluß.)

Bei den übrigen Anwesenden – mit Ausnahme weniger aus der nähern Verwandtschaft, denen das Aufsehen und die Schande näher ging und die sich daher theils entrüstet, theils betrübt entfernt hatten – gewann indeß bald eine heitere Anschauung des Vorfalls die Oberhand. So etwas war, so weit man zurückdenken konnte, noch nirgends vorgekommen, und wenn man auch überzeugt war, daß zwischen Zachariesel und Julei schon lange ein geheimes Einverständniß bestanden haben müsse, und ihm dies in hohem Grade verübelte, so lobte man ihn doch darum, daß er sich wenigstens im entscheidenden Augenblicke zusammengenommen hatte und mit der Sprache offen herausgegangen war, wie es sich für einen Mann schickte. Voll Erwartung der hochzeitlichen Freuden bei Mahl und Tanz war man herangekommen: man konnte nun doch unmöglich so unverrichteter Dinge und mit leerem Magen wieder heimkehren, hungrig, durstig und in allen Erwartungen getäuscht. Was war natürlicher, als daß die Gäste in allen Räumen sich zusammendrängten, um den Wirth nach Kräften von seinen Vorräthen zu befreien und sich durch Gespräche und Gelächter über die unterbrochene Hochzeit wenigstens für einen Theil der entgangenen Unterhaltung zu entschädigen.

Auch der Schlösselbauer mit Kuni war unter denen, welche diesen Ausweg erwählt hatten, und war in seiner besten Laune – was dem Grubenmüller mit seiner Tochter widerfahren war, überstieg doch weit die Vorfälle von Diessen und Erling; es gab also doch noch einen Vater, der mit seiner Tochter mehr auszustehen hatte, als er selbst, und wenn dieselbe bisher ein Gegenstand des Geredes gewesen, so war nun ein anderer Stoff gegeben, gegen den alles Frühere wie „kühler Thau“ erschien. Er war um so vergnügter, als auch bei Kuni die fröhliche Gesangsstimmung des Morgens andauerte, wenn sie auch etwas nachdenklicher geworden war. Es konnte nicht fehlen, daß die [623] rasche und feindselige Trennung eines Paares, das sie vor nicht vielen Monaten in der Ueberschwänglichkeit seines Liebesglücks gesehen und belächelt hatte, einen tiefen Eindruck auf sie hervorbrachte: der Baum, der in strotzender Fülle von Blüten und Fruchtknospen gestanden, eine seltene Zierde des Gartens, war von einem plötzlichen Hagelwetter getroffen worden – Blüthen, Blätter und Früchte lagen abgestreift und zerschlagen auf dem Boden umher, und der kahle Stamm streckte traurig die geknickten Aeste empor, dem sicheren Verdorren entgegen. Kuni saß ruhig neben dem Vater und hörte, mit ihren eigenen Gedanken und Gefühlen beschäftigt, nur mit halbem Ohre auf die vielerlei Erörterungen, Auslegungen und Beurtheilungen, welchen das Vorgefallene an den Tischen der Nachbarn und an ihrem eigenen unterlag, bald jedoch war der Gegenstand erschöpft, und es war allseitig willkommen, daß ein später kommender Gast sich noch in die Nähe gesellte und einen neuen Stoff der Unterhaltung mitbrachte.

Der Mann erzählte, daß er soeben vom Landgerichte, wo er zu thun gehabt, hergefahren komme und dort mit Buchmair Sylvest, mit dem Hulanen, der so lange in Griechenland gewesen, zusammengetroffen und ihn mitgenommen habe; derselbe sei ebenfalls zum Herrn Landrichter gerufen worden, und habe ihm derselbe eröffnet, daß er nicht mehr nöthig habe, sich zu verstecken, denn da der König den Hauptschuldigen begnadigt, habe auch er als Mitschuldiger nichts mehr zu besorgen. Der König hatte sich sogar ausführlich berichten lassen, wie es mit der Befreiung des Verfolgten zugegangen war, und hatte darüber gelacht, daß er auf dem Pferde seines Verfolgers entkommen sei, „der Ulane aber,“ hatte er hinzugefügt, „das müßte ein tüchtiger Bursche sein, und es sei schade, daß er nicht beim Regimente geblieben; er hätte es wohl bis zum Wachtmeister bringen können.“ Erstaunt, aber mit Beifall vernahmen die Anwesenden den Bericht, und Alle waren darüber einig, daß der Sylvest in Wahrheit ein tüchtiger Bursche sei.

„Und ein sauberer obendrein,“ fuhr der Erzähler fort. „Er hat heut’, weil er zum Gericht gemußt hat, seine Hulanenuniform angezogen und steigt daher, wie nochmal ein General.“

Schon die erste Erwähnung Sylvest’s hatte den Schlösselbauer veranlaßt, nach Kuni hinüber zu schielen und zu beobachten, welchen Eindruck die Nachricht von seiner Ankunft bei ihr hervorbringen werde; sie saß halb abgewendet und gab sich den Anschein, als habe sie nicht auf das Gespräch gehört; dennoch kam es dem Vater vor, als ob es ihr um Ohr und Wange heiß aufsteige, und er hätte ihr vielleicht ein beruhigendes Wort zugeflüstert, hätte nicht das Gespräch der Nachbarn eine neue Wendung genommen, die seine ganze Aufmerksamkeit fesselte.

Die Wirthin kam eben vorüber und fing an, Kuni über den Schaden vorzulamentiren, welcher ihr durch das Ausfallen der Mahlzeit entstehe; das Mädchen vernahm nur das Wenigste davon, auch sie wurde mit jedem Worte mehr von dem Gespräche der Anderen angezogen, und mit jedem Worte stieg die Gluth ihres Angesichts, so daß es die Wirthin gewahrte und diensteifrig forteilte, um ihr zur Abkühlung in der heißen Stube ein frisches Glas Wasser zu bringen. Das Gespräch bewegte sich um eine andere That, durch welche Sylvest seine Tüchtigkeit erprobt hatte und die den damit vertrauten Landleuten geradezu als ein Heldenstück erschien; es war die Rettung des großen Scheerenflosses, der sich losgerissen hatte und, wie man glauben mußte, durch seinen Muth und seine Geschicklichkeit an’s Land gebracht worden war; die abgetrennten Scheiter konnte ohne Schwierigkeit wieder aufgefangen werden und den Eigenthümern war ein höchst empfindlicher Schaden erspart.

Mit angehaltenem Athem und brennenden Wangen hörte Kuni den mancherlei Vermuthungen zu, wie es bei dem Ereignisse zugegangen sein möge und was es für ein Entsetzen sein müsse, auf einem so wackligen Fahrzeuge in finsterer Sturmnacht zwischen Eisschollen und haushohen Wellen herumgeschleudert zu werden; wußte doch Niemand besser als sie, wie Alles gekommen und wie gräßlich nahe der Rachen des Abgrundes sich vor dem Flosse geöffnet hatte.

Daß außer Sylvest noch Jemand sich auf demselben befunden habe, ward mit keiner Silbe erwähnt, es war klar, er hatte unverbrüchlich davon geschwiegen.

Kuni ahnte und fühlte, daß der Blick des Vaters sie fortwährend von der Seite streifte; sie wandte sich, um ihm nicht zu begegnen, noch mehr ab, sodaß sie gerade die Thür im Auge hatte. Dieselbe ging auf, und der Besprochene trat ein: der Erzähler hatte Recht gehabt, er sah aus wie ein angehender General, und vom Tische begrüßte ihn der laute Zuruf der Gäste, die dem Gegenstande ihrer Bewunderung die Krüge zum Bescheidtrunk entgegenbrachten und zusammenrückend ihn einluden, neben ihnen Platz zu nehmen.

Obwohl die Aufmerksamkeit Aller sich auf den Eintretenden richtete, waren doch seine und Kuni’s Augen die ersten, die sich begegneten. Das Mädchen regte sich nicht; es war unnöthig, daß der Vater unter’m Tischrande nach ihr langte, um sie am Gewande festzuhalten; Sylvest nahm, ebenfalls unverwandten Blickes, den Kalpak vom Kopfe, daß seine Stirn sichtbar wurde und auf ihr eine breite noch blutrothe Narbe. Dann zog er ein Tuch aus dem Helme und fuhr sich damit über die Stirn, um den Schweiß abzutrocknen, der gar nicht vorhanden war. Sie schlug die Augen nieder; es war das Tuch, mit dem sie ihn in der Schreckensnacht verbunden hatte. Darüber gewahrte sie kaum, was er weiter that, aber es war ihr vorgekommen, als habe er das Tuch, eh’ er es verbarg, leicht an den Mund gedrückt.

Unbeweglich und mit gesenkten Augen saß sie, auch als der Ulane, der Einladung folgend, sich an den Tisch gesetzt und alle Anwesenden gegrüßt hatte, als ob Niemand darunter sei, mit dem er irgend je in anderer als freundlicher Weise zusammengerathen war. Der Schlösselhofbauer stieß einen brummenden Laut aus, der eine Erwiderung auf den Gruß sein sollte; erst jetzt wurde in Einzelnen das Andenken an das laut, was man von der Feindschaft, die zwischen Sylvest und Kuni obwalte, gehört hatte, und manch neugieriger Blick flog ihnen zu, des Schauspiels eines neuen Ausbruches gewärtig.

Man erzählte Sylvest, was geschehen war und wie nun zum allgemeinen Leidwesen aller Aufwand zur Hochzeitfeier so gut wie in’s Wasser geworfen war. „Je nun,“ rief er lachend, „da könnte leicht geholfen werden; es braucht ja nichts Anderes, als daß statt des auseinander gelaufenen Brautpaares geschwind ein anderes Hochzeit macht.“

„Als wenn das so leicht wäre!“ rief Einer der Gäste. „Als wenn die Hochzeiten so an der Hecke wachsen thäten, wie die Brombeer’! Mir scheint, es wird heuer kein guter Jahrgang für die Hochzeitleut’.“

„Na, wenn’s nicht gleich eine Hochzeit sein kann, müßte man halt mit einem Stuhlfest vorlieb nehmen; was meinst denn Du dazu, Schlösselbauer?“

Der Angeredete schrak förmlich empor; er sah es kommen, daß der Uebermüthige das zufällige Zusammentreffen zu einem abermaligen ärgerlichen Auftritte benutzen werde, er war kirschroth im Gesichte geworden, während Kuni zur Weiße eines Linnentuches erblich.

„Was willst, übermüthiger Bursch?“ rief er erregt und wie kampfbereit. „Kommst schon wieder mit Deinen spöttischen Reden?“

Sylvest hatte sich erhoben und den Kalpak zierlich auf den linken Arm genommen; so stand er jetzt in stattlicher soldatischer Haltung, als stünde er vor seinem Rittmeister, dem Zürnenden gegenüber. „Hört mich nur an, Schlösselbauer!“ sagte er ruhig, „ich will nicht spotten, aber ich will’s gut machen, daß ich das einmal gethan hab’. Ich hab’ Dir und Deiner Tochter vor vielen Leuten Unrecht gethan. Jetzt bitte ich Dich und sie vor gerad’ so viel Leuten um Verzeihung, und hab’ eine Bitt’ an Dich.“

Der Bauer war wie aus den Wolken gefallen; er bewegte einen Augenblick die Lippen lautlos, ehe er eine Antwort fand.

„Eine Bitt’ – und was sollt’ das nachher sein?“

„Du hast es gehört, was in dem Haus für eine große Verlegenheit ist,“ erwiderte Sylvest launig, „sie brauchen ein paar neue Hochzeitleut’ für die ausgesprungenen. Ich hab’ einmal so ’was läuten hören, daß Du einen Schwiegersohn brauchst, und da will ich Dich fragen, ob Du nit mich annehmen willst dafür?“

Sylvest hatte absichtlich so laut gesprochen, daß alle Anwesenden es hören mußten, sie drängten von allen Seiten herzu; der Schlösselbauer war unfähig zu sprechen; noch war ihm nicht [624] klar, ob der Antrag ernst gemeint oder eine neue noch größere Beleidigung sein solle. Kuni hatte sich aufgerichtet; ihr war, als ob der Saal und Alles drinnen sich um sie zu drehen beginne.

„Ich bin mit Deiner Tochter aufgewachsen,“ fuhr Sylvest fort, „in der ersten Kinderzeit wenigstens, auch sonst sind wir Nachbarsleut’, und ich glaub’, Du kennst mich wohl, daß ich ein richtiger Mensch bin und der Hof bei mir nit schlechter werden soll, denn den Ulanen hab’ ich heut zum letzten Male an und möcht’ wieder ein Bauer werden. Also halt’ ich vor allen denen Leuten da um Deine Kuni an und möcht’ mit ihr die Handreichung thun.“

Dem Alten war, als hätte das Hochzeitmahl bereits stattgefunden und er dabei zu tief in den Krug gesehen; das konnte doch unmöglich Spott sein; das war wirklicher Ernst, aber trotz dieses Ernstes konnte er nicht umhin in lautes Lachen auszubrechen. „Mir ist, als wenn ich einen Rausch’ hätt’,“ rief er. „Mir bist Du alleweil der rechte Bursch und der richtige Schwiegersohn – aber was wird denn die Kuni dazu sagen?“

Eine Stille flog durch den Raum, daß man den Laut einer fallenden Nadel hätte vernehmen müssen. Aller Augen hingen an Kuni, die sich bebend an den Tischrand hielt und hochathmend keinen Blick von Sylvest verwendete. Sie sprach nichts, dazu war ihr das Herz zu voll; eine Morgensonne des Glückes ging in ihr auf, und ihre ganze Seele ertönte, wie in dem Mährlein die Glocke, welche, sobald der erste Sonnenstrahl sie berührt, von selber zu schwingen und zu läuten beginnt.

Sylvest trat einige Schritte näher und streckte ihr die Hand entgegen; erglühend, gleich einer hochfarbigen Rose, legte sie die ihre hinein. Im nächsten Augenblick lagen sie sich in den Armen, wortlos, unbekümmert um die Welt, die sie umgab: der Mißklang jener verhängnißvollen Nacht, da sie, dem Versinken nahe, an seiner Brust Zuflucht gesucht hatte, war gelöst und ein voller Accord vollen Glückes brauste durch ihre Seele.

Ein allgemeiner Schrei der Freude begrüßte die unerwartete Lösung – war doch nun ein glänzender Ersatz für die verdorbene Hochzeit gefunden, eine langbekannte Feindschaft in ihr schönes Gegentheil umgewandelt und in überraschender Weise ein Paar vereinigt, dem ob seiner Jugend und Schönheit wie ob seines eigenthümlichen Geschickes Jedes das vollste Liebes- und Lebensglück verhieß und vergönnte.

Der Lauteste und Ergriffenste von Allen war der Schlösselbauer; er weinte und lachte durcheinander und nahm Eins nach dem Andern immer wieder und wieder beim Halse. „Ist es denn möglich,“ schrie er, „daß noch eine solche Freud’ für mich aufgehoben ist! Teufelsbub, sag’ mir’s nur, wie Du’s angefangen hast, das Mädel herum zu kriegen! Ich hab’ nichts ausrichten können mit ihr. Ihr seid ja alleweil’ aufeinander gewesen, wie Hund und Katz’.“

Kuni lehnte sich lächelnd an ihn und sagte: „Hab’ nur Geduld, Vater! Es kommt die Zeit, wo ich Dir das Alles erzählen werd’.“

„O, ich verlang’ nichts mehr zu wissen auf der Welt,“ rief er. „Ich bin zufrieden, daß ich das noch erlebt hab’. Ist es denn wahr, Kuni, soll wirklich Stuhlfest sein? Willst ihn wirklich, den übermüthigen Burschen da in seinem Hulanengewandel?“

„Ja, Vater, – den und keinen Andern.“

„Juhe!“ schrie der Bauer, warf den Hut in die Höhe und begann mit den alten Beinen Luftsprünge zu versuchen. „Wirth! die ganze Grubenmüllerhochzeit gehört mein. Her mit Allem, was gut und theuer ist! Alles ist eingeladen. Der Schlösselbauer zahlt die ganze Bescheerung! Juhe! Die Schlösselbauer-Kuni macht Stuhlfest, wie noch gar keins gewesen ist. Jetzt freut mich erst mein Leben.“

Die Anwesenden waren nicht schwer zu bewegen, auf die Freude des Alten einzugehn und eine so herzlich gemeinte Einladung anzunehmen, bald war die Mahlzeit im Gange; die Teller klangen, die Gläser klirrten, und die Musik tuschte und blies immer wieder zum Wohle des verlobten Paares, über dessen Häuptern die Anfangsbuchstaben, noch ehe der Abend einbrach, durch die nun gebührenden ersetzt waren.

Während die Paare im Tanze dahin flogen, standen Sylvest und Kuni seitwärts in einer sie halb verbergenden Fensternische – zum ersten Male mit sich und ihrem jungen Glücke allein.

„Ist es denn wahr? Kannst mich wirklich gern haben?“ flüsterte Sylvest. „Und ich bin so abscheulich gegen Dich gewesen, daß ich es jetzt selber nicht mehr begreifen kann…“

„Ueber Alles in der Welt hab’ ich Dich gern,“ erwiderte sie, von seinem Arm verschlungen. „Mir ist als wenn es niemals anders gewesen wär – ich glaub, ich hab’ Dich gern gehabt, so lang ich denk, ich hab’ es nur selber nit gewußt.“

„Und mir geht’s gerade so,“ flüsterte er zurück, „es ist gar nit wahr, daß ich einmal einen Haß gegen Dich gehabt hab’; das ist lautere Lieb’ gewesen, und ich hab’ mich, in meiner Verblendung nur dagegen gewehrt, weil es mir im Geist’ vorgegangen ist, daß mir von mir selber nichts mehr übrig bleibt.“

Sie sah ihm zärtlich in’s Gesicht und strich ihm die Locken aus der Stirn. „Die Narbe da hast um mich, um meinetwegen,“ sagte sie, „aber sie steht Dir gut an, und ich will Dir’s gedenken. Was bist für ein Mann!“ fuhr sie, sich an seine Brust schmiegend, fort. „Wie ruhig bin ich an Deiner Brust gelegen, wie’s zum Versinken gewesen ist – ich glaub’, wenn es wirklich dazu gekommen wär’, es wär’ mir leicht geworden, mit Dir zu versinken. Du mußt mich nicht auslachen, Sylvest, aber ich bin ganz wie verwandelt. Wie hab’ ich gelacht und gespott’, wie ich die Mechel und den Zachariesel gesehn hab, wie sie mit einander zärtlich gewesen sind, und wie ist mir das Gethu so fad vorgekommen – und jetzt kann ich’s selber nit oft genug von Dir hören, daß Du mich gern hast, aber nicht wahr, mit uns Zwei wird es nicht so gehn, wie mit den Andern? Wir bleiben bei einander?“

„In alle Ewigkeit,“ entgegnete er ernst, „wir sind fester zusammengenietet, und Du weißt, durch was.“

„Ich verdien’ so viel Glück nit,“ hauchte sie gerührt, „aber die Basl muß mir’s erbitt’ haben in der Ewigkeit. Sie hat mir Glück gewünscht mit dem Mann, an den mein Herz denkt, und – jetzt darf ich Dir’s ja eingestehn – der Mann ist Niemand Anderer gewesen, als Du.“

Eine Weile standen sie so und gewahrten nicht, daß wieder ein Tanz zu Ende gegangen war und der Hochzeitlader, der sie aufgesucht, mit überglücklichem Angesichte vor ihnen stand. „Wie schaut’s jetzt aus mit meinem Kuppelpelze?“ rief er. „Hast kein Glasel zur Hand, daß Du wieder dem Glaser etwas zu verdienen geben könntest? Wer hat jetzt doch Recht behalten? Es heißt halt nicht umsonst ,Weihnachten im Schnee, Ostern im Klee’ und ‚Was der Haas’ unter’m Berge (diesseits) versäumt, muß er dreuten (jenseits) wieder hereinbringen’.“


Im Mai war’s im Erlinger Wirthshause voll und lustig, wie noch nie. In der Wallfahrtskirche zu Andechs wurden zwei Paare getraut, welchen ihre Erlebnisse es wünschenswerth machten, das Fest ihrer Vereinigung an dem Orte zu feiern, wo so entscheidende Ereignisse in ihr Leben eingegriffen hatten.

Der neue Schlösselhofbauer und der neue Grubenmüller hielten zugleich Hochzeit.

Der neue Müller war niemand Anderes als Zachariesel. Nach dem stattgefundenen Aergernisse war Mechel der ganze Ammersee und was darum herum war, verleidet und verhaßt; ihre Wünsche stimmten daher mit denen ihres Vaters überein, der bei dem kurzen Aufenthalte in der Hauptstadt ein so großes Wohlgefallen an derselben gefunden hatte, daß ihm der Gedanke einer Uebersiedelung dahin immer erwünschter und angenehmer erschien. Er war daher rasch bereit gewesen, als Zachariesel den alten Hochzeitlader als Vermittler mit dem Vorschlage geschickt hatte, ihm die Mühle zu verkaufen und sich dabei wegen alles Vorgefallenen aus einander zu setzen. Zachariesel hatte von seinem verkauften Gute das baare Geld und mußte wünschen, bald eine Unterkunft zu finden, und dazu war nichts geeigneter als die Grubenmühle, denn die Braut hatte nun einmal für den Aufenthalt in einer Mühle eine besondere Vorliebe.

Julei und Zachariesel waren ein in Gott vergnügtes und recht hübsches Paar, als aber Sylvest und Kuni an den Altar traten, da war nur eine Stimme unter den Zeugen und den fast zahllosen Zuschauern: daß seit Menschengedenken kein Paar an diesem Platze gestanden, dem die Liebe und die Glückseligkeit so klar auf die Stirn geschrieben gewesen sei.

Auch die Hochzeitfreude selbst hatte in der Erinnerung nicht ihres Gleichen; der Hochzeitlader, der für die beiden Paare

[625] 

Bégum in guter Laune.
Nach der Natur aufgenommen von H. Leutemann.

[626] seinen letzten Ehrenritt gemacht, wollte auch beim Mahle ein Besonderes thun und griff zum letzten Male zu der lange vergessenen Trompete. Er blies zum Ehrentanze der Brautpaare ein Solo, dem man es trotz des mitunter zitternden Tones noch gar wohl anhörte, wie es geklungen haben mochte, als die Trompete den Tanz der treulosen Katscha begleitet hatte – das Zittern aber kam wohl auch daher, daß ihm beim Blasen die Thränen über die Backen liefen.

Ein paar Ueberraschungen trugen das Ihrige bei, die Freude zu erhöhen – es waren zwei Briefe. Der eine enthielt eine zierliche, gestochene Karte mit der Nachricht, daß Mechel sich ebenfalls getröstet und mit dem gelben Geometer Ringe gewechselt hatte. Man hatte schon zuvor davon gemunkelt, und die Leute erzählten sich, daß das neue Ehepaar nach der neuen Mode eine Hochzeitsreise angetreten habe. Der andere Brief war aus Paris an den Landrichter gekommen und von diesem eigens für den Festtag zurückbehalten worden; er kam von dem Flüchtling und brachte mit der Geschichte seiner Rettung und seinem innigsten Danke einen werthvollen in einen Ring gefaßten Edelstein zum steten Andenken einer edlen That.

Der Brigadier war der Ueberbringer des letzteren, aber er wollte gleich wieder fort; er hatte den Aerger noch nicht verwunden, daß er damals so sehr überlistet worden war; erst als die schöne Braut ihn als den wenn auch unfreiwilligen Urheber ihres Glückes zum Tanze aufforderte, begann sein Unwille etwas zu verglimmen, bis er in dem reichlich fließenden Weine zuletzt vollständig erlosch.

In der Grubenmühle war darauf ein fröhliches Leben: die kleine schwarze Julei schwamm und plätscherte ordentlich in dem Glücke, Müllerin zu sein, und sah, von dem Mehlstaube gepudert, ganz allerliebst aus. Die Mutter wohnte selbstverständlich in dem kleinen getäfelten Stübchen mit der Aussicht auf den Mühlschuß und die Buchenbäume; Zachariesel aber, wenn er sein Besitzthum und dessen Bewohner überblickte, schlug vor Vergnügen die Hände zusammen und meinte, er habe gar nichts dagegen, wenn man ihn noch hier und da spottweise den ewigen Hochzeiter nenne, denn er habe sich fest vorgenommen, mit seiner Julei ein solcher wirklich zu bleiben.

Ein stiller Hausgenosse war der Trompeterfranzel; obwohl dringend von Sylvest und Kuni eingeladen, zog er es vor, seine Austragsheimath in der Mühle zu suchen; er bedurfte deren nicht lange mehr, aber als er dahin ging, fand sich, daß er all seine nicht unbeträchtliche Ersparniß Julei vermacht hatte. Was ihn dazu bewogen, war gegen Niemand laut geworden.

Ein reines, vollendet schönes Menschenglück war auf dem Schlösselhofe eingezogen. Der Alte meinte, in seinem ganzen Leben sei er nicht so viele Stunden vergnügt gewesen, als er jetzt fröhliche Tage habe, und nur das Eine sei ihm leid, daß sein Leben nun doch nicht mehr lange dauern könne, da es erst jetzt ihn so recht zu freuen angefangen.

Mit Staunen und nachträglichem Entsetzen über die Nähe des Verlustes vernahm er Kuni’s Erzählung von ihrer gefahrvollen Wanderung und von den angstvollen Nachtstunden auf dem schwimmenden Scheerenfloß. Damit waren auch alle früheren Heimlichkeiten beseitigt und erklärt, welche ihn oft so geärgert hatten. Nur was zwischen der Kuni und dem Bas’l in der Todesstunde gesprochen worden war, erfuhr er nicht; Kuni glaubte, daß das mit der Todten in die Grube gesenkt sein müsse. Auch gegen Sylvest schwieg sie darüber, aber sie zeigte ihm den Draht mit den Betkorallen und sagte, sie habe für die Verstorbene ein Gelöbniß zu erfüllen; er drang nicht weiter in sie und war bereit, sie zu begleiten.

Verwundert sah der Bauer an einem frühen Morgen das Wägelchen fahrbereit und bespannt im Hofe stehen. „Nichts als Heimlichkeiten und alleweil Heimlichkeiten!“ sagte er lachend, als ihm die junge Frau, auf seine Frage nach dem Ziel der Reise, ebenfalls lachend zurief, daß ihn das nichts angehe, er solle sich den Kopf nicht zerbrechen und gut Haus hüten.

„Wir fahren in die Berge hinein,“ rief und winkte sie im Wegfahren zurück, „wir machen auch eine Hochzeitsreis’.“




Von einem Dickhäuter.
Mit Abbildung.

Ein dem kindlichen fröhlichen Spiele sich hingebendes Rhinoceros, oder Nashorn ist ein seltener Anblick, daß es mir der Mühe werth schien, denselben im Bilde festzuhalten.

Unsere Illustration ist nach der Natur aufgenommen und stellt das jetzt im Dresdener zoologischen Garten befindliche Rhinoceros dar, und zwar spielend mit zwei befreundeten Hunden, sogenannten Rattenfängern. Dieses Dresdener Rhinoceros ist ein Weibchen und führt den Namen „Bégum“; so werden in Indien die Fürstinnen genannt. Bégum hat schon bei ihrem ersten Aufenthalt in Dresden eine größere Theilnahme dadurch erregt, daß sie sogar in den Verhandlungen des sächsischen Landtages erwähnt wurde. Der Verwaltungsrath des zoologischen Gartens hatte nämlich nicht lange nach dem Ankaufe des Thieres (von dem Thierhändler Hagenbeck) an den Landtag ein Gesuch gerichtet um Unterstützung des Gartens aus dem Säckel des Landes, welches Gesuch nun zu einer Debatte Veranlassung gab, und wobei einer der Redner meinte, daß ein zoologischer Garten, welcher viertausend Thaler für ein Rhinoceros ausgeben könne, keiner Unterstützung bedürfe. Jener Redner hätte viel richtiger in die Worte der anderen eingestimmt, welche ungefähr sagten, daß ein solches Actien-, also Privatunternehmen auf eigenen Füßen stehen muß, daß es sich allenfalls von der Stadt, der es zur Zierde, zum Nutzen gereicht, mag unterstützen lassen, daß aber eine Staatsunterstützung nur anderen ähnlichen Unternehmungen das gleiche Recht geben würde. Wenn nicht der thatsächliche Hinweis, so doch jedenfalls die stille Angst, daß dann die schrecklichen Leipziger über kurz oder lang auch einen zoologischen Garten gründen und die Hand hinhalten würden, wird wohl mit zur Ablehnung obigen Gesuchs beigetragen haben.

Bégum hat sich natürlich über alle diese Dinge keine grauen Haare wachsen lassen, ja überhaupt gar keine, die wenigen braunen an den Ohrrändern und der Schwanzspitze ausgenommen. Denn das indische Rhinoceros trägt sich eben, und nicht etwa erst, so weit sich die unvermeidlichen ältesten Männer dessen erinnern können, sondern so lange man’s überhaupt kennt, haarlos und wird wohl auch stets darin conservativ bleiben. Das Thier beschäftigte sich vor Allem mit Fressen und Wachsen, wobei ihm seine fröhliche Beweglichkeit sehr behülflich war. Auch seine große Harmlosigkeit, welche wohl wieder mit seinem sehr bescheidenen geistigen Zustande in Verbindung steht, mag sein Gedeihen nicht wenig befördert haben. Jeder, der dieses Thier zur Zeit nach seiner Ankunft im Januar 1873 gesehen hat und es jetzt wieder sieht, wird erstaunen über dessen nunmehrige Größe, und es dürfte unter den wilden Säugethieren kaum eine andere Art zu finden sein, welche sich so gewaltig schnell entwickelt. Unser Rhinoceros war bei seiner Ankunft (Januar 1873) ein Meter hoch und zwei Meter lang, ist jetzt aber (Juni 1875) anderthalb Meter hoch und drei Meter lang und hat drei Meter Umfang, aber es ist noch lange nicht ausgewachsen.

Als im Jahre seiner Ankunft die Jahreszeit so weit vorgerückt war, daß ein Herauslassen in’s Freie zulässig erschien, wurde in dem Gehege, welches zunächst dazu bestimmt war, eine ganz einfache Grube gegraben und aus dem benachbarten Brunnen mit Wasser gefüllt, zum großen Hochgenuß des Thieres. Denn nun konnte man es bei heißem Sonnenschein stundenlang in diesem Tümpel liegen sehen, oft nur den Kopf zur Hälfte heraussteckend, immer aber mit großer Betriebsamkeit dafür sorgend, daß die dicke Haut nicht bloß naß, sondern auch gehörig mit Schlamm bedeckt wurde, indem es sich immer an den Seitenwänden der Grube rieb, so daß diese immer größer, das Wasser aber dadurch selbst zum Schlamm veredelt wurde. Kam das Thier dann einmal heraus, so glich es allerdings mehr einem kleinen Schlammberg, schien sich aber offenbar in diesem Zustande sehr zu gefallen, denn sein himmlisches Behagen war nicht zu verkennen.

Bei einem späteren Besuche überraschte mich die im Bilde [627] dargestellten Scene mit den Rattenfängern. Diese Rattenfänger sind Franzosen, aber frei von allem Nationalhasse gegen uns. Der auf dem Rücken des Rhinocerosses stehende Hund ist der in Dresden zur Welt gekommene Sohn der unten befindlichen Hündin, welche im letzten Kriege nebst einem männlichen Hunde gleicher Race aus Frankreich mitgebracht wurde, und zwar wurde die Hündin bei der Leiche eines gefallenen französischen Officiers aufgefunden. Sie ist in den Besitz des Directors des zoologischen Gartens in Dresden übergegangen, und dort sind im Winterhause, wo das Rhinoceros wohnt, auch ihre Jungen geworfen und aufgewachsen. Zwischen dieser Hundefamilie und dem Dickhäuter bildete sich bald eine vertraute Freundschaft aus.

Im März dieses Jahres trat ich nun eines Morgens zum Rhinoceroskäfig, als plötzlich die erwähnte Hündin mit dem einzigen Sohne, den man ihr gelassen, gesprungen kam und Beide zu dem Rhinoceros hineinliefen. Mir waren diese Hunde vorher noch nicht aufgefallen, und ich erwartete nichts Anderes, als daß die große Bestie auf die dreisten Eindringlinge zufahren und sie schleunigst zerdrücken oder verjagen würde – aber weit gefehlt! Mit der Seelenruhe eines Philosophen ließ der Dickhäuter die Hunde um sich herumlaufen, und als diese nun sich mit ihm zu schaffen machten, ihn anbellten und in die Beine zu beißen suchten, fühlte unser Rhinoceros durch diese Aufmerksamkeiten sich sogar zur Heiterkeit angeregt. Es würde mich gar nicht gewundert haben, wenn es in heiterer Laune einen Hund mit dem Horne gefaßt und in aller Freundschaft an die Wand gedrückt hätte, aber es benahm sich noch viel origineller. Es legte sich, nachdem es erst wie zur Vorbereitung sich um sich selbst gedreht hatte, mit der ihm eigenen Rhinocerosgrazie nieder, und das Nächste war, daß sofort der Hundesohn ihm auf den Rücken sprang und Bégum sich jetzt schnell wieder erhob. Es war ein lächerlicher Anblick, dieses Reiterkunststück. Der Hund war bestrebt, sich stehend auf dem zwar breiten, aber doch glatten Rücken des sich bewegenden Thieres im Gleichgewichte zu halten und es dabei in die Ohren zu beißen, das Rhinoceros wehrte hingegen solche Freundlichkeiten ab, indem es durch Springen den Hund abzuschütteln, die empfindlichen Ohren aber durch gewaltiges Schwenken des Kopfes von unten nach oben zu schützen suchte, obgleich die unten anspringende und bellende Hündin bestrebt war, es dabei irre zu machen. In Kurzem rutschte natürlich der Hund von seinem erhabenen Standpunkte herab. War nun (denn ich habe die Scene mehrmals gesehen) das Rhinoceros in besonders heiterer Stimmung, so legte es sich wohl nochmals hin, und das Spiel wiederholte sich zum großen und lauten Ergötzen aller Zuschauer von Neuem. Ob diese Scene alle Tage wiederkehrt, bezweifle ich.

Zu den Hauptberufspflichten des Rhinoceros gehört es, sich im Schlamme zu wälzen, bis die Lust kommt, in dem jetzt gebauten und ausgemauerten Bassin ein Bad zu nehmen. Manchmal thut es das Letztere nicht sogleich, sondern läßt die Schlammkruste erst von der Sonne trocknen. Dies scheint die eigentliche höhere Rhinocerostoilette zu sein. Es mag durch Erfahrung wohl auch bemerkt haben, daß ihm in solchem Falle ein ganz besonderer Genuß beschieden ist: es wird angespritzt. Dem zoologischen Garten ist nämlich vor Kurzem die Mitbenutzung der städtischen Wasserleitung gewährt worden, und zwar mit der angenehmen Aussichtseröffnung, diese Vergünstigung, welche nur vorläufig gegen Vergütung gewährt wird, später unentgeltlich zu genießen. Diese Fülle von Wasser nun und die Leichtigkeit, es zu verwenden, ist natürlich von nicht geringer Wichtigkeit und für die Thiere oft eine große Wohlthat. Welch originelles Schauspiel war es, als plötzlich der Wasserstrahl auf das von der Lehmkruste überzogene Rhinoceros losgelassen wurde und dieses in eine offenbar ganz kannibalisch selige Stimmung versetzte! Wie wandelte es behaglich in dem Wasserregen hin und her! Es ging sogar ganz nahe zum Spender, hielt ihm den Kopf, das offene Maul hin, um direct da hinein eine Portion des Strahles zu erhalten. Der Anblick dieser ganzen Scene war ebenso neu wie für die Eigenart des Thieres bezeichnend, und man muß es bei solchen Gelegenheiten immer wieder bedauern, daß man den Elephanten der zoologischen Gärten bisher noch keine Bäder in ihren Gehegen gewährt hat.

Die bezüglich des Dresdener Rhinocerosses geschilderten Scenen werden zur Genüge die Friedfertigkeit dieses Thieres beweisen, und im Wesentlichen haben die indischen Rhinocerosse wohl alle diesen Charakter. Ist so ein Thier aber durch irgend Etwas einmal gereizt worden, dann ist seine Wuth eine blinde.

Der Thierhändler Jamrach (der Jüngere) in London, welchem ich schon früher die in der Gartenlaube erschienenen interessanten und neuen Mittheilungen über den Tigerfang verdankte, hat mir auf meinen Wunsch für diese Zeilen einiges über die indischen Rhinocerosse geschrieben, was ich im Wesentlichen hier folgen lasse. Er sagt:

„Das indische Rhinoceros wohnt nur jenseits des Ganges, wo es in den Urwäldern massenhaft vorkommt. Alle Rhinocerosse, die bis jetzt in meine Hände gekommen sind, stammen von dort. Alte Thiere werden nie gefangen, sondern geschossen. Wie bei den meisten Thieren, bleibt das Junge bei der Alten, wo es dann leicht erwischt wird. Die Fänger erhalten für ihre Mühe eine nur geringe Entschädigung, und die jungen Thiere kommen gewöhnlich in die Hände der Europäer, die ihren Gewinn dabei haben. Es ist keine Kleinigkeit, ein Rhinoceros nach Calcutta zu bringen, besonders während der Regenzeit. Dies dauert monatelang, da das Thier fast stets den ganzen Weg zu Fuß machen muß. So habe ich schon Rhinocerosse bekommen, welche über neunhundert englische Meilen spaziert sind. Am Tage wird das Thier an einen Baum gebunden, gefüttert und gebadet. Nachts geht die Reise vor sich, und gewöhnlich werden acht bis zehn Meilen in einer Nacht zurückgelegt. Nach einigen Tagen gewöhnt sich das Thier so an den Wärter, daß es manchmal sehr bedenklich wird, dieselben zu trennen. So war ich z. B. gezwungen, für das Rhinoceros, welches jetzt im Hamburger zoologischen Garten steht, einen Schwarzen eigens nach Europa mitzunehmen. Sind die Thiere noch sehr jung, so ist das Führen derselben nicht schwieriger als das eines Schafes, haben sie aber erst das zweite Jahr erreicht, so wird dies schon sehr mühsam, besonders wenn sie zu gut gefüttert werden. Mit den beiden, welche jetzt in Berlin sind, hatte ich ungeheure Mühe. Nachdem sie glücklich in Calcutta angelangt waren, sollten sie auf’s Schiff gebracht werden, und da es Regenzeit war, lag der Dampfer mitten im Strome. Kein Boot, groß genug, um die Thiere an Bord zu bringen, war wegen der ungeheuren Strömung bei dem wehenden Südwest-Monsun zu finden. Fort mußten sie, denn die Fracht war bezahlt und Hagenbeck hatte schon eine Depesche erhalten, dieselben in London zu empfangen. Ich engagirte also sechsundvierzig Boote; wir banden dieselben mit Stricken zusammen, legten sechs Fuß breit Planken über die ganze Länge, machten Alles mit acht Ankern fest, und Monsieur und Mademoiselle Rhinoceros mußten über diese Brücke bis zum Steamer gehen, was sie auch ruhig thaten, indem ein Mann vorangehend sie immer mit süßem Futter lockte. Hier wurden sie geschlungen wie die Pferde, und in drei Minuten befanden sie sich auf Deck. Glücklicher Weise war zur Zeit das Wetter ruhig, sonst hätten sie Berlin nicht gesehen. Diese beiden Thiere sind die schönsten in Europa.

Eine Eigenthümlichkeit haben alle indischen Rhinocerosse wie die Nilpferde: sie schwitzen Blut. In Europa bemerkt man dies wenig wegen des kälteren Klimas, obgleich es bei den Nilpferden auch hier schon mehrfach gesehen worden ist. Bei dem Einschiffen in Calcutta werden sie durch die bei dem Treiben und Schlagen entstehende Angst so erhitzt, daß die rothen Tropfen vom Körper laufen, als wäre derselbe mit rothem Wein begossen. Kommt ein Rhinoceros aus dem Wasser, so wird man auch bemerken, daß die Haut einen röthlichen Schein angenommen hat, und reibt man den Finger darüber, so löst sich ein blutähnlicher, rother Stoff ab. Der empfindlichste Theil des Rhinocerosses ist unter den Falten; die Haut ist hier so weich und zart, wie bei einem Kinde. Man braucht diese Stellen nur mit etwas Spitzem zu berühren, um das Thier in vollsten Galopp zu setzen und wild zu machen. Niemand kann sich die Geschwindigkeit im Laufe dieser Thiere und ihre ungeheure Ausdauer vorstellen. In der Paarungszeit (während des Vollmondes) laufen sie in einer Nacht dreißig bis vierzig englische Meilen weit, um sich am Wasser zu treffen. In den „Soonderbunds“ habe ich halbausgetrocknete Teiche gesehen, wo die Thiere von den benachbarten Inseln massenhaft zusammenströmen, und wo der Mist vier Fuß hoch auf einer Strecke über zwei Acres groß lag. Bei den Zusammenkünften der Rhinocerosse an den Teichen, obgleich sehr zahlreich, [628] sind doch immer nur zwei bis vier zusammen, sie kommen von verschiedenen Richtungen und trennen sich nach der Zusammenkunft eben so nach allen Seiten, während die Elephanten bekanntlich in Heerden bleiben. Nach Sonnenuntergang fängt erst das active Leben des Rhinocerosses an; dieses ist seine Fütterungszeit, denn am Tage schläft es oder wälzt sich im dicksten Schlamm. Wenn es seinen Magen gefüllt hat, wird es ungeheuer faul, und es ist schwierig, es auf die Beine zu bringen.

Im Jahre 1866 schiffte ich auf einem Segelschiffe zwei Rhinocerosse ein, wovon das Männchen sechs Fuß, das Weibchen fünf Fuß sieben Zoll hoch war. Das Schiff hatte schlechtes Wetter und mußte in Penang einlaufen, wo es drei Wochen blieb, dann ging es nach Mauritius mit wieder drei Wochen Aufenthalt, alsdann lief es in der Capstadt ein, um Proviant und Futter einzunehmen, von da sehr langsam nach Sanct Helena. Hier waren keine Nahrungsmittel für die Thiere zu finden, und wurden dieselben mit Sägespähnen und Holzsplittern acht Tage lang erhalten, bis sie vor Hunger umkamen. Diese Reise dauerte bis London sieben und einen halben Monat; hätte es damals einen Suezcanal gegeben, so hätte Europa zwei Thiere gesehen, welche Erstaunen erregt hätten, denn so etwas Kolossales habe ich vorher und seitdem noch nie gesehen. Der Einkaufspreis nebst Unkosten betrug sechshundertzwanzig Pfund. Jetzt werden wenige oder gar keine indischen Rhinocerosse mehr importirt, da es sich nicht rentirt; die Unkosten sind zu groß, und da die zoologischen Gärten fast alle ein[2] indisches Rhinoceros besitzen, der Berliner deren sogar zwei, so ist keine Abnahme mehr zu erzielen. Unsere besten Abnehmer waren die Amerikaner, was auch bezüglich aller anderen großen Thiere gilt; sie haben uns die größte Unternehmungslust gegeben. Alle zoologischen Gärten, welche bis jetzt das Selbstimportiren versucht haben, haben Geld zugesetzt, und als ich mich vor einigen Tagen über das Heruntergehen der Preise beklagte, erhielt ich zur Antwort; das müsse so sein. Zwanzig Reisen habe ich nach Indien gemacht und mache noch zwanzig weitere, wenn Gott es will. Wünschen die Herren Zoologen aber seltene Thiere zu besitzen, so müssen sie tiefer in die Taschen greifen und den allmächtigen Thaler nicht dreimal herumdrehen, ehe sie denselben ausgeben. Basta!“

Ich habe nicht den Muth, diesen durchweg neuen und am Schlusse sehr charakteristischen Mittheilungen des Herrn Jamrach noch Etwas hinzuzufügen. Hervorheben muß ich aber, daß der genannte Herr sich dadurch allerdings Verdienste um die Zoologie erworben hat, daß er nicht blos die meisten indischen Rhinocerosse, welche sich in Europa befinden, sondern auch andere Arten, z. B. das javanische, das sumatranische und, irre ich nicht, noch weitere zuerst lebend hierhergebracht hat. Die in Deutschland befindlichen sind wohl alle von ihm transportirt: das sumatranische und das indische in Hamburg, die zwei indischen und das javanische in Berlin, das indische in Dresden, ebenso, glaube ich, das indische in Köln, sowie Exemplare dieser Art in der Daggesell’schen und in der Kallenberg’schen Menagerie. Nur die zwei afrikanischen, eines in London, eines in Berlin, jedes mit zwei gewaltigen Hörnern, sind von Casanova aus ihrer Heimath gebracht worden und durch Hagenbeck an ihren jetzigen Aufenthalt gekommen.

L.


Blätter und Blüthen

Die historischen Silberlinge. Pater Faber, der Wallfahrer von Nürnberg, erzählt uns folgende seltsame Wanderung der dreißig Silberlinge, mit welchen nach der heiligen Schrift Judas, der Verräther, für seine Unthat bezahlt wurde.

Nach einer uralten Tradition hat Tharah, Abraham’s Vater, dieselben nebst andern Münzen im Auftrage des Königs Ninus prägen lassen. Nach Tharah’s Tode gelangten sie in den Besitz Abraham’s. Von diesem empfing sie Ismael, von dessen Nachkommen sie, sorgfältig aufbewahrt, endlich in die Hände der Söhne Jakob’s übergingen, als diese ihren Bruder Joseph verkauften. Sie bezahlten damit den Weizen, welchen sie zur Zeit der Hungersnoth in Aegypten kauften. Von hier wanderten dieselben Silberlinge nach dem Lande Saba zum Einkaufe von Waaren. Die Königin von Saba verehrte sie dem Könige Salomo nebst anderen werthvollen Geschenken, und dieser legte sie als geweihte Gabe in den Gottestempel nieder. Von hier entführte sie Nebukadnezar nebst anderen Schätzen und sandte sie Godolias (Gedalja) als Rarität nach Nubien. Nach der Geburt Christi in Bethlehem legte sie Melchior, König von Nubien, zu Füßen des heiligen Kindes nieder, wonach dessen Eltern sie auf der Flucht in der Wüste verloren. Hier fand sie ein Schäfer und bewahrte sie, ihren Werth erkennend, dreißig Jahre lang heimlich auf.

Als derselbe nach dieser Zeit von den Wundern Jesu hörte, kam er nach Jerusalem, um bei ihm Hülfe gegen seine Krankheit zu suchen, und verehrte ihm, als er ihm geholfen, jene dreißig Silberlinge. Jesus aber, der keinen Lohn annahm, gab sie den Priestern des Tempels, die sie in den Gotteskasten legten.

Als Judas Jesum verrathen hatte und die Priester ihm jene Silberlinge als versprochenen Sold gaben, warf er sie in den Tempel zurück. Sie hoben sie auf und kauften dafür einen Begräbnißplatz.

Nach dieser Verwendung sind sie nie mehr beisammen angetroffen worden. Pater Faber will ein Exemplar davon auf Rhodus gesehen haben, von welchem Johann Tücher aus Nürnberg einen Abdruck genommen. Er prägte im Jahre 1485 ähnliche Münzen in Silber. Da die Aufschrift der alten Silberlinge gänzlich verlöscht war, unterschied man auf einer Seite nur noch die Gestalt eines Mannes und auf der andern die einer Lilie.




„Unsere Zeit, deutsche Revue der Gegenwart“, herausgegeben von Rudolf Gottschall (Leipzig, F. A. Brockhaus), gehört seit den achtzehn Jahren ihres Bestehens zu den bestgeleiteten deutschen Zeitschriften, so daß ein längst beabsichtigtes, wenn auch nur flüchtiges Wort der Empfehlung derselben hier an seinem Platze sein dürfte. Ursprünglich eine Ergänzung des Brockhaus’schen Conversations-Lexicons in Form eines Jahrbuches, hat sich das Unternehmen längst Ziele gesteckt, welche über diese seine anfängliche Bestimmung weit hinaus gehen. „Unsere Zeit“ will in des Wortes eigentlichem Sinne eine Rundschau der Gegenwart sein und erfüllt diese Aufgabe in vollem Maße. Sie zieht das Gesammtgebiet der Cultur und der Politik in den Kreis der Betrachtung, indem sie ihren Lesern aus allen Bereichen menschlichen Denkens und Schaffens regelmäßig wiederkehrende und erschöpfende Uebersichten bietet und so ein werthvolles Nachschlagebuch für die Zeitgeschichte bildet. Möge die Aufmerksamkeit des lesenden Publicums sich immer mehr dieser in halbmonatlichen Heften erscheinenden Zeitschrift zuwenden!




Was in Amerika Alles möglich ist. Tweed, der die Stadt New-York um Millionen bestohlen hat, und der im Zuchthause wie ein Fürst lebte, ist, bevor nur ein Jahr seiner Verurtheilung abgelaufen war, wieder frei geworden. Tweed’s Advocaten haben bereits eine halbe Million Geld von ihrem Clienten erhalten. Sie sagen aber, daß sie hiervon den kleinsten Theil für sich eingenommen und behalten hätten. Die einzige Auslegung dieser Ausrede aber ist nicht sehr ehrenhaft für den amerikanischen Richterstand.

Dann Beecher, dieses würdige Seitenstück zu Tweed, mit dessen Scandalproceß sich die Presse fast ein halbes Jahr auf das Ekelhafteste beschäftigte – Beecher, der einer Verurtheilung entging, weil die Geschworenen sich nicht einigen konnten, wurde von jener Kirchengemeinde als ein „Heiliger“ wieder aufgenommen und erhält von ihr dieses Jahr einen Predigergehalt von einhunderttausend Dollars.

Der fast ein halbes Jahr dauernde Scandalproceß dieses Predigers hat dem County Brooklyn an Geld nahezu 80,000 Dollars gekostet, und die verschiedenen Advocaten erhielten: einer 25,000 Dollars, ein Anderer 10,000 Dollars, zwei weitere je 5000 Dollars und drei weitere je 2500 Dollars. Demnach erhielten sämmtliche Advocaten zusammen 52,000 Dollars, und der mit keinem Resultate endende, fast ein halbes Jahr andauernde Proceß hat alles in allem weiter über 10,0000 Dollars gekostet.

D.




Berichtigung. In dem letzten Artikel von Otto Glagau „Die große Zeit und die großen Dinge“ sind folgende Druckfehler zu verbessern: Der Vorläufer und Mitbegründer der „Flora“ ist Rittergutsbesitzer Ludwig Ebers (nicht Ellers). Ferner muß es heißen: Berliner Spediteurverein. Das eingebrachte Inventar (nicht Mobiliar) wurde besonders vergütet.

Admiralsgartenbad. Wenn die Einnahmen nicht noch ganz erheblich wachsen, kann auf eine angemessene Dividende nicht gerechnet werden.

Flora. Der Prospekt wurde nicht nur durch die Zeitungen veröffentlicht, sondern auch couvertirt und den Leuten in’s Haus geschickt.




Kleiner Briefkasten.


Lehrer J. B. in Burtscheid. Die beste Composition von Friedrich Rückert’s Lied „Aus der Jugendzeit etc.“ ist die von Hauptmann, erschienen bei Breitkopf und Härtel.

Elise S., Anna D., Pauline P. in Rostock. Wenden Sie sich an die unter dem Protectorate der Kronprinzessin von Deutschland und Preußen begründete „Allgemeine deutsche Pensionsanstalt für Lehrerinnen und Erzieherinnen“ und lassen Sie sich das Statut derselben einsenden!

C. E. K. Beide Manuscripte sind nicht zu verwenden und stehen zu Ihrer Verfügung.

R. B. in Berlin. Ungeeignet. Verfügen Sie gefälligst über Ihre Arbeit!

W. H. in Köpenick. Feuchtersleben lebt allerdings noch, aber nur in der Erinnerung seiner Leser und Anhänger, die seine „Diätetik der Seele“ als eines der fruchtbringendsten Bücher verehren. Er selbst ruht seit 1849 unter dem grünen Rasen.

L. Andrae in New-York. Der Betrag von fünf Dollars ist richtig eingegangen, wurde aber fälschlicher Weise als aus Köln eingesandt in Nr. 27 quittirt.



  1. Für die zweite Aufführung von Goethe’s Iphigenie.
  2. WS: Fehlendes e ergänzt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Wagemann